Nova 1408 – Entdeckung

Ein neu gefundener historischer Beobachtungsbericht beweist, dass chinesische Astronomen im Jahr 1408 eine Nova gesehen haben, also eine Oberflächeneruption auf einem erdgroßen Diamanten (kein sterbender Stern: das wäre eine Supernova). Allerdings wissen wir noch nicht, auf welchem: auf einem der Kandidaten könnte es der Beginn einer 265 Jahr andauernden spektakulären Show gewesen sein. 

Gratulationsschrift

“Im sechsten Jahr der Yongle-Ära, am sechsten Tag (24.10.1408) des zehnten Monats in der frühen Abenddämmerung, wurde im südlichen Teil des Niandao in der Mitte des Himmels ein Stern beobachtet, der so groß wie ein Zhan (Becher) war, eine rein gelbe Farbe hatte und glatt und hell leuchtete. Der Stern blieb über einen Zeitraum von 10 Tagen, in denen er gemessen und beobachtet wurde, unbeweglich und ruhig. Gemäß den Weissagungstexten handelt es sich um einen glückverheißenden Stern, der auch als Tugendstern bekannt ist und dessen Erscheinen Frieden im ganzen Reich bedeutet. Es heißt, dass ein solcher Tugendstern erscheint, wenn ein Herrscher mit Anstand regiert, Rituale und Musik in Einklang bringt, für innere und äußere Ordnung sorgt und selbst ein langes Leben und dauerhafte Gesundheit genießt. Der Stern befand sich innerhalb der Himmelsabteilung der Loge Dou (achte Loge), die genau dem kaiserlichen Herrschaftsgebiet entspricht (gemäß der Astrologie der „Feldzuweisung“).

Wir, Ihre Minister, haben dieses glückverheißende Zeichen gesehen und überbringen Ihnen unsere Glückwünsche. 

Wir dachten demütig: Der Himmel offenbart seinen Segen, mit dem strahlenden Glanz des Tugendsterns in der Mitte des Himmels; der Silberne Fluss (Milchstraße) entfaltet seine Pracht, seine leuchtende Schönheit verwebt sich entlang des Niandao. Dieses prächtige Omen ist wahrlich ein Zeichen einer erleuchteten Ära.

Entdeckter Beobachtungsbericht

Der oben wiedergegebene chinesische Text (siehe Foto) gibt einen Beobachtungsbericht wider. Im Unterschied zu den meisten Überlieferungen handelt es sich nicht um eine Chronik, die Jahrhunderte später zusammenkopiert wurde (Textcollage nach Gusto – mit Auslassungen, Beschönigungen, Verfälschungen etc.), sondern um einen Bericht von einem Augenzeugen. Wir lernen daraus (neues Paper im Astronomical Journal), dass im Jahr 1408 ein Stern beobachtet wurde, der scheinbar neu aufleuchtete. In Wahrheit handelt es sich dabei meist um entweder explodierende Sterne (Supernovae) oder um Oberflächen-Eruptionen auf Weißen Zwergen (Novae). Ich hatte über diese Thematik dereinst Einführungsvorträge gehalten (z.B. beim Haus der Astronomie in Heidelberg)

Aus dem oben genannten Bericht kann man schließen, dass das Objekt im Jahre 1408 ziemlich hell war: es war in der Dämmerung und vor den Milchstraßenwolken in Cygnus/ Vulpecula freiäugig sichtbar und sogar für Laien klar erkennbar. Demnach muss es etwa so hell gewesen sein wie Planeten – also negative Magnitude (0 bis -7 mag geschätzt) – aber in einer Himmelsgegend, wo normalerweise keine Planeten sind. 

Leider wissen wir nicht genau, bei welchen Koordinaten sie es beobachten haben und so ist das Feld, das mit Teleskopen nun nach dem Gegenstück durchsucht werden muss nicht gerade klein (etwa 50 bis 115 Quadratgrad): viel Glück den Kollegen an den Geräten! 

Wir versuchten daher, ein paar Kandidaten zu identifizieren, die wir zuerst anzuschauen bitten. 

Verdächtig!

Supernova-Überreste in diesem Suchfeld gibt es zwar (natürlich, ist ja Milchstraße), aber die sind alle zu alt. In den 1980ern hatte der große Richard Stephenson diesen Fall des “neuen Sterns” von 1408 schon mal im Visier und es wurde damals CTB 80 als möglicher Supernova-Überrest für eine Supernova 1408 vorgeschlagen. Allerdings gibt es 1408 mehrere Berichte über Himmelsphänomene in Chroniken und damals hatte man diese kurzen Notizen im Format “da war was” eher als Sternschnuppen gedeutet. Man hatte nur Chroniken und nicht keine astronomischen Beobachtungsprotokolle. Zudem ist CTB 80 ist nach jüngsten Messungen viel zu alt, um irgendwas mit einem Ereignis vor nur 600 Jahren zu tun zu haben.

Allerdings gibt es einige höchst verdächtige kataklysmische Veränderliche im Suchfeld, die es sich lohnt, näher zu studieren. Wir wünschen uns von den Beobachtern, dass sie einmal nachschauen, ob es um diese Sterne potenzielle Nova-Schalen gibt und falls ja, diese vllt. sogar jung genug sein könnten. 

Der interessanteste aller Sterne ist der extrem sonderbare CK Vul, ein Doppelstern in einer dichten Molekülwolke und einem ausgedehnten polaren Nebel. Von dem Stern glaubt man, dass er 1670 seinen Begleiter aufgefressen hat (engl.: “merger”): ein “sterbender Stern”, wie es das Smithonian Center 2015 ausdrückte. 

CK Vul wird typischerweise als “Hevelius’s Nova” bezeichnet, weil der berühmte Danziger Astronom und Bierbrauer (ich hab’ einen “Hevelius”-Kronkorken in meiner Sammlung) Jan Hevelius zusammen mit seiner Frau Elisabeth den Himmel durchmusterte, und sie in den Jahren 1670 bis 1672 diesen Stern mehrfach aufleuchten sahen. Es war damals eine Lichtkurve mit drei Spitzen.

Screenshot aus dem neuen Paper: wenn Sie auf die Seite des Journals gehen, können Sie zoomen.

Sollte CK Vul aber wirklich auch an dem Event 1408 schuld sein (und nicht nur an 1670-72) hätten wir hier einen Beleg für einen zweistufigen physikalischen Prozess: In einem engen Doppelstern umkreisen die beiden Komponenten sich erst jahrzehntelang/jahrhundertelang wie in einem Strudel in Ihrer Badewanne. Irgendwann werden sie dann kollidieren, aber bevor sie das tun, kann alles Mögliche passieren. Denkbar wäre jedenfalls auch (falls das Spiralisieren lange genug dauert), dass es auf der kleineren Komponente Oberflächeneruptionen gibt: Wenn es ein Weißer Zwerg ist, könnte es sein, dass dort ein sog. “thermonuklearer Runaway” passiert, also das aufgestaute Material so stark auf die festkörperähnliche Oberfläche des Sterns gedrückt wird, dass dort Kernfusion zündet und eine Feuerbrunst den Stern umläuft, so dass er aufleuchtet (“Nova”). 

Diamonds are a girl’s best friends

Der Stern würde in einem solchen Szenario nicht kaputt gehen, sondern nur aufleuchten und weiter um den Hauptstern kreisen – vllt würde sich seine Bahn etwas aufweiten, aber vllt. geht’s auch einfach weiter.

Laien können das Aufleuchten einer Nova u.U. auch mit dem bloßen Auge sehen (Fotomontage von mir).
kataklysmischer (“überlaufender”) Stern, der Material auf einen Weißen Zwerg (einen erdgroßen Diamanten) überträgt: screenshot aus meinem Vortrag.

Es ist also denkbar, dass der Stern in ca. 10.000 Lichtjahren Entfernung einen Begleiter hatte, der so eng umlief, dass er Material vom großen Stern absaugte (entweder ein kataklysmisches oder symbiotisches System) und dass sich daher auf der Oberfläche dieses Sterns Eruptionen ereigneten. Eine davon könnte 1408 beobachtet worden sein. Nachdem sich die Sterne aber in extrem engen Orbit befanden, stürzten sie 1670 aufeinander. Das wäre zumindest denkbar … und “alles, was denkbar ist, wird auch einmal gedacht” (Dürrenmatt). 

Indizien gibt es zwar: z.B. die Interpretation von Metzger et al. 2020, dass der gefressene Begleiter ein Weißer Zwerg war, oder gar Tylenda 2021 mit der Deutung eines “Helium-White Dwarf”s als ehemaligen Begleiter, ein extrem seltener & seltsamer Sterntyp. Allerdings gibt es auch Alternativen: z.B. eine Eruption auf dem Weißen Zwerg des kataklysmischen Systems EM Cyg oder auf V923 Cyg oder auf dem Weißen Zwerg von EZ Vul  … und konkrete Beweise gibt es für keines der Szenarien. Noch nicht.  

Es ist in der Forschung üblich, wenn man mit den eigenen Möglichkeiten nicht weiter kommt, Kollegen auf Nachbargebieten um Hilfe zu bitten. Wenn man gerade niemandem in der gleichen Fakultät hat, macht man eben eine Fachpublikation und dann kann sich die ganze (Fach)Welt um eine Lösung bemühen. So habe ich es 2020 mit der neuen Karte der “SN 1181” gemacht, woraufhin Ritter et al. (2021) einen neuen Supernovaüberrest identifizieren konnte … und so wurde es auch schon 1846 gemacht, um den Planet Neptun zu entdecken: der mathematische Astronom Urbain LeVerrier in Paris hatte keine Möglichkeit zum Beobachten, sondern hat seine (korrekte) Voraussage der Position nach Berlin geschickt, wo zwei preußische Astronomen, Heinrich d’Arrest und Johann G. Galle, den Planeten im Fernrohr erstmalig als solchen erkannten (“entdeckten”). 

In der oben zitierten Fachpublikation werden daher mehrere Vorschläge für zu untersuchende Sterne im Suchfeld angegeben, die ähnliche Oberflächen-Eruption erlebt haben könnten.

Liebe Kollegen in der beobachtenden Astronomie: 

Ran an die Teleskope!

Viel Glück beim Nachbeobachten! 

Der ausgedehnte polare Nebel um CK Vulpeculae (Foto: ESO) zeigt eine wunderschöne Sanduhr-Figur, auf die viele Frauen neidisch wären.
https://www.eso.org/public/images/potw1841a/

Medien

Über dieses Thema berichten jetzt jedenfalls international mehrere Populärmedien: 

English media outlets:

Chinese popular science, e.g.:

Danksagung für Forschungsfreiheit

Für die Unterstützung meiner völlig frei (als “independent scholar” mit freier Wahl des Aufenthaltsortes) durchgeführten Forschungen danke ich 

  • der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (Wien) 
  • der Universität für Wissenschaft und Technik in China (USTC Hefei)
  • der Chinesischen Akademie der Wissenschaften
  • der Internationalen Astronomischen Union (IAU)
  • dem Michael-Stifel-Center und der Fakultät für Mathematik und Informatik (FMI) der Universität Jena (Deutschland), die mir eine Virtuelle Maschine (Computer, Server) zur Verfügung stellen

Choose Europe for Science“? … mache ich gern. Vorausgesetzt, Europa bezahlt mich!  

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"physics was my first love and it will be my last physics of the future and physics of the past" Dr. Dr. Susanne M Hoffmann ist seit 1998 als Kultur-Astronomin tätig (Universitäten, Planetarien, öffentliche Sternwarten, u.a.). Ihr fachlicher Hintergrund besteht in Physik und Wissenschaftsgeschichte (zwei Diplome), Informatik und Fachdidaktik (neue Medien/ Medienwissenschaft) als Weiterqualifikationen. Sie ist aufgewachsen im wiedervereinigten Berlin, zuhause auf dem Planeten Erde. Studienbedingt hat sie 2001-2006 in Potsdam gelebt, jobbedingt 2005-2008 saisonal in Mauretanien (winters) und Portugal (sommers), 2008-2009 und 2013-'15 in Berlin, 2010 in Hamburg, 2010-2012 in Hildesheim, 2015/6 in Wald/Österreich, seit 2017 in Jena, mit Gastaufenthalten im Rahmen von Forschungskollaborationen in Kairo+Luxor (Ägypten 2022), Jerusalem+Tel Aviv (Israel 2023), Hefei (China 2024), Semarang (Indonesien 2017, 2024), USA (2024, 2025)... . Die einleitenden Verse beschreiben eine Grundstruktur in ihrem Denken und Agieren: Physik ist eine Grundlagenwissenschaft, die datenbasiert und mit dem Erkenntnisapparat der Logik ein Verständnis der Natur zu erlangen bestrebt ist. Es gibt allerdings auch Fragen der Welt, die sich der Physik entziehen (z.B. wie wir Menschen auf diesem Planeten friedlich, synergetisch und benevolent zusammenleben können) - darum ist Physik nicht die einzige Liebe der Bloggerin. Sie liebt die Weisheit und hinterfragt die Welt. Das Wort "Philosophie" ist ihr aber zu groß und das populärwissenschaftliche Verständnis davon zu schwammig, als dass sie sich damit identifizieren würde: hier geht's faktenbasiert zu. Ihr fachliches Spezialgebiet sind Himmelskarten und Himmelsgloben; konkret deren Mathematik, Kartographie, Messverfahren = Astrometrie, ihre historische Entwicklung, Sternbilder als Kulturkalender und Koordinatensystem, Anomalien der Sternkarte(n) - also fehlende und zusätzliche Sterne, Sternnamen... und die Schaustellung von alle dem in Projektionsplanetarien. Sie versteht dieses Blog als "Kommentar an die Welt", als Kolumne, als Informationsdienst, da sie der Gesellschaft, die ihr das viele studieren und forschen ermöglicht, etwas zurückgeben möchte (in der Hoffnung, dass ihr die Gesellschaft auch weiterhin die Forschung finanziert).

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