Jahresrückschau: Das erste Foto vom Schwarzen Loch – echt jetzt?

Etwas verspätet, aber mit nicht weniger Inbrunst: Was sehen wir da eigentlich?

Wir kennen alle das berühmte Bild (“Foto”), das dieses Jahr (2020) bereits den höchstdotierten Preis der Wissenschaft gewonnen hat, den Breakthrough Prize in Fundamental Physics und gewiss auch bald einen Nobelpreis generieren wird, weil es “a giant leap for mankind” ist. Doch es gibt zwei große Fragen:

  1. Wer kriegt dann diesen Nobelpreis? Der NP zeichnet normalerweise Einzelpersonen aus, aber moderne Forschung findet in riesigen Kollaborationen statt, so dass am Ende die einzelnen ~200 Beteiligten von der NP-Summe (870.000 €) nur je 4300 € bekämen (oder weniger, wenn man die ganzen Hilfskräfte mitbedenken würde).
  2. Was sehen wir eigentlich auf dem Bild?

Die erste Frage hatte bereits Bloggerkollege Michael Khan damals ausführlich diskutiert: Es war ein Konsortium, das hier aktiv war (der Preis ging an die EHT Collaboration). Das hat gewiss einen Projektmanager an der Spitze, aber jedes einzelne Mitglied ist wichtig und in den Satz “ohne X wäre das nicht möglich gewesen” kann man gewiss alle Namen der Konsortialpartner einsetzen.
Die zweite Frage können Sie in den öffentlichen Medien des letzten Jahres beantwortet finden, weshalb ich mich damals nicht befleißigte, dasselbe nochmal zu resümieren. Aus aktuellem Anlass (Rückfragen von Studierenden und Kollegen) mache ich es jetzt doch.

Aus Radioaufnahmen des Event Horizon Telescope berechnete Darstellung, die das supermassereiche Schwarze Loch der Galaxie M87 zeigt. Die schwarze Scheibe in der Bildmitte ist etwa 2,5-mal so groß wie der Ereignishorizont (Schwarzschild-Durchmesser ca. 38·1012 m) des supermassereichen Schwarzen Lochs im Zentrum.[1]
Rechte: Event Horizon Telescopehttps://www.eso.org/public/images/eso1907a/ (image link) The highest-quality image (7416×4320 pixels, TIF, 16-bit, 180 Mb), ESO Article, ESO TIF
(siehe wikipedia)

Was sehen wir auf diesem Bild?

  1. Das dunkle im Zentrum ist nicht (nur) das Schwarze Loch, sondern dieser dunkle Bereich ist etwas mehr als doppelt so groß wie das Schwarze Loch (i.e. der Ereignishorizont).
  2. Das Helle um das Dunkle ist nicht (nur) das Plasma um das Schwarze Loch: Man müsste sich dies als Akkretionsscheibe vorstellen und viele würden naiv annehmen, dass wir diese hier von oben betrachten. Das ist zwar hier so, aber nicht denknotwendig der Fall, wie bereits die Darstellung in dem Film Interstellar zeigte. Zudem sind wir gar nicht sicher, ob das, was hier hell aussieht, wirklich nur Akkretionsscheibe ist oder ob in diesem Leuchten noch Licht von anderen Quellen hinzukommt. 
  3. Wie so oft in der modernen Astronomie ist das ganze “Bild” eigentlich gar nicht fürs menschliche Auge sichtbar. Die Aufnahmen des EHT sind im Bereich der Mikrowellen (1.3 mm Wellenlänge) gemacht worden und entziehen sich daher unserer Wahrnehmung. Das Bild von orangefarben-feurigem Leuchten ist also eine Übersetzung von unsichtbarer Strahlung in etwas, das Menschen sehen können. Man hätte es auch lila machen können, aber man wählte eine Farbkombination von langen Wellenlängen (Rot-, Orange-, Gelbtöne) des sichtbaren Lichts, d.h. Farben des mikrowellen-nahen Ende des Lichtspektrums.

Vorbereitung: Was sehen wir hier und was erwarten wir aus der Theorie?

Zum Allgemeinwissen gehört inzwischen, dass sich Materie in ein Schwarzes Loch hinein bewegen kann. Allerdings bewegt sich diese Materie nie auf direktem Wege (“plumps”), sondern spiralisiert wie im Strudel eines Wasserbeckens allmählich zu der Masse hin, auf die sie fällt. Das gilt für alle Prozesse im Weltall: Sei es Materie, die in einem engen Doppelstern von einem Partnerstern auf den anderen übertragen wird oder eben von einer leuchtenden Materiewolke (oder einem Begleiter) auf ein Schwarzes Loch. Um ein Schwarzes Loch bildet sich also eine Akkretionsscheibe und durch die zunehmende Reibung bei wachsender Dichte hin zu inneren Orbits dieser Scheibe wird die Scheibe selbst nicht nur leuchten, sondern sprechen wir auch vom “Todesschrei” der Materie, d.h. ihrem Aufleuchten kurz vor dem Sturz ins Schwarze Loch (SL). 

Fazit: Ein Schwarzes Loch umgibt sich typischerweise mit einer leuchtenden Akkretionsschreibe. Visualisiert (wenngleich nicht ganz physikalisch korrekt) in dem berühmten Beispiel des Blazars OJ287, der seit 2008 durch die Medien (BBC 2008, Times of India 2016) geistert und auch von Amateurastronomen beobachtet wird (siehe VdS Journal für Astronomie 2019).

Graphik: Andres Rojas, 31 May 2010, Own work basado en http://www.algonet.se/~gbrusb/oj287.jpg Die BBC verwendet die gleiche Abbildung und gibt Turku University als Quelle an. Eine andere, spektakulärer Darstellung sieht man künstlerisch wertvoll und genauso inkorrekt in dem oben zitierten Beitrag der Times of India.

Die Abbildung oben zeigt, wie sich die Materie im Raum anordnet, aber nicht, wie wir sie sehen würden. Der Gravitationslinseneffekt, also die Lichtablenkung im Schwerefeld, sorgt nämlich dafür, dass das Licht von dem Teil der Scheibe hinter dem Schwarzen Loch (das in alle Richtungen abgestrahlt wird) derart durch die Gravitation des SLs abgelenkt wird, dass es zu uns umgelenkt wird. Wir würden die Teile hinter dem SL, die vom SL verdeckt werden, also wirklich sehen und zwar über dem Schwarzen Loch.

Visualisierungen dieses Effekts finden sich bereits aus dem letzten Jahrtausend in den Diplom- und Doktorarbeiten der Theoretiker-Arbeitsgruppe von dem inzwischen leider verstorbenen Prof. Ruder in Tübingen; bzw hier die deutschsprachige Diplomarbeit von C. Zahn (Stuttgart, 1991), der inzwischen Wissenschaftlicher Mitarbeit für Visualisierungen an der U Hildesheim ist.

Weil dieses Erscheinungsbild der Akkretionsscheibe um ein SL aufgrund der Lichtablenkung hinreichend lange bekannt ist, ist es auch bereits in Hollywood angekommen und wurde in dem Film Interstellar sehr korrekt (unter wissenschaftlicher Beratung von Kip Thorne, NP 2017) dargestellt, Eugen Reichl hatte damals ausführlicher als ich dazu gebloggt (mein Kommentar 2014).

Die Darstellung von Müller+Pössel (Haus der Astronomie) letztes Jahr ist eine Visualisierungen dieses Effekts, die auch das Bild des EHT erklärt. https://www.youtube.com/watch?v=ffTNgPGmz8k

YouTube Ansicht des Videos von Müller+Pössel, 2019, das sich hier leider nicht einbetten lässt.

Zurück zur Ausgangsfrage: Was sehen wir hier?

ad 1: Wieso ist der Bereich in der Mitte etwa doppelt so groß wie das Schwarze Loch selbst?

Der “Schatten des Schwarzen Lochs”, der dafür sorgt, dass das Dunkle in der Bildmitte nicht nur das SL ist, sondern ein Bereich weit außerhalb des Ereignishorizontes kommt ebenfalls durch den Gravitationslinseneffekt zustande. Genau 100 Jahre nach dessen verbindlichem Nachweis (am Sonnenrand) ist also mit diesem Foto der Radioastronomie eine weitere faszinierende Anwendung gelungen (Gravitationslinseneffekt/ Lichtablenkung im Schwerefeld ist wellenlängenunabhängig).

Lichtablenkung besagt – einfach gesprochen – dass das Licht ebenso der Schwerewirkung von Massen unterliegt wie die Materie selbst. Das Licht einer Taschenlampe, das wir als Lichtkegel in Luft geradeaus laufen “sehen”, fällt also genau genommen ein bisschen zur Erde hin. Im Alltag ist diese Anwendung für uns nicht wahrnehmbar, weil die Ablenkung des Lichtstrahls auf der Erde (z.B: Laserpointer) unterhalb eines klassischen Elektronenradius liegt. Bei totalen Sonnenfinsternissen konnte man aber 1919 die Lichtablenkung messen, indem ferne Sterne neben dem scheinbaren Sonnenscheibchen verschoben waren.

Bei extremen Himmelskörpern wie Neutronensternen ist die Schwerkraft an der Oberfläche viel stärker als auf der Erde. Dort wäre die Lichtablenkung so groß, dass der Strahl einer Taschenlampe, die wir geradeaus richten, einmal um den Stern herumlaufen könnte. Könnten wir auf einem Neutronenstern stehen, würden wir also unseren eigenen Hinterkopf vor uns sehen. 😉 Das wäre ein reichlich verwirrendes Bild.

Für die Astronomie bedeutet das, dass wir von einem Neutronenstern aufgrund der Lichtablenkung stets beide Pole gleichzeitig sehen können. Der Lichtblitz, der uns von einem Pulsar trifft, ist also aus zwei Lichtquellen zusammengesetzt (den beiden polaren Quellen der Strahlung). Eine geeignete Visualisierung finden Sie hier.

Das Licht von Quellen hinter der kompakten Masse (sei es ein Neutronenstern oder ein Schwarzes Loch) kann also von dem Kompaktum umgelenkt werden und es kann auch in einen Orbit um das Kompaktum einschwenken. Wir wissen bereits aus der klassischen Himmelsmechanik (und das gilt auch in der relativistischen), dass es mehrere instabile Orbits gibt. Ein Lichtstrahl könnte also auch einen oder mehrere Umläufe um das Kompaktum machen und dann wieder aus dem Orbit rauslaufen.

Bahnen von Lichtstrahlen in der Nähe eines kosmischen Kompaktums.
Die Strahlen, die weit genug entfernt passieren, werden abgelenkt. Ein Strahl, der geeignet dicht auftrifft kann in einen (stabilen oder instabilen) Orbit um den Himmelskörper einschwenken.

Die Strahlen, die in einen (stabilen) Orbit einschwenken und darin gefangen sind, sehen wir nie wieder – und dieser stabile Orbit ist weit außerhalb des Ereignishorizontes.
Darüber, also in größerer Entfernung als dem stabilen Orbit, gibt es instabile Orbits, aus denen Lichtstrahlen wieder entkommen können – aber in zufällige Richtungen. Dieser Bereich strahlt also (allseitig) Licht ab und das ist es, was wir mit dem EHT (bzw. allgemein den Mitteln der beobachtenden Astronomie) ein Chance haben abzubilden.
Der Bereich innerhalb dieses leuchtenden Bereichs (ab dem stabilen Orbit und darunter bis zum Ereignishorizont) ist der sagenumwobene “Schatten des Schwarzen Lochs”. Ein Lichtstrahl dort würde (entweder sofort oder nach einigen Umläufen) im Ereignishorizont versinken.

Fazit: Licht läuft um das SL.
ABER Woher das Licht kommt, das in den Orbit einschwenkt und für uns einen Leuchtring abbildet, wissen wir davon aber noch nicht.
Dieser Leuchtring ist in der Abbildung von Interstellar zu erkennen: innerhalb der aufgeklappten Akrretionsscheibe.

ad 2: Was ist das hell Leuchtende?

Die Quelle dieses Lichts, das dort aus dem Orbit ausschwenkt und zu uns gelangt, kann im Prinzip alles mögliche sein: Es wird natürlich auf jeden Fall die Akkretionsscheibe um das Schwarze Loch sein, aber dies kann Beimischungen enthalten von Hintergrundobjekten.

Im Fall des berühmten Bildes des Schwarzen Lochs von M87 haben wir zwei Fakten zu bedenken: 1) das Bild ist noch etwas “verschwommen” und wir wollen weitere Daten abwarten, um eine finale Antwort zu geben. 2) Wir kennen die Galaxie und die hat eine Besonderheit: Es ist eine elliptische Riesengalaxie im Sternbild Jungfrau, die am Frühlingshimmel für uns sichtbar ist und auch in kleinen Amateurteleskopen als nebliges Fleckchen beobachtet werden kann (Charles Messier konnte diese Galaxie bereits mit viel schlechterer Optik als heutige Amateurteleskope im 18. Jahrhundert entdecken).

Die elliptische Riesengalaxie M87 im Optischen. Credits: NASA, ESA and the Hubble Heritage Team (STScI/AURA); Acknowledgment: P. Cote (Herzberg Institute of Astrophysics) and E. Baltz (Stanford University) – https://www.nasa.gov/feature/goddard/2017/messier-87
(wikipedia)

Als elliptische Galaxie (nicht Spiralgalaxie) ist M87 viel größer als die Milchstraße und auch ihr Schwarzes Loch ist um den Faktor ~1000 massereicher als das der Milchstraße (SL der MStr.: 4 Millionen Sonnenmassen, SL von M87: 6.5 Milliarden). Das Schwarze Loch dieser fernen Galaxie hat allerdings für uns scheinbar den gleichen Winkeldurchmesser wie das in unserer Galaxis: Es ist zwar größer, aber auch weiter weg. Vor allem aus Gründen der zeitlichen Variabilität hat man sich zuerst dafür interessiert, dieses SL abzubilden und nicht unser eigenes (das kommt später aber auch noch dran 😉 ).

Auf dem visuellen Bild von M87 (oben) ist ein Jet erkennbar, der vom Schwarzen Loch verursacht wird. Dieser Jet kommt ziemlich direkt auf uns zu (Neigungswinkel ~16°). Aus physikalischen Gründen gibt es bestimmt ein Pendant auf der anderen Seite, einen Gegenjet, der ziemlich direkt von uns weg gerichtet ist und daher nicht sichtbar ist.

Das Licht des Gegenjets (ebenfalls allseitig abgestrahlt) wird selbstverständlich ebenfalls im Schwerefeld des Schwarzen Lochs abgelenkt. Es ist daher möglich, dass auch dessen Licht in dem verschwommenen Lichtring um das SL beigemischt ist; es könnte einen Teil der Aufhellungen in dem Ring ausmachen. Darüber sind sich die Forscher noch nicht einig.

ad 3: Wie wurde das Bild generiert?

Das Bild, das als “erstes Foto eines Schwarzen Loches” gehandelt wird, ist in Wahrheit nicht, was wir uns bei dieser Wortwahl vorstellen: Man assoziiert mit diesen Worten ungefähr “Handykamera einschalten, knips, fertig – nur eben größer, d.h. mit Riesenteleskop davor”. Das ist eine falsche Assoziation, denn:

  1. Wie gesagt, liegt die Wellenlänge der hiesigen Beobachtung im Millimeterbereich und damit entzieht sie sich unseren Augen (und folglich auch visuellen Kameras).
  2. Auch mit den verwendeten Radioteleskopen ist es nicht “knips und fertig”, denn man braucht erstens mehrere davon und zweitens ein paar Supercomputer, um anschließend die Daten auszuwerten und zusammenzurechnen.

Das “Bild” ist also von Computern generiert: die Supercomputer vom MIT Haystack (Massachussetts, USA) und vom MPI f. Radioastronomie in Bonn (Deutschland) rechneten Petabyte (zehn hoch 15 byte) von Daten eines erdumspannenden “virtuellen” Teleskops zusammen: Das “Event Horizon Telescope” (EHT) besteht aus acht Teleskopen, die über den Globus verteilt sind und immer paarweise auf ein Objekt “schauen”, damit die Baseline des Teleskops nicht der Schüsseldurchmesser, sondern der Erddurchmesser ist. Für das berühmte Bild sind allerdings nicht von allen acht Teleskopen Daten verwendet worden.

This image shows the locations of some of the telescopes making up the EHT, as well as the long baselines between the telescopes.
Quelle: https://www.eso.org/public/germany/images/eso1907j/

Aus politischen Gründen konnte das eine oder andere Teleskop zeitweilig keine Daten liefern. Ähnlich wie bei der mehrfach gescheiterten SoFi-Expedition zwischen 1912 und 1918 zum Nachweis der Lichtablenkung am Sonnenrand gab es auch hier politische Zwischenfälle, die die Wissenschaft behinderten. Nichtsdestotrotz konnte zum 100sten Jubiläum der Allgemeinen Relativitätstheorie (ART) pünktlich die erste Abbildung eines Schwarzen Lochs geliefert werden. – Weitere und deren Verbesserungen und die Verbesserungen der Verbesserungen … werden folgen. 🙂

Insgesamt waren 8 Teleskope, ~200 Menschen und mehrere Supercomputer an der Bildgenese beteiligt. In den kommenden Jahren werden die beteiligten Menschen gewiss alles dran setzen, dieses Bild noch besser hinzukriegen (denn es wirkt ja noch etwas verschmiert) und mit besserer Zeitauflösung wird man auch Veränderungen der Helligkeitsverteilung besser “sehen” und mithin irgendwann erklären können, was genau das Leuchtende beinhaltet.

Ich freue mich schon auf weitere schöne Bilder:
Auf wie geht’s!

3 min Info von NATURE

PS: nackte Theorie

Im Rahmen von Öffentlichkeitsarbeit fragte mich letztes Jahr (kurz vor der Veröffentlichung dieses Bilds) ein Gymnasiallehrer, ob man wohl jemals ein Schwarzes Loch fotografieren könne. Er dachte dabei aber an etwas anderes als das obige Bild, nämlich an das – nicht minder berühmte und fast immer im SL-Kontext zitierte – aus der Theorie generierte Bild von Ute Kraus (s.u.):

Screenshot der wikipedia-Seite (heute) zeigt oben immer noch das simulierte Bild von U. Kraus. Was hat es damit auf sich?

Die Frage des besagten Lehrers war: Kann man so ein Bild durchs Teleskop fotografieren?

Die Simulationsrechnung von Kraus, 2005, zeigt ein Schwarzes Loch vor einem sehr dichten Sternfeld (Milchstraßenpanorama von Axel Mellinger, dieses Bild hat tatsächlich ein Hobbyastronom gemacht! … und zwar damals noch auf Film und zusammengesetzt mit eigens dafür selbstgeschriebener Software). Ute Kraus, damals in der Gruppe von H. Ruder in Tübingen, heute Professorin in Hildesheim, hat eine Simulation programmiert, bei der man ein Schwarzes Loch vor einen beliebigen Hintergrund setzt und das Licht des Hintergrundes ablenken lässt. Das Hintergrundbild erscheint dadurch auf eigentümliche, aber den Astronomen inzwischen sehr vertraute Art verzerrt. Wir nennen das “Gravitationslinseneffekt” (Spektrum-Artikel J. Wambsganß 2001) und beobachten es in dieser extremen, verzerrenden Wirkung auf größeren Skalen: Die Extragalaktik findet hiervon “Doppelquasare”, “Einsteinkreuze”, “Einsteinringe” und “Giant Luminous Arcssowie kleinere Bögen gelinster Hintergrundgalaxien in Galaxienhaufen.

Ute Kraus (Theoretikerin) simulierte nun eine Kugel, der sie eine Masse und einen Radius gab, so dass die Masse/Radius-Relation das Licht von der Oberfläche (wenn es sie gäbe) nicht entkommen ließe. Diese Kugel lenkt das Licht eines beliebigen Hintergrundbildes ab – im Schülerlabor oder öffentlichen Museum kann das Hintergrundbild gern mal das Bild einer Webcam sein, so dass der Betrachter der Simulation sich selbst “gelinst” sieht. Für Outreach-Zwecke hat sie ihr Schwarzes Loch auch einmal vor das oben zitierte Himmelsfoto gesetzt, so dass es dieses echte Foto zerzerrt.
(echtes Foto von A Mellinger: von der Erde aus, mit normalem Fotoapparat + Weitwinkelobjektiv, nicht durchs Teleskop fotografierter Sternhimmel, d.h. deren Echtfarben zeigend, denn mit dem gleichen Fotoapparat wurden tagsüber Landschaftsaufnahmen gemacht)

Simulation eines nichtrotierenden Schwarzen Lochs von 10 Sonnenmassen, wie es aus einer Entfernung von 600 km aussähe. Die Milchstraße im Hintergrund erscheint durch die Gravitation des Schwarzen Lochs verzerrt und doppelt. Die Bildbreite entspricht einem Blickwinkelbereich von etwa 90°. Credits: Ute Kraus, Physikdidaktik, Universität Hildesheim, Tempolimit Lichtgeschwindigkeit, (Milchstraßenpanorama im Hintergrund: Axel Mellinger) – Galerie von Tempolimit Lichtgeschwindigkeit (14. Juli 2005).
Quelle: Wikipedia.

Natürlich könnte man auf die Idee kommen, dass man also nur ein hinreichend dichtes Sternfeld braucht, vor dem ein Schwarzes Loch gerade steht, und dann würde so ein Bild real “geschossen” werden können (knips und fertig). Das ist allerdings so einfach nicht: 1) Schwarze Löcher kommen typischerweise nicht so “nackert” vor, d.h. sie umgeben sich mit einer Akkretionsscheibe, die den Blick auf dahinter liegende Sterne verhüllt. 2) Die Schwarzen Löcher in den Zentren von Galaxien haben dafür viel zu kleine Winkelausdehnungen: Jede denkbare reale Sterndichte wäre zu klein – das Schwarze Loch hätte zwischen den Sternen Platz (das SL im Zentrum unserer Milchstraße hat etwa die gleiche Winkelausdehnng wie das von M87, viele andere haben eine kleinere). Wir müssten schon einen kontinuierlich leuchtenden Nebel nehmen. Oder eben die Akkretionsscheibe des Schwarzen Loches selbst: Und so ist es ja oben gemacht worden! 🙂

So sieht es aus im Zentrum der Milchstraße: 2017 erst hatte die Animation von Beobachtungen des Objektes “S2” die interessierte Öffentlichkeit begeistert, weil die Hochgeschwindigkeit nahe dem Gravizentrum sehr deutlich erkennbar ist: https://www.eso.org/public/videos/eso0226a/ ein weiteres Video zeigt einen größeren Überblick und nähere Erläuterungen hier auf der Webseite der Europäischen Südsternwarte. Aus der Bewegung dieser Sterne kann man auf die Zentralmasse schließen, ohne sie direkt zu sehen.

Das oben simulierte Bild von U. Kraus ist dennoch sensationell und phantastisch für didaktische Zwecke geeignet. Es zeigt supergut (besser als die Realität), wie die Lichtablenkung an einem rein abstrakten SL (ohne weitere Materie drum herum) passieren würde: Verstehen funktioniert ja stets über Vereinfachungen. Sehr gut sieht man z.B. im obigen Bild den (simulierten) Einsteinring und die Dopplung der Abbildung (paritätisch, chiral umgekehrt, verzerrt) innerhalb des Einsteinrings.

Zudem ist die Geschichte “Reiseziel Schwarzes Loch” von U. Kraus eines Mutigen, der sich auf das SL zu bewegt, sowohl unterhaltsam als auch lehrreich (PDF): Wir würden nicht empfehlen, dies in realitate auszuprobieren, aber mitdenken und vorstellen können wir uns dies. 🙂

Have Fun! 🙂

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"physics was my first love and it will be my last physics of the future and physics of the past" Dr. Dr. Susanne M Hoffmann ist seit 1998 als Astronomin tätig (Universitäten, Planetarien, öffentliche Sternwarten, u.a.). Ihr fachlicher Hintergrund besteht in Physik und Wissenschaftsgeschichte (zwei Diplome), Informatik und Fachdidaktik (neue Medien/ Medienwissenschaft) als Weiterqualifikationen. Sie ist aufgewachsen im wiedervereinigten Berlin, zuhause auf dem Planeten Erde. Jobbedingt hat sie 2001-2006 in Potsdam gelebt, 2005-2008 saisonal in Mauretanien (winters) und Portugal (sommers), 2008-2009 und 2013-'15 in Berlin, 2010 in Hamburg, 2010-2012 in Hildesheim, 2015/6 in Wald/Österreich, 2017 in Semarang (Indonesien), seit 2017 in Jena, mit Gastaufenthalten im Rahmen von Forschungskollaborationen in Kairo+Luxor (Ägypten), Jerusalem+Tel Aviv (Israel), Hefei (China)... . Ihr fachliches Spezialgebiet sind Himmelskarten und Himmelsgloben; konkret deren Mathematik, Kartographie, Messverfahren = Astrometrie, ihre historische Entwicklung, Sternbilder als Kulturkalender und Koordinatensystem, Anomalien der Sternkarte - also fehlende und zusätzliche Sterne, Sternnamen... und die Schaustellung von alle dem in Projektionsplanetarien. Sie versteht dieses Blog als "Kommentar an die Welt", als Kolumne, als Informationsdienst, da sie der Gesellschaft, die ihr das viele studieren und forschen ermöglichte, etwas zurückgeben möchte (in der Hoffnung, dass ihr die Gesellschaft auch weiterhin die Forschung finanziert).

9 Kommentare

  1. Wahrscheinlich schreiben Sie nicht umsonst von den Simulationen. In der Tat ähnelt das “Foto” ziemlich stark relativistischer Simulationen. Entweder ist dies wirklich eine Bestätigung oder das “Foto” wurde geschickt aufgrund der Simulationen zusammengefügt.

    • Das Foto wurde zusammengefügt. Simulationen (hier nicht gezeigt) wurden berechnet und mit der Aufnahme verglichen. Befund: Sie stimmen überein.

      Die Simulation, die ich zeigte, hat damit nichts zu tun.

  2. Sehr interessanter Beitrag. Endlich mal eine genauere Beschreibung der Abbildung des Schwarzen Lochs.
    Leider viele Schreibfehler. Sollte man noch einmal durchkorrigieren.

    • Danke für das Lob des Inhalts. Ich war versucht zu antworten, dass Schreibfehler normal sind, wenn man so einen langen Beitrag “rasch” runterschreibt, um sich abzureagieren, aber dann las ich den Text nochmals: Schreibfehler konnte ich kaum finden – den Typo bei “virtuell” habe ich korrigiert – aber ich stelle fest, dass ich schreibe, wie mir der Schnabel gewachsen ist: Ich denke diesen Blogpost eher als Vortrag im Planetarium oder Seminarraum und nicht als Schriftbeitrag; das macht es vllt schwieriger verständlich für Leute, die mich nicht kennen und nicht wissen, wie ich spreche? Der langen Rede kurzer Sinn: Ich konnte nicht viel zu ändern finden.

  3. Sehr geehrte Frau Hoffman ! Woher wissen Sie so genau, was man da auf dem vom EHT-Team herausgegebenen Bild vom Zentrum von M87 sieht ? Für mich ist das überhaupt nicht klar. Das Bild ist äußerst unscharf und läßt einen sehr großen “Interpretationsraum” zu. Und ich sehe da auch etwas ganz anderes : ich sehe da den Innenrand einer Akkretionsscheibe.

    Der Ereignishorizont an extremen Massekonzentrationen ist ein Punkt, wo die ART tatsächlich noch Theorie und noch nicht belegt ist. Innerhalb von 5 Schwarzschild-Radien ist die ART bisher noch nicht bewiesen. Man kann die ART auch so betreiben, daß gar kein Ereignishorizont und keine Singularitäten entstehen. Wie das funktioniert ist auf meiner Seite (Namen anklicken) in den Dateien RELATIV.pdf und KOSROT.pdf dargelegt. Wenn das zutreffen würde, dann gäbe es gar keinen Ereignishorizont. Und deshalb beobachte ich das EHT-Team schon seit einigen Jahren und hatte gehofft, das EHT-Team würde irgend wann den Ereignishorizont belegen oder widerlegen. Leider ist das bisher nicht der Fall.

    Das Zentrum von M87 bläst Jets aus. Das bedeutet, daß im Inneren der Akkretionsscheibe ein Raum entsteht, in dem ein dünnes Plasma mit extrem schnellen Wasserstoff-Ionen ist. An den Polen der Akkretionsscheibe tritt dieses Plasma als Jet aus. Die Protonen, die thermisch (zufällig) in Richtung Innenrand der Akkretionsscheibe fliegen, heizen diese Innenwand der Akkretionsscheibe aber extrem auf. Und das sieht man auf dem Bild vom EHT-Team.

    Gegen die Darstellung, man würde den Photonenring sehen, spricht daß der Ring nicht gleichmäßig ist. Wir schauen fast senkrecht (20 Grad Abweichung) auf diesen Ring drauf, da müßte dieser Ring doch fast gleichmäßig sein. Ist er aber nicht ! Wenn wir den Photonenring sehen würden, dann müßte diese Darstellung auch von Sgr A* möglich ein. Das ist bisher aber nicht gelungen, obwohl es mehrfach angekündigt war. Weil Sgr A* keinen Jet ausstrahlt und keinen derartigen Innenrand der Akkretionsscheibe hat ? Sie sehen, Frau Hoffman, es gibt einen sehr großen Interpretationsspielraum.

    Wenn man davon ausgeht, daß man aus 70 Grad Perspektive auf den Innenring einer Akkretionsscheibe schaut, dann sieht man diese Innenkante auf der einen Seite besser als auf der anderen Seite. Und genau so sieht das Bild vom EHT-Team aus.

    Das EHT-Team hat sich sehr bemüht, aber es stößt deutlich an technische Grenzen. Vielleicht sollte man bei der VLBI doch wieder auf Radioteleskope im Weltraum zurückgreifen. Mit Radio-Astron hat man das ja schon mal versucht. Aber dazu braucht man natürlich eine Menge Geld, mehr als einen Satelliten im hohen Orbit und eine sehr langfristige Planung.

    • Ich habe nicht gesagt oder geschrieben, dass ich genau wisse, was man da sieht. Ich habe im Gegenteil habe ich versucht aufzuzeigen, dass man sich da noch nicht sicher ist. Ich habe zu umreißen versucht, was man sieht und was man nicht sieht, aber viele denken, das man sehen würde. Darüber hinaus habe ich aufgezeigt, dass man sich eben noch nicht sicher ist: Klar sehen wir hier Akkretionsscheibe – aber eben nicht am Rand des Ereignishorizontes (wie in den Simulationen von U. Kraus u.a.) und das Leuchten könnte zudem auch von anderen Sachen beeinflusst werden und eben nicht “nur” Akkretionsscheibe sein.

  4. Hallo Frau Hoffmann,
    es handelt sich bei Ihrem Blog-Artikel um eine recht ausführliche Beschreibung „auf“ ein Schwarzes Loch, aus der Sicht der herrschenden Standardmodelltheorie. Doch diese Sicht ist stark theoriebeladen. Des Weiteren sind selbst die aufgezeichneten grafischen Roh-Daten bereits nicht mehr als errechnete digitale quadratische Pixel mit Graustufenwerten. Die Farbvarianten entsprechen „vermenschlichten zeigefreundlichen Endstufen“ formalisierter Fantasien, um Betrachter suggestiv zu beeinflussen.

    Ihr Artikel wirft die einzig relevante Primärfrage auf: Was ist real?

    Verbreitungsstrategie von Objekt- und Entstehungsmythen
    Es beginnt grundsätzlich „ordentlich“, siehe exemplarisch das youtube-video Simulation of the neutron star coalescence GW170817 https://www.youtube.com/watch?v=V6cm-0bwJ98 Die Beschreibung seitens des Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut) beginnt da mit …“The video shows a numerical simulation“…

    Doch keiner der Verkünder, ob Wissenschaftler, Wissenschaftsjournalist, Nachrichtensprecher, …, „meint“ letztendlich, daß es sich, sowohl theoretisch als auch physisch, um nichts weiter als Hypothesen handelt. Stark theoriebeladene Wünsche werden „im guten (doppeldeutig) materiellen Glauben“ materialisiert. Obwohl jeder sehen könnte, was er nie wirklich sehen wird…

    Wahrnehmungsmöglichkeiten
    In unserem Sonnensystem gibt es weder Neutronensterne, Gamma Ray Bursts (GRBs) noch Schwarze Löcher (respektive „Anomalien“, die als solche interpretiert werden können).

    Das angesiedelte soziologische Wahrnehmungsproblem „besteht“ darin, daß hier, nach einfachem psychologischem Glaubens-Muster, diverse postulierte Theorieobjekte unterschiedlichster Art, teils seit Jahrzehnten – der mit rudimentärem Wissen ausgestatteten Bevölkerung – als 100% real existent sprichwörtlich “verkauft” werden.

    ABER: Der Kosmos ist nicht mit einem kontrollierten Laborexperiment zu vergleichen. Rational logisch betrachtet: Die menschliche Beobachtungs-Zeitspanne ist verglichen mit den Zeitspannen, in denen sich kosmische Bewegungen abspielten und abspielen, extrem klein. Mit den Angaben aus der menschlichen Beobachtungsdauer Annahmen zu begründen, ist „weit hergeholt“ um es mal salopp zu formulieren. Alle derzeitigen vermeintlich empirischen Messungen sind stark (postuliert inflationärer Urknall-)theoriebeladen. Postulierte Zeitspannen, Entfernungen und Energiedichten sind subjektiv-theorieabhängig.

  5. Sehr geehrte Frau Hoffman !
    An welchem Planetarium sind Sie tätig ? In Jena oder in Berlin? Wenn in Berlin : am Insulaner oder im Prenzlauer Berg ? Wenn in Berlin : Machen Sie auch Veranstaltungen zur Langen Nacht der Wissenschaft ?

  6. Sehr geehrter Herr Altenbrunn,
    danke für die interessierte Nachfrage, derzeit eher Jena. Ich habe derzeit das Glück, als Wissenschaftlerin an einer Universität zu arbeiten: in Planetarien bin ich freiberuflich dann, wenn sie mich anfragen. Da mein aktueller Arbeitsvertrag aber bald wieder seine 3 Jahre voll hat, kann ich gerade keine Zusagen für Nebentätigkeiten machen, sondern konzentriere mich darauf, eine nächste voll bezahlte Haupttätigkeit zu finden. Sobald dies geregelt ist, bin ich gern wieder bei Langen Nächten der Wissenschaft, Tag der Astronomie und anderen Sonderveranstaltungen dabei und versuche, das Publikum maximal zu erfreuen.

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