Gedanken über Medien
BLOG: Uhura Uraniae
Meta-Blog: wozu bloggen wir hier eigentlich und wann sollte oder könnte ein Blogbeitrag in eine Zeitschrift wandern? … Ein paar Gedankenanstöße und ein Aufruf zum Paradigmenwechsel!
Eingangsfrage zum verantwortungsbewussten Umgang mit der Medienvielfalt aus Sicht der Historikerin: Woher wissen wir eigentlich, was Aristoteles lehrte und warum wissen wir so gut wie nichts über den altägyptischen Baumeister Imhotep? Die Antwort: Aristoteles’ Lehren wurden aufgeschrieben und immer wieder abgeschrieben und vor allem wurden sie im Mittelalter zu Papier gebracht – ein sehr geduldiges Medium. Im Gegensatz zu Papyri, die schneller zerfallen, ist Papier deutlich länger haltbar und im Vergleich zu Pergament deutlich preiswerter in der Herstellung.
Neue Medien – Verdrängung oder Ergänzung?
Manche Menschen/ Medienwissenschaftler behaupten, dass ein neues Medium nie ein altes vollständig verdrängt, sondern höchstens einschränkt, so dass dann beide nebeneinander existieren. Das stimmt in zahlreichen Fällen: z.B. nutzen wir derzeit durchaus beides, Papier und Printmedien sowie auch elektronische Medien, also Computer, Fernsehen, Radio … manche Leute spekulieren darüber, dass die digitalen Medien die Prints vllt verdrängen könnten. Ich möchte hier dafür argumentieren, dies 1) nicht zu zulassen und 2) aber sehr sorgfältig darüber nachzudenken, was wir auf Papier drucken.
Aber es gibt nämlich auch historische Gegenbeispiele, bei denen es wirklich so war, dass ein neues Medium ein bis dato verwendetes verdrängte: Papier verdrängte Papyrus, CD und DVD verdrängten die FloppyDisk u.v.a.m. Ich denke, mit Papier versus(?) elektronische Medien ist das ein bißchen anders. – In jedem Fall sollte uns das aber zu einem neuen Selbstverständnis führen, wenn wir überlegen, wie wir etwas darstellen: Wir sollten als AutorInnen, Verlage oder JournalistInnen Zielgruppen analysieren, sollten wir auch nicht die Geschichtsschreibung vergessen!
Überspitzt formuliert: Was würden wir wohl heute noch von ihm wissen, wenn Aristoteles bereits einen Computer gehabt hätte? Was wüssten wir dann noch über diese virtuellen Schriften und könnten wir seine Dateiformate nach 2000 Jahren noch lesen? (Meine Schriftstücke von vor zehn Jahren sind heute schon teilweise unlesbar.)
Anders ausgedrückt: Wie sollen die Historikerinnen in 3000 Jahren denn etwas über unsere Kultur lernen, wenn das einzige, das sie finden, Grabsteine sind? Diese sind schließlich aus Stein, während die neuesten Medien wie Film, Fernsehen, Internet nicht oder nur schlecht archiviert werden, weil man stets das Lesegerät mit-archivieren muss (dazu gibt’s wunderschöne Filmszenen in Fantasy und ScienceFiction, z.B. bei StarGate): Haben Internetpublikationen daher etwa den Wert des gesprochenen Wortes, das nur ein wenig länger nachhallt? Super-8-Filme, die nur wenige Jahrzehnte alt sind, kann heute kaum noch jemand lesen und manche selbstgebrannten CDs und Dateiformate sind bereits nach nur drei Jahren unbrauchbar: Alle Backups umsonst? Oder vielleicht auch Filtern durch selektives Übersetzen bzw. Umsetzen auf andere Medien? Ist es nicht vielleicht sogar sinnvoll, manche Dinge in mehreren verschiedenen Medien zu publizieren?
[Abb aus bildrechtlichen Gründen wurde entfernt]
Abb: Tor zur Prozessionsstraße von Babylon im Berliner Pergamonmuseum: Dort – und in anderen Museen der Welt – befinden sich in den Vitrinen haufenweise Zeugnisse von Informationen, die für uns heute eher von sekundärer Bedeutung sind, aber aufgrund ihrer Alltäglichkeit in großer Stückzahl und auch monuental auftraten (seien es Kulte, die für uns dahingehend unwichtig sind, weil niemand mehr babylonische Götter verehrt oder Kaufverträge oder juristische Beschuldigungen, deren Zeugnisse zufällig erhalten sind und die – außer Historikern natürlich und vllt den Machern von Astrix, der m.E. noch nie bei den “Chaldäern” war – vermutlich inhaltlich heute auch niemanden mehr interessieren). Über die Wissenschaft der Alten wissen wir aber im Vergleich dazu leider erstaunlich wenig, weil davon halt weniger Zeugnisse verschriftlicht produziert und demzufolge auch noch viel weniger überliefert sind.
Tageszeitungen und Bunte Presse
also, wir sollten m.E. das Papier nicht ganz abschaffen (und ich kann mir schwer vorstellen, dass das geschehen wird) – aber wir müssen es ja auch nicht als Massenmedium “verheizen” und können so gleich auch den Regenwald schonen, indem wir klug selektieren, was sich zu drucken lohnt und was nicht: viele Infos zum Tagesgeschehen kann man in der Mittagspause aus dem Internet holen, das auch viel aktueller sein kann als Printmedien. Im Internet bzw. irgendwie elektronisch können wir Aktuelles lesen und nicht die Neuigkeiten von gestern wie in einer Zeitung, deren Redaktionsschluss ja bereits am Vorabend um 19 Uhr ist.
Schließlich muss auch nicht jeder Tadel für öffentliche Personen – seien es Fußballspieler oder Politiker – zu Papier gebracht und mithin “für die Ewigkeit” konserviert werden. Der Klatsch und Tratsch (“Lass die Leute reden”, s.o.) kann ruhig in Internetblogs, wo er übermorgen vergessen ist wie das gesprochene Wort. Außerdem wollen die Menschen, die am Privatleben öffentlicher Personen interessiert sind, wahrscheinlich ohnehin lieber animierte Bilder mit Tonspur (Videos) ihrer Stars sehen als nur Fotos neben Text.
Schlussfolgerung: Wir haben heute mit unserer Medienvielfalt mehr Chancen denn je, aber wir müssen sie richtig nutzen (lernen). Seien wir mal ehrlich: Was interessiert es uns denn heute, wieviele Schafe sich Shittimarduk im alten Babylon von Beltudannatu aus Uruk [erfundene Namen] geliehen hat und ob er sie ihr mit angemessenem Zins zurückzahlte oder wie viele Ziegen er für einen Sack Reis eingetauscht hat. Nur, weil man damals halt alles auf Tontäfelchen geschrieben hat oder Tokens (Repräsentate) in Ton”schatullen” eingewickelt hat, wissen wir es noch heute – vielleicht ca. 5000 Jahre später.
[Abb aus bildrechtlichen Gründen wurde entfernt]
(Abb rechts: Codex Hammurapi, Kopie der Stele im Berliner Pergamonmuseum – Original im Louvre, Paris. Den damaligen Gesetzestext kennen wir, da er in Stein gemeißelt worden ist. Andere Inhalte, wie 5000 Jahre alte Kaufverträge von Alltagsgegenständen von einst, sind für unser heutiges praktisches Leben eher irrelevant: die genaue Lehre des Aristarch von Samos, die aber nur mündlich – also nur gerüchteweise überliefert ist – wäre für uns heute von wissenschaftshistorischem und erkenntnistheoretisch großem Interesse. Mit unseren modernen Medien könnten wir bewusster entscheiden, was wir überliefern wollen und was nicht.
Abb. unten: Tontafel mit Mengenangaben, datiert ca. 3000 bis 3300 v.Chr, ebenda.)
Sinnvolle Medienphilosophie ist menschenfreundlich und im Sinne des Umweltschutzes!
Für den Druck auf Papier lohnt sich hingegen vor allem der Druck von Erkenntnissen und Ereignissen, die als halbwegs gesichert gelten sowie wichtige politische Debatten in Kürze… Das gibt den AutorInnen im langsameren Medium (Papier) mehr Zeit zum Nachdenken, was sich zu erhalten lohnt und was nicht. Das kurioseste am Denken ist wohl, dass der Output umso kleiner (prägnanter) wird, je länger man darüber nachgedacht hat.
Zusätzlich entspricht dieses Vorgehen auch mehr unserem menschlichen Verhalten: Wie schnell sagt man mal irgendwas, das man eigentlich gar nicht so meint und wenn man es vor laufendem Mikrofon tut, weil man sich als PolitikerIn gerade in Rage geredet hat, dann ist es für lange Zeit konserviert und zieht unzählige nervende Entschuldigungen und Richtigstellungen nach sich – alles eigentlich der Geschichtsschreibung unwürdig.
In der Wissenschaft
Auch Wissenschaft wird von Menschen gemacht und daher gelten die gleichen Spielregeln. Es ist sicher sinnvoll, “lebendige” Medien wie das Internet, wo ein Text von heute morgen schon geändert sein kann (wie beim gesprochenen Wort), für Forschungsdebatten und Eilmeldungen zu nutzen. Die hohe Geschwindigkeit dieses Mediums ist mithin optimal zum Vorteil genutzt. Allerdings gehören die Ergebnisse solcher Debatten – so wie Sitzungsprotokolle von Vorstandssitzungen oder parlamentarischen Debatten – auf Papier festgehalten und archiviert.
Erkenntnisse/ Wahrheiten festgelegt: Populärwissenschaftliche Verlage halten keine Forschungsdebatten fest und sollten daher wohl auch langfristig nicht auf Papier verzichten. Hier gilt die gleiche Regel wie für alle journalistischen Aufgaben: In welchem Medium auch immer, kostet guter Journalismus Geld. Wenn sich also eine neue Subkultur entwickelt, deren Klientel ihre Informationen vorzugsweise aus dem Internet abholt, dann ist das zwar dahin gehend positiv, dass es den Regenwald schont, wenn nur ein paar Elektronen verschoben werden. 😉 Allerdings dürfen auch diese Informationen nicht immer/ überall gratis dargereicht werden, weil es sonst sehr bald keinen (freien) Journalismus mehr geben kann und wird. Gute Arbeit – sowohl in der Wissenschaft wie auch der Kollegen im Journalismus – muss schließlich bezahlt werden! (Anm.: Dafür hat man ja Logins und elektronische Abos erfunden, dass man an Detailinfos nur nach Bezahlung bekommt, wenn sie über Schlagzeilen hinaus gehen.)