Review: Babylonian Star-Lore

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Ko(s)mische Streifzüge durch Zeit und Raum
Uhura Uraniae

Woher unsere Sternbilder kommen? – Tja, das wüssten wir gerne. Die gängige Überlieferung weiß, dass die 88 Sternbilder, die wir heute offiziell verwenden, als Auftragsarbeit in den 1920ern ausgearbeitet wurden. Der offizielle Beschluss der Namen und Abkürzungen der Sternbild-Bezeichnungen fand im Jahre 1922 statt und die Referenz dafür ist noch heute eine Tabelle (S.158) aus dem Band 1 der Transactions of the IAU, in der zwei Tippfehler sind. Übrigens gibt es dort auch ein 89stes Sternbild, d.i. das Sternbild Argo (abgekürzt Arg), aber das nur nebenbei. Der offizielle Atlas Céleste von Eugène Delporte mit den maßgeblichen, quasi am Reißbrett entstandenen Sternbildbegrenzungen in rechtwinkligen Kugelkoordinaten ist 1930 erschienen.

Bekannt ist dem geneigten Astronomen auch, dass diese offiziell definierten Sternbilder von Delporte versucht wurden, an die überlieferten griechischen Sternbilder anzupassen. Von der griechischen Tradition ist das letzte große Werk der Antike der Almagest von Ptolemaios (ca. 150 n.Chr.) und dessen Sternbild-Tradition bestimmte für anderthalb Jahrtausende die Sternkarten und Sternlisten – und zwar sowohl in der christlichen (lateinischen) als auch in der muslimischen (arabischen) Überlieferung (in beiden angereichert mit der Bildtradition der Illustrationen des Lehrgedichts von Aratus, die ins -4. Jh. zurückreicht, also ein weiteres halbes Jahrtausend früher beginnt). Weil die christliche und muslimische Überlieferung auf den gleichen Quellen basiert, wirken die Sternbilder in unserem Kulturkreis so einheitlich und quasi offen-sichtlich – nicht etwa, weil sie wirklich so klar wären, sondern nur, weil alle hiesigen Kulturen von einem einzigen antiken Buch geprägt und bestimmt wurden. In Wirklichkeit macht jede Kultur ihre eigenen Sternbilder und zwar so, wie es ihr quasi in den Kram passt. Man erahnt das ja noch ein bisschen von dem Wildwuchs an Sternbildern in der Frühen Neuzeit, als jeder Astronom für seinen Mäzen nach Belieben Sterne oder Sternbilder umtaufte: Da gab es das Sternbild “Friedrichs Ehre” für den König von Preußen, Uranus war zuerst der Georg’ Star für den englischen König und Galilei hatte die Jupiter-Monde zuerst “Medici’sche Gestirne” genannt, um sich bei den Geldgebern beliebt zu machen. Diese Individualität wurde erst durch die offizielle Entscheidung der Internationalen Astronomischen Union (IAU) 1930 beendet.

Doch woher kommen die griechischen Sternbilder? Tja, das weiß bisher niemand so genau (dazu schreibe ich in ca. einem Jahr mehr). Früher als die griechischen gab es z.B. die babylonischen und zumindest der Tierkreis soll wohl – so ist die gängige Lehrmeinung – komplett aus Babylon übernommen worden sein. Vom Rest des babylonischen Himmels wissen wir wenig.

Rezension: Gavin White: Babylonian Star-Lore (2014)

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relativ quadratisch: Babylonian Star-Lore (2014)-Ausgabe.

Gavin White versucht nun in “Babylonian Star-Lore” festzustellen, welche Sternbilder im Alten Orient gegolten haben, wo sie am Himmel lagen, welche Mythologie sie zusammenhielt und was ihre Namen bedeuten. – Allerdings nur mit mäßigem Erfolg.

Das Buch, das 2014 frisch erschienen ist, ist eine verbesserte und überarbeitete Neuauflage nach zwei vorherigen Auflagen seit 2007. Im angelsächsischen Sprachraum wurden die früheren bereits mangelnder Quellenangaben heftig kritisiert, aber dieses Manko ist in der aktuellen Auflage behoben: Es gibt inzwischen sehr viele und auch teilweise sehr gute Literaturhinweis, die Bibliographie des etwa 400seitigen Booklets ist vier Seiten lang und der Anhang wartet mit interessanten Tabellen und “reference notes” auf. Durch die kapitelweise Gliederung nach Sternbildern findet man hier auch sehr richtige und wunderbar übersichtliche Darstellungen von Informationen zu den einzelnen Sternbildern – wobei ich allerdings nicht sicher bin, ob dies einen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt: vielleicht wäre das auch schlauer als Datenbank im Internet zu veröffentlichen. Jedenfalls ist dieser Teil sehr informativ.

Reizvoll am Hauptteil ist vor allem der konzeptuelle Ansatz des Buches, nämlich eine Kombination von erklärendem Text mit eigenhändig gezeichneten Bilder-Entwürfen für die Sternbilder. Stets versucht der Autor auch, durch Aufmalen der Keilschriftzeichen in einer sehr archaischen, d.h. ikonischen Form, die Namen der Sternbilder abzuleiten und sie mit dem gezeichneten Himmelsbild in Verbindung zu bringen. Eigentlich ein guter Ansatz.

Das Problem ist, dass er dabei komplett die Chronologie missachtet:

  1. Die Schriftzeichen, die er malt, wurden in dieser Form nur sehr früh (ca. im 3. Jahrtausend) genutzt und aus dieser Zeit haben wir keine Sternbilder-Texte überliefert. Artefakte astronomischer Texte setzen erst ab Mitte des -2. Jt. ein.

  2. Die Sternbilder, die er als Himmelsfiguren malt, sind alle rekonstruiert – die Methode dafür ist aber ein Ratespiel, das alle Epochen durchmischt: Hier werden mal persische Bilder, mal ägyptische und mal griechische überlieferte Bilder konsultiert, um daraus zu schließen, wie eventuell einige Jahrtausende zuvor ein Sternbild in Babylon ausgedacht gewesen sein mag. Wieso sollte man das einfach Jahrhunderte übergreifend und rückwärts schließen dürfen? Leider gibt der Autor keinerlei Begründung dafür an.

  3. Die Sternbild-Sagen, die er erzählt, sind nicht immer belegt und schon gar nicht direkt als “Sternsagen” überliefert wie es bspw. für die griechische Kultur gegeben ist. Geschichten und Sagen ändern sich im Laufe der Jahrhunderte – warum also sollten die Sternbilder für eine Periode von zweitausend Jahren babylonischer Geschichte gleich bleiben?

  4. Die vergleichsweise herangezogenen Bilder von Rollsiegeln, Tempeldecken und Vasen gehen übrigens nicht nur durch verschiedene Kulturen, sondern auch durch alle verfügbaren Jahrhunderte – mal zitiert er ein Rollsiegel aus hellenistischer Zeit und daneben steht die Schriftzeichen aus dem -3. Jt. … und das ohne Begründung.

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All das und noch viel mehr dient in diesem Buch zur Rekonstruktion der mesopotamischen Sternbilder – allerdings ohne Begründung, warum das zulässig sein sollte. Dazu sollte man sagen: die assyrische und äg. Bildertradition entwickelte sich Jahrtausende und Jahrhunderte vor Christus, aber zumindest die ägyptische in einem anderen Bereich der Erde als die babylonischen Sternbilder. Während das geschah, gab es von den arabischen Beduinen noch keine überlieferte Kultur (schriftlos). Die arabische Bildtradition entwickelte sich erst Jahrhunderte nach Christus und die Sternbilder, die sie darstellt, sind aus dem Griechischen übernommen. Wenn man hier etwas schließen möchte, muss das also sehr gut begründet sein.

Zudem sollte man anmerken, dass die Identifizierungen der babylonischen Sternbildnamen mit Objekten am Himmel ziemlich vage ist: Kein vernünftiger Wissenschaftler traut sich, so etwas mit aller Sicherheit und felsenfest zu behaupten, weil die Überlieferung leider nicht für alle Sternbilder Anhaltspunkte zu ihrer Verortung hergibt. Daran haben sich schon vor einem halben Jahrhundert ein paar Assyriologen abgearbeitet und wir sind inzwischen nur sehr geringfügig weiter. Ich persönlich frage mich auch, ob die Sternbilder denn in Mesopotamien über ca. zwei hier betrachtete Jahrtausende überhaupt kanonisch und konstant gewesen sind: Ich meine, vielleicht gab es vor 1930 gar keine kanonisch definierten Sternbilder?

Große Skepsis sollte aber auch gleich am Anfang des Buches auftreten, wenn der Autor als Frontispiz eine gezeichnete Karte mit dem Untertitel “A modern reconstruction of the Babylonian Star-map” präsentiert. Der Stil der Einzelfiguren in dieser Karte erinnert zwar stark an den Stil babylonischer Kunst, aber das Gesamtbild der Erscheinung erinnert eher an den (ägyptischen) runden Tierkreis von Dendera aus römischer Zeit: In der Mitte der Zeichnung ist das babylonische Sternbild “Pflug”, mul.APIN, verankert, das der Autor also an den Pol seines Himmels denkt. Welcher Pol das auch immer sein mag (Äquator- oder Ekliptikpol), die bisherigen Identifizierungen der Sternbild siedeln den babylonischen Pflug in der Gegend unseres Sternbilds Andromeda an und jedenfalls nicht zwischen den beiden Wagen, wo unser Drache wäre. Für dieses Bild wurde offenbar analog vom ägyptischen Bild auf das babylonische geschlossen – allerdings ohne Angabe einer Begründung, warum das zulässig sein sollte.

Fazit: Das Projekt, babylonische Sternbilder zu rekonstruieren ist nicht neu und auch immer noch eine Bearbeitung Wert. Das Konzept ist im Grunde auch gut und der Autor hat absolut das zeichnerische Talent, Schrift und Bild überzeugend darzustellen, zumal er die jeweiligen Kunststile (persisch, ägyptisch, griechisch, babylonisch, assyrisch) jeweils treffend und kenntlich nachzuahmen schafft.

ABER Liebe Planetarier und Wissenschaftspopularisier: Bitte dieses Buch nicht ungeprüft zitieren! Aber gerne als Inspiration nutzen.

An der Umsetzung der Inhalte und der Argumentation dafür hapert es in diesem Buch noch an der einen oder anderen Stelle, so dass es als guter Ansatz stehen bleibt.

Man kann sich also ruhigen Gewissens auf künftige Auflagen dieses Buches freuen: Die früheren Auflagen scheinen ja viel schlechter gewesen zu sein und so kann dieses Buch nur zu weiteren Forschungen motivieren und inspirieren.


Rezensionen und Sichtweisen von anderen:

Manche Astrologen finden das Buch toll, aber was das heißt, kann jede/r für sich bewerten.
Bei der Lektüre der Webseiten von Gary D. Thompson, der sich oft mit fundiertem Wissen und kritischen Diskussionsbeiträgen hervor tut, gibt es zwar keinen dezidierten Review zu dem Buch, aber er diskutiert an verschiedenen Stellen einzelen Aussagen daraus, z.B. hier und hier.


GIMMICK

vor meiner Haustür gefunden: Dieses Herz lag mir förmlich zu Füßen.
vor meiner Haustür gefunden: Dieses Herz lag mir förmlich zu Füßen.

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"physics was my first love and it will be my last physics of the future and physics of the past" Dr. Dr. Susanne M Hoffmann ist seit 1998 als (Kultur)Astronomin tätig (Universitäten, Planetarien, öffentliche Sternwarten, u.a.). Ihr fachlicher Hintergrund besteht in Physik und Wissenschaftsgeschichte (zwei Diplome), Informatik und Fachdidaktik (neue Medien/ Medienwissenschaft) als Weiterqualifikationen. Sie ist aufgewachsen im wiedervereinigten Berlin, zuhause auf dem Planeten Erde. Jobbedingt hat sie 2001-2006 in Potsdam gelebt, 2005-2008 saisonal in Mauretanien (winters) und Portugal (sommers), 2008-2009 und 2013-'15 in Berlin, 2010 in Hamburg, 2010-2012 in Hildesheim, 2015/6 in Wald/Österreich, 2017 in Semarang (Indonesien), seit 2017 in Jena, mit Gastaufenthalten im Rahmen von Forschungskollaborationen in Kairo+Luxor (Ägypten), Jerusalem+Tel Aviv (Israel), Hefei (China)... . Die einleitenden Verse beschreiben eine Grundstruktur in ihrem Denken und Agieren: Physik ist eine Grundlagenwissenschaft, die datenbasiert und mit dem Erkenntnisapparat der Logik ein Verständnis der Natur zu erlangen bestrebt ist. Es gibt allerdings auch Fragen der Welt, die sich der Physik entziehen (z.B. wie wir Menschen auf diesem Planeten friedlich, synergetisch und benevolent zusammenleben können) - darum ist Physik nicht die einzige Liebe der Bloggerin. Sie liebt die Weisheit und hinterfragt die Welt. Das Wort "Philosophie" ist ihr aber zu groß und das populärwissenschaftliche Verständnis davon zu schwammig, als dass sie sich damit identifizieren würde: hier geht's faktenbasiert zu. Ihr fachliches Spezialgebiet sind Himmelskarten und Himmelsgloben; konkret deren Mathematik, Kartographie, Messverfahren = Astrometrie, ihre historische Entwicklung, Sternbilder als Kulturkalender und Koordinatensystem, Anomalien der Sternkarte - also fehlende und zusätzliche Sterne, Sternnamen... und die Schaustellung von alle dem in Projektionsplanetarien. Sie versteht dieses Blog als "Kommentar an die Welt", als Kolumne, als Informationsdienst, da sie der Gesellschaft, die ihr das viele studieren und forschen ermöglichte, etwas zurückgeben möchte (in der Hoffnung, dass ihr die Gesellschaft auch weiterhin die Forschung finanziert).

2 Kommentare

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