AG Tagung in Kiel
BLOG: Uhura Uraniae
Die Astronomische Gesellschaft ist gleichzeitig die älteste wissenschaftliche Gesellschaft in Deutschland – und aktueller und weltbildformend wie eh und je. Die Jahrestagung der Gesellschaft hat diesmal das übergreifende, Brücken bauende Thema “From the first quasars to life-bearing planets: From accretion physics to astrobiology” … also quasi alles, das im Universum außerhalb der Erde passiert oder passierte – die Geschichte des Universums vom Urknall bis heute. 🙂 Sie findet diese Woche in Kiel statt.
Die meisten Astronomen arbeiten freilich als Physiker daran, die Welt zu verstehen und nehmen daher mit ihren Vorträgen den Dienstag bis Freitag ein. Am Freitag tagt aber auch der Arbeitskreis Astronomiedidaktik, am Mittwoch (gestern) gab es ein – inzwischen ebenfalls schon fast traditionelles – Meeting für Public Outreach. Der Arbeitskreis Astronomiegeschichte tagte bereits am Montag. Sogar der relativ kleine Arbeitskreis der Historiker brachte aber eine illustre, internationale Runde zusammen: von interessierten Physikern, die alte Daten reduzieren, Pensionären und Hobby-Stadtführern, echten Historikern und Buchreihen-Herausgebern… sowie Leuten aus Dänemark, Tschechien, den Niederlanden, Österreich und natürlich Deutschland… Astronomiegeschichte ist – wie auch die Astrophysik – eine internationale Angelegenheit.
Der frühe Start gibt der Organisatorin Gudrun Wolfschmidt, Professorin für Geschichte der Naturwissenschaft in Hamburg, die Gelegenheit, am Sonntag Nachmittag vor der Tagung einen Stadtrundgang anzubieten:
Kiel als Stadt war allerdings im Krieg stark zerstört worden, so dass man relativ wenig Altes im Stadtbild findet. In der Astronomie ist Kiel auch vor allem für die moderne, quantitative Astrophysik berühmt. Die Kieler Schule wurde von Albrecht Unsöld von einer Sternwarte zu einem der führenden Institute für Theoretische Astrophysik entwickelt. Bereits in den 1950er Jahren nutzte Unsöld die Astronomie jenseits des sichtbaren Lichts und errichtete in Kiel ein Radioteleskop, um Sterne und die Sonne auch in neuen Wellenlängen zu erschließen. Heute ist es stillgelegt:
Das Genie Albrecht Unsöld, das mit zarten 14 Jahren Sommerfelds Buch über Atomphysik verschlang und fundiert kritisierte, führte später die quantitative Spektralanalyse in die Physik der Sonne bzw. allgemein die Physik der Sterne ein: Vorher wusste man zwar bereits längst längst, welche chemischen Elemente eine Sternatmosphäre konstituieren, aber erst durch Unsölds Arbeiten wurden die Methoden erarbeitet, z.B. durch Druckverbreiterung und Druckverschiebung der Spektrallinien auch auf die Physik der Sterne zu schließen.
Die historische Kieler Sternwarte lässt ihren Zweck kaum noch erkennen: Sie hat keine Kuppel und keine historischen Instrumente mehr. Dass es sich bei dem weißen Gebäude um eine Sternwarte gehandelt hat (heute ja Institut für Theo. Phys.), erkennt man vor allem an den Straßennamen der Gegend und an einem Set von metallischen Planetensymbolen vor dem Eingang.
Als Sternwarte tatsächlich genutzt, wird ein kleines Teleskop auf dem Dach des Uni-Gebäudes am Ende der Stadt. Das Cassegrain-Teleskop wird aber nur im astrophysikalischen Praktikum genutzt.
Am zweiten Tagungstag, dem Dienstag, werden traditionell die großen Preise der AG verliehen: Diesmal war das ein Treffen von Generationen:
Herr Prof Dr Lotze (Jena) erhielt den Roelin-Preis für Wissenschaftspublizistik, zwei Jugend-Forscht-Preisträger haben in ihrer JuFo-Arbeit das gleiche gemacht wie der Präsident der AG in seiner Doktorarbeit (was die rasante Entwicklung der Computertechnik zeigt) und der über 80jährige Instrumentbauer Appenzeller wird für sein Lebenswerk mit der Karl-Schwarzschild-Medialle geehrt. Daneben gibt es noch einen Promotionspreis und den Ludwig-Biermann-Förderpreis für junge WissenschaftlerInnen auf Karrierestufen zwischen Schülern und pensionierten Eminenzen bzw. Professoren.
Die Plenarvorträge, die sich der Physik widmen, stellen mit zeitgemäßen Visulisierungen den Forschungsstand dar – auch wenn die Wissenschaft natürlich meist etwas neidisch auf das Budget von Hollywood dafür schaut: z.B. bei der Visualisierung eines Schwarzen Lochs mit umlaufender Gaswolke, das der Film Interstellar doch wesentlich hübscher zeigt als es die wissenschaftliche Low-Budget Variante kann:
… also, wenn ich sowas sehe oder Vorträge der modernen Sternphysik oder meine geliebte Gravitationslinsenforschung höre, dann kriege ich richtig Lust, wieder darüber zu arbeiten (zumal mein derzeitiges Forschungsprojekt mal wieder endet). Aber historische Forschung lässt mein Herz ebenfalls höher schlagen … und dann auch noch dafür sorgen, dass das alles in die Öffentlichkeit kommt.
So forderte auch der Kieler Bürgermeister, Dr Ulf Kämpfer – ein promovierter Jurist, uns Astronomen in seinem Grußwort auf, mit unseren grundlegenden, alle Menschen interessierenden Fragen, zahlreiche und tragende Brücken von der Forschung in die Öffentlichkeit zu bauen. Er brachte dazu das berühmte Kant-Zitat an:
Zwei Dinge erfüllen mein Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt:
der gestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir.
Von außen betrachtet, charakterisiert er einige Pionierleistungen der Astronomie und lobt unsere Wissenschaft als erstens vorkämpfend hinsichtlich dem Umgang mit Big Data, zweitens der Benutzung von Großinstrumenten, die nicht selten in großen internationalen und interdisziplinären Teams entwickelt und betrieben werden und damit drittens auch führend in der interdisziplinären Arbeit.
APPELL zur AUFKLÄRUNG
Als Bitte und Appelle fordert er uns daher auf, auch weiter und verstärkt Brücken zu bauen (oder – wie wir in Berlin sagen würden: Mauern in den Köpfen einzureißen) und Aufklärungsarbeit für die Wissenschaft zu leisten. Schließlich sei es doch zu bedauern, dass fast jeder in unserer Gesellschaft sein Sternzeichen kennt, aber fast niemand seine Blutgruppe – obwohl letzteres viel wichtiger wäre.
HAPPY
Hier bei der AG trifft man sehr kompetente, weltoffene Menschen mit dem Sinn für das ganze Universum, einem leidenschaftlichen Interesse für das ganz Große und ganz Kleine, für das ganz Alte und ganz Junge … und natürlich alles dazwischen: eine große internationale Familie von interessanten Menschen!
PS: ein Vermouthstropfen der faszinierenden Forschung
Es ist ein fürchterlicher Zustand, dass man leider aber in diesem Staat keine langfristigen Stellen in der Forschung kriegt. Ich selbst liebe die Arbeit als Wissenschaftlerin – in Physik gleichermaßen wie in Geschichtsforschung – aber die Konditionen für intelligente Menschen sind in dieser Gesellschaft eher schwach: Arbeitsverträge mit Laufzeiten von nur 1-2 Jahren und dann die Alten, die immer sagen, wir sollten dagegen vorgehen.Aber ganz ehrlich: wann soll man das denn machen, wenn man ständig dabei ist, augenblicklich gut zu arbeiten und gleichzeitig sich schon mal auf den nächsten Job zu bewerben? Es ist die Aufgabe der Senioren und Professoren, sich für den Nachwuchs einzusetzen, denn wir Jungen haben einfach nicht die Zeit, neben der Forschung, der Forschungsorganisation und dem Aufbau neuer Projekte auch noch die Lobby-Arbeit für uns selbst zu machen (also ich jedenfalls nicht). — so fasst es zumindest auch Rolf Kudritzki zusammen, der Hawaii-Hemden-tragende Stellarphysiker und Unsöld-Enkel, der schon seit Jahrzehten in den USA mit den größten Teleskopen der Welt “spielen” darf.
Also: Ich bin mal gespannt, was die Zukunft an Verbesserungen bringt und wünsche es jedenfalls uns allen, der altehrwürdigen Astronomischen Gesellschaft, dass es eine glorreiche Zukunft gibt.
GIMMICK
Daß kaum jemand seine Blutgruppe kennt, liegt, so glaube ich, nicht nur an mangelndem Interesse… jede Zeitung druckt die “Zeiten” der Sternzeichen aus, es ist also sehr leicht, es herauszubekommen. Dagegen wird kaum jemandem, der nicht Blutspender ist, eben einmal beim Arzt seine Blutgruppe gesagt bekommen. Würde diese Information für den einzelnen leichter zugängölich sein, wäre das Wissen auch wahrscheinlich verbreiteter.
Wer in den mindestens letzten 10 Jahren schwanger war, müsste seine Blutgruppe eigentlich kennen – oder könnte es zumindest, wenn er mal in seinen Mutterpass guckt. Ich kenne meine (und die des Vaters meiner Kinder) sogar bis runter zum Kellfaktor. Ein bisschen Interesse ist natürlich immer auch Voraussetzung.
Ich kenne meine Blutgruppe, weil ich Astronautin werden wollte und das mal bei irgendeiner Gelegenheit angeben musste.
Wer das Buch von Felix Lühning: “Geschichte der Kieler Universitätssternwarte und ihrer Vorgängerinnen 1770-1950” kennt, der weiß auch, das diese Sternwarte in ihrer alten Form 1939 geschlossen wurde. Das obige weiße Gebäude war das Direktoriumsgebäude für die geheimen Hofräthe wie KRUEGER und Paul HARZER mit Familie und Bediensten und zuletzt für H.O. ROSENBERG. 1905 ließ Harzer den größten Meridiankreis Europas in Kiel bauen, der aber nie über seine Kinderkrankheiten hinausgekommen war und nach 1945 verschrottet wurde. Die Sternwarte war eng mit der Marine verbunden, ging es doch um Navigation und Zeitmessung. Am Meridiankreis arbeitete der berühmte Astronom H. Kobold, der auch Schriftführer der Astronomischen Nachrichten in Kiel war. Wo früher der Meridiankreis war, stehen heute Mietshäuser…auch von der alten Kuppel und dem Bothkamp – Refraktor ist heute nichts mehr zu sehen…
So gehen die Zeiten dahin – Probleme mit Dauerstellungen (beamtete – versteht sich!) gab es damals natürlich auch. Kobold beklagte sich aus Straßburg mehrmals, dass schon wieder ein gewisser Herr Schwarzschild in Göttingen ihm vorgezogen wurde. Schuld war natürlich die Empfehlung des unumstrittenen Alpha – Astronomen Hugo von Seeliger für seinen Top – Schüler Schwarzschild…Kobold hatte dann aber Glück, doch noch die gut dotierte Stelle in Kiel zu bekommen – immerhin mußte er eine Familie als Alleinverdiener ernähren..:-)) Und die Konkurrenz war damals (1900) noch nicht so katastrophal wie heute….
… und wer das Buch nicht kennt, kann es lesen. Da der Herr Architekt der Bitte um seinen entsprechend qualifizierten Beitrag zum Thema dieser AG-Tagung leider nicht entsprach, hat uns seine Doktormutter allein durch die Stadt geführt und die Geschichte der Sternwarte erklärt.