Anaximander in Bildern?

BLOG: Uhura Uraniae

Ko(s)mische Streifzüge durch Zeit und Raum
Uhura Uraniae

Anstoß einer Diskussion von Anaximanders Weltbild anhand von mangelder Text-Bild-Synchronität in der aktuellen Ausgabe von “Sterne und Weltraum” und die Frage, was man daraus allgemein lernen kann – eine Astronomie-Philosophie.

Bilder sind eine Sprache. Ich kannte Menschen, die nie den Text von einem (wissenschaftlichen oder populärwissenschaftlichen) Artikel lesen, sondern nur die Bilder “lesen” wie ein Comic. Insbesondere in unserer heutigen Kultur, wo man mit Informationen quasi überflutet wird, ist es wichtig, dass man Informationen und den Wichtigkeitsgrad einer Nachricht schnell erfassen kann. Darum ist dieses Verfahren durchaus ein legitimer Ansatz, weil man dann erstmal erfasst, ob es sich lohnt, trotz vollem Terminkalender die Zeit zur Lektüre zu investieren. Daher ist es von grenzenloser Wichtigkeit, dass die Bilder eines Artikels, die – im logischen Sinn – Aussagen treffen und daher wie Aussagen der Aussagenlogik eben Wahrheitswerte haben, auch mit großer Genauigkeit erschaffen werden. Die Aussage sei entweder wahr oder falsch, also das Argument, das vom Bild geliefert wird, schlüssig oder eben nicht.

[Das ist zumindest meine These: Ich weiß, dass nicht alle Philosophen diese Weltsicht teilen (wäre ja auch ein Wunder), aber vllt. klärt meine konkrete Diskussion von Einzelfällen eines aktuellen Artikels unten etwas besser, was ich damit meine.]

“Ein Bild sagt mehr als tausend Worte” behauptet ja schon der Volksmund und das ist auch in etwa richtig – aber eben nur in etwa, denn durch die mindestens tausendundein Worte, die das Bild dann sagt, plappert es ziemlich viel und kann sich auch selbst widersprechen. Und nicht nur sich, sondern auch der Realität natürlich (dann wäre es surreal oder kontradiktisch).

Darum ist es m.E. von großer Wichtigkeit, dass man in der (Populär-)Didaktik – wie z.B. in der Zeitschrift “Sterne und Weltraum” – darauf achtet, dass die Bilder richtig (also “logisch wahr”) sind, also wirklich widergeben, was der Autor meint.

Im Fall des Artikels über Anaximander auf den unglaublich zahlreichen (neun!) Druckseiten 38-46 wird sich der geneigte Hobby-Astronom jedenfalls mehrfach überlegen, ob man sich die Zeit für den Text nimmt. Leider sind schon die Grafiken in mindestens der Hälfte der Fälle falsch oder surreal!

Hier eine Liste von spontanen Bilderkritiken und ~Fragen:

α)

Das Bild der Erdscheibe auf S.41 hat eine Bildbeschreibung, die nur sagt, dass im Modell das Vorsokratikers das Verhältnis Scheibendicke d : r Scheibenradius = 1:3. Die schräge Achse in der Scheibe wird ebenso wenig erläutert wie das blaue Pfeilchen, das wohl vom Meerwasser zu den Wolken zeigt, die knapp über der Erdoberfläche sind (vllt. die Hälfte der Scheibendicke, also lächerlich wenig im Vergleich zur Größe des “kosmos”, von dem im Text behauptet wird, dass Anaximander sich über die Skalen Gedanken gemacht habe: S.43 Teilüberschrift “Die erste kosmische Entfernungsskala”). [Skaliert ist da eigentlich außer der Erde gar noch nichts, sondern nur (räumlich) angeordnet – aber dazu bei Gelegenheit später mehr.]

β)

Das Bild auf S.43 oben zeigt nun diese Achse etwas deutlicher: manifestiert als dunkelblauen Balken, der zwei gelbe Räder “hält” (also, nicht wirklich, denn das soll ja alles irgendwie in der Luft “hängen”).

Die Bildbeschreibung nebenan ging schon wieder “daneben”: Die Räder, so lernen wir hier, symbolisierten die Sonne zur Sommer- bzw. Wintersonnenwende. Sie sind also gar nicht gleichzeitig da, wie die Abbildung in dieser Art suggeriert, sondern das eine Rad ist im Sommer da und das andere Rad ist im Winter da. Damit ist aber das Bildchen daneben sonderbar (suggeriert Falsches): es zeigt einen Ochsenkarren, der einen Holzpfeiler in zwei Holzrädern zieht. Der Pfeiler muss selbstverständlich von zwei Rädern gestützt werden, sonst zöge die Schwerkraft das eine Ende runter. Die Bildbeschreibung nebenan behauptet übrigens, dass so ein Ochsenkarren des Vorsokratikers Inspiration gewesen sei, weil er angeblich einen Tempelbau beobachtet habe.

Nun behauptet übrigens die Bildbeschreibung wieder etwas anderes als im Bild zu sehen ist: geschrieben steht da, es werde eine “Steinsäule” transportiert und abgebildet ist ein Holzpfeiler – also ist sowohl das Material falsch als auch die geometrische Form (Säule=rund, Pfeiler=eckig). Aber das mag man als nicht-detailiert-architekturkundig verzeihen – wenn denn der astronomische Inhalt stimmen würde.

Dass aber die beiden “goldenen” Räder nicht gleichzeitig da sein können, lernt man – wenn nicht aus der Grafik auf S.42 (s.u.) aus dem Text bzw. wenn man – wie der Autor des Artikels – Anaximander unterstellt, dass er ein quasi-moderner Denker in alter Zeit gewesen sei. Vielmehr muss es sich – um diese mit der Abb. auf der Vorseite zu vereinheitlichen – um ein und denselben Ring handeln, der verrutscht (siehe mein Abb.-Vorschlag mit Fragezeichen, unten).

γ)

Die Grafik auf S.42 nämlich soll eine Skizze des Weltbilds von Anaximander zeigen: Man sieht zwei goldene Ringe um einen Sternzylinder, der wiederum um die Erde reicht. Die Bildbeschreibung sagt aus, dass  sich “der Zylinder der Sterne sowie die Feuerräder des Mondes und der Sonne um die schwebende Erde” drehen. Die Sonne sei am weitesten von der Erde entfernt, weil in ihrem Feuerrad das heißeste Feuer brenne, heißt es dort.

Schon bei kurzer Betrachtung der Abbildung fällt ein großer Unsinn auf: Dargestellt sind zwei leuchtende Ringe in der gleichen Ebene, die jeweils eine Lücke aufweisen. Die Strahlen, die diese Ringe zur Erde senden, gehen aber nicht etwa vom Ring aus, sondern von der (dunklen) Lücke.

Diese Grafik ist also aus moderner Perspektive gezeichnet (anachronistisch), denn mit großer Wahrscheinlichkeit hatte Anaximander keine Vorstellung von Lichtstrahlen, die von Objekten ausgehen. So weit wir wissen, ist diese Vorstellung über einen sehr langwierigen Prozess mit Zwischenschritten über Luft/Licht/Pneuma u.a. im arabischen “Mittelalter” [dieser Begriff ist eigentlich nur im christl. Kulturkreis def.] durch al-Haytham geprägt worden und nicht von den Vorsokratikern. Die dachten vermutlich – wie auch Aristoteles, Ptolemaios u.a. – in Sehstrahlen unseres Auges.
Ich habe das dennoch unten in meinem Abb.Vorschlag aufgegriffen/ übernommen, weil es ja auch einfach das Leuchten visualisieren könnte (wie Kinder eine Sonne malen).

Dennoch hat sicher auch ein Anaximander nicht gedacht, dass eine dunkle Stelle eines Feuerrings “leuchten” könnte und also für uns als räumlich recht kleines Himmelsobjekt wie Sonne oder Mond sichtbar erscheint – das wäre surreal. Man ist also geneigt, im Text nachzulesen, was gemeint ist. Dort findet man dann die textlichen Darstellungen:

  1. S.42: “Die Bewegung der Gestirne um die Erde erklärt sich Anaximander in Form riesiger, sich um die schwebende Erde drehender und mit Feuer gefüllter Räder und Zylinder. Durch Öffnungen sähen wir das Feuer an einigen Stellen von der Erde aus (siehe Bild…).”
  2. S.43 “Die Feuerräder von Sonne und Mond stellte sich Anaximander als hohle, erddicke Schläuche vor, deren Wände von undurchsichtigen wirbelnden Wolken gebildet werden”.

Wolken sind in dem genannten Bild nicht dargestellt. Aber die erklären natürlich, warum nur eine Stelle des Feuerrings leuchtet.
So wie sie gedruckt ist, ist die Abbildung also absolut sinnfrei (surreal) und stellt auch nicht dar, was der Autor des Artikels meint.

Besser trifft vielleicht dieses Bild:

weltbild_ltSuWtext_smh_web

Hier ist gleich noch eine andere Unstimmigkeit beseitigt. In dem Druckbild in SuW nämlich liegen die beiden Feuerräder in der gleichen Ebene. Wenn dies aber undurchsichtige Schläuche sind, dann würde der Mond-Schlauch den Sonnenschlauch stets verdecken – quasi eine ununterbrochene Dauer-SoFi, die bekanntlich nicht der Beobachtung entspricht.

Will man Anaximander als modernen Denker darstellen, dann hätte man dies vermeiden soll. EHRLICH gesagt, wissen wir natürlich nicht, was er dachte, denn es sind fast keine Texte und gar keine Bilder von ihm original überliefert. Dass die unterschiedliche Neigung von Mond- und Sonnenbahn aber bekannt war, können wir voraussetzen. Schließlich haben zur Zeit der Vorsokratiker – um 500 vor Beginn unserer Zeitrechnung – die Mileter bereits auf ca. 2.5 bis 3 Jahrtausende astronomischer Beobachtung zurückgegriffen, wie man mindestens von den Nachbarkulturen in Mesopotamien und Ägypten weiß. [Die im Artikel mitgenannten Chinesen spielen hier möglicherweise noch keine Rolle, zumal die Seidenstraße zu dieser Zeit noch nicht belegt ist und dies ja noch vor den Feldzüge Alexanders des Großen (bis an den Hindukusch) war. Aber das nur nebenbei; ich habe vor, diese Inhalte später einmal diskutieren – wenn ich dazu komme.]

Diese Sache ist also schlüssig, wenn man die Abbildung entsprechend korrigiert. Allerdings eine andere Sache bleibt offen – und zwar der Zylinder:

  • a) Wenn sich in Aussage 1.) von oben das Attribut “Feuer gefüllt” nicht nur auf die Räder, sondern auch auf den löchrigen Zylinder bezieht, dann wäre der Zylinder ja ebenfalls opak, so dass man die Licht-Öffnungen in den Schläuchen von Sonne und Mond nicht von der Erde sehen könnte.
  • b) Der Zylinder muss also mindestens halbdurchsichtig oder transparent sein, wenn er zwischen Erde und Feuerrädern liegt.
  • c) Dann aber braucht er nicht löchrig zu sein, um durch sie hindurch “die schwachen Lichter der Sterne hindurchscheinen” zu lassen. Wenn die Lichter eh schwach sind, dann können sie auch direkt am Zylinder angeheftet sein. Hier widerspricht also schon wieder der Text (S.43 oben links) dem Bild (S.42).
  • d) ein noch größeres Problem ist, dass ein solcher Zylinder, der die Erde umschließt, nun einmal hohl sein muss, also demnach zwei Öffnungen hat – anders kann er sich nicht um die Erde drehen. Wenn aber der Sternzylinder oben offen ist, dann dürfte es “oben” (an der Zylinderöffnung) keine Sterne geben. Es gibt aber am Himmel keine Gegend, in der es fürs bloße Auge gar keine Sterne gibt. Sternarme Gegenden gibt’s natürlich (Camelopardalis z.B.), aber keine leeren – und das wusste Anaximander natürlich (wie gesagt, bestimmt 2.5 Jt. Beobachtung und ein simpler Blick an den Himmel genügt).
  • e) Außerdem bleibt unklar, ob der Zylinder auch die Achse des Sternzylinders ist und wenn ja, auf welchen Pol diese weist: auf den scheinbaren Rotationspol des Himmels oder den Ekliptikpol. Das Bild auf S.43 unten könnte suggerieren, dass der Ekliptikpol gemeint sei. Der Text auf S.43 behauptet aber ohne jeden Zweifel, dass es der Rotationspol sei, da in einer Zeit ohne einen hellen Polarstern (wie bei Anaximander) beim Anblick der nächtlichen Bewegung der Sterne “wohl der Eindruck entstehen [konnte]”, behauptet der Hobby-Graecist aus einer Großstadt des 21. Jh. Oblgeich die Annahme plausibel ist, ist sie keineswegs so klar, wie der Autor m.E. vorgibt. Ich beabsichtige, dieser Frage später einmal in einem separaten Blog-post nachzugehen.

raederAmHimmel_smh_web

Fazit (γ):
Diese Theorie scheint irgendwie nicht (vollständig) zu beschreiben, was man sieht. Liest man nun noch einmal den Teaser auf S.38 “Einige seiner Ansichten sind auch heute noch erstaunlich aktuell.” dann wirkt das auf den ersten Blick bereits – also schon ohne ausführliche Textlektüre, sondern nur aus Bildbetrachtungen – sehr reißerisch aufgemacht und man wird skeptisch:  … arme SuW!
Andererseits: Auch die Herstellung eines Zusammenhangs zwischen moderner Urknall-Theorie (S.38,45), moderner Stellarphysik und “Quantenkosmologie” (S.45) mit Anaximander ist gewiss eine maßlose Überinterpretation.

Ernstlich ein wenig verstimmt: Ein sehr popuälres Missverständnis: Geschichtsforschung hat nichts zu tun mit Geschichten-erzählen. Opas Märchennstunde, Omas Vorlesen von gute-Nacht-Geschichten und anderes Seemannsgarn ist jedenfalls nicht mit seriöser historischer Forschung vergleichbar. Auch in der Geschichtsforschung hat man sich an Fakten und die Regeln der Logik zu halten und nicht wild herum zu phantasieren: hypothesis non fingo!

Ich habe aber noch mehr zu den Bildern zu fragen:

δ) Rückfrage

Auf S.46 oben findet sich eine Grafik mit der Beschriftung “Die Sonnenuhr Anaximanders […]”. Wir sehen eine waagerechte Platte mit einem senkrechten Kegel, dem Schattenwerfer. Dann wieder unsere zwei Feuerringe, hier in Gestalt mechanischer goldener Bänder. Ich nehme an, hier sollen sie nicht in der Luft hängen, sondern an der Platte festgemacht sein. In der Bildbeschreibung steht weiters “die Erde darstellende Scheibe ruht … Außen befinden sich … die scheinbaren Bahnen des Tagesgestirns zum Sommer- beziehungsweise Winteranfang.” zitiert wird diese Grafik nach einem US-amerikanischen Philosophen (R. Hahn), dessen Rekonstruktionsidee das sei.

Im Text – wenn man ihn liest – lernt man auf S.46, dass dass Diogenes Laertios (800 Jahre nach Anaximander) behauptet, der Vorsokratiker habe als erster eine Sonnenuhr geschaffen, auf der nicht nur die Stunden markiert waren, sondern auch die jeweils ersten Tage der Jahreszeiten [dies steht übrigens schon auf S.38].

Ist das also so gemeint, dass der oben genannten Forscher 2010 AD wirklich zwei Ringe um einen geraden Stein gelegt und damit diese besagte Sonnenuhr rekonstruieren wollte? Natürlich habe ich noch nicht geprüft, was Hahn geschrieben und gezeichnet hat. Das ist also eine Verständnisfrage zum Artikel.

Die Schattenfigur des Modells in der SuW-Grafik sähe ungefähr so aus:

sonnenuhr_smh_web

Die goldenen Ringe würden jeweils einen Schatten werfen. Die Tage von Frühlings- und Herbstanfang wären daran gar nicht sichtbar und um die Solsititen herum (wenn sich von Tag zu Folgetag der Sonnenstand kaum verändert, also an mehreren Tagen etwa das gleiche sichtbar wäre) würde die Sonne bei exakter Aufstellung an jeweils einem der Ringe so entlang laufen, dass er den ganzen Tag über als Schatten seines Metallbogens einen geraden Strich abbildet. In dieser Art würden also in der Tat die Ringe die Solstitien (in etwa) anzeigen – aber eben nicht die Äquinoktien – und wir hätten das Bild von den zwei Rädern des Ochsenkarrens von S.43 aufgegriffen. Allerdings hatten wir dieses Bild ja oben bereits als fragwürdigen Vergleich mit einem Anaximander-Weltbild diskutiert.

Mithin erscheint auch der gezeigte Rekonstruktionsversuch eher in skeptischem Licht.

ε) Zu guter Letzt:

Im Porträt des Autors (auch eine Bildbeschreibung) wird gesagt, er habe 2011 sein Graecum absolviert [Hut ab – und ehrlichen & ganz herzlichen Glückwunsch dazu!] und studiere seither die Vorsokratiker in der Originalsprache.
Ob es hilft, wenn man die Original-Sprache gut kann, aber archäologisch keine Original-Dokumente hat, sei mal dahin gestellt. Im Literaturverzeichnis findet sich ja eine grch-dt.-zweisprachige Reclam-Edition zu den Vorsokratikern.

Ist es nicht aber ein wenig gewagt, aus der Übersetzung eines Wortes auf ein Weltbild schließen zu wollen? Ich bin kein Gräzist (überhaupt kein Philologe, leider), aber dass man die (für mich extrem) kompliziert anmutende und gefährliche Übersetzung wie “in der Luft schwebend” (S.41) für das Wort μετέωρος lapidar einführt – von dem der große Liddell Scott [Wörterbuch] nur behauptet, dass man es sinngemäß fassen könne mit “raised off from the ground”, also “über den Erdboden erhoben”, also ‘irgendwie über der Erde’ [und später bei Aristoteles noch nicht im (unveränderlichen) Himmel], halte ich schon für gewagt. Da steht nicht nicht unbedingt ‘schwebend’ (das ist interpretiert) und auch die Luft ist nicht in der Wortbedeutung unmittelbar enthalten, sondern eine (zwar plausible) Interpretation des Übersetzers. m.E. steckt er hier also bereits das Weltbild in die Übersetzung hinein, das er mit der Übersetzung begründen will. Riskant erscheint mir das auch, zumal sich die grch. Philologie über die genaue Übersetzung von grch. “meteorología” wohl allem Anschein nach noch nicht im Klaren ist (“discussed”, steht da nur in meinem Wörterbuch).

Darum würde ich persönlich mich also nicht trauen, so weit vorzupreschen, um ein vorsokratisches Weltbild mit diesem Wort abzuleiten und gar zu begründen. [Ist nicht eigentlich ohnehin die Sprache hauptsächlich das Medium zu unserer Kommunikation, und gar nicht die Natur der Dinge selbst? So habe ich zumindest Schulz von Thun immer – u.a. – verstanden. Auch die Sprachphilosophie und Wissenschaftstheorie des 20. Jh. scheint mir dem nicht zu widersprechen. Zumindest, verglich mein Professor kürzlich in einer Vorlesung durch ein Zitat der Popper-Wittgenstein-Debatte die Sprache mit sowas wie einem Scheibenwischer, der auf der persönlichen Frontscheibe des Lebenswagens (oder der persönlichen Weltsicht-Brille). Er sorgt dafür, dass wir unsere Ansichten der Wahrheit (die draußen, hinter der Scheibe, ist) halbwegs klar machen können. Aus dem Scheibenwischer eines Autos aber auf die (komplette) Sichtweise des Insassen zu schließen, halte ich – in dieser wunderbaren Metapher gesprochen – jedoch für relativ forsch.] Das mag aber Geschmackssache sein – manche Leute sind vllt. mutiger mit ihren Thesen als ich und gewiss können viele besser griechisch als ich. – Der Vollständigkeit halber wollte ich es hier aber in der Reihe der Diskussionspunkte nennen.


🙂 michMussManSichLeistenKoennen_webGimmick

SuW ist (populärwissenschaftlich) gewiss meine Lieblingszeitschrift, und zwar eigentlich wegen ihres relativ hohen Niveaus. Diese Meinung habe ich ungefähr seit ich 15 war. Seither hatte ich sie abonniert – auch wenn ich inzwischen nicht mehr immer und prompt zum Lesen darin komme. Wenn man etwas mag, dann verzeiht man manchen Fehler und manche Ungenauigkeit. Aber diesmal sind’s zu viele Fehler und Ungenauigkeiten; darum habe ich mir die Mühe gemacht, diesmal eine ausführliche Kritik zu schreiben. Dies sei Teil 1, denn zu dem Artikel über Anaximander und dem Artikel kann man noch sehr viel mehr sagen als nur eine Bildanalyse (das Thema liegt mir nur am meisten). Ob ich Teil 2 jemals zu schreiben schaffe, steht noch in den Sternen. Vielleicht meldet sich ja Herr Steenken mal bei mir, dass er selbst tun kann – ich publiziere das dann gerne hier im Blog.

EINLADUNG zur Diskussion

Ich möchte hiermit den Autor des SuW-Artikels – Nicolaus Steenken aus München – sowie geneigte SuW-Leser, Lehrkräfte und (Hobby)-Historiker dazu einladen, die aktuelle Zeitschrift zu lesen und den fraglichen Artikel hier mit dem Autor zu diskutieren.

Meine Grafik-Vorschläge und Analysen bieten sicher einiges an Stoff dafür – und ich erhebe nicht den Anspruch, dass sie perfekt sind, sondern eben nur Handskizzen, die ich heute Nachmittag en passant hinkritzelte. Und das, obwohl ich gewiss kein Experte für die Vorsokratiker oder gar Anaximander bin – sondern zunächst allein die Darstellungen analyisiert habe, also die Schlüssigkeit der Argumente.
Dies hier ist also pure Philosophie (Untersuchung der Argumentation; Fragen bzgl des Verständnisses) und ich freue mich auf den fachlichen Input von Experten.


Literatur zu meiner These ganz oben: “Bilder sind eine Sprache” bzw. ein Mittel [medium] zur Kommunikation

  • Breidbach, Olaf: Bilder des Wissens, Zur Kulturgeschichte der wissenschaftlichen Wahrnehmung, Wilhelm Fink Verlag, München 2005
  • Davidson, Donald: Wahrheit und Interpretation, suhrkamp, 1990
  • Duhem, Pierre: Ziel und Struktur der physikalischen Theorien, Meiner Verlag, Hamburg 1998
  • Goodman, Nelson: Sprachen der Kunst, Suhrkamp, Frankfurt am Main 1995
  • Lampert, Timm: Wittgensteins Physikalismus, mentis Verlag, Paderborn, 2000
  • Mersch, Dieter: Das Bild als Argument. Visualisierungsstrategie in der Naturwissenschaft, in: Wulf/Zirfas (Hg), Ikonologien des Performativen, 2004
  • Mersch, Dieter: Wittgensteins Bilddenken. In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie, Berlin 2006/6, S. 925-942
  • Schulz von Thun, Friedemann: Miteinander reden, Störungen und Klärungen, rororo 2006
  • Wittgenstein, Ludwig: Tractatus Logico Philosophicus, 1918 — in der Ausgabe von Suhrkamp stw 501, 2006

Außerdem (in aller Bescheidenheit):

    • meine Webseite mit Lehrmaterialen (Astronomie-/ Physikdidaktik): http://exopla.net, die eine Begleiterscheinung meiner früheren Projekte in Forschung&Entwicklung ist.

 

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"physics was my first love and it will be my last physics of the future and physics of the past" Dr. Dr. Susanne M Hoffmann ist seit 1998 als Astronomin tätig (Universitäten, Planetarien, öffentliche Sternwarten, u.a.). Ihr fachlicher Hintergrund besteht in Physik und Wissenschaftsgeschichte (zwei Diplome), Informatik und Fachdidaktik (neue Medien/ Medienwissenschaft) als Weiterqualifikationen. Sie ist aufgewachsen im wiedervereinigten Berlin, zuhause auf dem Planeten Erde. Jobbedingt hat sie 2001-2006 in Potsdam gelebt, 2005-2008 saisonal in Mauretanien (winters) und Portugal (sommers), 2008-2009 und 2013-'15 in Berlin, 2010 in Hamburg, 2010-2012 in Hildesheim, 2015/6 in Wald/Österreich, 2017 in Semarang (Indonesien), seit 2017 in Jena, mit Gastaufenthalten im Rahmen von Forschungskollaborationen in Kairo+Luxor (Ägypten), Jerusalem+Tel Aviv (Israel), Hefei (China)... . Ihr fachliches Spezialgebiet sind Himmelskarten und Himmelsgloben; konkret deren Mathematik, Kartographie, Messverfahren = Astrometrie, ihre historische Entwicklung, Sternbilder als Kulturkalender und Koordinatensystem, Anomalien der Sternkarte - also fehlende und zusätzliche Sterne, Sternnamen... und die Schaustellung von alle dem in Projektionsplanetarien. Sie versteht dieses Blog als "Kommentar an die Welt", als Kolumne, als Informationsdienst, da sie der Gesellschaft, die ihr das viele studieren und forschen ermöglichte, etwas zurückgeben möchte (in der Hoffnung, dass ihr die Gesellschaft auch weiterhin die Forschung finanziert).

5 Kommentare

  1. Die bisher restlos ausgebliebene Reaktion auf den Artikel von Frau Hoffmann zeigt, dass sich Frau Hoffmann mit ihren Ansichten allein auf weiter Flur befindet! Mit ihrer harten Kritik am Artikel von Herrn Steenken vertritt sie die Position einer besserwisserischen Erbsenzählerin. Mir jedenfalls hat der Artikel von Herrn Steenken weit besser gefallen als die Haarspaltereien von S. Hoffmann…

  2. Die “bisher restlos ausgebliebene Reaktion” könnte auch daran liegen, dass das Thema “ein weites Feld” ist. Schließlich sind Kenntnisse in Astronomie, Philosophie und Altgriechisch vonnöten … Die Bemerkungen zu Lichtstrahlen vs. Sehstrahlen finde ich jedenfalls nicht “besserwisserisch”, ebensowenig die Bemerkung zum grch. Wort meteorología. Derartige “Anachronismen” sind schließlich keine Seltenheit, wenn moderne Wissenschaftler ihre “alten” Vorgänger aus Sicht moderner Kenntnisse neu interpretieren.

  3. oder das Fehlen von Kommentaren liegt einfach daran, dass ich vor dem Griff zur Tastaur mit mehreren Kollegen (z.B. Archäologin, Gräzist, Historiker) sprach,wir ca. eine Stunde darüber diskutierten und sie alle – unisono – nur nach kurzem Durchblättern abwinkten und sagten “sowas würde ich gar nicht erst lesen”. Was man nicht liest, kann man nicht im Detail kritisieren.

    Ein sehr angesehener Professor für antike Wissenschaftsgeschichte schrieb mir ca. eine Woche später in einer privaten Mail: “es war in der Tat nötig, ein solches Schandwerk zu kritisieren”. Das hat mich dann doch etwas erschüttert.

    Was mir aber mit am meisten zu denken gibt: Offenbar kann man also Experten-Kommentare ausschalten, indem man etwas publiziert, das so offensichtliche und so zahlreiche Fehler enthält, dass sich die wahren Experten nur kopfschüttelnd abwenden.

    Das hat SuW m.E. nicht verdient: Wer sich dort als Autor vorstellt, trägt eine enorme Verantwortung – zumindest finde ich das und fand es schon immer.
    Mir liegt die Zeitschrift SuW wirklich sehr am Herzen – das ist eine lange Geschichte – und Artikel dieser Art sind zwar unbedingt wünschenswert und schön, aber dieser hätte gründlich überarbeitet werden müssen.

    Mir scheint, viele Astros messen die Welt der Wissenschaft(en) mit zweierlei Maß: in Physik & Naturwissenschaften soll und muss alles exakt und richtig sein und in anderen Wissenschaften (Geschichtsforschung) glauben viele, dass man schreiben könne, was man wolle. Lernt man ja schon in TBBT (Sheldon). Das ist natürlich nicht so!

    Ich möchte an dieser Stelle nochmals erwähnen, dass Mathematik eine Geisteswissenschaft ist und als Instrument der Naturwissenschaft unabdingbar. Ebenso das Instrument der Philologie(n) in den Altertumswissenschaften, also als Grundlage für Geschichtsforschung. Es ist aber gerade nicht so, dass dies das *einzige* Instrument wäre – insbes. für die Geschichte der Astronomie braucht man natürlich auch solide Kenntnisse der (modernen) Astronomie, der Geometrie und Arithmetik und es hilft, dreidimensional denken zu können… also all das, was die altbackene Naturwissenschaft so fordert.

    persönliche Erfahrung:
    Auch als Forscherin in Astronomiegeschichte arbeite ich derzeit bestimmt mindestens 80% meiner Arbeitszeit programmierend am Computer. (Dem modernen studierten Archäologen geht das in vielen Fällen ähnlich, wenngleich vllt oft eher visualisierend (wie in der Physikdidaktik) und nicht “nur” programmierend.) Allerdings mache ich zusätzlich zu Mathe/Physik/Programmier-Arbeiten eben auch noch manchmal linguistische Arbeiten (z.B. Handschriften in alt-griechisch lesen). Ich bin nicht und werde gewiss nie ein Gräzist oder Altorientalist, aber das heißt nicht, dass ich darum herum kommen würde, die alten Sprachen und ihre Medialität zu studieren. Was die Arbeit als Astro-Historikerin von der als Astro-Physikerin im wesentlichen unterscheidet, ist die Tatsache, dass ich als Astro-Physikerin ausschließlich am PC arbeitete und als Astro-Historikerin auch mitunter den Bildschrim verlasse und versuche, Keilschrifttexte oder Manuskripte zu lesen. Da ich dafür kein Fachwissenschaftler bin, arbeite ich in diesen Fällen mit den entsprechenden Philologen zusammen – oder halt mit Archäologen, wenn es um Auffindungskontexte oder künstlerische Darstellungen geht – aber in jedem Fall solcher interdisziplinären Kollaborationen bringt man aus der Zusammenarbeit eine größere Wahrheit und schlüssigere bzw. triftigere Argumentation hervor, als würde man dies alleine tun, WEIL man sich an die *alle* Fakten der verschiedenen Fächer hält und eben *nicht* Hypothesen fingiert.

    Wir lernen: SuW – deren Redaktion bisher nur aus Naturwissenschaftlern besteht – braucht offenbar dringend einen (Gelegenheits-)Redakteur/in für Astro-Geschichte. Der Artikel ist ja an sich gut intendiert und enthält schöne Ansätze – aber er hätte eben einer gründlichen Überarbeitung bedurft. Den Ansatz dazu habe ich hier gemacht – und da es nun schon veröffentlicht war, musste auch die “Redaktion” dazu leider öffentlich erfolgen. Charmanter wäre es gewiss gewesen, solche Fragen und Anmerkungen nur dem Autor zu schicken – und zwar *vor* der Publikation. Diese Chance war mir aber nunmal nicht gegeben worden. Sorry.

  4. Also, ich finde ja nicht, dass man sich für den Blogeintrag “Anaximander in Bildern?” entschuldigen muss … Was mich so nebenbei interessieren würde: Gab’s denn von SuW-Leuten irgendeine (z. B. eMail-)Reaktion?

  5. @harastos: ja, es gab SuW-Reaktionen: 1) mein Leserbrief wurde nicht gedurckt (ist ja auch ne Aussage) und 2) dieser sowie mein Blog-post wurden kommentiert, dass ich sowas nicht schreiben solle …
    Ich finde *doch*, das ist eben genau die Chance von solchen Blogs … wir leben schließlich in einem Land der Informationsfreiheit (d.h. nicht der Diktatur/ Zensur von gut bezahlten Redaktionen) und die Reaktionen der Kollegen und einiger Freunde und Hobby-Astros, die ich per EMail bekam, gab mir Rückendeckung.

    Danke auch für die Kommentare der Leser hier.

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