Historische Karten, modernste Technologie
BLOG: Uhura Uraniae
Was fürs Auge in Augsburg: Anlässlich der Langen Nacht der Kunst bot das Planetarium Augsburg eine ungewöhnliche Kombination. Man projizierte Kartenblätter des Augsburger Juristen Johannes Bayer, eines angesehenen Bürgers dieser Stadt im 17. Jh., in die 10 m-Kuppel des Planetariums neben dem Naturmuseum – allerdings nicht die Supernova, die Bayer im Sternbild Cassiopeia einzeichnete (die Tycho-SN von 1572, denn Grundlage des Kartenwerks waren die seinerzeit besten und genauesten astrometrischen Messungen, die des Tyge Brahe), sondern nur ausgewählte andere Kartenblätter.
Moderne Planetariumstechnologie in der alten Stadt der Münze (Heimat der Familie Fugger) machte es möglich: Das Augsburger Planetarium ist stolz auf seine halbwegs "frisch"-renovierte Kuppel mit modernster Projektionstechnologie: Es gibt keine Hantel und keinen Starball in der Mitte, sondern die Sitze sind aufgestellt wie in einem antiken Theater: unidirektional und mit den Eingängen links und rechts vom Publikum. So macht das Sternentheater seinem Namen alle Ehre. 🙂
Abb. rechts: vom Steuerpult aus fotografiert.
Das Steuerpult befindet sich links von den Zuschauenden. Von hier aus wird eine vollkommen digitale Beamerprojektion gesteuert, wobei auch Vollkuppelfilme in Full-HD möglich sind.
Lange Nacht der Meister(werke)
…wie die Nacht auch hieß in Augsburg am 4. Juni 2011.
Ein Meisterwerk ist es zweifelsohne, was der bayerische Zuwanderer seinerzeit in Augsburg geschaffen hatte. Eine Vereinigung eines Paares, das heutzutage oft gegensätzlich gedacht wird: Kunst und Wissenschaft – nicht nur ein reines Kunstwerk, denn das hätte ein Maler oder Kupferstecher auch allein gekonnt. Nein, die Uranometria war auch ein wissenschaftliches "Mess"werk, ein Nachschlagewerk für Helligkeiten und Positionen der Sterne und mithin ein Arbeitsgerät für beobachtende Astronomen. Mit seiner Genauigkeit der Abbildungstreue schuf er eine neue Kartentradition.
So hatte Herr Bayer es geschafft, erstmalig einigermaßen skalenrichtig den Himmel zu Papier zu bringen. Mit großem Aufwand hat er Sternbild für Sternbild vermessen und koordinatentreu gezeichnet. Die sternbildweise Darstellungen in Buchform, wobei also jede Seite ein Sternbild zeigt, konnte folglich keine einheitliche Skalierung aufweisen: Manche Sternbilder sind größer als andere und wenn man z.B. die großflächige Serpens (Schlange) und den kleinen Sagitta (Pfeil) jeweils auf einer Seite darstellen will, dann muss sich die Skalierung der Seiten natürlich ändern. (Vgl die beiden Seiten, die bei Bayer aufeinander folgen) Die Seitehöhe umfasst in Deklination für Serpens 50°, für Sagitta nur 20°, die Seitenbreite (Rektaszension) wird natürlich unabhängig ebenfalls skaliert, eben derart, dass die jeweilige Figur vollständig drauf passt.
In Jürgen Hamels Begleitbuch zur aktuellsten Drucklegung des historischen Werks durch den Kunstschätze-Verlag ist dieses Problem benannt und die Diskussionen Bayers mit seinem Kupferstecher mag man sich lebhaft vorstellen, wenn man die Genauigkeit des Werks begutachtet. Ein einfacher Handwerker hatte schließlich für den Gelehrten diese Arbeiten ausgeführt und dieser hatte vielleicht selbst die Himmelsbeobachtungen angestellt (Jürgen Hamel spekuliert, dass zumindest die Milchstraßen nach Bayers eigenen Beobachtungen gezeichnet sein könnte), wahrscheinlich aber verschiedene historische Sternverzeichnisse als Grundlage genutzt. Hamel schreibt, dass Bayer die Atlanten von Piccolomini, Gallucci, Bornmann u.a. genutzt habe, dass jedoch die Darstellung der Milchstraße bei Bayer ein Novum gewesen sei und es bestenfalls Karten von Sternen (Punkten) gab.
Ich halte das nicht für sonderlich überraschend, denn ein diffuses Flächenleuchten wie die Milchstraße ist schwieriger zeichnbar bzw vermessbar als exakte Punkte (Sterne). Je nach Seeing/ Wetter und Güte der eigenen Augen wird bestimmt die Grenze der Milchstraße auch verschieden gesehen und insofern mag Bayers Versuch vllt auch gewagt erschienen sein, die Milchstraßenwolken mit exaktem Saum zeichnen zu wollen. Hamel selbst schreibt, dass es Abweichungen von der heutigen Beobachtung (z.B. mit fotografischen Methoden, was wiederum andere Lichtempfindlichkeiten mit sich bringt) gibt, dass es aber grob übereinstimme, solange man sich nur an den Sternen orientiere: ein Stern, den man außerhalb sieht, liegt auch bei Bayers Atlas außerhalb (Begleitbuch 2010, S. 68).
Diese Genauigkeit, die die Uranometria (Himmels"vermessung") des Johannes Bayer so besonders macht und von den meisten älteren Werken in Buchillustrationen oder Kalenderblättchen heraushebt, sieht man am besten, wenn man das alte Meisterwerk auf ein modernes legt.
Moderne Planetariumstechnologie in Augsburg projiziert Sternkarten nach heutigen astrometrischen Daten (ich weiß leider nicht welche, aber so erklärte es der Abendführer Gerhard C.) und nicht mehr mit einem Projektor, in den von Hand "Sterne" gestochen sind, wobei nämlich naturgemäß stets Fehler auftraten. Der künstliche Sternhimmel in Augsburg sollte also dem echten soweit entsprechen, wie es die moderne Messgenauigkeit hergibt. Legt man nun die Blätter der 400jährigen Uranometria auf diesen Sternhimmel, kehrt die Farben um und entzerrt sie entsprechend der Verkleinerung in einer 10m-Kuppel gegenüber dem echten Himmel (mit unendlichem Radius der scheinbaren Himmelskugel) und rückt sie an die richtige Stelle, dann sieht die Genauigkeit des Bayerschen Atlanten quasi durch direktes Hingucken mit dem bloßen Auge! 🙂
Die Augsburger Planetarier haben zu diesem Zwecke sogar die Hilfslinien und die eingezeichneten Arbeitslinien aus der derzeitigen Neuauflage ausradiert. So wurden an diesem Abend die Sternbilder Ursa Maior (Große Bärin), Ursa Minor (Kleine Bärin), Cygnus (Schwan), Bootes (Ochsenhirte) und Orion einem erstaunten Publikum vorgeführt. Die Übereinstimmung war verblüffend gut!
Bei UMi sah man fast keine Abweichungen. Bei den flächigen Sternbildern gab es durchaus kleine Abweichungen der heutigen Sternpositionen gegenüber denen bei Johannes Bayer. Allerdings bin ich mir nicht sicher, inwiefern dies vielleicht nur an der Projektion der Karten an die Kuppel liegt. Immerhin musste die planare Karte nun in eine 10 m-Kuppel gequetscht werden und dabei musste ganz sicher (bestätigt durch die Aussage des Abendführers, der es programmierte) auch die Präzession berücksichtigt werden. Es liegen immerhin 400 Jahre zwischen der Himmelsvermessung Bayers und der Himmelsvermessung moderner Astrometrie-Satelliten.
Hier ließe sich wunderbar eine Zusammenarbeit modernster Planetariumstechnologie mit dem Wissen der Historiker verbinden. Falls sich vielleicht mal ein Uranometria-Experte unter den Astronomiehistorikern in die alte Stadt der Münze begibt, würde daraus vielleicht eine großartige Zusammenarbeit!
[Abb. rechts: Weberhaus in Augsburg]
Für mich hat dieses "Erlebnis Astronomie" letzten Samstag (statt ITV) großen Appetit auf mehr gemacht; es reizt mich regelrecht, solche Projekte sofort zu verfolgen! 🙂 Ein Ziel für fleißige Astronomen und Historiker von heute wäre es dann wohl, die Bayerschen Karten nochmal genauer anzuschauen und vllt sogar in realitas auszumessen. Wer weiß, vielleicht projizieren die Augsburger ja auch irgendwann die ganze Uranometria von 1603 an ihren künstlichen Himmel – für ihren verstorbenen Bürger, der vor ca 400 Jahren für die ganze Welt neue Maßstäbe in der Himmelsvermessung, der Astrometrie setzte, wäre das jedenfalls eine große Ehre. 🙂
Gimmick dieses Log-Posts
Egal, wo ich hingehe, ich komme stets nach Hause: Im Diözesanmuseum zu Augsburg fand ich einige Monstranzen und Christus-Figuren vom Hildesheimer Dom, der gerade restauriert wird.
Im römischen Museum erhielt ich sogar noch eine frisch geprägte Münze mit dem Stadtwappen auf der einen, einem Hermes auf der anderen Seite. Faszinierende Welt! 🙂