Suzhou im Jahr des Drachen

Perlendrachen, Drachen (eigentlich: Luong) auf einer Vase und Drachen in einer Fußgängerzone.

Europa feiert schon den Jahreswechsel, aber China hat noch einen Monat Zeit: das chinesische Neujahrsfest ist erst am 29. Januar. Wir schreiben daher (immer noch) das Jahr des Drachen, des Holzdrachens genauer gesagt. Schon diese unterschiedlichen Jahreswechsel-Termine mögen vllt. leichte Zweifel an einer absolut richtigen, allgemein gültigen astrologischen Prognose wecken, aber auch die astrologischen Konzepte dahinter sind ganz verschieden: In China wird ab Februar das “Jahr der Schlange”, genauer gesagt: “das Jahr der Wasser-Schlange”, von den Sterndeutern ausgeschlachtet, während in Europa – wie eh und je – die graeco-babylonischen Tierkreiszeichen en vogue sind.  

Der fundamentale Unterschied zwischen den beiden astrologischen Konzepten ist, dass in der babylonischen Astraldivination=Astrologie betrachtet wird, wie die Sonne durch den Mondpfad läuft (also jeden Monat vor einem anderen Sternbild steht) und in der chinesischen Astraldivination wird statt der Sonne Jupiter betrachtet. Jupiter braucht für einen Umlauf (eigentlich um die Sonne, aber dadurch scheinbar durch den Tierkreis) etwas zwölf Jahre, so dass er also etwa im Jahrestakt das Tierkreiszeichen wechselt. Die Tierkreiszeichen sind aber eine babylonische Erfindung, d.h. es hat sie im Alten China nicht gegeben. Es gibt auch keine chinesischen Sternbilder, die diesen Jupiter-Stationen entsprechen. Wie die Ästchen eines Baums werden diese zwölf Figuren bewegt gedacht, auf pro Umlauf andere Sternbilder zeigend; sie heißen auch “zwölf Erdzweige” und werden mit den zehn Himmelsstämmen zu sechzig Gottheiten kombiniert.  

Babylonischer Prä-Tierkreis wie beschrieben in MUL.APIN um 1000 BCE, gemalt in Stellarium von Jessica Gullberg.
chinesische Jupiterstationen: ebenfalls entlang des Mondpfads, aber ohne zugehörige Sternbilder (Simulation in Stellarium). Man erkennt in der aktuellen Simulation die unterschiedlichen Geschwindigkeiten des Planeten, weshalb diese Stationen nicht stets am selben Ort liegen.

Chinesische “antike” Astronomie

Die wohl berühmteste historische chinesische Sternkarte wird in einem Konfuzius-Tempel in der Stadt Suzhou aufbewahrt. 

Suzhou (蘇州市) ist eine sehr alte Stadt, die bereits im -6. Jh. nahe der Mündung des Yangtze-Flusses gegründet wurde, obwohl sie ihren heutigen Namen erst ein Jahrtausend später erhielt: Die zweite Silbe “zhou” deutet darauf hin, dass es sich um eine Hauptstadt handelt – nicht unbedingt die Hauptstadt des Staates, sondern eher eines Territoriums oder eines Bezirks. Es handelt sich um eine Großstadt westlich von Shanghai, die historisch den Ruf hatte, die größte “Nicht-Staatshauptstadt” der Welt zu sein, eines der großen kulturellen und ökonomischen Zentren Chinas, bevor Shanghai sie überholte. Durch ihr historisches Flair, die wunderschönen Gärten und die zahlreichen Kanäle wird Suzhou auch “Venedig des Ostens” genannt; berühmt ist die Stadt als bedeutender Umschlagplatz für Handelsgüter und auch für die eigene Seidenindustrie. 

Konfuzius (Kong Qiu)

Der berühmte Konfuzius-Tempel wurde erst im 11. Jahrhundert gegründet, wurde aber zu einer bedeutenden Ausbildungsstätte für kaiserliche Beamte. Der Feldherr und Philosoph Konfuzius (d.i. jesuitisch latinisiert für Kong Qiu) hatte im 6./5. Jh. v.Chr. gelebt und zwar in einer Zeit, als das Land durch Kriege zerrüttet war und die Philosophen über Lösungen für den Frieden nachdachten. Konfuzius lehrte den Fokus auf die eigene persönliche moralische Entwicklung – im buddhistischen Sinne – die allerdings der Autorität des verantwortungsbewussten, rechtschaffenden Herrschers unterstellt ist und auf soziale Harmonie, Rechtschaffenheit und Freundlichkeit basiert. Seine Philosophie beschreibt quasi einen Domino-Effekt: wenn alle Einzelpersonen sich anständig verhalten, wirken sie als Vorbilder für ihr unmittelbares Umfeld (z.B. in der Familie). Wenn alle Familien sich anständig verhalten, tun es auch ganze Dörfer und wenn es alle Dörfer tun, dann auch Länder … so vermeidet man Krieg. Zusammengefasst könnte man sagen:

“Was du nicht willst, das man dir tu’, das füg auch keinem anderen zu.” 

Tempel für die großen Lehrmeister – und für Konfuzius als “Lehrer der Generation”.

Sternkarten

Astronomie ist eine derjenigen praktischen Wissenschaften, die es in für kaiserliche Beamte (u.a.) zu lernen galt. Schließlich baute sich der Kalender darauf auf und mit der Vorstellung “wie im Himmel, so auf Erden” musste man auch die beobachteten Phänomene – seien es Mond- und Sonnenfinsternisse oder stellare Transiente wie Novae und Supernovae – mit Blick auf den Kaiser und sein Land deuten können. 

Sternkarten sind in China daher eine sehr alte Tradition: Die Mondhäuser (Lunar Mansions) sind auf Kunstprodukten bereits im -2. Jahrtausend bisweilen abgebildet und auch die nördliche Zirkumpolarregion wurde als besonders wichtig empfunden. In der chinesischen Uranographie (Sternbilder) repräsentiert sie den Kaiser-Palast, denn laut Konfuzius ist ein Anführer dem Nordgestirn (für ihn ein Sternbild, denn damals gab es keinen Polarstern) gleich, um das sich alle anderen Sterne drehen.

In Ermangelung eines Polarsterns (unserer steht erst seit ca. 400 Jahren an dieser Stelle) bildet man im Alten China entweder das Nordgestirn ab (einen Asterismus aus fünf Sternen mit vier weiteren, die ihn wie ein Dach überschreiben: die “Vier Berater”) oder den Großen Wagen, der in China “Nördliche Schöpfkelle” heißt. Diese Darstellungen – vom Großen Wagen und dem Nordgestirn-Asterismus aus Teilen des Kleinen Wagens – findet man häufig als Kunstform auf Schwertern und Geschirr, zur Illustration großer Lehrer, und auch als Anbetungsform in Tempeln. Der Daoismus betet in gewisser Weise den Großen Wagen an. 

Beliebte divinatorische Konzepte sind auf der Spiegelrückseite unten abgebildet: von innen nach außen konzentrisch finden wir die “Vier Gottheiten” (auch Vier Symbole oder Vier Heilige Tiere genannt), die acht Diagramme, die zwölf Jupiter-Jahrestiere = Erdzweige und ihre Unterteilung in 24 Einheiten.  

Nordpol-Asterismus, die vier “heiligen Tiere” für die Jahreszeiten und außen die 28 Mondhäuser. Ihre Bilder ergeben zusammengefasst die Super-Sternbilder der “Heiligen Tiere” (Konfuzius-Tempel in Suzhou).
Eine Spiegelrückseite mit den zwölf Tieren für die Jupiter-Stationen (=Erdzweige), nach denen die Jahre benannt werden (Museum in Suzhou).

Die 28 Mondhäuser sind 

  • Horn, Nacken, Wurzel, Raum, Herz, Schwanz und Körbchen des Azurblauen Drachen (Frühling)
  • Brunnen, Geist, Weide, Gestirn, ausgedehntes Netz, Flügel und Wägelchen des Roten Vogels (Sommer)
  • Beine, Fangleine, Magen, Haupthaar, Netz, Schildkrötenrücken und Dreigestirn des Weißen Tigers (Herbst)
  • Südliche Schöpfkelle, Ochse, Mädchen, Leere, Dach, Camp, und Mauer des Schwarzen Kriegers (Schildkröte für Winter)

Die zwölf (Jupiter-)Jahrestiere sind

  • Ratte (in Vietnam: Katze),
  • Büffel (Kuh)
  • Tiger 
  • Hase
  • Drache
  • Schlange 
  • Pferd
  • Ziege
  • Affe
  • Hahn
  • Hund
  • Schwein

Es dürfte mit dieser Übersicht offensichtlich werden, dass keines dieser Schemata in irgendeiner Weise dem (graeco-babylonischen) Tierkreis entspricht: übereifrige Sinolog(inn)en nennen manchmal die Mondhäuser den “chinesischen Tierkreis”, weil der observable, babylonische “Pfad des Mondes” ja für die späteren TierkreisZEICHEN führte. Das ist allerdings falsch, weil die so genannten “Mondhäuser” großteils gar nicht im Mondpfad liegen. Die 16(!) babylonischen “Sternbilder im Pfad des Mondes” werden dadurch definiert, dass der Mond in ihnen Sterne bedecken kann. Als man um 400 BCE den Tierkreis (also die schematische Zwölfteilung der Sonnenbahn) erfand, d.h. ein neues Koordinatensystem, benannte man die Abschnitte dieser Bahn nach zwölf der 16 “Sternbilder im Pfad des Mondes” (und zwar undemokratisch nach dem Prinzip “first come, first serve”, so dass der Skorpion den Namen für einen Abschnitt gab und nicht der Schlangenträger, obwohl die Sonne in diesem Abschnitt nur ca. 5 Tage lang im Sco weilte und anschließend die restlichen drei Wochen im Schlangenträger steht).

Die chinesischen Jupiterstationen hingegen geben zwar den Jahren ihre Namen, haben aber 1) keine entsprechenden Sternbilder und 2) sind die Sternbilder und Super-Sternbilder weder im Jupiter-Pfad noch im Mondpfad, obwohl sie “Mondhäuser” genannt werden. 

Diese 60 Anti-Jupiter-Jahresgötter werden in chinesischen Tempeln angebetet. Die zwölf Jahrestiere kombiniert zehn Himmelsstämmen (nicht jedes mit jedem!) ergeben diese Gottheiten, die die Jahre regieren, in denen Leute geboren sind. Wer nicht weiß, welcher dieser Götter für einen zuständig ist (ich z.B.) kann das auf den Schautafeln am Eingang nachschauen.

Suzhou-Sternkarte

Fünf große Stelen aus oberflächlich schwarzem Stein stehen im Konfuzius-Tempel. Diese drei zeigen v.l.n.r. eine in Stein gehauene Landkarte des Kaiserreichs, einen Plan der Anlage, den Stammbaum der Kaiers.

Wenn man in Europa irgendwas über chinesische Astronomie weiß, dann ist es, dass es die Kenntnis von der Suzhou-Sternkarte. Diese berühmte Karte wurde im 13. Jh. in einen Stein gehauen, dessen Oberfläche schwarz ist, wo jedoch die Gravuren in weiß hervortreten. Sie zeigt die chinesischen Sternbilder, wie man sie zu jener Zeit zeichnete und zwar sehr genau mit äquatorialem Koordinatensystem und sogar eingravierter Milchstraße (das haben in Europa zu dieser Zeit die wenigsten/ keine Sternkarten). 

Suzhou-Sternkarte
ganze Stele
Kopie der Suzhou-Sternkarte in Nanjing

Die historischen Steine in Suzhou werden hinter Glas aufbewahrt, so dass man sie nicht berühren kann. Wer das tun möchte, möge sich in die (nicht ganz so alte, im 20. Jh. genutzte) historische Sternwarte von Nanjing begeben, da dort eine Kopie dieser Stele unter freiem Himmel steht.

Suzhou-Sternkarte
die Karte an sich, so dass man sie etwas größer sieht.
Mehr über chinesische und andere Sternbilder in diesem Vortrag.

Konfuzianische Gelassenheit

Den Jahreswechsel sehe ich daher relativ entspannt – natürlich (wie immer) auf eine bessere Zukunft hoffend, aber wohl realistisch sehend, dass die Weltpolitik uns gerade in eher unvorhersehbare Bahnen lenkt. Unvorhersehbares ängstigt uns von Natur aus: Planungssicherheit ist ein Grundbedürfnis (das allerdings für uns Wissenschaftler von der Politik bereits seit einem viertel Jahrhundert nicht bedient wird).  

Wer jetzt erwartet hat, dass ich hier nun ein Jahresorakel (-horoskop) präsentiere, den werden ich auch dieses Jahr wieder enttäuschen. Für Orakel pilgern Sie bitte gern zum Nabel der Welt oder wenden sich an die nächst besten Personen, die ihre Dienste dafür anbieten. Eine Journalistin fragte mich kürzlich, ob mich das ärgert, wenn Astronomie und Astrologie schließlich oft verwechselt werden – aber das sehe ich konfuzianisch entspannt. Erstens haben wir in Europa Religionsfreiheit und wem es eine Freude bereitet, sich Orakel geben zu lassen, der möge das meinetwegen tun (solange man damit nicht andere behelligt). Sie können meinetwegen auch Bleigießen oder Kaffeesatzlesen betreiben, das interessiert mich genauso wenig. Zweitens wegen der Verwechslung von Astronomie und Astrologie: tjanun,

errare humanum est“,

sagte der Igel und kuschelte sich an die Drahtbürste… Versuchen Sie einfach, es richtig zu machen – aber wenn mich alle menschlichen Fehler aufregen würden, käme ich ja nicht mehr aus der Aufregung heraus. Diese Emotionen bin ich nicht zu investieren gewillt. 

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"physics was my first love and it will be my last physics of the future and physics of the past" Dr. Dr. Susanne M Hoffmann ist seit 1998 als (Kultur)Astronomin tätig (Universitäten, Planetarien, öffentliche Sternwarten, u.a.). Ihr fachlicher Hintergrund besteht in Physik und Wissenschaftsgeschichte (zwei Diplome), Informatik und Fachdidaktik (neue Medien/ Medienwissenschaft) als Weiterqualifikationen. Sie ist aufgewachsen im wiedervereinigten Berlin, zuhause auf dem Planeten Erde. Studienbedingt hat sie 2001-2006 in Potsdam gelebt, jobbedingt 2005-2008 saisonal in Mauretanien (winters) und Portugal (sommers), 2008-2009 und 2013-'15 in Berlin, 2010 in Hamburg, 2010-2012 in Hildesheim, 2015/6 in Wald/Österreich, 2017+2024 in Semarang (Indonesien), seit 2017 in Jena, mit Gastaufenthalten im Rahmen von Forschungskollaborationen in Kairo+Luxor (Ägypten 2022), Jerusalem+Tel Aviv (Israel 2023), Hefei (China 2024)... . Die einleitenden Verse beschreiben eine Grundstruktur in ihrem Denken und Agieren: Physik ist eine Grundlagenwissenschaft, die datenbasiert und mit dem Erkenntnisapparat der Logik ein Verständnis der Natur zu erlangen bestrebt ist. Es gibt allerdings auch Fragen der Welt, die sich der Physik entziehen (z.B. wie wir Menschen auf diesem Planeten friedlich, synergetisch und benevolent zusammenleben können) - darum ist Physik nicht die einzige Liebe der Bloggerin. Sie liebt die Weisheit und hinterfragt die Welt. Das Wort "Philosophie" ist ihr aber zu groß und das populärwissenschaftliche Verständnis davon zu schwammig, als dass sie sich damit identifizieren würde: hier geht's faktenbasiert zu. Ihr fachliches Spezialgebiet sind Himmelskarten und Himmelsgloben; konkret deren Mathematik, Kartographie, Messverfahren = Astrometrie, ihre historische Entwicklung, Sternbilder als Kulturkalender und Koordinatensystem, Anomalien der Sternkarte - also fehlende und zusätzliche Sterne, Sternnamen... und die Schaustellung von alle dem in Projektionsplanetarien. Sie versteht dieses Blog als "Kommentar an die Welt", als Kolumne, als Informationsdienst, da sie der Gesellschaft, die ihr das viele studieren und forschen ermöglichte, etwas zurückgeben möchte (in der Hoffnung, dass ihr die Gesellschaft auch weiterhin die Forschung finanziert).

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