Giant Leap for Cultural Astronomy

Die IAU hat “Cultural Astronomy” (Kulturastronomie) zu einer eigenen Kommission erhoben. Bis vor kurzem wurde “Kulturastronomie” noch als “Nischenfeld” innerhalb der Wissenschaftsgeschichte von der IAU beschrieben. Das Fach hatte sich jedoch, aus Archäoastronomie kommend, im vergangenen viertel Jahrhundert als Oberbegriff für die Verschmelzung von dieser mit Ethnoastronomie und Wissenschaftsgeschichte entwickelt. Es war an der Zeit, die Kulturastronomie auf das gleiche organisatorische Level zu heben wie die klassische Astronomiegeschichte selbst. 

Hintergrund

In den vergangenen zwei Wochen tagte in Kapstadt, Südafrika, die Internationale Astronomische Union. Die IAU ist eine internationale, globale Gesellschaft zur Standardisierung von allem, das wir für die globale Kommunikation im Fach benötigen. Eine der ersten Aufgaben der IAU war es bspw. in den 1920er Jahren, die Grenzen der Sternbilder festzulegen. Solche global gültigen Beschlüsse zu Sternbildergrenzen oder ob wir eine neue Kategorie für das Objekt namens Pluto (oder Ceres) finden, werden auf Generalversammlungen der IAU diskutiert und ggf. beschlossen. Heutzutage beschäftigt sich eine ganze Abteilung, die Division A “Fundamental Astronomy”, mit der Festlegung von Einheiten und Größen in der Astronomie – z.B mit der Bestimmung von Delta T auf historischen Zeitskalen, mit der Festlegung des Zeitpunkts des Frühlingsanfangs – ob dies z.B. in derjenigen Sekunde stattfindet, wenn der erste Punkt des Sonnenrandes den Schnittpunkt von Ekliptik und Äquator erreicht, wenn die Mitte der scheinbaren Sonnenscheibe oder die volle Sonnenscheibe diesen Punkt überquert hat … oder eben in welchem Jahr eine Schaltsekunde eingefügt werden muss. Mit wachsender Messgenauigkeit müssen solche Grundsatzfrage immer mal wieder neu diskutiert werden.

Die IAU hat aber auch inhaltliche Themen. Beispielsweise beschäftigt man sich mit Exoplaneten, Sternphysik, Schwarzen Löchern, Galaxien… und Instrumentierungsfragen wie der Entwicklung neuer Technologien, internationalen Kollaborationen zum Bau neuer Teleskope oder Teleskopnetzwerke etc.

Gleichberechtigte Interessenkonflikte

Eine der wichtigen Fragen beim Bau neuer technologischer Einrichtungen ist auch die kulturelle Frage. Am berühmtesten ist wohl das Beispiel der indigenen Bevölkerung auf Hawai’i, die den Bau eines hochmodernen Teleskops durch Straßenblockaden lange hinausgezögert hatte, weil die Baustelle auf einem Berg lag, der den Einheimischen als wichtige Kultstätte gilt. Ähnliche Beispiele gibt es aber auch auf anderen Kontinenten und für andere Teleskope. Früher wurden die Standorte nur nach Beobachtungskriterien ausgewählt (z.B. dass man über den Wolken, über Licht- und Luftverschmutzung baut, also auf hohen Bergen), aber diese Standorte (hohe Berge) haben häufig auch sakrale Bedeutung, so dass derlei Probleme eigentlich vorprogrammiert sind – auch wenn man, wie auf Hawai’i mit den Repräsentanten der Bevölkerung spricht, weil keine Regierung der Welt jemals einstimmig gewählt wurde, d.h. dass es zu jeder Entscheidung stets Gegenstimmen gibt. 

Solche Probleme zu meistern, die indigenen Kulturen eines potenziellen Standorts frühzeitig einzubeziehen und zu verstehen, und auch solche Kulturen (bzw. ihre Astronomie) zu verstehen, die nicht gerade dort leben, wo man aktuell ein neues Teleskop plant, dazu gibt es das Feld der Kulturastronomie. 

Zusammenstellung aus dem Vortrag von Ann C Thresher

Das Fach Kulturastronomie wurde seit den 1960 Jahren entwickelt. Zuerst gab es die Archäoastronomie, die die Astronomie von archäologischen Befunden analysiert (besonders bekannt die Causa “Stonehenge“). Hier werden Fragen diskutiert wie “nach welchen Visurachsen ist eine Kreisgrabenanlage ausgerichtet?”, “scheint die Sonne beim Aufgang zur Sonnenwende im Tempel auf einen markanten Punkt?” und “ist Stonehenge ein Rechenwerk für Sonnenfinsternisse?”. Diese Fragen können aber nur abschließend geklärt werden, wenn man sich auch mit der Einbettung der Befunde in den kulturellen Kontext beschäftigt: welche Riten und Kulte haben dort stattgefunden, was wurde im Tempel verehrt, welche Gottheiten hatte die Gesellschaft überhaupt? Solche Fragen der Ethnoastronomie (wenn es um Sonnen- und Mondgottheiten geht) wurden bald auf den gleichen Konferenzen besprochen. Zur Ethnoastronomie gehört aber auch, welche Sternbilder eine Kultur erfunden hat, weil diese meist ein Zeugnis des Kalenders oder von Navigationsmethoden der Kultur zeugt. Ethnoastronomie und Archäoastronomie zusammen werden seit den 1990er Jahren mit dem Oberbegriff “Kulturastronomie” zusammengefasst.

Erst kürzlich ist es meiner Wenigkeit gelungen, die klassische babylonische Astronomie (die bisher ausschließlich von Assyriologen auf der Basis von Einzeltexten behandelt wurde) an die Kulturastronomie anzuschließen, indem ich Reminiszenzen einer Art phänologischen Kalenders in den Vorgängerlisten des ältesten Astronomiekompendiums fand. Damit unterscheidet sich der Ursprung der mediterranen Sternbilder nicht mehr von den Sternbildern in allen anderen Kulturen. Die Wissenschaftsgeschichte des greco-babylonischen Altertums fügt sich damit perfekt in alle anderen Kulturgeschichten ein. Das zeigt wieder einmal: Menschen und Gesellschaften funktionieren überall auf der Erde gleich – bzw. gleicher als manche Leute meinen. 

Kulturastronom mit indigenem Co-Autor
eine Philosophin von ngEHT-Kollaboration
eine indigene Chilenin über ihre Kultur & Astronomiestudium

C5 Cultural Astronomy

Da die Kulturastronomie ihre Wurzeln in der Archäoastronomie hat, wurde sie bisher in der IAU innerhalb der Commission C2 “History of Astronomy” abgehandelt. Irgendwann hatte mal jemand auf die Webseite geschrieben, das zur “History” auch so Nischenfelder wie Kulturastronomie gehören. Es wurde (vor ca. 20 Jahren) eine Arbeitsgruppe für Kulturastronomie innerhalb der IAU gegründet, die mittlerweile aber nicht nur zu allen vier Kommissionen der “Division C” gehörte, sondern auch hunderte von Mitgliedern hat. 

Dass die IAU deshalb nun beschlossen hat, aus der “Inter-Commission Working Group” (kommissionenübergreifende Arbeitsgruppe) für Kulturastronomie eine eigene Kommission zu machen, wird daher als gewaltiger Meilenstein im Fach angesehen. Die Anregung dazu kam von Susana Deustua in ihrer Funktion als Division-President, wurde dann aber federführend ausgearbeitet von dem Chair der kommissionsübergreifenden Arbeitsgruppe Steve Gullberg (USA, Professor für Kulturastronomie & Experte für Astronomie der Inka) und dem Chair der Kommission “Astronomical Heritage in Danger” Alejandro Lopez (Argentinien, Astronom und Anthropologe). Ich bin zwar schon lange Mitglied der kommissionsübergreifenden Arbeitsgruppe, stehe aber einer anderen Arbeitsgruppe der IAU vor. Meine Aktivitäten fielen anscheinend positiv auf, so dass ich gebeten wurde, ebenfalls ein Amt in der neuen Kommission zu übernehmen – und daher war ich letzte Woche bei der Gründungssitzung dabei.

Am Dienstag, dem 13. August wurde das letzte Meeting der Arbeitsgruppe Kulturastronomie und gleichzeitig das erste Meeting der neuen Kommission Kulturastronomie abgehalten. Um 08:36 Uhr morgens verkündete der Leiter von beidem, Prof. Dr. Steven R. Gullberg (University of Oklahoma) daher feierlich

Farewell Working Group Cultural Astronomy 

Welcome Commission C5 Cultural Astronomy

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"physics was my first love and it will be my last physics of the future and physics of the past" Dr. Dr. Susanne M Hoffmann ist seit 1998 als (Kultur)Astronomin tätig (Universitäten, Planetarien, öffentliche Sternwarten, u.a.). Ihr fachlicher Hintergrund besteht in Physik und Wissenschaftsgeschichte (zwei Diplome), Informatik und Fachdidaktik (neue Medien/ Medienwissenschaft) als Weiterqualifikationen. Sie ist aufgewachsen im wiedervereinigten Berlin, zuhause auf dem Planeten Erde. Jobbedingt hat sie 2001-2006 in Potsdam gelebt, 2005-2008 saisonal in Mauretanien (winters) und Portugal (sommers), 2008-2009 und 2013-'15 in Berlin, 2010 in Hamburg, 2010-2012 in Hildesheim, 2015/6 in Wald/Österreich, 2017 in Semarang (Indonesien), seit 2017 in Jena, mit Gastaufenthalten im Rahmen von Forschungskollaborationen in Kairo+Luxor (Ägypten), Jerusalem+Tel Aviv (Israel), Hefei (China)... . Die einleitenden Verse beschreiben eine Grundstruktur in ihrem Denken und Agieren: Physik ist eine Grundlagenwissenschaft, die datenbasiert und mit dem Erkenntnisapparat der Logik ein Verständnis der Natur zu erlangen bestrebt ist. Es gibt allerdings auch Fragen der Welt, die sich der Physik entziehen (z.B. wie wir Menschen auf diesem Planeten friedlich, synergetisch und benevolent zusammenleben können) - darum ist Physik nicht die einzige Liebe der Bloggerin. Sie liebt die Weisheit und hinterfragt die Welt. Das Wort "Philosophie" ist ihr aber zu groß und das populärwissenschaftliche Verständnis davon zu schwammig, als dass sie sich damit identifizieren würde: hier geht's faktenbasiert zu. Ihr fachliches Spezialgebiet sind Himmelskarten und Himmelsgloben; konkret deren Mathematik, Kartographie, Messverfahren = Astrometrie, ihre historische Entwicklung, Sternbilder als Kulturkalender und Koordinatensystem, Anomalien der Sternkarte - also fehlende und zusätzliche Sterne, Sternnamen... und die Schaustellung von alle dem in Projektionsplanetarien. Sie versteht dieses Blog als "Kommentar an die Welt", als Kolumne, als Informationsdienst, da sie der Gesellschaft, die ihr das viele studieren und forschen ermöglichte, etwas zurückgeben möchte (in der Hoffnung, dass ihr die Gesellschaft auch weiterhin die Forschung finanziert).

2 Kommentare

  1. Weiter so , Frau Hoffmann,
    damit die Astronomie wieder in den Blickpunkt der Gesellschaft gerät.
    Die Lichtverschmutzung wird von der Bevölkerung gar nicht mehr als Mangel empfunden. Man merkt es an den fehlenden Verkaufsanzeigen zu Spiegelteleskopen.
    Wie steht die Cultural Astronomy dazu ? Sieht die sich selbst als Nischenorganisation ?
    Und wie steht die NASA zur Cultural Astronomy?

    Ich , als Laie, bin selbt überrascht, dass es so eine Organisation gibt.
    Auf jeden Fall, danke, dass Sie sich solcher Themen annehmen.

    • Das Thema Lichtverschmutzung bzw. “dunkler und radio-leiser Himmel” wird von einer anderen Kommission der IAU behandelt.

      Die Kulturastronomie sieht sich nicht als “Nischenfach”, denn wie gesagt, ist sie in den vergangenen 50 Jahren enorm gewachsen und in den vergangenen 25 Jahren wurden mehrere internationale Fachgesellschaften gegründet. Zudem hatte die entsprechende IAU-Arbeitsgruppe eben eine wahnsinnig hohe Anzahl von Mitgliedern, die eher mit Mitgliederzahlen von Kommissionen als mit Arbeitsgruppen vergleichbar ist (hunderte statt ca. zehn bis fünfzehn).

      Die Frage zur NASA kann ich Ihnen nicht so pauschal beantworten. Es ist auch nicht klar, was genau gemeint ist. Es gibt jedenfalls zahlreiche NASA-Mitarbeiter, die IAU-Mitglieder sind.

      Um die Verkaufsanzeigen von Fernrohren kümmert sich weder die IAU noch irgendeine andere Fachgesellschaft.

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