Zodiak von Esna – Arbeit des Ägyptologen Leitz

Ägyptische Tempel haben oft astronomische Deckendarstellungen. Die berühmtesten möchte ich hier kurz vorstellen, da ich die Gelegenheit hatte, sie kürzlich mit einer Expertin zu besuchen. Ich war im Rahmen eines wissenschaftlichen DAAD-geförderten Austausch-Projekts in der Informatik (Datenmanagement) in Ägypten, ließ mir allerdings nicht die großartige Chance entgehen, deutsche Archäologen zu treffen, die zufällig gleichzeitig im Land arbeiteten. 

Egyptian temples often have astronomical ceiling depictions. I would like to briefly introduce the most famous ones here, as I had the opportunity to visit them recently with an expert. I was in Egypt as part of a DAAD-funded scientific exchange project in computer science (data management), but did not miss the great opportunity to meet German archaeologists who happened to be working in the country at the same time

Besichtigung des Tempels in Esna.

Wir schreiben den 6. Oktober 2022. Am Morgen treffe ich in Luxor zwei Ägyptologinnen, eine aus Cairo und eine aus Tübingen. Wir fahren zusammen nach Esna. Die Fahrt im Taxi führt bis zum Ticket-Häuschen: die deutsche Archäologin gehört zum Grabungsteam und zahlt keinen Eintritt – die Ägypterin zahlt einen symbolischen Betrag und ich zahle den vierfachen Touristenpreis. So läuft das immer in Ägypten: irgendwie auch gerecht, dass die Einheimischen weniger zahlen müssen.

Der Tempel von Esna wurde im 19. Jahrhundert von den Franzosen entdeckt und ausgegraben. Er steht seither freigelegt in einer Grube, weil das Straßenniveau heute etwa an der Decke liegt. Das eigentliche Sanktuar ist nicht erhalten, sondern nur der Pronaos – dieser aber dafür in einem einzigartig perfekten Zustand: Durch profane Nachnutzung des ehemaligen Tempels als Karawanserei sind alle Wände und die Decke mit Ruß bedeckt, so dass die ursprüngliche Dekoration und Bemalung unter dem Ruß konserviert ist; sie zeigt den so genannten Zodiak, d.h. die Sternbilder des Tierkreises. Derzeit ist ein Team aus deutschen und ägyptischen Archäologen dabei, die Wände vom Ruß zu befreien, so dass die Originalfarben wieder zum Vorschein kommen. Sie sind fantastisch gut erhalten!

Visit to the temple in Esna.

It is 6 October 2022. In the morning I meet two Egyptologists in Luxor, one from Cairo and one from Tübingen. We drive together to Esna. The ride in the taxi leads up to the ticket booth: the German archaeologist is part of the excavation team and doesn’t pay an entrance fee – the Egyptian pays a symbolic amount and I pay four times the tourist price. That’s how it always works in Egypt: somehow also fair that the locals have to pay less.

The temple of Esna was discovered and excavated by the French in the 19th century. Since then, it has stood uncovered in a pit, because the street level today is about at the ceiling. The actual sanctuary has not been preserved, only the pronaos – but this is in a uniquely perfect condition: due to the profane subsequent use of the former temple as a caravanserai, all walls and the ceiling are covered with soot, so that the original decoration and painting is preserved under the soot; it shows the so-called Zodiac, i.e. the constellations of the zodiac. Currently, a team of German and Egyptian archaeologists is in the process of removing the soot from the walls so that the original colours can be revealed again. They are fantastically well preserved

Erhalten ist nur der Pronaos (Vorhalle) des Tempels – dieser allerdings verblüffend gut. Als die Franzosen ihn im 19. Jahrhundert entdeckten, schaute nur noch die Tempeldecke aus dem Sand, aber in früheren Jahrhunderten war das massive Gebäude als Karawanserei genutzt worden. Der untere Teil der Säulen ist häufig beschädigt (teilweise wurden religiöse Inschriften bewusst zerstört, wenn eine neue Religion modern wurde, weil man hinreichend abergläubisch war, um sicher zu gehen, dass die alten Gottheiten einem nichts mehr antun können, wenn man ihre Bauten umnutzt), aber der obere Teil allerdings ist gut erhalte und “nur” verdreckt.

Only the pronaos (porch) of the temple has survived – but it is amazingly good. When the French discovered it in the 19th century, only the temple ceiling was still peeking out of the sand, but in earlier centuries the massive building had been used as a caravanserai. The lower part of the columns is often damaged (sometimes religious inscriptions were deliberately destroyed when a new religion became fashionable, because people were sufficiently superstitious to be sure that the old deities could not harm you if you converted their buildings), but the upper part, however, is well preserved and “only” dirty.

Daniela Mendel-Leitz (Universität Tübingen) erklärt die Arbeiten in Esna und die Bedeutung der Bilder (links). Mitte: die Kapitelle sind wie Palmblätter gestaltet. Rechts: zum Vergleich eine Palme im Ramses International Airport in Kairo.

Da steht man unter einem steinernen Blätterdach aus farbig bemalten Kapitellen der dicken ägyptischen Säulen und bestaunt die Sternbilder-Gottheiten darüber. Wie die Blätter von Palmen biegen sich die Kapitelle der Säulen frei unter der Tempeldecke; sie berühren sie nicht. Man betritt den Tempel von Osten her (wie die aufgehende Sonne) und durchschreitet ihn nach Westen. Norden ist folglich rechts, Süden ist links. Die vier Windrichtungen sind verwirrenderweise aber nicht über den Mitten der Tempelseiten abgebildet, sondern in ihren Ecken: Süd- und Ostwind (links/ rechts) begrüßen den Eintretenden, West- und Nordwind (links/ rechts) verabschieden ihn. Auf der Nordseite des Tempels sind also der Nord- und der Ostwind, auf der Südseite des Tempels der Süd- und der Westwind. Könnte das ein Hinweis auf die Jahreszeiten sein? Bedenkt man die geographische Lage Esnas nahe dem nördlichen Wendekreis, wird klar, dass die dominanten Windrichtungen im Sommerhalbjahr wohl durch den Nordost-Passat bestimmt werden. Um das Wintersolstitium herum ist der Abstand der innertropischen Konvergenz-Zone allerdings sehr groß, so dass hier bereits Einflüsse der gemäßigten Wind-Zelle merklich werden und der Wind häufiger aus Südwest weht. Die Darstellung der Winde an den Ecken statt an den Stirnseiten könnte also ebenfalls eine naturkundliche Information enthalten – ebenso wie das Sternbilder-Dekor der Decke. Die Archäologen aber wiegeln ab: Nein, die Windgestalten stehen mit beiden Füßen auf der jeweiligen Stirnseite, zu der sie gehören. Vermutlich ist ihre Anordnung in den Ecken nur aus Platzgründen so gewählt.   

Der mittlere Gang ist mit Geiergottheiten mit ausgebreiteten Flügeln überdeckt, als wollten diese die Prozession in von/ zum Sanktuar unter ihre Fittiche nehmen. Zur Linken und Rechten dieses Mittelganges befinden sich verschiedene astronomische Motive:

There one stands under a stone canopy of colourfully painted capitals of the thick Egyptian columns and marvels at the constellation deities above. Like the leaves of palm trees, the capitals of the columns bend freely under the temple ceiling; they do not touch it. One enters the temple from the east (like the rising sun) and passes through it to the west. North is therefore on the right, south is on the left. Confusingly, however, the four wind directions are not depicted above the centres of the temple sides, but in their corners: south and east wind (left/right) welcome the person entering, west and north wind (left/right) bid him farewell. So on the north side of the temple are the north and east winds, on the south side of the temple are the south and west winds. Could this be a reference to the seasons? Considering Esna’s geographical location near the Tropic of Cancer, it becomes clear that the dominant wind directions in the summer half-year are probably determined by the north-east trade wind. Around the winter solstice, however, the distance of the inner-tropical convergence zone is very large, so that influences of the temperate wind cell already become noticeable here and the wind blows more frequently from the southwest. The depiction of the winds at the corners instead of at the ends could therefore also contain natural history information – just like the constellation decoration on the ceiling. The archaeologists, however, deny this: No, the wind figures stand with both feet on the respective front side to which they belong. Their arrangement in the corners was probably only chosen for reasons of space.   

The central aisle is covered with vulture deities with outstretched wings, as if they wanted to take the procession in/to the sanctuary under their wing. To the left and right of this central aisle are various astronomical motifs:

Slide aus dem öffentlichen Vortrag von Prof. Leitz am 6.10. 2022 in Luxor.

Besonders spannend ist es, wenn man vor Ort jemanden hat, der einem nicht nur wie Touristenführer zeigt, was (für Astronomen) offensichtlich ist, sondern wirklich versteht, was die Ägypter sich in der späten (römischen) Zeit hierbei dachten und auch Hieroglyphen bei Bedarf live vorlesen kann. Dr Daniela Mendel-Leitz ist Philologin und arbeitet schon seit einer Weile an der Interpretation der astronomischen Tempeldecken in Ägypten. Durch Beachtung von Details hat sie einige sensationelle Interpretationen zu unserem Gesamtverständnis dieser Kultur beigetragen. Wir sehen nun nicht nur grob, dass hier eine Himmelsgöttin (Nut) abgebildet ist, auf deren Bauch ein paar Gestalten in Barken entlang schippern, die wohl Gestirne sein müssen – sondern wir verstehen viel besser, warum die Darstellungen genau so und nicht anders gemacht wurden. Jedes Detail – jeder Punkt im Gewand der Nut, die Richtung der Zacken der Sternsymbole, die Ausrichtung der Geh-Richtung und Gesichter der Gestirn-Gestalten … alles hat seine Bedeutung und ist wohl durchdacht.    

Auf der Nordseite ist der Sonnenlauf dargestellt, auf der Südseite liegt der Fokus auf dem Mond. Klar identifizierbar ist dies nicht nur an den äußeren Himmelsrichtungen, sondern auch der Darstellung der Gestirn-Gottheiten innen: Das nördliche Gestirn besteht aus Großem Wagen mit Arkturus (und wohl weiteren Teilen von Bootes); das südliche Gestirn aus Orion mit Sirius (und wohl weiteren Teilen von Canis Major) – beide sind klare Kennzeichen ihrer Himmelsgegend. Wenn aber die Sonne im Norden steht, ist es Nacht und der Mond in den eher runden Phasen (nicht schmalen Sicheln) sichtbar. Die südlichen Sternbilder, gekennzeichnet durch die Orion-Gruppe, können tatsächlich mit dem Tierkreis in Verbindung gebracht werden, da der Mond ja bisweilen in Orion steht. Tut er das in der Nähe des Vollmonds, ist es Winter. Die Decke des Esna-Tempels zeigt also den Winterhimmel (kein konkretes Datum – alle Planeten stehen in ihren Standardpositionen).

It is particularly exciting when you have someone on site who not only shows you what is obvious (to astronomers) like a tourist guide, but who really understands what the Egyptians were thinking about this in the late (Roman) period and can also read out hieroglyphs live if necessary. Dr Daniela Mendel-Leitz is a philologist and has been working on the interpretation of the astronomical temple ceilings in Egypt for a while. By paying attention to detail, she has contributed some sensational interpretations to our overall understanding of this culture. Not only do we now see, roughly, that there is a sky goddess (Nut) depicted here, with a couple of figures in barques sailing along on her belly, which must be celestial bodies – but we understand much better why the depictions were done exactly as they were and not otherwise. Every detail – every point in the garment of the groove, the direction of the spikes of the star symbols, the orientation of the walking direction and faces of the celestial figures … everything has its meaning and is well thought out.    

On the north side the course of the sun is depicted, on the south side the focus is on the moon. This is clearly identifiable not only by the outer cardinal points, but also by the representation of the star deities inside: The northern celestial consists of the Big Dipper with Arcturus (and probably other parts of Bootes); the southern celestial consists of Orion with Sirius (and probably other parts of Canis Major) – both are clear signs of their celestial region. But when the sun is in the north, it is night and the moon is visible in the more round phases (not narrow crescents). The southern constellations, marked by the Orion group, can indeed be associated with the zodiac, as the Moon is sometimes in Orion. If it does so near the full moon, it is winter. The ceiling of the Esna temple thus shows the winter sky (no specific date – all planets are in their standard positions).

Links: unrestauriert erkennt man von unten fast nichts in der hohen Decke, die verrußt ist und von der der Dreck herunterstaubt – gern auch dem neugierigen Betrachter in die Augen. Rechts: Auf der anderen (Nord)Seite des Tempels sieht man das Ergebnis der Restauration durch die Archäologen. Sie haben “nur” vorsichtig mit Pinseln den Dreck weg gekratzt, nichts nachbearbeitet, und schon erstrahlen die Farben der Decke und der Wände wieder in alter Pracht. Wandfarben, die vor 2000 Jahren aufgetragen wurden (hergestellt aus Naturprodukten). Erhalten im Original!
Panorama-Ansicht des Tempels in Esna. Eingerüstet die Säulen, die gerade gereinigt werden.
eine kleine Astronomin bewundert die Arbeit der Archäologen und die gigantischen Säuleninschriften (danke an Mariam für das Foto)

Der berühmte deutsche Ägyptologe

Das Restaurationsprojekt wird finanziert von den American Research Center in Egypt, der Ancient Egypt Foundation und der Gerda-Henkel-Stiftung. Am Nachmittag des heutigen ägyptischen Nationalfeiertags (6. Oktober) findet im Mummifcation Museum in Luxor ein öffentlicher Vortrag des Chef-Archäologen des deutschen Team-Teils statt: Prof. Dr. Christian Leitz (Universität Tübingen) berichtet über die Fortschritte der Arbeit, stellt Interpretationen der Abbildungen und Lesungen der Inschriften vor. Moderne Computer-Technologie ermöglicht das Lesen von Tintenresten, auch wenn die Inschrift teilweise beschädigt ist – es ist sensationell, was die Wissenschaft mit moderner Technologie zu bewerkstelligen vermag! 

Es wird noch einige Zeit in Anspruch nehmen, den Pronaos des Chnum-Tempels vollständig zu restaurieren, aber die Hälfte ist schon etwa fertig. Wünschen wir dem internationalen Team einen erfolgreichen Projektfortschritt für Restaurierung und Edition, denn ich bin wahnsinnig gespannt, was die weiteren Datenmaterialien hier an Erkenntnissen bringen werden.

The famous German Egyptologist

The restoration project is funded by the American Research Center in Egypt, the Ancient Egypt Foundation and the Gerda Henkel Foundation. On the afternoon of today’s Egyptian National Day (6 October), a public lecture by the chief archaeologist of the German part of the team will take place at the Mummifcation Museum in Luxor: Prof. Dr. Christian Leitz (University of Tübingen) will report on the progress of the work, present interpretations of the illustrations and readings of the inscriptions. Modern computer technology makes it possible to read ink remains even if the inscription is partially damaged – it is sensational what science is able to do with modern technology! 

It will still take some time to fully restore the pronaos of the Chnum temple, but half of it is already about finished. Let’s wish the international team successful progress with the restoration and edition of the project, because I am very excited to see what further insights the data material will bring.

Prof. Dr. Christian Leitz (Tübingen) über seine Arbeiten zur Restaurierung des Chnum-Tempels in Esna.
Das Team in Esna ist ägyptisch-deutsch gemischt.
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"physics was my first love and it will be my last physics of the future and physics of the past" Dr. Dr. Susanne M Hoffmann ist seit 1998 als (Kultur)Astronomin tätig (Universitäten, Planetarien, öffentliche Sternwarten, u.a.). Ihr fachlicher Hintergrund besteht in Physik und Wissenschaftsgeschichte (zwei Diplome), Informatik und Fachdidaktik (neue Medien/ Medienwissenschaft) als Weiterqualifikationen. Sie ist aufgewachsen im wiedervereinigten Berlin, zuhause auf dem Planeten Erde. Studienbedingt hat sie 2001-2006 in Potsdam gelebt, jobbedingt 2005-2008 saisonal in Mauretanien (winters) und Portugal (sommers), 2008-2009 und 2013-'15 in Berlin, 2010 in Hamburg, 2010-2012 in Hildesheim, 2015/6 in Wald/Österreich, 2017+2024 in Semarang (Indonesien), seit 2017 in Jena, mit Gastaufenthalten im Rahmen von Forschungskollaborationen in Kairo+Luxor (Ägypten 2022), Jerusalem+Tel Aviv (Israel 2023), Hefei (China 2024)... . Die einleitenden Verse beschreiben eine Grundstruktur in ihrem Denken und Agieren: Physik ist eine Grundlagenwissenschaft, die datenbasiert und mit dem Erkenntnisapparat der Logik ein Verständnis der Natur zu erlangen bestrebt ist. Es gibt allerdings auch Fragen der Welt, die sich der Physik entziehen (z.B. wie wir Menschen auf diesem Planeten friedlich, synergetisch und benevolent zusammenleben können) - darum ist Physik nicht die einzige Liebe der Bloggerin. Sie liebt die Weisheit und hinterfragt die Welt. Das Wort "Philosophie" ist ihr aber zu groß und das populärwissenschaftliche Verständnis davon zu schwammig, als dass sie sich damit identifizieren würde: hier geht's faktenbasiert zu. Ihr fachliches Spezialgebiet sind Himmelskarten und Himmelsgloben; konkret deren Mathematik, Kartographie, Messverfahren = Astrometrie, ihre historische Entwicklung, Sternbilder als Kulturkalender und Koordinatensystem, Anomalien der Sternkarte - also fehlende und zusätzliche Sterne, Sternnamen... und die Schaustellung von alle dem in Projektionsplanetarien. Sie versteht dieses Blog als "Kommentar an die Welt", als Kolumne, als Informationsdienst, da sie der Gesellschaft, die ihr das viele studieren und forschen ermöglichte, etwas zurückgeben möchte (in der Hoffnung, dass ihr die Gesellschaft auch weiterhin die Forschung finanziert).

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