Tür 6: Perseus und Fuhrmann

Perseus wird uns immer als der Held vorgestellt, der die Prinzessin Andromeda rettete. Dazu nutzte er geschickt das Medusenhaupt, denn er versteinerte damit das Seeungeheuer, das sie bedrohte. Manchmal wird erzählt, er käme auf geflügelten Schuhen daher, die er sich von Hermes geliehen hätte… aber was so ein richtiger Held ist, hat er das nicht nötig: Hauptsache Medusenhaupt! Das Auge der Medusa wird am Himmel durch den Stern verkörpert, den wir heute “Algol” nennen – nach der Gul, einem Wüstendämon, an den die Araber glaubten

Door 6: Perseus and Charioteer.

Perseus is always presented to us as the hero who saved the princess Andromeda. To do this, he skilfully used the head of Medusa, for he used it to petrify the sea monster that was threatening her. Sometimes it is said that he came on winged shoes, which he borrowed from Hermes… but being a real hero, he didn’t need to: The main thing is Medusa’s head! The eye of Medusa is embodied in the sky by the star we now call “Algol” – after the Gul, a desert demon in whom the Arabs believed.

Perseus mit Medusenhaupt auf dem Atlas Farnese, SMH 2017.

Eratosthenes merkt übrigens an, dass Perseus keinen Kopfstern hat.  In der babylonischen Astronomie haben wir hier ebenfalls ein menschliches Sternbild: Es wird “der Alte Mann” genannt. Das babylonische MUL.APIN nennt den Mann hinter dem Pflug. Ein alter Mann geht gewiss mit gebücktem Haupt, so dass es keines Kopfsterns bedarf. Vielleicht deutet dies auf einen Austausch zwischen den beiden Kulturen hin – vielleicht aber auch nicht.

Beim Fuhrmann sehen wir, dass die Sternbilder außerhalb des Tierkreises nicht unbedingt babylonischen Ursprungs sein müssen, denn babylonisch gab es hier keine menschliche Figur, sondern irgendeinen krummen Gegenstand (wahrscheinlich ein Krummholz, eine Waffe – vllt. auch etwas anderes). Wie es in der griechischen Kultur zu dem Namen “Fuhrmann” kam, ist ein Mysterium: Laut Mythologie, nachlesbar bei Eratosthenes, soll es wohl der erste Wagenlenker gewesen sein, der hier an den Himmel versetzt wurde. Nicht einmal Eratosthenes kann erklären, warum dieser aber eine Ziege (den hellen Stern Capella) auf der Schulter tragen sollte – das wäre ja bei Halten der Zügel eher hinderlich. Denken Sie nur an diverse Szenen aus dem Leben des Brian oder den zahlreichen Hollywood-Streifen, bei denen Streitwagen durch Arenen preschen…

Bemerkenswert: Während der Fuhrmann auf dem antiken Kugel-Globus wirklich als Wagenlenker in seinem Wagen dargestellt ist, zeigen ihn die anderen beiden erhaltenen Globen als Landarbeiter. Auf dem Mainzer Globus ist er mit Perseus am Fuß verschränkt. Das könnte darauf hindeuten, dass hier wirklich eine andere Figur gemeint ist und nicht der athenische Erichtonios oder dass er gemeint ist und nicht als Wagenlenker, sondern in seiner anderen Funktion als Zweikämpfer abgebildet wird.  

Der Fuhrmann auf dem Atlas Farnese ein einfacher Landarbeiter. Genauer kann man es nicht sagen. Die Darstellung mit der Ziege ist modern, obwohl der Name des hellen weißen Stern schon “immer” so lautet – sofern wir die griechischen Namen zurück verfolgen können. “Capella” ist freilich die lateinische Übersetzung des griechischen Wortes. Griechisch ist das Wort für Ziege verwand mit dem Namen des Meeres (Ägäis), so dass hier eine Volksetymologie den Zusammenhang zu einem Wetterzeichen herstellt. An der Stelle des Fuhrmanns hat sich möglicherweise aber auch ein ägyptisches Sternbild “Ziege” befunden – es ist nur nicht klar, ob der griechische Ziegenstern hierfür ägyptisiert wurde oder ein ägyptisches Sternbild durch Belegung des Sternnamens konserviert wurde.  

Eratosthenes notes, by the way, that Perseus has no head star.  In Babylonian astronomy we also have a human constellation here: it is called “the Old Man”. The Babylonian MUL.APIN calls the man behind the plough. An old man certainly walks with his head bent, so there is no need for a head star. Perhaps this indicates an exchange between the two cultures – or perhaps not.

In the case of the Charioteer, we see that the constellations outside the zodiac do not necessarily have to be of Babylonian origin, for Babylonian there was no human figure here, but some crooked object (probably a crooked wood, a weapon – possibly something else). How the name “charioteer” came about in Greek culture is a mystery: according to mythology, which can be read in Eratosthenes, it was probably the first charioteer who was transferred to the sky here. Not even Eratosthenes can explain why he should carry a goat (the bright star Capella) on his shoulder – that would be rather a hindrance when holding the reins. Just think of various scenes from the Life of Brian or the numerous Hollywood films in which chariots dash through arenas…

Remarkable: While the carter on the antique globe is really depicted as a charioteer in his chariot, the other two surviving globes show him as a farm labourer. On the Mainz globe he is intertwined with Perseus at the foot. This could indicate that another figure is really meant here and not the Athenian Erichtonios, or that he is meant and not depicted as a charioteer but in his other function as a duelist.  

The Charioteer on the Atlas Farnese a simple farm labourer. It is not possible to be more precise. The depiction with the goat is modern, although the name of the bright white star has “always” been so – as far as we can trace the Greek names. “Capella” is admittedly the Latin translation of the Greek word. Greek, the word for goat is related to the name of the sea (Aegean), so here a folk etymology makes the connection to a weather sign. However, there may also have been an Egyptian constellation “goat” in the place of the carter – it is just not clear whether the Greek goat star was Egyptianised for this purpose or an Egyptian constellation was preserved by occupying the star’s name.  

Der Fuhrmann, ein Landarbeiter auf dem Atlas Farnese, Zeichnung SMH 2017.

Babylonisch

war der Held Perseus ein “Alter Mann”, der Vater bzw. Großvater der regierenden Götter, Enmesharra. Bucklig geht er am Stock und darum ist der Kopf nach vorne geneigt und man muss ihn nicht “oben” an der Figur suchen.

Der Fuhrmann war babylonisch keine menschliche Gestalt, sondern eine Waffe, das so genannte Krummholz.

Babylonian

the hero Perseus was an “old man”, the father or grandfather of the ruling gods, Enmesharra. Hunchbacked, he walks on a stick and that is why his head is tilted forward and one does not have to look for him “at the top” of the figure.

In Babylonian times, the carter was not a human figure but a weapon, the so-called crooked wood.

In China…

… sind unsere großen Sternbilder wieder zerpflückt: Perseus wird als Mausoleum und Himmelisches Boot betrachtet, der Fuhrmann ist die Gruppe der Fünf Wagen, dekoriert mit mehreren kleinen Asterismen, z.B. einigen Säulen der Mondstation “Netz” und dem “Pool der Harmonie”.

In China…

… our great constellations are picked apart again: Perseus is seen as a mausoleum and a celestial boat, the carter is the group of the Five Chariots, decorated with several small asterisms, e.g. some columns of the lunar station “Net” and the “Pool of Harmony”.

Chinesische Sternbilder der Region Auriga / Perseus

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"physics was my first love and it will be my last physics of the future and physics of the past" Dr. Dr. Susanne M Hoffmann ist seit 1998 als Astronomin tätig (Universitäten, Planetarien, öffentliche Sternwarten, u.a.). Ihr fachlicher Hintergrund besteht in Physik und Wissenschaftsgeschichte (zwei Diplome), Informatik und Fachdidaktik (neue Medien/ Medienwissenschaft) als Weiterqualifikationen. Sie ist aufgewachsen im wiedervereinigten Berlin, zuhause auf dem Planeten Erde. Jobbedingt hat sie 2001-2006 in Potsdam gelebt, 2005-2008 saisonal in Mauretanien (winters) und Portugal (sommers), 2008-2009 und 2013-'15 in Berlin, 2010 in Hamburg, 2010-2012 in Hildesheim, 2015/6 in Wald/Österreich, 2017 in Semarang (Indonesien), seit 2017 in Jena, mit Gastaufenthalten im Rahmen von Forschungskollaborationen in Kairo+Luxor (Ägypten), Jerusalem+Tel Aviv (Israel), Hefei (China)... . Ihr fachliches Spezialgebiet sind Himmelskarten und Himmelsgloben; konkret deren Mathematik, Kartographie, Messverfahren = Astrometrie, ihre historische Entwicklung, Sternbilder als Kulturkalender und Koordinatensystem, Anomalien der Sternkarte - also fehlende und zusätzliche Sterne, Sternnamen... und die Schaustellung von alle dem in Projektionsplanetarien. Sie versteht dieses Blog als "Kommentar an die Welt", als Kolumne, als Informationsdienst, da sie der Gesellschaft, die ihr das viele studieren und forschen ermöglichte, etwas zurückgeben möchte (in der Hoffnung, dass ihr die Gesellschaft auch weiterhin die Forschung finanziert).

2 Kommentare

  1. Wenn es in China auch Sternenbilder gibt, dann stellt sich für mich die Frage wer bzw. welche Kultur hat diese Sternenbilder zuerst geschaffen ? China ist ja als Kulturnation wesentlich älter als Babylon/Griechenland oder Ägypten.(Ca. 2500 Jahre vor Christus) Letzteres würde dann bedeuten, dass diese Form der Himmelsbilder über Reisende nach Europa /Mittelasien transportiert wurde. In Anbetracht dessen müssten also auch im Transitland Indien dann solche Sternenbilder existieren, da es ja auch in der indischen Mythologie Ähnlichkeiten mit der chinesischen gibt.

  2. Babylon, Ägypten und China sind als Kulturnationen ungefähr gleich alt (etwa 4500 Jahre Schriftkultur, davor bestimmt schon Kultur ohne Schrift). “Die” griechische Kultur ist ~2000 Jahre jünger, denn sie ist ein Ergebnis eines Kulturengemisches nach dem Alexanderzug: in Wahrheit ein Multikulti-Produkt.

    ALLE Völker der Welt haben sich Sternbilder zur Orientierung gemacht, völlig unabhängig von einander: Es gibt auch polynesische, nordamerikanische, südamerikanische, australische, … die meisten sind uns nicht oder nicht vollständig überliefert – z.B. wegen fehlender Schriftkultur. Das Fehlen von Überlieferung belegt aber keineswegs Nichtexistenz. Manche Leute sehen sogar in den Höhlen von Lascaux (Frankreich) Abbildungen von Sternbildern, die dann ~20.000 Jahre alt wären.

    Das bedeutet nicht denknotwendig, dass jemand die Idee, Sternbilder zu formen von A nach B transportiert haben muss. Das menschliche Denken funktioniert einfach so – so wie überall auf der Welt Kinder am Himmel in den Wolken Figuren erkennen oder in den Umrissen von Gebirgen… die Wahrnehmungspsychologie nennt diesen Effekt “Gestalt-Sehen” (englisch übrigens: “gestalt-seeing”).

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