Quadratur des Kreises missglückt

Das Sternbild Corona Borealis ist ziemlich rund. Es ist so rund, dass es im Alten Babylon mitunter auch mit der Vokabel “Kreis” bezeichnet wurde. In einem Fachartikel, der im Oktober 2022 erschien, behauptet ein französisch-britisches Forschungsteam, dass Hipparch von Nicäa im -2. Jahrhundert rechteckige Grenzen für dieses Sternbild hatte. Das entbehrt nicht nur jeglicher Logik, sondern ist auch nachweislich falsch. 

alle vier aus dem Altertum überlieferten Abbildungen des Sternbilds: links das babylonische, die anderen drei von den drei erhaltenen griechischen Globen (Kugel, Farnese, Mainz). Alle sind kreisrund!

In meiner Dissertation hatte ich daher mit “Minimal-Polygonen” gearbeitet. Jedes Sternbild nimmt eine Fläche ein, die von den äußersten Sternen begrenzt wird. Es ist die kleinstmögliche Fläche, mit der man ein Sternbild so positionieren kann, dass alle ihm zugeordneten Sterne eines bestimmten Sternkatalogs innerhalb dieser Fläche liegen. Niemand hat je behauptet, dass diese Polygonflächen erschöpfend sind: es könnten auch weitere Himmelsareale zum gleichen Sternbild gehören, aber diese Flächen sind eben das Minimum, was aus den Texten wasserdicht ableitbar ist. 

Diese Flächen sind keine Rechtecke und sie gleichen / ähneln auch nicht den modernen IAU-Sternbildergrenzen, wie von den Autoren der Studie 2022 behauptet. Rechtecke würden entweder Sterne abschneiden oder so groß gezeichnet werden müssen, dass sie (noch stärker) überlappen. Wenn aber die Rechtecke überlappen, also ins Nachbarrechteck (Nachbarsternbild) hineinreichen, sind es keine Grenzlinien. Also: wie man es auch dreht, rechteckige Grenzlinien sind sinnfrei. Es hat sie nicht gegeben.

Minimalpolygone für Sternbilder, Poster SMH 2015
Minimalpolygone für Sternbilder, Poster SMH 2015 (Tagung der Astronomischen Gesellschaft). Für die babylonische Karte sehe ich heute manche Flächen anders, aber die Karte zeigt die Idee.

Dass das Forschungsteam die Rechtecke nun ausgerechnet am rundesten, kreisähnlichsten Sternbild nachweisen wollte, entbehrt nicht einer gewissen Komik. 

Schlimmer ist aber, dass dieser Unsinn eine gewaltigen öffentliche Aufmerksamkeit erhielt. Anscheinend kann man Forschungsergebnisse nur dann in der Öffentlichkeit platzieren, wenn sie gnadenlos absurd (und falsch) sind.

Die hier präsentierte Zusammenschau zum Sternbild Corona Borealis wurde vom Journal for the History of Astronomy leider abgelehnt, weil es angeblich nicht zu deren Themen passt… In dem Artikel von 2022 wird allen Ernstes behauptet, Hipparchs Sternkatalog gefunden zu haben, obwohl der neue Befund eigentlich nur vier Zahlen (Halb-Koordinaten) zu drei Sternen im Sternbild CrB enthält. Selbstredend musste jemand mit einer Dissertation über Hipparchs Himmelsglobus dazu widersprechen. 

Der widersprechende Fachartikel erschien im Journal for the History of Astronomy im August 2024. 

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"physics was my first love and it will be my last physics of the future and physics of the past" Dr. Dr. Susanne M Hoffmann ist seit 1998 als (Kultur)Astronomin tätig (Universitäten, Planetarien, öffentliche Sternwarten, u.a.). Ihr fachlicher Hintergrund besteht in Physik und Wissenschaftsgeschichte (zwei Diplome), Informatik und Fachdidaktik (neue Medien/ Medienwissenschaft) als Weiterqualifikationen. Sie ist aufgewachsen im wiedervereinigten Berlin, zuhause auf dem Planeten Erde. Jobbedingt hat sie 2001-2006 in Potsdam gelebt, 2005-2008 saisonal in Mauretanien (winters) und Portugal (sommers), 2008-2009 und 2013-'15 in Berlin, 2010 in Hamburg, 2010-2012 in Hildesheim, 2015/6 in Wald/Österreich, 2017 in Semarang (Indonesien), seit 2017 in Jena, mit Gastaufenthalten im Rahmen von Forschungskollaborationen in Kairo+Luxor (Ägypten), Jerusalem+Tel Aviv (Israel), Hefei (China)... . Die einleitenden Verse beschreiben eine Grundstruktur in ihrem Denken und Agieren: Physik ist eine Grundlagenwissenschaft, die datenbasiert und mit dem Erkenntnisapparat der Logik ein Verständnis der Natur zu erlangen bestrebt ist. Es gibt allerdings auch Fragen der Welt, die sich der Physik entziehen (z.B. wie wir Menschen auf diesem Planeten friedlich, synergetisch und benevolent zusammenleben können) - darum ist Physik nicht die einzige Liebe der Bloggerin. Sie liebt die Weisheit und hinterfragt die Welt. Das Wort "Philosophie" ist ihr aber zu groß und das populärwissenschaftliche Verständnis davon zu schwammig, als dass sie sich damit identifizieren würde: hier geht's faktenbasiert zu. Ihr fachliches Spezialgebiet sind Himmelskarten und Himmelsgloben; konkret deren Mathematik, Kartographie, Messverfahren = Astrometrie, ihre historische Entwicklung, Sternbilder als Kulturkalender und Koordinatensystem, Anomalien der Sternkarte - also fehlende und zusätzliche Sterne, Sternnamen... und die Schaustellung von alle dem in Projektionsplanetarien. Sie versteht dieses Blog als "Kommentar an die Welt", als Kolumne, als Informationsdienst, da sie der Gesellschaft, die ihr das viele studieren und forschen ermöglichte, etwas zurückgeben möchte (in der Hoffnung, dass ihr die Gesellschaft auch weiterhin die Forschung finanziert).

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