Tür 21: Hydra und Mischkrug

BLOG: Uhura Uraniae

Ko(s)mische Streifzüge durch Zeit und Raum
Uhura Uraniae

Die Wasserschlange Hydra ist das längste Sternbild am Himmel: der Kopf befindet sich unterm Krebs und die Schlange windet sich von dort unter dem Löwen und unter der Jungfrau entlang, um dann kurz vorm Skorpion zu enden. Weil man eine schlängelnde Sternenkette nun einmal im Grunde beliebig lang zeichnen könnte, schlängelt sich die Schwanzspitze historisch unterschiedlich weit an den Skorpion. Bei Bodes historischen Berliner Sternatlanten sieht man das um 1800 besonders eindrucksvoll (wir haben das in unserem Buch “Ein nützliches Unternehmen”, Albireo-Verlag 2017, in Bildauszügen gezeigt).

In der Antike war allerdings der Stern pi Hydra als Schwanzspritze festgelegt. Das war bei Hipparch und Ptolemaios das gleiche und dieser Stern ist ein Kronzeuge für die Korrelation der beiden Datensätze. Ich lehne die Behauptung vehement ab, dass Ptolemäus von Hipparch “abgeschrieben” hätte, denn da liegen 260 Jahre wissenschaftlicher Fortschritt dazuwischen. Dass die Datenbasis aber gleiche Wurzeln hat, ist dank pi Hydrae unumstritten (wie man mindestens seit Graßhoffs History of Ptolemy’s star catalogue, Springer, 1990 weiß).

Auch in babylonischen Uranographien war hier gewiss eine lange Schlange, der so genannte MUŠ-Drachen, ein Schlangengott. Er ist in hellenistischer Zeit auf zwei Tontafeln unter Löwe und Mädchen mit Ähre abgebildet, so dass wir davon ausgehen, dass das Sternbild “Schlange mit Rabe” aus Mesopotamien übernommen worden ist. Der Becher, der griechisch dazu gehört, ist aber möglicherweise einem interkulturellen Missverständnis entsprungen, wie McHugh (2016) spekuliert.

Door 21: Hydra and Crater

The water snake Hydra is the longest constellation in the sky: the head is under Cancer and the snake winds from there under Leo and Virgo to end just before Scorpio. Because a meandering chain of stars could be drawn as long as one likes, the tip of the tail historically meanders to the scorpion at different distances. In Bode’s historical Berlin star atlases, this can be seen particularly impressively around 1800 (we have shown this in image extracts in our book “A Useful Enterprise”, Albireo-Verlag 2017).

In antiquity, however, the star pi Hydra was fixed as the tail syringe. This was the same for Hipparchus and Ptolemy and this star is a crown witness for the correlation of the two sets of data. I vehemently reject the claim that Ptolemy “copied” from Hipparchus, because there are 260 years of scientific progress between them. But that the data base has the same roots is undisputed thanks to pi Hydrae (as we know at least since Graßhoff’s History of Ptolemy’s star catalogue, Springer, 1990).

Also in Babylonian uranographies there was certainly a long serpent here, the so-called MUŠ-dragon, a serpent-god. He is depicted in Hellenistic times on two clay tablets under a lion and a girl with an ear of corn, so that we assume that the constellation “serpent with raven” was adopted from Mesopotamia. The cup that belongs to it in Greek, however, may have originated from a cross-cultural misunderstanding, as McHugh (2016) speculates.

Hydra mit Mischkrug und Rabe auf dem Atlas Farnese, Umzeichnung, SMH 2017.

Becher – Krater

Den Raben an ihrem Schwanz finden wir auch babylonisch, aber der Krug (eigentlich ein so genannter “krater”, also ein Gefäß so groß wie eine Obstschale) ist ein griechischer Beitrag. Entsprechend herrscht auch Uneinigkeit,wie genau das Ding auszusehen hat: Während Ptolemaios ihn mit einem Stern am Fuß und einigen Sternen an den Henkeln beschreibt, hat der Becher für Hipparch keine Henkel und vier Sterne im Fuß. Für Ptolemaios hat er also wahrscheinlich so ausgesehen wie auf dem Atlas Farnese, während Hipparch ihn eher wie einen Becher für Messwein interpretierte… Soweit kann ich das aus den Sternnamen durch “malen nach Zahlen” erschließen (veröffentlicht in meinem Buch Hipparchs Himmelsglobus, Springer, 2017) , aber für viele andere Astronomen ist die Deutung aufgrund mangelnder Zeugnisse nicht so leicht definierbar. Letztlich bleibt es wahrscheinlich ein wenig persönliche Interpretationsfreiheit.

Babylon

Den Becher gab es babylonisch nicht; er ist eine griechische Erfindung.

Die Hydra war babylonisch eine Riesenschlange, der Musch-Drachen. Auf dessen Schwanz ritt schon immer ein Rabe. Dieses Bild ist uns aus hellenistischer Zeit auch auf einer Tontafel eingeritzt überliefert.

Cup [Greek krater] – crater

We also find the raven on her tail Babylonian, but the jug (actually a so-called “krater”, i.e. a vessel as big as a fruit bowl) is a Greek contribution. Accordingly, there is disagreement about what exactly the thing should look like: While Ptolemy describes it with a star at the base and several stars on the handles, for Hipparchus the cup has no handles and four stars in the base. So for Ptolemy it probably looked like it does on the Atlas Farnese, while Hipparchus interpreted it more like a cup for fair wine…. As far as I can tell from the star names by “painting by numbers” (published in my book Hipparch’s Celestial Globe, Springer, 2017) , but for many other astronomers the interpretation is not so easily definable due to lack of evidence. In the end, it probably remains a bit of personal freedom of interpretation.

Babylon

The cup did not exist Babylonian; it is a Greek invention.

In Babylon, the hydra was a giant snake, the pussy dragon. A raven has always ridden on its tail. This image has also been handed down to us from Hellenistic times, carved on a clay tablet.

fotografiert im Planetarium am Insulaner Berlin: Die babylonische Jungfrau (Göttin Schala) mit ihrer Kornähre, abgezeichnet von der Tontafel AO 6448 (Louvre Paris) und die Schlange mit Rabe (grün) aus der modernen Planetariumsprojektion von Zeiss Oberkochen.

China

In China ist der Rabe ein Wagen, der Becher ein paar Flügel (von wem auch immer, vermutlich vom Azurfarbenen Drachen), der Schlangenkopf eine Weide und der Stern Alphard, das Herz der Wasserschlange, der als einziger heller recht einsam dort in der Landschaft steht, heißt chinesisch einfach “Stern”, ist aber namensgebend für eine Gruppe von schwachen Sternen um ihn herum (die Stern-Gruppe).

China

In China, the raven is a chariot, the cup is a pair of wings (from whomever, probably the Azure Dragon), the serpent’s head is a willow and the star Alphard, the heart of the water serpent, which is the only bright one standing quite lonely there in the landscape, is called simply “star” in Chinese, but is namesake for a group of faint stars around it (the Star Group).

Hydra und Rabe auf der chinesischen Sternkarte

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"physics was my first love and it will be my last physics of the future and physics of the past" Dr. Dr. Susanne M Hoffmann ist seit 1998 als Astronomin tätig (Universitäten, Planetarien, öffentliche Sternwarten, u.a.). Ihr fachlicher Hintergrund besteht in Physik und Wissenschaftsgeschichte (zwei Diplome), Informatik und Fachdidaktik (neue Medien/ Medienwissenschaft) als Weiterqualifikationen. Sie ist aufgewachsen im wiedervereinigten Berlin, zuhause auf dem Planeten Erde. Jobbedingt hat sie 2001-2006 in Potsdam gelebt, 2005-2008 saisonal in Mauretanien (winters) und Portugal (sommers), 2008-2009 und 2013-'15 in Berlin, 2010 in Hamburg, 2010-2012 in Hildesheim, 2015/6 in Wald/Österreich, 2017 in Semarang (Indonesien), seit 2017 in Jena, mit Gastaufenthalten im Rahmen von Forschungskollaborationen in Kairo+Luxor (Ägypten), Jerusalem+Tel Aviv (Israel), Hefei (China)... . Ihr fachliches Spezialgebiet sind Himmelskarten und Himmelsgloben; konkret deren Mathematik, Kartographie, Messverfahren = Astrometrie, ihre historische Entwicklung, Sternbilder als Kulturkalender und Koordinatensystem, Anomalien der Sternkarte - also fehlende und zusätzliche Sterne, Sternnamen... und die Schaustellung von alle dem in Projektionsplanetarien. Sie versteht dieses Blog als "Kommentar an die Welt", als Kolumne, als Informationsdienst, da sie der Gesellschaft, die ihr das viele studieren und forschen ermöglichte, etwas zurückgeben möchte (in der Hoffnung, dass ihr die Gesellschaft auch weiterhin die Forschung finanziert).

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