Tür 17: Fische und Ketos

Die Fische sind das letzte Sternbild des Tierkreis (sofern bei einem Kreis von Anfang und Ende sprechen kann: sagen wir besser: das letzte im Jahreszyklus). Wir zeichnen modern eine sonderbare Gestalt aus zwei Fischen, die mit einem verknoteten Band verbunden sind. Ich wette, niemand hat je gesehen, dass zwei Fische sich an ihren Schwänzen verknoten, während sie durchs Wasser schwimmen – aber so war das natürlich auch nicht gemeint!

In der ursprünglichen Fassung hatten wir in dieser recht verzeigten Region mit nur schwachen Sternen die Sternbilder der “Göttin Anunitu” und “der Schwalbe”; so steht es zumindest in MUL.APIN. Da von der riesigen Schwalbe nur der charakteristische Schwalbenschwanz auf der Ekliptik (bzw.: im “Pfad des Mondes”, d.i. Ekliptik plusminus 5°) liegt, hat man durch systematisches Abkürzen in der späten Zeit in Babylon das Sternbild “Schwänze” einfach nur genannt. Anunitu lag so weit nördlich, dass sie keine Rolle mehr spielte im ekliptikalen Koordinatensystem der zweiten Hälfte des ersten Jahrtausends vor Christi Geburt. Das Sternbild verschwand einfach, aber die Region neben dem Herbstviereck bis hin zu beta Andromedae wurde als Fisch, der nach Norden guckt, umgedeutet.

Aber ein weiteres Mysterium vergrößert das Kuddelmuddel am Sternhimmel: Wie ein Siegel aus dem hellenistischen Uruk zeigt, wurde später das Sternbild manchmal auch Schwalbenfisch genannt und dabei eine Schwalbe (unterm Herbstviereck, da wo unser kleiner Fisch ist) mit dem nördlichen Fisch verbunden: und zwar tatsächlich durch eine Linie im Siegel, also irgendein unerklärbares Band.

Die griechische Mythologie deutet diese (kleine) Schwalbe als Fisch um und erzählt eine romantische Geschichte, die ich dereinst zum Valentinstag erzählte. Sie verknüpft die beiden Fische mit einem Band und dieses Band ist eigentlich kanonisch, fehlt aber in der Darstellung auf dem Atlas Farnese. Hier wird ein Missverständnis des Zeichners oder Bildhauers deutlich wie ich in meinem Buch “Hipparchs HImmelsglobus”, Springer, 2017, erläutere.

Door 17: Fish and Ketos

Pisces is the last constellation of the zodiac (if we can speak of a beginning and an end in a circle: let us better say: the last in the annual cycle). We draw in modern times a strange figure of two fishes joined by a knotted ribbon. I bet no one has ever seen two fish knotted together by their tails while swimming through the water – but of course that’s not how it was meant!

In the original version, we had the constellations of the “Goddess Anunitu” and “the Swallow” in this rather shown region with only faint stars; at least that’s what it says in MUL.APIN. Since of the giant swallow only the characteristic swallow’s tail lies on the ecliptic (or: in the “path of the moon”, i.e. ecliptic plusminus 5°), by systematic abbreviation in late times in Babylon the constellation was simply called “tails”. Anunitu was so far north that it no longer played a role in the ecliptical coordinate system of the second half of the first millennium BC. The constellation simply disappeared, but the region next to the Autumn Quadrilateral up to beta Andromedae was reinterpreted as a fish looking north.

But another mystery adds to the muddle in the starry sky: as a seal from Hellenistic Uruk shows, the constellation was later sometimes called the Swallowfish, connecting a swallow (under the Autumn Quadrilateral, where our little fish is) to the northern Pisces: in fact, by a line in the seal, i.e. some inexplicable bond.

Greek mythology reinterprets this (little) swallow as a fish and tells a romantic story I once told for Valentine’s Day. It links the two fish with a ribbon and this ribbon is actually canonical, but is missing in the representation on the Atlas Farnese. Here a misunderstanding of the draughtsman or sculptor becomes clear as I explain in my book “Hipparchs HImmelsglobus”, Springer, 2017.

Das Sternbild des Pferdes auf dem Atlas Farnese hat Flügel – aber das ist eine sehr ungewöhnliche Darstellung, denn nach offiziellem Namen sollte es sich nicht um Pegasus handeln.

Ketos – das Seeungeheuer

Ebenfalls im Wasser, das der Wassermann ausschüttet, schwimmend, befindet sich am griechischen Sternhimmel ein Fabelwesen, das im Meer lebt. Es ist riesengroße, kann tsunamieartige Wellen schlagen und (übers Wasser) Feuer speien – es ist also kein Tier, das wirklich existiert. Die alte deutsche “Übersetzung” als “Walfisch” ist doppelt falsch: Nicht nur, weil Wale keine Fische sind, sondern auch, weil es sich bei diesem Wesen eben nicht um ein Tier, sondern ein Fabelwesen handelt. Auf griechisch heißt es “Ketos” und ist als ein Ungeheuer bekannt – quasi wie bei uns “Schneewittchen” als Prinzessin bekannt ist, ohne dass man es jedesmal sagt. Ich bevorzuge daher die Lesung Ketos als Eigenname und möchte es nicht weiter übersetzen. Die Darstellung auf dem Atlas Farnese ist ein gekringeltes Wesen, das – wie immer auf diesem Steinglobus – gar nicht gefährlich, sondern nur bemitleidenswert aussieht (wie ein “ugly duckling”, ein verirrter chinesischer Drache, der Männchen macht, weil er nach Hause will):

Ketos – the sea monster

Also swimming in the water that Aquarius pours out, there is a mythical creature in the Greek starry sky that lives in the sea. It is huge, can make tsunami-like waves and spit fire (over the water) – so it is not an animal that really exists. The old German “translation” as “whale” is doubly wrong: not only because whales are not fish, but also because this creature is not an animal, but a mythical creature. In Greek it is called “Ketos” and is known as a monster – almost like “Snow White” is known as a princess here, without being told every time. I therefore prefer to read Ketos as a proper name and do not want to translate it further. The depiction on the Atlas Farnese is a curled creature that – as always on this stone globe – does not look dangerous at all, but only pitiful (like an “ugly duckling”, a stray Chinese dragon that makes manly because it wants to go home):

Der Ketos auf dem Atlas Farnese, Umzeichnung SMH 2017.

Babylon

Babylonisch war diese Region am Himmel etwas ganz anderes. Den grch. Ketos gab es natürlich nicht – aber auch kein anderes Untier. In Stellarium kann man seit diesem Jahr den Wandel der Sternbilder vom -2. zum -1. Jt. verfolgen: In der Zeit von MUL.APIN haben wir um das Sternbild Iku (Flächenmaß “Feld”) eine Riesenschwalbe, die Göttin Anunitu und den Gott Ea/ Enki, den Gott der Weisheit, dem die zwei großen Ströme (Euphrat und Tigris) aus den Schultern entspringen. Der Steinbock war ein Ziegenfisch – wie eh und je, ein gutartige Dämon.

Babylon

Babylonian, this region in the sky was something quite different. The Greek Ketos did not exist, of course – but neither did any other beast. In Stellarium you can follow the change of the constellations from the -2th to the -1st century: In the time of MUL.APIN we have around the constellation Iku (area measure “field”) a giant swallow, the goddess Anunitu and the god Ea/ Enki, the god of wisdom, from whose shoulders the two great rivers (Euphrates and Tigris) spring. The ibex was a goatfish – as ever, a benign demon.

Riesenschwalbe und die anderen Sternbilder um das Herbstviereck. (MUL.APIN)

Ein Jahrtausend später finden wir aber nicht mehr eine Riesenschwalbe, sondern eine kleine Schwalbe unterm Herbstviereck, die mit einem unerklärlichen Band mit einem Fisch links vom Herbstviereck verbunden ist. Die Babylonier nannten dieses sonderbare Bild “Schwalbenfisch”, was vllt eine Artbezeichnung (wie “Hering” oder “Dorsch”) sein könnte, aber auf besonders wortspielerische Weise an den Himmel versetzt wurde. Vermutlich haben sie es selbst nicht mehr verstanden und die Griechen schon gar nicht. Diese wandelten das Bild in zwei Fische, die auf genauso unerklärliche Weise mit einem Band verbunden sind. Das Band musste für die Griechen immateriell sein, also deuteten sie es als “Band der Liebe” um.

A millennium later, however, we no longer find a giant swallow, but a small swallow under the autumnal quadrilateral, which is connected with an inexplicable band to a fish to the left of the autumnal quadrilateral. The Babylonians called this strange image “swallowfish”, which could possibly be a species name (like “herring” or “codfish”), but was transferred to the sky in a particularly punning way. They probably didn’t understand it themselves, and the Greeks certainly didn’t. The latter transformed the image into two fish connected in an equally inexplicable way with a ribbon. The ribbon had to be immaterial for the Greeks, so they reinterpreted it as the “ribbon of love”.

In hellenistischer Zeit wurde die Riesenschwalbe zum Schwalbenfisch – einer unerklärlichen Figur – in Mesopotamien.

China

Nur der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass in China wieder der Himmel ganz anders interpretiert wurde: Das Band der Fische wurde teilweise als Zaun, teilweise als Reihe von Offizieren gedeutet. Der kleine Fisch unterm Herbstviereck heißt dort “Donnerblitz und Regenwolke” nd der nördliche Fisch ist Teil des Sternbilds “Beine”, das wir bereits bei der Andromeda kennenlernten.

Der Schwanz und Leib des Ketos sind dort verschiedene Teile der himmlische Kornkammer.

China

Just for the sake of completeness, it should be mentioned that in China the sky was again interpreted quite differently: The band of fishes was partly interpreted as a fence, partly as a row of officers. The small fish under the autumn square is called there “thunder lightning and rain cloud” and the northern fish is part of the constellation “legs”, which we already got to know with Andromeda.

The tail and body of Keto are different parts of the celestial granary there.

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"physics was my first love and it will be my last physics of the future and physics of the past" Dr. Dr. Susanne M Hoffmann ist seit 1998 als Astronomin tätig (Universitäten, Planetarien, öffentliche Sternwarten, u.a.). Ihr fachlicher Hintergrund besteht in Physik und Wissenschaftsgeschichte (zwei Diplome), Informatik und Fachdidaktik (neue Medien/ Medienwissenschaft) als Weiterqualifikationen. Sie ist aufgewachsen im wiedervereinigten Berlin, zuhause auf dem Planeten Erde. Jobbedingt hat sie 2001-2006 in Potsdam gelebt, 2005-2008 saisonal in Mauretanien (winters) und Portugal (sommers), 2008-2009 und 2013-'15 in Berlin, 2010 in Hamburg, 2010-2012 in Hildesheim, 2015/6 in Wald/Österreich, 2017 in Semarang (Indonesien), seit 2017 in Jena, mit Gastaufenthalten im Rahmen von Forschungskollaborationen in Kairo+Luxor (Ägypten), Jerusalem+Tel Aviv (Israel), Hefei (China)... . Ihr fachliches Spezialgebiet sind Himmelskarten und Himmelsgloben; konkret deren Mathematik, Kartographie, Messverfahren = Astrometrie, ihre historische Entwicklung, Sternbilder als Kulturkalender und Koordinatensystem, Anomalien der Sternkarte - also fehlende und zusätzliche Sterne, Sternnamen... und die Schaustellung von alle dem in Projektionsplanetarien. Sie versteht dieses Blog als "Kommentar an die Welt", als Kolumne, als Informationsdienst, da sie der Gesellschaft, die ihr das viele studieren und forschen ermöglichte, etwas zurückgeben möchte (in der Hoffnung, dass ihr die Gesellschaft auch weiterhin die Forschung finanziert).

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