Schrott: Sternenhimmel


Nachdem ich in letzter Zeit häufig zu dieser Neuerscheinung befragt wurde, komme ich wohl nicht umhin, meine Meinung dazu zu veröffentlichen. Die Süddeutsche Zeitung hatte kürzlich (31. Jan.) einen großartigen Beitrag zu diesen Inhalten – mit sehr chic gemachten Web-Animationen. Auch früher schon hatte die SZ dieses Projekt dankbar aufgenommen (Beitrag 2021, Beiträge März 2022 und Sept. 2022).
Die Schöpfungsmythen sind als Kollektion gut – den Erzählstil kann man mögen oder nicht, das bewerte ich nicht – aber dass sie überhaupt zusammengestellt wurden, ist erstmal großartig. Was ich auch gut finde, ist, dass z.B. bei der südafrikanischen Kultur mit Worten zu erklären versucht wird, wie man die ungewohnten “buchstaben”artigen Zeichen aussprechen soll (Blackslash und Ungleichzeichen für Klacklaute). Es sind tatsächlich viele Mythen in dem Buch und das ist erstmal eine gute Sache, weil es eine solche Sammlung bisher kaum zeitgenössisch gibt.
ABER
Allerdings hätte der Literaturwissenschaftler Schrott daran gut getan, wenn er sich auf seine Expertise – Mythen sammeln – beschränkt hätte und nicht versucht hätte, die Bilder am Himmel zu identifizieren. Dafür gibt’s andere Experten und die hätte man konsultieren sollen. Auf seinen Webseiten präsentiert er Interviews mit Journalisten etc. pp. – aber Kulturastronomen kommen nicht vor… vllt. auch, weil dieses Fach in Deutschland keine Professuren hat oder durch andere feste Stellen (Arbeitsgruppenleitungen) in der Forschung vertreten ist: ich z.B. arbeite derzeit im Ausland, um dazu forschen zu können.
Zudem sind Schöpfungsmythen sicher auch nicht der einzige, was zum Schaffen von Sternbildern genutzt wurde: Der Sternhimmel ist nicht bloß eine Projektionsfläche der menschlichen Phantasie, sondern hatte in Zeiten von observablen Mondkalendern die extrem wichtige praktische Funktion, den observablen Kalender mit den Jahreszeiten zu synchronisieren. Die Kalenderfunktion des Sternhimmels war sicher mindestens genauso wichtig wie Schöpfungsmythen, denn Kalender waren in früherer Zeit nicht bloß ein Rechenwerkzeug für Akademiker, sondern z.T. lebenswichtig für die Aktivitäten der Menschen: wann ist es Zeit für den Almauf- oder -abtrieb des Viehs, wann bringt man die letzte Getreidesaat aus, damit man rechtzeitig vor Kälteeinbruch ernten kann, wann darf man zur See fahren ohne gefährlichen Winden/ Stürmen zu begegnen und wann nicht?
Abgesehen davon, dass sich das Buch auf erklärende Mythen der Figuren am Himmel beschränkt und die (vllt. wichtigere) lebensweltpraktische Funktion unterschlägt (was man als Stilmittel Ellipse deklarieren könnte), gibt es aber auch hanebüchene inhaltliche Fehler:
Identifikationen der Sternbilder
Von dem was ich beurteilen kann, extrapoliert: Die Präsentationen von Sternbildern aus den Kulturen sind eine Collage aus dem, was der Autor zufällig gefunden hat – als würde man einer KI ein paar Aufsätze geben (und zwar nicht etwa alle vom Fach, sondern nur einige und zwar unter sehr bewusster Ignoranz der aktuellen Forschung) und die KI bitten, den Inhalt zusammenzufassen. Man fragt sich, warum für sowas Forschungsgelder verschwendet werden.
Andererseits kann man das dem Autor nicht übel nehmen: Wenn man ein Forschungsprojekt von 5 Jahren hat und in diesem Projekt 15 Kulturen vorstellen soll/möchte, hat man für jede Kultur 4 Monate Zeit (es waren 17 Kulturen in 6 Jahren, aber das ändert nicht viel an der Rechnung). Davon abgezogen werden dann Tage, in denen man Urlaub hat oder krank ist… und die Zeit für die Produktion des Buchs. Auch wenn man die Produktion von Webseite, Grafiken und Animationen outsourced (also an Mitarbeitende übergibt) und auch die Events wie “Sternenhimmel”-Festival in Nantesbuch 2021 an andere Leute delegiert, kann man bei einem Zeitaufwand von höchstens 3 Monaten pro Kultur keine sonderlich tiefsinnige Ergebnisse erwarten. Solange man nur Mythen liest und kompiliert, mag das verkraftbar sein – das kann ich nicht beurteilen, fragen Sie bitte gern die Leute vom Fach, also Mythenforscher. Was die Darstellung von Sternbildern angeht, sehe ich aber auf den ersten Blick viel Falsches.
Bsp.: Babylonische Uranographie
- S. 246 der Pflug (APIN) ist an einer zufällig gewählten (falschen) Himmelsstelle (in Triangulum) gezeichnet. Das war bis 1950 einer von drei Vorschlägen. Dass das falsch ist haben wir in einem Fachartikel ausführlich argumentiert (Hoffmann und Horowitz 2022).
- Der in derselben Karte gezeichnete Lohnarbeiter hat seine Füße im Cetus, wo das babylonische Sternbild der Schwalbe sein müsste.
- auf S.250 sind die Sitzenden Götter zeichnerisch dargestellt mit einem Gebilde, das aussieht wie eine große Tür: dieses Gebilde ist kopiert von dem in Rom gefundenen griechischen Marmorglobus des Atlas Farnese und dort ist diese Struktur nördlich vom Krebs abgebildet und nicht südlich der Jungfrau. Die babylonischen Sitzenden Götter sind kein Sternbild. Jahrzehnte lang hatten Assyriologen und Astronomen gegrübelt, wo dies als Sternbild verortet sein könnte – und waren zu keiner Lösung gekommen. Schrott glaubt’s zu wissen und lässt es ins Buch malen. Er hat aber verpasst, dass seit der Rencontre Assyriologique Internationale (DIE große Assyriologenkonferenz) 2018 im Fach vorgeschlagen ist, dass die Phrase “Sitzende Götter”, die nur in der ersten Liste von MUL.APIN vorkommt und danach nicht mehr erwähnt wird, ein grammatisches Feature ist – etwas, das wir heute als Überschrift setzen würden, aber babylonische Texte funktionieren anders. Demnach wäre es eine Sammelbezeichnung, ein Oberbegriff, für eine Gruppe von Sternbildern. cf. Hoffmann und Krebernik (2018, 2023), Hoffmann und Horowitz (2024) und Hoffmann (2024), hier gepostet.
- S. 252 gezeichnet sind der Löwe auf der Hydra – genauer gesagt, es wurde die Ritzzeichnung von einer bestimmten spätbabylonischen Tontafel (VAT 7847) kopiert, als Mesopotamien bereits griechisch regiert wurde. Diese kopierte historische Zeichnung wurde auf eine moderne Sternkarte gelegt, in einer Weise, dass das Sternbild Leo (Löwe) nördlich des gezeichneten Löwen liegt. Es gibt wenige Sternbilder, die so sicher identifiziert sind wie der babylonische Löwe, der mit dem griechischen übereinstimmt (wegen historisch belegter Übernahme). Das Bild/ die Karte von Schrott ist also einfach Schrott, falsch.
- Auf S. 254 sitzt der babylonische Gott Enki im babylonischen Sternbild Feld, obwohl er eigentlich südlich davon gehört, weil er im Sternbild Aquarius dargestellt ist, während das Feld unserem Herbstviereck entspricht
- und auf S. 256 trägt die Göttin Anunitu(m) ein Fischkostüm und reitet rückwärts auf einem großen Vogel, der mit “Schwalbe” beschriftet ist. Ein unsinnigeres Bild hätte man wohl nicht findet können; es unterstreicht die Idee, dass beim Sternbildermachen die pure Phantasie am Werke war – was eine populäre Fehlvorstellung ist, die Schrott teilt.
- mal abgesehen von der Unsinnigkeit des Bildes der rückwärts reitenden Göttin, die auf einem Vogel steht, der eher wie eine Ente aussieht und nur durch die Beschriftung zur “Schwalbe” getauft wird, und dass diese Göttin sich nicht nur am Flügel festhält, sondern auch noch einen Fisch in der Hand hat…
- Göttin im Fischkostüm: Eine ähnliche Darstellung hatte ich 2016 für Planetarium Münster auch entwerfen lassen, weil es eine babylonische Göttin gibt (Nanshe, nicht Anunitu), die von Fischen umgeben ist: mein Gedanke war, die fischige Göttin, von der gesagt wird, dass “Fische sie umfliegen wie Schwalben” in eine Art Kleid zu hüllen, das wir in einen Fisch von Pisces überblenden können. Was herauskam sah aber wie eine andere babylonische Abbildung aus, ein Apkallu. Nachdem mir auch mehrere Assyriologen sagten, dass es wie ein Apkallu aussieht (was von mir sicher nicht beabsichtigt war), fand ich andere Wege der Überblende-Darstellung (zumal Nanshe nichts mit Anunitu zu tun hat). Ich habe diese neuen Varianten längst veröffentlicht (seit meiner Tätigkeit für Planetarium Jena seit 2018) und die Transformation ist sogar als animiertes GIF veröffentlicht.
- Anunitu ist ein Beiname der Göttin Ishtar, der Liebesgöttin, die im Zweistromland stets mit Löwen und nicht mit Fischen dargestellt wird. Die Liebesgöttin mit Fischen ist eine syrische Spielform, die in der Gegend von Aleppo (in Bambyke) verehrt wurde. Um aus Anunitu einen Fisch zu machen braucht es also einen kulturellen Mix (siehe mein animiertes GIF).
- Der Schwalbenfisch, den Schrott lapidar mit “Die erhabene Schwalbe | Schwalbenfisch” andeutet, hat historische Abbildungen auf Rollsiegeln (s. Hoffmann 2017, auf Basis von Wallenfels 1993, vgl. auch in Kurtik 2007): Der Schwalbenfisch ist nicht nur einfach ein alternativer Name für die Schwalbe, sondern ein neues Bild – was Schrott in der Kurzfristigkeit seiner Recherche aber entging.
- …
Es gibt noch viele weitere Schwachstellen, aber ich höre hier mal auf, weil ich meine, das Problem hinreichend mit Beispielen substanziiert zu haben. Sie könnten einwenden, dass meine/unsere Arbeit zu neu für den Autor war, weil das Kapitel für ihn bereits 2021 abgeschlossen gewesen sein könnte und meine Publikationen erst später erschienen – aber ich garantiere Ihnen, er wusste davon, denn ich habe diese Thesen seit der RAI (Konferenz) 2018 vertreten (Matilda-Effekt). Er hat mehrfach mit mir gesprochen und war auch 2021 bei manchen online-Meetings unserer Jerusalemer Arbeitsgruppe zum Thema dabei (wo andere ihm bestätigten, was ich ihm gesagt hatte) – es handelt sich um ein Gemisch aus Unverständnis von jemandem, der nicht vom Fach ist und bewusster Ignoranz von Erkenntnissen (“weil nicht sein kann, was nicht sein darf”, Palmström-Effekt).
Extrapolieren wir von der babylonischen auf alle anderen Kulturen, die ja mit ähnlich heißen Nadeln gestrickt worden sein müssen und zwar von jemandem ohne Sachkenntnis, kann man das Buch leider in dieser Hinsicht nicht ernst nehmen.
Bsp. Grundsätzliches
Auch im erklärenden allgemeinen Teil gibt es zahlreiche Kapriolen:
Die Magellanschen Wolken werden durchgehend als “Dunkelwolken” bezeichnet (was natürlich höherer Quatsch ist; sie sind durch silbriges Leuchten charakteristisch) und die Behauptung, dass Sternbilder typischerweise 30° durchmessen, weil das dem bewusst wahrnehmbaren Blickwinkel des Auges entspreche, entbehrt jeder sachlichen Grundlage: Weder sind Sternbilder stets 30° lang (siehe Große Bärin, siehe Hydra – beide viel größer, oder siehe Triangulum und Kreuz des Südens, beide viel kleiner) noch ist das Gesichtsfeld des Menschen ca. 30° (oder anders gesagt: man müsste schon sehr borniert sein, wenn das so wäre). Wenn schon die Fakten nicht stimmen, kann man daraus auch nichts schließen (Pseudo-Wissenschaft oder Ex falso Quodlibet).
Fazit
Ich finde, das Buch ist das Geld nicht wert. Inhaltlich ist es ein Steinbruch von Halbgarem. Die Bilder sind schön anzuschauen (obschon falsch auf die Karten gemappt) – also exzellente Grafikerin, schlechter Autor, fehlender Sachverstand. Inhalte sind vielfach falsch, unreflektiert (raub)kopiert oder/und “outdated”, d.h. das Buch kommt mit diesem Inhalt ca. 50 Jahre zu spät. Damals war von Helmut Werner, dem Leiter der Planetariumsabteilung von ZEISS-Oberkochen und Autor des unten stehenden Buchs zur Planetariumsprojektorgeschichte etwas ähnliches versucht worden, so dass der Literaturwissenschaftler Schrott einen Artgenossen gefunden hätte:
Ihr wisst, in deutschen Büchern, probiert ein jeder was er mag…
Ihr wißt, auf unsern deutschen Bühnen
Probirt ein jeder was er mag;
Drum schonet mir an diesem Tag
Prospecte nicht und nicht Maschinen.
Gebraucht das groß’ und kleine Himmelslicht,
Die Sterne dürfet ihr verschwenden;
An Wasser, Feuer, Felsenwänden,
An Thier und Vögeln fehlt es nicht.
So schreitet in dem engen Breterhaus
Den ganzen Kreis der Schöpfung aus,
Und wandelt, mit bedächtger Schnelle,
Vom Himmel, durch die Welt, zur Hölle.
zitiert von Johann Wolfgang Goethe: Faust – Der Tragödie erster Teil.
- Helmut Werner (1953): Die Sterne dürfet Ihr verschwenden, Gustav Fischer Verlag
Dieser Autor publizierte in den ZEISS-eigenen Zeitschriften (z.B. “Planetarium News”/ Planetarium Mitteilungen, aber auch andernorts) auch über den Sternhimmel der Tschuktschen, der alten Griechen, bei Seneca und die so genannten “vorklassischen” Sternbilder…
- Werner, H. (1967): Problems and Results of Comparative Studies of the Celestial Constellations, Vistas of Astronomy, 9, 135-143
Referenzen
- Hoffmann, S.M. (2024). Standing and Sitting Gods of MUL.APIN, Journal of Astronomical History and Heritage, 27(2), 261-272
- Hoffmann and Horowitz (2023). The Standing and Sitting Asterisms of Ekur, N.A.B.U., n°3 (sept.), 141-143
- Hoffmann, S.M. and Krebernik, M. (2023): What do deities tell us about the celestial positioning system, in: R. Rollinger, I. Madreiter, M. Lang, C. Pappi (eds.). The Intellectual Heritage of the Ancient Near East, Papers held at the 64th Rencontre Assyriologique International and 12th Melammu Symposium July 16-20 2018, Innsbruck. Austrian Academy of Sciences Press, 539-579
- Hoffmann, S.M. and Horowitz, W. (2022). How to identify “The Plough” MUL.APIN, epinnu? in Hoffmann and Wolfschmidt (eds.). Astronomy in Culture – Cultures of Astronomy, tredition Hamburg/ OpenScienceTechnology Berlin, 148-170
- Gullberg, J, Hoffmann, S.M. and Gullberg, S.R. (2022). Painting Babylonian: New Constellations in Stellarium, in Hoffmann and Wolfschmidt (eds.). Astronomy in Culture – Cultures of Astronomy, tredition Hamburg/ OpenScienceTechnology Berlin, 171-191
- Hoffmann, S.M. (2017): History of Constellations as popularization of uranometry, in: Wolfschmidt, Gudrun: Nuncius Hamburgensis Bd. 41, tredition Verlag, 135-157