Super-Nova(e) am Bücherhimmel
BLOG: Uhura Uraniae
Ein ganz neues Juwel am Bücherhimmel ist ein Reprint der originalen Uranometria von Johannes Bayer (1603). Sie erscheint heute mit einem Begleitbüchlein von Jürgen Hamel. Erstmalig erschienen ist die Uranometria 1603 in Augsburg und setzt Maßstäbe für Himmelskartographie: In diesem historischen Kartenwerk schuf der unvermähle Jurist unsere erste moderne (kurze) Sternnomenklatur mit griechischen Buchstaben. Er benannte die Sterne mit dem Namen des Sternbilds im lateinischen Genitiv und sortierte sie innerhalb eines Sternbilds nach ihrer Helligkeit, so dass der hellste Stern jedes Sternbilds alpha heißen sollte, der zweithellste beta usw.
Außerdem sorgte Bayer für große Übersichtlichkeit in seinen Karten: Im Gegensatz zu allen bildlichen Darstellungen vorher, traten bei ihm die Sternbildfiguren zurück und konnten den arbeitenden Astronomen nicht mehr verwirren. Die Sterne treten klar hervor und so dient diese Sternkartenvorlage als sehr gute Arbeitsgrundlage, auch für den nächtlichen Gebrauch. (Schließlich wurde nur fünf Jahre nach der ersten Drucklegung des Atlanten das Fernrohr erfunden und ab 1610 zur astronomischen Beobachtung eingesetzt).
Der Autor des heutigen Begleitbüchleins zur Uranometria, Jürgen Hamel, rühmt daher das alte Standardwerk als "gelungene Verbindung zwischen Wissenschaft und Kunst, … allein Bayers Verdienst", bezieht aber im nächsten Satz den ausführenden Kupferstecher mit ein: "Das Gemeinschaftswerk von Johannes Bayer und Alexander Mair steht in seiner konkreten Ausführung als vollkommen eigenständige Schöpfung da." (S.38)
Auf S.41 bezeichnet der Philosoph und Wissenschaftshistoriker Hamel berechtigterweise "Bayers Atlas als neue Stufe der Visualisierung wissenschaftlicher Erkenntnissse". Er führt auf den vorangehenden Seiten seine Argumente für diese These an und mithin argumentativ systematisch zu dieser Kulmination.
Das neue Büchlein ist offensichtlich von einem Hobby-Astronomen für Hobby-Astronomen geschrieben. Es weist ein paar sprachliche und inhaltliche Ungenauigkeiten auf, ist aber hinsichtlich Schreibstil und Aufbau so angelegt, dass man es nicht hintereinanderweg lesen muss (bzw. soll). Wie es Menschen in ihrer Freizeitbeschäftigung möglich ist, kann man also auch alle Jubeljahre einen Absatz lesen und hat keine Verständnisprobleme. Hamel redet auch expressis verbis den praktischen Sternguckern zu Pass und ganz wider der textbasierten Wissenschaften, wenn er den wissenschaftstheoretischen Ansatz zitiert, dass man an den Himmel schauen muss, wenn man etwas über den Himmel lernen wolle und nicht ausschließlich in die Bücher die Alten: Binsenweisheit aus Klatsch und Tratsch lernt man wenig, selber beobachten macht schlau. (sinngemäß auf S. 40)
Dagegen fällt es kaum ins Gewicht, dass in den einleitenden Überblickskapiteln, in denen er durch die Geschichte der Sternkarten-Abbildungen im christlichen Kulturkreis rast, einige kleinere Fehler sind. So ist es z.B. ein Märchen, dass es im arabischen Alphabet keine Vokale gäbe und auch, dass der Gottorfer Globus mit Löchern durchstochen gewesen sein soll – richtig ist vielmehr, dass es im Arabischen drei große Vokale gibt und weitere kleine in Gestalt von Vokalisation geschrieben werden können und dass der Gottorfer Globus von innen mit Kerzen beleuchtet wurde, deren Licht von den Metallsternen besser reflektiert wird als von den gemalten Sternbildern. (siehe z.B. die Arbeiten des Rekonstrukteurs dieses barocken Prachtstücks der Astronomiedidaktik: Felix Lühning, Schleswig, 1997 u. Herwig Guratzsch, 2004, u.a.) Auch euphorische Sätze wie "Die Uranometria als komplettes Werk durften heute nur wenige Experten im Original zu Gesicht bekommen." (S.7) sind sicher eine Übertreibung, denn Bayers Uranometria gibt es als Reprint im Taschenbuchformat sogar aus Cambridge.
All dies rückt aber das Hamelsche Begleitbüchlein ins rechte Licht einer pathetischen Hobby-Astronomie, also für Menschen, denen der Sternhimmel ein Hochgenuss und eine glückseelige Freude ist. Passionierte Menschen bzw. französisch "Amteure" und für genau diese ist es ja wohl gedacht!
Nun gehören die kritisierten Stellen aus dem 1. und 2. Kap. nicht unmittelbar zum Thema des Buches, der historischen Kontextuierung der Uranometria. Der knapp skizzierte Lebenslauf von Bayer (1. Kap.) und die Diskussion des Werkes in seiner Zeit (3. Kap.) scheint mir sehr ordentlich recherchiert zu sein. Der Text ist sehr einfach chronologisch aufgebaut. Der Schreibstil des Autors mit den zahlreichen Wiederholungen wirkt typisch-philosophisch, ist in sich einigermaßen schlüssig und erfahrungsgemäß mögen viele Menschen dies: Treffend gewählt ist der Autor vom Verlag wohl auch deshalb, weil es nur wenige Philosophen gibt, die sich hinreichend gut mit der Astronomie auskennen, dass sie Bayers Werk zu würdigen wüssten.
Das eigentliche Glanzstück der Arbeit sind aber die Beschreibungen und Texte zu den Sternkarten, Bildtafeln und deren Beschreibungstexten. Sie sind ein Gemisch aus Übersetzungen des alten Meisters selbst und modernen Kommentaren von Hamel. Ich halte dieses Cross-over von historischen und modernen Angaben für durchaus gelungen, da man klar zwischen den Originalen des 17. Jahrhunderts und den Bemerkungen des 21. Jahrhunderts unterscheiden kann.
Typisch für diesen Autor (Hamel) sind die ausführlichen Listen und Tabellen. So enthält auch dieses Buch umfangreiche Verzeichnisse von Namen historischer AstronomInnen und deren Lebensdaten, ein Glossar zur Klärung vieler Fachbegriffe, alphabetische Verzeichnisse der Sternbilder zusätzlich zu den nach Karten sortierten und vor allem ausführliche Bibliographien, z.B. eine illustre Liste von historischen Quellen zu Sternkarten und deren Autoren. Er hat also eine weitere beeindruckend umfangreiche Sammlung zusammengetragen.
Empfehlung
Dem Kunstschätzeverlag ist es gelungen, mit einer Synthese aus verschiedenen Auflagen der altehrwürdigen Sternkarte (Ausgaben von 1603 und 1648) ein wunderbares Werk neu erstehen zu lassen. Neben Übersetzungen und Kommentaren hat der Verlag es hat sogar geschafft, einen Übersetzer für die drei langen einleitenden Gedichte zu finden. Sie wurden nicht von Hamel (aus dem Griechischen?) ins Deutsche übertragen, sondern von OstR Rainer Seelmann, der es wohl schaffte, dabei sogar Versmaß und Rhythmus zu erhalten. Alles in allem ist und bleibt das Gesamtwerk "Uranometria" daher m.E. ein wahrliches Juwel für den astronomischen Bücherhimmel – auch des 21. Jahrhunderts.
Jürgen Hamel:
Die Himmelsvermessung des Johannes Bayer
Begleitbuch zur Uranometria des Johannes Bayer, 1603
Kunstschätzeverlag, 2010 (Link)
Reprint: ISBN 978-3-934223-35-6, 35cm x 45cm, 112 Seiten
Begleitbuch: ISBN 978-3-934223-36-3, 170 Seiten
Beide zusammen: ISBN 978-3-934223-37-0, 178 Euro
kleine Richtigstellung
Zitat: Auch euphorische Sätze wie “Die Uranometria als komplettes Werk durften heute nur wenige Experten im Original zu Gesicht bekommen.” (S.7) sind sicher eine maßlose Übertreibung, denn Bayers Uranometria gibt es als Reprint sogar im Taschenbuchformat.
Dazu sei angemerkt, daß es hier ausdrücklich und so auch geschrieben um Originale geht, und die werden von deren Eigentümern der Öffentlichkeit meist vorenthalten.
Hallo Herr Berberich,
ok, ich habe das Wort “maßlos” gestrichen. Sie haben Recht, dass es die Uranometria in der Form, wie Sie sie gedruckt haben, wahrlich nicht nochmal gibt!
Bevor ich Ihren Kommentar gelesen habe, hatte ich schon eine neue, kürzere Empfehlung Ihres Buchs eingestellt, das ich gestern Abend erhalten habe. Vielen herzlichen Dank!
Der Reprint ist ein wunderschönes Werk!
Freundliche Grüße
Susanne M Hoffmann