Oster-Stern – ein astronomischer Blick aufs Fest

BLOG: Uhura Uraniae

Ko(s)mische Streifzüge durch Zeit und Raum
Uhura Uraniae

zu Weihnachten spielen alle Planetarien und Volkssternwarten der Welt die Geschichte vom Weihnachtsstern aus dem Matthäus-Evangelium und brüten darüber, ob Jesus also im Jahr 6/7 v.Chr. mit einer Dreifachkonjunktion von Jupiter und Saturn geboren sei oder im Jahre -1/-2 mit einer der beiden Planetenverschmelzungen von Jupiter und Venus. Dass beides keine historische Realität beschreibt, sehen wir an der Sonnenfinsternis in der Ostergeschichte.

Matthäus schreibt zum Karfreitag: 27, 45-53:

“Und von der sechsten Stunde an kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde. Und um die neunte Stunde schrie Jesus laut Eli, Eli lama asabtani? Das heißt: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? […] und verschied. Und siehe, der Vorhang im Tempel zerriss in zwei Stücke von oben an bis unten aus. Und die Erde bebte und die Felsen zerrissen […]

Die sechste Stunde ist sechs Stunden nach Sonnenaufgang also per definitionem mittags. Mitten am Tag – dann, wenn eigentlich die Sonne am höchsten steht – kam also eine Finsternis übers Land. Es wird hier also eine Sonnenfinsternis beschrieben -> der Unheilsbringer schlechthin unter allen verfügbaren Omina, die die damalige Divination so zu bieten hatte.

Das gewaltige Unheil, das von dem Gesamtereignis ausgeht, wird in den folgenden Zeilen beschrieben: Naturkatastrophen wie Erdbeben und das (gewiss realitätsferne) Auseinanderbrechen von Felsen sowie das Zerreißen des Vorhangs im Tempel, also die Zerstörung des Allerheiligsten im Gotteshaus.

Man kann bezweifeln, dass diese Dinge in realitas eingetreten sind: Matthäus beschreibt hier nur literarisch die gewaltige Niedergeschlagenheit, die sich unter den Jüngern Jesu ausbreitete: Wir sollen dies nicht wortwörtlich lesen, sondern als Symbol verstehen.

Weiters haben wir zuvor aus der Erzählung erfahren, dass eine Woche zuvor, am Palmsonntag, Jesus anlässlich des Pesach-Festes anreiste. Pessach wird in der zweiten Monatshälfte (15.-21.) des jüdischen Monats Nisan gefeiert, d.h. es ist sozusagen ein Zelebrieren des Jahresbeginns, des Frühlingserwachens … zumindest in astronomischer Deutung: der religiöse Hintergrund ist eigentlich der Auszug aus Ägypten, also die Befreiung von der Knechtschaft, die hier gefeiert wird. Jesus feiert dieses Fest mit seinen Jüngern und danach wird er gekreuzigt. Das muss also kurz nach Vollmond gewesen sein, denn Vollmond war am 15. Nisan.

Das ist übrigens der Grund für die christliche Osterregel,
die besagt, dass das Fest am ersten Vollmond
nach Frühlingsanfang (Äquinoktium) zu feiern ist.

Die Juden haben und hatten auch damals schon – als Relikt vom Exil in Babylon einige Jahrhunderte zuvor – einen reinen Mondkalender. Darum wissen wir sicher, dass immer am 15. jedes Monats Vollmond ist. Nun ist also klar, dass weder am 15. noch ein paar Tage danach oder davor eine Sonnenfinsternis stattfinden kann.

Geometrie einer Sonnenfinsternis (smh 2014)
Geometrie einer Sonnenfinsternis (smh 2014). Der Mond wirft seinen Schatten auf die Erde; dazu muss er zwischen Sonne und Erde stehen und das geht nur in der Phase, die wir heute Neumond nennen.

Die Geschichte von Matthäus ist also astronomisch nicht möglich. Darum versucht auch niemand den Tod Jesu und den nämlichen Karfreitag über Sonnenfinsternisse in der fraglichen Zeit zu datieren.

Warum schreibt Matthäus das dann, wenn es falsch ist? Ist er ein Lügner und verstößt mithin gegen das christliche achte Gebot “du sollst nicht falsch Zeugnis reden?” – das wäre ja gegen seine Apostel-Pflicht, also das sollten wir hier nicht interpretieren.

Nein, das Anliegen des Evangeliums ist ein völlig anderes: Mal abgesehen von dem missionarischen Anspruch, den die Evangelisten und frühen Christen selbstverständlich auch hatten.

Matthäus ist wohl derjenige unter den Evangelisten, der am stärksten den pro-astrologischen Zeitgeist widerspiegelt. Seit dem römischen Kaiser Augustus, der als Friedensfürst (pax augustae) und politischer Heilsbringer von der römischen Propaganda verklärt wurde, war Astrologie quasi “Mode” geworden. Augustus selbst hatte sich mit der Vorhersagekraft der Sterne legitimiert, da ihm als junger Mann ein Astrologe geweissagt hatte, dass er einmal der Herrscher Roms würde, was ja auch eingetreten war. Augustus war daher ein großer Fan der Divination – insbesondere mit Sternen – und so zeigen auch römische Münzen aus augusteischer Zeit den Ziegenfisch (Augustus war im Sonnenzeichen Steinbock geboren) mit der Weltkugel zwischen den Vorderhufen: das war sein Symbol.

Augustus hat auch die Planetenverschmelzungen in den Jahren -2/-1 zur Feier seines Thronjubiläums politisch genutzt und das Erscheinen eines Kometen zu den Begräbnis-Spielen seines Amtsvorgängers und Adoptivvaters Gaius Julius Caesar als Beweis der “Macht der Sterne” ausgeschlachtet – seien es nun Zeichen, die uns die Götter an den Himmel schreiben oder die Sterne selbst die überirdischen Wesenheiten, die das Schicksal mitbestimmen: Jedenfalls war es abslut en vogue in jener Zeit, dass Konstellationen der Gestirne etwas aussagen oder sogar orakeln.

Matthäus – sehr clever – hat diesen Zeitgeist ausgeschlachtet. Und zwar bei jeder Gelegenheit in seinem Evangelium: Der Messias, der die Welt erlösen sollte, musste natürlich unter einem sehr günstigen Gestirn geboren sein – darum die Geschichte vom Weihnachtsstern, die ja eh keiner prüfen kann, weil niemand (außer Maria und vielleicht Joseph) bei der Geburt in ärmlichen Verhältnissen und auf Reisen dabei war. Analog musste natürlich auch bei dem gewaltsamen Tod dieses Messias irgendein wichtiges Himmelszeichen erscheinen. Sonnenfinsternisse bieten sich für diesen Zweck besonders an, zumal der Sonnengott babylonisch (wo die ganze Sterndeuterei herkommt) der Gott der Gerechtigkeit ist und noch dazu natürlich ein Symbol des Königs – wie übrigens bis in die Neuzeit, wie wahrscheinlich jeder weiß (denken Sie nur an den französischen Sonnenkönig).

Woher hat Matthäus denn die Idee einer solchen Konstellation?

Omina in der babylonischen Divination, die von Mesopotamien nach Ägypten und Griechenland und von dort auch nach Rom exportiert wurde, sind tatsächlich auch oft für solche unmöglichen Konstellationen gegeben.

Babylonische Omen-Texte lesen sich nach dem Schema:
Wenn A, dann B.
wobei A ein Ereignis am Himmel oder auf der Erde ist und B ein weiteres Ereignis, das in der Regel auf der Erde und insbes. in der Lebenswelt der Menschen ist.

Die Protasis A kann alles mögliche und unmögliche sein: A kann z.B. sein “ein Schaf mit drei Köpfen wird geboren” oder auch “ein Stein von der Farbe des von Granit fällt vom Himmel” … aber eben auch ein astronomisches Ereignis wie “eine Sonnenfinsternis findet statt”. In allen Fällen gibt es dann auch alle möglichen und unmöglichen Varianten – quasi “just in case”. Da gibt es dann ganze Datensätze nach dem Schema

“Wenn ein Schaf mit einem Kopf geboren wird, Z.
Wenn ein Schaf mit zwei Köpfen geboren wird, Y.
Wenn ein Schaf mit drei Köpfen geboren wird, X.
Wenn ein Schaf mit vier Köpfen … [etc. pp. ].”

Analog geht das mit Sonnenfinsternissen: “SoFi am 1. Nisannu/ am 5. Nisannu/ am 10. Nisannu/ am 15.Nisannu/ am 20. Nisannu …” und das dann vielleicht sogar für (fast) alle Monate. Wenn jemand also einfach nur die Omenliste studiert und von Astronomie und der Geometrie dahinter keine Ahnung hat, dann kann er auch gut denken, dass alle diese Fälle irgendwann einmal eingetreten sind und man danach aufgeschrieben hat, was passiert ist. De facto hat es sicher nie eine Sonnenfinsternis am 15. Nisannu gegeben – aber im Zweifelsfall hätte man wenigstens ein Omen dafür gehabt, falls sich die Götter es sich einmal hätten einfallen lassen.

Das soll nur exemplarisch zeigen, dass es keine besonders hohe Kunst war, solche Zeichen divinatorisch für jeden beliebigen Zeitpunkt anzuwenden, selbst wenn man den mathematischen Astronomen jener Zeit längst zu wissen zutraut, wie eine SoFi zustande kommt. Jeder astronomisch gebildete – sowohl im parthischen Babylon, als auch irgendwo im römischen Imperium – hätte damals gewusst, dass eine SoFi am und um den 15. Nisan nicht sein kann.

Die Tatsachen der mathematischen Astronomie waren aber auch damals – anderthalb Jahrtausende vor Kepler – schon etwas anderes als die astrologische, quasi-religiöse Divinationslehre, die zumeist auch von anderen Menschen betrieben wurde als die rechnende, exakte Wissenschaft. (Manchmal auch nicht, wenn man glaubt, dass die Tetrabiblos vom gleichen Ptolemaios geschrieben wurde wie der Almagest – aber in vielen Fällen eben doch.)


Lassen Sie uns Ostern einen Neubeginn feiern.

Ich denke, so ist es gemeint: Das Weihnachtsfest wurde auf diesen Termin verlegt, weil wir feiern, dass die dunkle Jahreszeit nun nicht mehr düsterer wird, sondern von nun an wieder Licht und Wärme zunehmen. Wir feiern die Wintersonnenwende.

Das Osterfest analog ist (gut, gekoppelt an den Mond, aber dennoch) ein indirektes Feiern des Jahresbeginns im Altertum, insbesondere das Aufbrechen, das Frühlingserwachens der Natur um das Äquinoktium herum. Zum altertümlichen Jahresanfang übrigens passt auch das Brauchtum des Osterfeuers, mit dem – analog zum Feuerwerk zu St. Silvester/ Neujahr – die bösen Geister aus dem neuen Jahr vertrieben werden sollen. Das alte Jahr wird quasi verbrannt und aus seiner Asche wächst das frische, grüne neue Jahr hervor.

Wenn der Messias, dessen irdischer Leib getötet wurde, aufersteht und (bis Christi Himmelfahrt, 40 Tage später) wieder unter den Menschen zu weilen beginnt, geschieht dies analog zum Wiedererwachen der Natur: in unseren geographischen Breiten ist diese Koinzidenz gewiss noch eindrucksvoller als im Mittelmeerraum, aber auch dort erlebt man es ja.

Wir feiern Optimismus und Lebensfreude, Aufbruch und Neuanfang in einem ewigen Zyklus.

( – : Also, wenn das kein Grund zum Feiern ist. : – )


Gimmick

Sternbild_Osterhase_b2013_s

Sie wissen ja schon, dass ich immer gern alles mit Sternbildern illustriere: Der (Oster)-Hase ist wirklich ein Sternbild und wenn sich der himmlische Hase nach dem langen Winter des Versteckens unter seinem Jäger, Orion, abends nur noch am kurz am Westen zeigt, ist es Zeit für die Hasen auf der Erde wieder herauszukommen und über die Wiesen zu hoppeln.

Sternbild Hase (Lepus) heute Abend am Himmel.
Credit: Stellarium Freeware. Sternbild Hase (Lepus) heute Abend am Himmel.

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"physics was my first love and it will be my last physics of the future and physics of the past" Dr. Dr. Susanne M Hoffmann ist seit 1998 als (Kultur)Astronomin tätig (Universitäten, Planetarien, öffentliche Sternwarten, u.a.). Ihr fachlicher Hintergrund besteht in Physik und Wissenschaftsgeschichte (zwei Diplome), Informatik und Fachdidaktik (neue Medien/ Medienwissenschaft) als Weiterqualifikationen. Sie ist aufgewachsen im wiedervereinigten Berlin, zuhause auf dem Planeten Erde. Jobbedingt hat sie 2001-2006 in Potsdam gelebt, 2005-2008 saisonal in Mauretanien (winters) und Portugal (sommers), 2008-2009 und 2013-'15 in Berlin, 2010 in Hamburg, 2010-2012 in Hildesheim, 2015/6 in Wald/Österreich, 2017 in Semarang (Indonesien), seit 2017 in Jena, mit Gastaufenthalten im Rahmen von Forschungskollaborationen in Kairo+Luxor (Ägypten), Jerusalem+Tel Aviv (Israel), Hefei (China)... . Die einleitenden Verse beschreiben eine Grundstruktur in ihrem Denken und Agieren: Physik ist eine Grundlagenwissenschaft, die datenbasiert und mit dem Erkenntnisapparat der Logik ein Verständnis der Natur zu erlangen bestrebt ist. Es gibt allerdings auch Fragen der Welt, die sich der Physik entziehen (z.B. wie wir Menschen auf diesem Planeten friedlich, synergetisch und benevolent zusammenleben können) - darum ist Physik nicht die einzige Liebe der Bloggerin. Sie liebt die Weisheit und hinterfragt die Welt. Das Wort "Philosophie" ist ihr aber zu groß und das populärwissenschaftliche Verständnis davon zu schwammig, als dass sie sich damit identifizieren würde: hier geht's faktenbasiert zu. Ihr fachliches Spezialgebiet sind Himmelskarten und Himmelsgloben; konkret deren Mathematik, Kartographie, Messverfahren = Astrometrie, ihre historische Entwicklung, Sternbilder als Kulturkalender und Koordinatensystem, Anomalien der Sternkarte - also fehlende und zusätzliche Sterne, Sternnamen... und die Schaustellung von alle dem in Projektionsplanetarien. Sie versteht dieses Blog als "Kommentar an die Welt", als Kolumne, als Informationsdienst, da sie der Gesellschaft, die ihr das viele studieren und forschen ermöglichte, etwas zurückgeben möchte (in der Hoffnung, dass ihr die Gesellschaft auch weiterhin die Forschung finanziert).

6 Kommentare

  1. Eine kleine Anmerkung hierzu: »Die Juden haben und hatten auch damals schon – als Relikt vom Exil in Babylon einige Jahrhunderte zuvor – einen reinen Mondkalender.«

    Der klassische Jüdische Kalender war in der Tat ein Mondkalender, wo auch der Beginn eines neuen Monats jeweils durch die Sichtbarkeit der Mondsichel bestimmt war. Im Unterschied zum religiösen Islamischen Kalender enthielt er aber Schaltmonate, demnach war es eigentlich kein reiner Mondkalender.

    Der moderne Jüdische Kalender, der sicherlich nicht vor Mitte des 4. Jhdts. in Gebrauch kam, ist hingegen ein lunisolarer Kalender.

  2. Wenn man Pessach bis zum 21. Nisan feiert, und dann acht Tage bis zur Hinrichtung braucht, dann kommt man bis zum Neumond.

    Eine Laienfrage: Kann man Sonnenfinsternisse für den fraglichen Ort und die fragliche Zeit berechnen?

  3. Was aber, wenn in der zo genannten “neuem Welt”, sprich ” Nord, Süd und Mittelamerika, gewaltige Erdbeben, inklusiefe Vulkan ausbrüche stad tanden, könnten diese dan nicht die Ursache der Finsternis gewezen sein? Währe dies theoretisch nicht Möglich?
    Hochachten, G.Bocksch

  4. Oder ein Vulkan in der ( in anfürungsstrichen) näheren Umgebung?
    (Wollte ich noch hinzufügen, aber vergessen.)

  5. Der Matthäus, der das Evangelium geschrieben hat, war wohl gar kein Apostel.

    Wikipedia: Evangelium nach Matthäus
    Von vielen Bibelwissenschaftlern der Neuzeit wird allerdings Apostel Matthäus als Verfasser unter Berufung auf die Zweiquellentheorie der synoptischen Evangelien bezweifelt. Ein Apostel als Augenzeuge würde nicht das Material eines Nicht-Apostels (Markus) verwendet haben, wie es aber beim Matthäusevangelium der Fall ist.

    Außerdem kann man annehmen, daß das Matthäus Evangelium wohl zwischen 80 und 100 n.Chr. entstanden ist, da in diesem von der Zerstörung Jerusalems die Rede ist.

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