Goldbachs Himmelsatlas 1799 – neu!!!
BLOG: Uhura Uraniae
ein absolutes Highlight und einen wirklich strahlenden Stern am astronomischen Bücherhimmel: Das hat der neu gegründete Kölner Albireo-Verlag geschaffen: eine neue Auflage des historischen Himmelsatlanten, der seinerzeit neue Maßstäbe setzte – so wie seine Reproduktion im 21. Jahrhundert auch: ein aufwändiger 4-Farbendruck sorgt für beste Qualität, für die sogar der moderne Verleger einige Verzögerungen in Kauf nehmen musste.
Quasi druckfrisch ist der Faximile-Print, riecht noch druckfrisch, sieht zerknittert und faltig aus als wäre er viel genutzt, doch der Tastsinn meldet irritierenderweise “glatt und frisch aus der Presse”. Er fühlt sich rauh und stabil an, wie es sich für ein solides historisches Buch gehört. Es sieht nur so aus wie ein historisches Gebrauchsbuch mit Knicken und Falten … das Faksimile ist nur sehr gut reproduziert, absolut gerade in seinem frischen hochwertigen Hardcover-Einband. Außen grün mit ledernen Absätzen, innen eine absolute Neuheit – zumindest damals, als das Buch 1799 erschienen ist. Darum ist der Titel auch einfach wie prägnant
Neuester Himmels-Atlas
für Schul- und Akademischen Unterricht
nach Flamsteed, Bradley, Tob. Mayer, De la Caille, Le Français de la Lande und v. Zach, in einer neuen Manier, mit doppelten schwarzen Stern-Charten bearbeitet; durchgehends verbessert, und mit den neuesten astronomischen Entdeckungen vermehrt
von C.F. Goldbach
Der Titel sagt eigentlich schon alles und traf damit zielsicher den bildungshungrigen Geist der Aufklärung. Dass der (damals) sehr moderne und absolut innovative Atlas heute nicht so bekannt ist, hat wohl seine Ursache vor allem darin, dass er 2 Jahre nach Erscheinen von der Bodeschen Uranographie durch größeres Format und Farbe an Pracht überboten wurde.
Dennoch ist der Goldbach’sche Atlas ein bis heute lohnendes und interessantes Stück Geschichte der neuzeitlichen Himmelsdarstellungen.
Er ist für ein sehr breites Publikum geschrieben, daher auch weitestgehend auf deutsch beschriftet (Ausnahme z.B. Camellopardalis, doppel-L ist nicht mein Tippfehler) und wurde damals zusammen mit einem 10 cm durchmessenden Himmelsglobus und einem Lehrbuch vertrieben.
Typische Atlanten der damaligen Zeit zeigten die Sterne mit verschnörkelten Sternbildfiguren und diversen astronomischen Hilfslinien – Ekliptik und Himmelsäquator sowieso. Darüber hinaus aber auch verschiedene Gradnetze, Angaben zu Mehrfachsternen, verbale Sternnamen, Sternbilder, … man kann sich das Linien-Wirrwarr lebhaft vorstellen.
Ich habe hier mal die cruziale Seite Libra-Scorpion herausgegriffen, die quasi mitten am Himmel liegt – und das sieht schon chaotisch aus. Jetzt stellen Sie sich vor, wie das dann auf der Karte der Polkalotte aussehen muss, wo die RA-Linien des äquatorialen Koordinatensystems zusammenlaufen. Heillos. Die meisten Astro-Anfänger wären wohl überfordert.
Darum kam Goldbach (oder jemand anders, dessen Wunsch er umsetzte) auf die Idee, jede Karte doppelt zu zeichenen: Einmal mit Infos und einmal ohne, also so, wie man die jeweilige Himmelsregion wirklich am Nachthimmel sieht. Das macht modern auch noch manchmal – z.B. in dem fotografischen Himmelsatlas von Slawik und Reichert im Spektrum-Verlag (amazon-link, Blogpost von Stefan). – Goldbach war (so weit wir wissen) aber der erste, der das so machte und war damit seiner Zeit weit, weit voraus.
Frühere Doppeldarstellungen (z.B: bei as-Sufi) hatten eher zum Ziel, die zwei Perspektiven der Himmelskugel (Außen- versus Innenansicht) gegenüber zu stellen. Das sind also zwei Vorstellungskonzepte, während die Goldbachsche Karte das erste Mal den Himmel so zeigen sollte, wie man ihr sieht: ohne Schnörkel und Hilfslinien, schmucklos, schlicht.
Darüber hinaus revolutionär und zunächst populär war, dass die Sterne als helle Punkte auf schwarzem Grund dargestellt wurden.
Gliederung
Nach einem Vorwort des berühmten Wissenschaftspopularisators Freiherr von Zach folgt eine Übersichtskarte des nördlichen Sternhimmels. Dann folgen Einzelkarten in traditioneller Manier und Reihenfolge, wie sie seit der Antike üblich ist. Vom Nordpol systematisch südwärts: Zuerst der Streifen von Andromeda einmal herum in quasi zufälligen Abschnitten, dann der Tierkreis, in dem jedes Sternbild einzeln gezeigt wird (nur Steinbock und Wassermann sind auf derselben Karte zusammengefasst) und dann folgen fünf Karten zum Südhimmel. Die südliche Polarregion fehlt aber und schon das Schiff Argo ist nicht komplett. Dafür gibt es dann eine (nun wieder schwarz auf wei gedruckte) Übersichtskarte des Südhimmels, weiters die südliche Hemisphäre der “Planisphere nach de la Caille” und eine kreisförmige Karte des Nordhimmels, in der neben Sternbildskelettlinien vor allem die Orientierungshilfen verzeichnet sind, also welche Linie man wie verlängern muss, um ein anderes Sternbild aufzufinden.
Die Sternbilder sind gemäß dem Zeitgeist wie bei Bode – also es gibt die beiden Herschel-Teleskope, die nördliche Fliege (oder Biene), die Friedrichs Ehre & das brandenburgische Zepter und den Poniatowski’schen Stier als Sternbild … und andere Besonderheiten des preußisch-norddeutschen Raumes jener Zeit.
Sogar die Milchstraße ist verzeichnet und gibt gewiss wieder hinsichtlich ihrer Verlaufsdarstellung Rätsel auf. 🙂
Man spürt, dass hier bei den Machern die Lehre und die bestmögliche Anschauung und Anschaulichkeit im Vordergrund stand.
Die Genauigkeit und gleichzeitig künstlerische Innovation und Einzigartigkeit der Karte haben damals auch ihrem Autor zu einem Karrieresprung verholfen, denn er wurde zum Professor für Astronomie berufen. Leider in Moskau, wo er nie richtig ankam und sich nie recht wohlfühlte … und auch schon 1811 verstarb. Das revolutionäre Werk des Kartographen lebt aber bis heute fort.
Der heutige Faksimile hat kein Begleitbuch und keine große historische Aufarbeitung, sondern genügt sich als historisches Werk selbst und bietet jedem Interessierten die Gelegenheit, entweder nur das Bücherregal zu bereichern oder aber zu eigenen Nachforschungen zu inspirierenden. Als solches ist auch die Reproduktion ein absolutes Meisterwerk.
Es wartet mit drei Anhängen auf:
- Auszüge aus dem ursprünglich dazu gehörigen Lehrbuch, nämlich die Vorrede und die Erklärung der Sternbilder (S.71-111) sowie einer Gebrauchsanweisung des Atlas (S.446-452).
Das “Lehrbuch einer populären Sternkunde” wurde damals von dem Mathe-Prof. Joh. H. Voigt aus Jena geschrieben – also von einem Experten für den interessierten Laien. Gewiss eine Fundgrube beim Erschließen der Karten. - ein paar “Editorische Notizen”, die z.B. die Rekonstruktionspraxis erklären, dass man sich entschieden hat, das erstandene gebrauchte Exemplar ohne Retouche zu reproduzieren und nicht zu verändern – wenngleich auf die Art Kritzeleien und Falten sichtbar bleiben, aber es ist eben ein historisches Buch. Außerdem lernt man hier, dass sich die genauen Wege der reproduzierten Quelle sich nicht mehr rekonstruieren lassen. Vielleicht lässt sich da ja bei Gelegenheit doch noch etwas finden, wenn man nur genug sucht.
- ein Verzeichnis der Freunde und Förderer dieser einzigartigen Edition. Initiiert und in Auftrag gegeben wurde sie von einem pensionierten Juristen, der sich eben mit der Verlagsgründung ein neues Hobby für den (Un)ruhestand schafft. Aber viele – auch namhafte – Astronomen haben dieses Werk unterstützt und mitfiebernd erwartet.
Interessiert?!
Als erstes Projekt des frisch gegründeten Verlages wurde der historische Atlas nur in der recht kleinen Auflage von 300 Stück produziert. Jedes Exemplar ist also sehr hochwertig. Die Bücher sind durchnummeriert und somit sozusagen individualisiert. Jedes quasi-Einzelstück ist also ein besonderer Stolz seines Besitzers.
bibliographische Daten:
Goldbachs Neuester Himmels-Atlas (1799)
Faksimile: Albireo-Verlag Köln 2013
119,- Euro – aktuelles auf der Seite des Verlags
Gimmick
Als ich das Werk heute endlich in den Händen hielt, hüpfte ich durchs Institut wie angeblich manche Kinder zu Weihnachten – zumindest war das die erste Reaktion der Kollegen: Also, es ist schon wirklich was ganz Großartiges, was man hier hat!
In Berlin und in einem Haus voller Wissenschaftler/innen ist eh alles erlaubt, also fällt es da kaum auf, wenn eine kleine Astronomin mal ein bißchen rumtobt O : – ) …
Hallo Frau Hoffmann, Ihnen vielen Dank für diesen
so wunderbar aufbereiteten Hinweis auf historische
Fachliteratur! R.U.
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