Tür 13: Krebs und Löwe

BLOG: Uhura Uraniae

Ko(s)mische Streifzüge durch Zeit und Raum
Uhura Uraniae
Krebs auf dem Atlas Farnese; Umzeichnung SMH 2017.

Der Krebs ist wohl eines der unanschaulichsten Sternbilder mit Bestand seit Beginn der Aufzeichnung. Niemand weiß, wie man sich dort einen Krebs vorstellen soll, aber der Name für diese Himmelsgegend lässt sich bis mindestens um 1500 v.Chr. verfolgen. Also,.. wer jetzt nicht glaubt, dass Astronomen konsequent sind,…

Krebs – Greco-Babylonisch

Als Eselsbrücke merkt man sich seit mehr als 2000 Jahren, dass die Gegend deshalb so heiße, weil damals – etwa zu Zeiten des Aratos – die Sommersonnenwende im Krebs lag, d.h. das Sternbild heiße so, weil dort die Sonne ihren Krebsgang im Jahreslauf antrete (bis dahin wurden die Nächte immer kürzer; jetzt wieder länger). Diese “Erklärung” mag eine gute Merkhilfe für Planetariumsvorführer (gewesen) sein, aber sie hinkt für die Datierung der Terminlisten in MUL.APIN, denn damals war die Sommersonnenwende noch im Löwen und das Sternbild hieß trotzdem so. Bisher weiß niemand, wer wann und warum diese sternarme Gegend so genannt hat – ähnlich wie beim Widder mag es aber seinen Ursprung im Kalenderwesen gehabt haben, denn anschaulich ist er sicher nicht. In MUL.APIN lesen wir, dass der Krebs auch der “Sitz von Anu”, dem Himmelsgott genannt wird. Ehrlich gesagt, mag ich dieses Bild lieber, denn dann könnte man einfach die vier Sterne um den offenen Sternhaufen Praeseppe als “Hocker” verstehen – das würde bei Ikea bestimmt als “Midsommer-Hocker” ein Knüller werden…

Cancer is probably one of the most obscure constellations to have existed since records began. No one knows how to imagine a Cancer there, but the name for this celestial region can be traced back to at least 1500 BC. So,… anyone who doesn’t believe astronomers are consistent now….

Cancer – Greco-Babylonian


As a mnemonic, it has been remembered for more than 2000 years that the region was so called because at that time – around the time of Aratos – the summer solstice was in Cancer, i.e. the constellation was so called because the sun began its annual cycle in Cancer (until then the nights had become shorter and shorter; now they are longer again). This “explanation” may (have been) a good mnemonic for planetarium projectionists, but it lags for the dating of the date lists in MUL.APIN, because at that time the summer solstice was still in Leo and the constellation was nevertheless called that. So far nobody knows who named this starless region so when and why – but similar to Aries it may have had its origin in the calendar system, because it is certainly not descriptive. In MUL.APIN we read that Cancer is also called the “seat of Anu”, the sky god. To be honest, I like this image better, because then one could simply understand the four stars around the open star cluster Praeseppe as a “stool” – that would certainly become a hit at Ikea as a “Midsummer stool”…

Der Sitz von Himmelsgott Anu?

Löwe – Greco-Babylonisch

Der Löwe ist ebenfalls in seiner Darstellung am Himmel uralt und über Jahrtausende hinweg unverändert. Seit Beginn der Aufzeichnungen wird die trapezförmige Gruppe nördlich der Ekliptik so bezeichnet – und zwar auf sumerisch, akkadisch, griechisch, arabisch und latein. Die genaue Vorstellung mag allerdings je nach Individuum sehr verschieden gewesen sein.

Lion – Greco-Babylonian


The lion is also ancient in its representation in the sky, unchanged over millennia. Since records began, the trapezoidal group north of the ecliptic has been so designated – in Sumerian, Akkadian, Greek, Arabic and Latin. The exact conception, however, may have varied greatly depending on the individual.

Der Löwe auf dem Atlas Farnese mutet allerdings eher wie ein Pudel an… Umzeichnung SMH 2017.

Babylonisch wird z.B. normalerweise von einer weiblichen Löwin gesprochen (das Wort in der frühen Form lässt dies erkennen) oder von einem geflügelten Löwen, der einfach “Großer Hund” heißt.

Dieses Wort wird später durch starkes Abkürzen unklar, ob das Tier ein Männchen oder Weibchen sein soll und auf der Mikrozodiaktafel im vorderasiatischen Museum, die dieses Sternbild als eine der seltenen Ritzzeichnungen in Ton aus hellenistischer Zeit überliefert, scheint das Tier zwar einen recht glatten Kopf zu haben, der andererseits aber ein Muster aufweist, das eine Mähne sein könnte: es bleibt unklar. Noch verwirrender ist, dass das Fragment der babylonischen Uranographie des -8. Jh. (Tontafel Nummer VAT 9428) von zwei Löwen spricht, einem Männchen und einem Weibchen, die am Himmel benachbart liegen und von denen das Männchen einen Stern an der Mähne und einen an der Brust hat, das Weibchen aber auch nahe dem oder im Tierkreis liegt (an einem astrologisch bedeutsamen Punkt). Da unser Leo nur nördlich der Ekliptik liegt, ist es gut möglich, dass der Schreiber von dieser Uranographie den Bereich südlich davon mit einem Partnerlöwen aufgefüllt hat und folglich der Löwe Leo, der babylonisch eigentlich eine Löwin ist, in ein Männchen umgewandelt wurde und ihm eine Partnerin zur Seite gestellt wurde. Welch lustiger Zufall, dass auch rund 2.5 Jahrtausende später Hevelius auf eine ähnliche Idee kam – nur dafür den Raum nach Norden nutzte.

In der griechischen Zeit, die dazwischen stattfand, ist nichts davon zu spüren: Da ist es ein männlicher Löwe und zwar ein ziemlicher Rüpel, der der Sage nach von Herakles beseitigt werden muss. Dass der Atlas Farnese das nicht zeigt, spricht entweder für die Unkundigkeit des Künstlers (es wäre wohl gesundheitlich besser für ihn, wenn er noch nie einen Löwen aus der Nähe gesehen hat) oder den Stil dieser Gesamtdarstellung, die ja hier nicht zum ersten Mal deutlich von der Dramaturgie moderner Planetariumslyrik abweicht.

Coma Berenikes

Wie der Stier hat auch der Löwe einen kleinen Asterismus bei sich, der in der gesamten griechischen Zeit einen eigenen Namen führt, aber meistens nicht als eigenes Sternbild genannt wird – das kommt erst später. Als “Locke” ist diese Sterngruppe schon immer (bei Aratos, Hipparch, Ptolemaios) verzeichnet.

Eratosthenes kommentiert hierzu, dass es sich um die Locke der Königin von Ägypten handele. Diese Königin (die Frau von einem Ptolemäer-König, als Ägypten also bereits griechisch-fremdregiert war und die Prinzessin selbst aus der Stadt Kyrene im heutigen Libyen stammte), hatte in Ägypten den Beinamen “Euergetis”, “die Wohltätige” – sie war also sehr angesehen bei ihren Untertanen. Die romantische Geschichte dieses Sternbilds hatte ich zum Valentinstag 2015 einmal aufgeschrieben. Die Regentschaft von Ptolemaios III und Berenike Euergetis galt als sehr friedliche Zeit.

China

In China bildete unser Löwenkopf zusammen mit Sternen von Luchs bis Größe Bärin das Sternbild des mythologischen Gelben Kaisers (Xuanyuan). Damit dieser Kulturstifter am höchsten Punkt der Ekliptik thront, muss man annehmen, dass die chinesischen Sternbilder im 3. Jahrtausend v.Chr. definiert wurden… also etwa mit Beginn der Schriftkulturen. 

Coma Berenikes ist ein recht auffälliges Grüppchen, obschon die Sterne schwach sind, “denkt” sie ein Mensch zusammen, weil es so zahlreiche, ähnlich schwache beisammen sind. Chinesischen sind das die Offiziere der kaiserlichen Wache. Sie stehen vor dem Hohen Palast, der sich aus Sternen unserer Figuren Leo und Virgo bildet und seinerseits in mehrere Teilsternbilder untergliedert ist.

Babylonian, for example, usually speaks of a female lioness (the word in the early form suggests this) or of a winged lion called simply “Great Dog”.

This word later becomes unclear through severe abbreviation as to whether the animal is supposed to be a male or female, and on the microzodiac tablet in the Near Eastern Museum, which survives this constellation as one of the rare incised drawings in clay from the Hellenistic period, the animal seems to have a rather smooth head, but which on the other hand has a pattern that could be a mane: it remains unclear. Even more confusing is that the fragment of Babylonian uranography of the -8th century (clay tablet number VAT 9428) speaks of two lions, a male and a female, lying adjacent in the sky, of which the male has a star on his mane and one on his chest, but the female is also close to or in the zodiac (at an astrologically significant point). Since our Leo is only north of the ecliptic, it is quite possible that the writer of this uranography filled up the area south of it with a mate lion and consequently the lion Leo, who in Babylonian terms is actually a lioness, was transformed into a male and given a mate. What a funny coincidence that some 2.5 millennia later Hevelius also came up with a similar idea – only for this he used the space to the north.

In the Greek period, which took place in between, there is none of this: there it is a male lion, and quite a brute at that, who, according to the legend, has to be eliminated by Heracles. The fact that the Atlas Farnese does not show this speaks either for the artist’s ignorance (it would probably be better for his health if he had never seen a lion up close) or for the style of this overall depiction, which here, not for the first time, clearly deviates from the dramaturgy of modern planetarium poetry.

Coma Berenikes

Like Taurus, Leo has a small asterism with it, which has its own name throughout Greek times, but is usually not mentioned as a constellation in its own right – that comes later. This asterism has always been recorded as “Locke” (by Aratos, Hipparchus, Ptolemy).

Eratosthenes comments that it is the curl of the Queen of Egypt. This queen (the wife of a Ptolemaic king, when Egypt was already ruled by foreign Greeks and the princess herself came from the city of Cyrene in today’s Libya) was known in Egypt as “Euergetis”, “the charitable one” – she was therefore very respected by her subjects. I once wrote down the romantic history of this constellation for Valentine’s Day 2015. The reign of Ptolemy III and Berenice Euergetis was considered a very peaceful time.

 

China

In China, our lion’s head, together with stars ranging from lynx to great bear, formed the constellation of the mythological Yellow Emperor (Xuanyuan). For this cultural founder to be enthroned at the highest point of the ecliptic, one must assume that the Chinese constellations were defined in the 3rd millennium B.C…. that is, around the beginning of the written cultures. 

Coma Berenikes is quite a conspicuous group, although the stars are faint, a person “thinks” them together because there are so many similarly faint ones together. In Chinese terms, these are the officers of the imperial guard. They are standing in front of the High Palace, which is formed by stars of our figures Leo and Virgo and is in turn subdivided into several partial constellations.

Die Sternbilder Virgo, Leo mit Coma Berenices und Cancer auf der chinesischen Karte.

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"physics was my first love and it will be my last physics of the future and physics of the past" Dr. Dr. Susanne M Hoffmann ist seit 1998 als Astronomin tätig (Universitäten, Planetarien, öffentliche Sternwarten, u.a.). Ihr fachlicher Hintergrund besteht in Physik und Wissenschaftsgeschichte (zwei Diplome), Informatik und Fachdidaktik (neue Medien/ Medienwissenschaft) als Weiterqualifikationen. Sie ist aufgewachsen im wiedervereinigten Berlin, zuhause auf dem Planeten Erde. Jobbedingt hat sie 2001-2006 in Potsdam gelebt, 2005-2008 saisonal in Mauretanien (winters) und Portugal (sommers), 2008-2009 und 2013-'15 in Berlin, 2010 in Hamburg, 2010-2012 in Hildesheim, 2015/6 in Wald/Österreich, 2017 in Semarang (Indonesien), seit 2017 in Jena, mit Gastaufenthalten im Rahmen von Forschungskollaborationen in Kairo+Luxor (Ägypten), Jerusalem+Tel Aviv (Israel), ... . Ihr fachliches Spezialgebiet sind Himmelskarten und Himmelsgloben; konkret deren Mathematik, Kartographie, Messverfahren = Astrometrie, ihre historische Entwicklung, Sternbilder als Kulturkalender und Koordinatensystem, Anomalien der Sternkarte - also fehlende und zusätzliche Sterne, Sternnamen... und die Schaustellung von alle dem in Projektionsplanetarien. Sie versteht dieses Blog als "Kommentar an die Welt", als Kolumne, als Informationsdienst, da sie der Gesellschaft, die ihr das viele studieren und forschen ermöglichte, etwas zurückgeben möchte (in der Hoffnung, dass ihr die Gesellschaft auch weiterhin die Forschung finanziert).

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