Volkssternwarten
BLOG: Uhura Uraniae
Ein Buch über “Verbreitung und Institutionalisierung populärer Astronomie in Deutschland, 1888-1935” ist gerade am Anfang dieses Jahres erschienen. Es handelt sich um eine Dissertation an der Universität Regensburg im Fach Wissenschaftsgeschichte (also eine wissenschaftliche Arbeit), vorgelegt von Benjamin Mirwald. Das Stichdatum des betrachteten Zeitraums ante quem ist ganz offensichtlich die Gründung der ersten öffentlichen Sternwarte, der Urania Berlin. Das Buch beleuchtet also nicht die Ursachen für die Einrichtung solcher “Theater der Wissenschaft”, sondern eher die daran anschließende, resultierende Entwicklung.
Das erste Kapitel skizziert Funktion und Arbeitsweisen der Volkssternwarten im Spannungsfeld zwischen eigener (Amateur-)Forschung, Schulwesen und Populärastronomie: Hier werden von der Straßenastronomie (Kap.4.4), also dem schnellen Blick auf die Gestirne unterwegs, bis hin zu populärwissenschaftlichen Zeitschriften (Kap. 4.5) viele Themengebiete (Kap. 3.3) und Arbeitsweisen der Amateurastronomie zusammengestellt, wie wir sie Großteils auch heute noch vorfinden.
Bereits im Vorwort lesen wir auf der ersten Seite eine Liste von Fragestellung des Buches: “Welche Themen waren es, die Scharen von Besucherinnern und Besuchern in solche oft sogar wörtlich der Urania, der Muse der Himmelskunde, gewidmeten Kuppeln trieb? Wer inszenierte sich als Interpret der Himmelskörper und als Lehrer über Außerirdische(s)?”
Dies wird im zweiten Hauptteil an konkreten Beispielen ausführlich durchdekliniert: Mit der Unterteilung in Museumssternwarten (Kap. 5), Schulsternwarten (Kap. 7), Vereinssternwarten (Kap. 8) und “Kurzlebige Sternwartenprojekte (Kap. 9) werden achtzehn Sternwarten vorgestellt, die in der fraglichen Zeit gegründet wurden und von denen manche heute gar nicht mehr existieren. Kap. 6 gibt ein kurzes Intermezzo zu zwei Sternwarten im “deutschsprachigen Ausland”, namentlich der Urania Wien und der Urania Zürich, sowie zur “Vereinigung zur Verbreitung astronomischer Kenntnisse”, die in deutschlandnahen nördlichen Gegenden Tschechiens wirkte.
Der Blick ins Buch: Charakter des Buches
Es handelt sich um ein “Lesebuch” – nicht ganz wie die Textbücher der Physik, die romanhafte Anekdoten und Gedankenexperimente erzählen, aber ein Lesebuch wie es HistorikerInnen schreiben: Man erzählt eine Geschichte, die in sich flüssig lesbar ist. Die Geschichte hat Akteure – z.B. Vereinsgründer, Sternwartenleiter, Museumsführer…, die einen biographischen Kontext haben (mancher hat Astronomie studiert, ein anderer ist Apotheker, einer ist verheiratet, der andere nicht usw.) – und sie hat Handlungsschauplätze, sozusagen Bühnenbilder. Letztlich ist es aber eine Geschichte von Menschen, deren Handlung zu einem bestimmten Schwerpunkt (hier stets: Astronomie unter die Leute bringen) erzählt wird. Eigentlich ist es so ähnlich wie bei einem “Tatort” – ich habe zwar nie einen gesehen, aber in der vergangen Woche habe ich tausendundeine Meinung dazu gehört – wobei die Akteure (Kommissare zwar hauptsächlich ihre Fälle lösen, aber nebenbei auch irgendwie als Privatmensch und Persönlichkeit charakterisiert werden. Aus diesen Charakterisierungen beantwortet man die eine der Eingangsfragen, nämlich, “wer” inszenierte sich als Interpret. Hierbei fällt auf, dass es natürlich zumeist Männer waren und darum widmet sich das dreiseitige Kap. 12.3 der Frage nach “Frauen in Volkssternwarten und Populärastronomie”.
Die Themen der Populärastronomie werden manchmal in Statistiken und häufiger Aussagen von Vortragsthemen repräsentiert. Zentral scheint aber tatsächlich der Blick mit eigenen Augen durchs Teleskop zu sein: Sowohl die interessierten Laien, die Volkssternwarten jeglicher Art am fin de siècle besuchten, als auch die Amateurforschenden, die hier ihre Beiträge zur Forschung präsentierten, diskutierten und teilweise auch gewannen, waren wohl in erster Linie daran interessiert, Teleskope und andere Hilfsmittel zu nutzen. Vorträge, Lesezirkel und Zeitschriften gab es natürlich zusätzlich – aber ganz ehrlich: Dazu braucht man ja keine Sternwarte: Lesezirkel z.B. sind ja eine sehr, sehr lange Tradition, die lange vor 1888 begann. In Volkssternwarten sind diese Tätigkeiten natürlich eine unabdingbare, notwendige Bereicherung – aber allein dafür hätte man sie nicht gründen müssen. ; – ) So illustriert der Autor auch eindrucksvoll in – sogar farbigen! – Abbildungen neben Vortragsankündigungen der jeweiligen Institutionen auch Beobachtungen, die von den dortigen (Amateur)Forschenden gemacht wurden:
Das Buch liest sich – wie üblich in moderner Geschichtswissenschaft – als fließender Text und Fußnoten werden hauptsächlich dazu genutzt, Quellbelege für die Aussagen und ihre Standorte zu verzeichnen.
Lesbar, allgemeinverständlich, Quelle für Forschung
Es handelt sich auch um ein fast reines Textbuch: drei Tabellen (zwei mehrseitige im Anhang) geben Übersichten wieder (z.B. Gründungsdaten oder so) und Abbildungen sind in den allermeisten Fällen rein illustrativ: Sie zeigen Bilder von Volkssternwarten, die man noch heute besuchen kann (s.Abb. als Bsp) oder Abbildungen von einst, die nicht mehr existieren: z.B. von der provisorischen Variante des Holzbaus um das Treptower Riesenfernrohr, bevor man eine Sternwarte um es baute.
Besonders interessant sind dabei die Statistiken (Grafiken) zu Anzahlen von Volkssternwarten (Zählung sortiert nach Kategorie und Jahreszahl), BesucherInnen, die der Autor aufschlüsselt nach verschiedenen Gruppen (Schulklassen, öff. Vorträge, Vereinsmitglied oder nicht…) und natürlich Themen der Veranstaltungen. Leider konnte solche Statistiken nicht konsequent für alle Sternwarten erhoben werden, sondern sind nur exemplarisch – z.B.: Themenstatistik nur für Vorträge in der Olbers-Gesellschaft und nur für das Jahr 1924 – erhoben worden. Das ist natürlich ganz wunderbar, aber es lassen sich daraus keine übergeordneten Erkenntisse ableiten. Es gibt auch andere Statistiken als die genannte, aber eben nicht konsequent für alle vorgestellten Institute dieselben. Die Tatsache, dass (ganz gewiss) 1910 hauptsächlich der Komet Halley ein Thema an allen bis dato existenten Sternwarten war, während irgendeine konkrete Feuerkugel möglicherweise lokal, aber nicht überregional thematisiert worden ist, würde bei diesem Darstellungsprinzip untergehen. Wie viele geschichtswissenschaftlichen Arbeiten schwächelt die Arbeit hier leider mit Blick auf konsequent ebenbürtige Statistiken – sie erzählt eben einfach “nur” Gründungsgeschichten: diese allerdings gut belegt und recherchiert.
Auf der Basis dieses Buches kann jetzt sehr viel Forschung beginnen – weitere interessante Fragestellungen ergeben sich hier, die sogar direkte Relevanz für heutige Volkssternwarten haben könnten. Vermutlich hat der Kandidat aber nach Abschluss dieses Forschungsprojektes nun wohl andere Arbeitsschwerpunkte, so dass man für eine nutzbringende Auswertung für moderne Populärastronomie (die im nächsten Projekt erfolgen müsste, um derlei Belegarbeiten für die individuelle Karriere des Forschenden zeitlich zu begrenzen) wohl noch warten muss.
Nichtsdestotrotz ist diese große Pionierarbeit, die gewiss mit viel Herumreisen innerhalb von Deutschland verbunden war, um die zahlreichen Volkssternwarten und Archive zu besuchen, sowohl lesenswert als auch ein wertvoller Fundus für künftige Forschung.
Das Buch ist in der Reihe “Acta Historica Astronomiae” erschienen, das neuerdings in der “Akademischen Verlagsanstalt” erscheint und die Herausgeber sind bekannt für ihre eigenen Bezüge zur Populärastronomie.
So resümiert auch der Autor im letzten Satz, dass es zwar keine besondere Kunst sei, Astronomie zu popoluarisieren, weil sie bereits per se populär ist. Dennoch sei es wohl eine hohe Kunst, astronomische Inhalte gleichzeitig “populär und wissenschaftlich” zu betreiben.
Resümee: Schönes Buch, interessant zu lesen, Textbuch für alle an der Populärastronomie interessierten und Beteiligten.
Bibliographische Daten
Benjamin Mirwald: Volkssternwarten, in: Acta Historica Astronomiae Vol.55, AVA Leipzig, 2014
ISBN: 978-3-944913-47-6
GIMMICK
volkstümliche Astronomie im Jahre 2015: Die Forschenden und Assistierenden in unserem Institut – die alle oft genug auch Überstunden machen – stehen zusammen, um das Maximum einer partiellen SoFi zu beobachten. Wofür man in den 1960ern in der Archenhold-Sternwarte noch ein großes Haus baute, das “Sonnenphysikalische Kabinett”, das übernimmt heute ein Pappkarton, der von dem französischen Astronomen Jean Gay am Observatoir de la Côte d’Azur entwickelt wurde: Sonnenbeobachtung (nur hier ohne Prisma).
So ähnlich kann man sich das wohl auch damals vorstellen. : – )
ÜBRIGENS
Nach zahlreichen Regentagen: heute schöne große Fleckengruppe auf der Sonne!!! ist schon wieder fast weggewandert, d.h. wird in den nächsten Tagen wegrotieren:
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