007 – Notes from Russia II

BLOG: Uhura Uraniae

Ko(s)mische Streifzüge durch Zeit und Raum
Uhura Uraniae

"Hallo Sanne, was hältst Du eigentlich von der Hawking-Strahlung?" – So oder so ähnlich beginnen Gespräche bei unseren Projekten – und zwar egal, in welcher Sprache. Hier ist es eine Mixtur aus deutsch, russisch, englisch und Mathe. 🙂 Physik und Mathematik sind international, man kann sich also mit allen Menschen der Welt in mathematischen Formeln und über Naturgesetze unterhalten und selbst, falls Vokabeln der Verbalsprachen fehlen, dann lassen sich durch einfache Skizzen oder mathematische Formeln Verständigungsschwierigkeiten leicht umgehen. Cool

Es wurden Schwarze Löcher diskutiert, deren Dichte (eben nicht immer besonders hoch, sondern manchmal auch wie Luft) und ihre Existenz, Wurmlöcher, Planeten, Monde und nach Art der Sendung mit der Maus allerlei Alltagsphänomene analysiert.  

Der zweite Teil unseres Sibirien-Abenteuers fand in Omsk statt. Mit der Transsibirischen Eisenbahn fuhren wir – letztlich also doch, nachdem der Kauf der Tickets vier Abende in Anspruch genommen hatte –  von Novosibirsk nach Omsk.

Sieben Stunden dauerte die Zugfahrt, vorbei an sibirischer Taiga, an Birkenwäldern und weiten Feldern, in denen sich Schnee, Eis und tauende Flächen abwechselten.

 

Auch in Omsk wohnten wir in Gastfamilien, allerdings waren hier nicht Schülerinnen und Schüler unsere Austauschpartner, sondern ein Astronomie-Verein, der den passenden Namen "Albireo" trägt. Passend zur VEGA/ VdS sind die Mitglieder dieses Vereins sowohl SchülerInnen als auch Studierende und auch Berufstätige und so lernten wir ganz verschiedene Lebenssituationen kennen. 

 Omsk  

… hat im Gegensatz zu Novosibirsk eine klassischere Geschichte. Es gibt zahlreiche ältere Gebäude und Kirchen, sogar eine deutsche Kirche, in der also die Gottesdienste (protestantisch-lutherisch) teilweise auf deutsch gehalten werden. Hier in dieser Gegend Sibiriens gibt es zahlreiche deutsche Siedlungen, deren Bewohner sich aus ehemaligen Wolga-Deutschen rekrutieren und mithin auch deren Kinder und Kindeskinder Deutsch lehren. Es gibt Deutschunterricht in den Schulen und Vorschulen und mithin sind die Menschen besonders neugierig auf "echte" deutsche Muttersprachler. Die Sprache, die sie sprechen ist schließlich schon seit einem halben bis ganzen Jahrhundert vom deutschen Kernland abgetrennt und von russischem Amtssprache umgeben. Einige Schnitzer in den Beschriftungen sind die Folge, die uns teilweise zum herzhaften Lachen anregten.  

Wir haben aber nicht nur die goldenen Deko-Sterne auf den Kirchenkuppeln angeschaut, sondern außerdem die echten Sterne am Himmel und die künstlichen im Planetarium. Im Planetarium haben ich sogar zweimal übernachtet: ja, wirklich im Planetarium, in der Kuppel. 🙂  

Das Planetarium Omsk, Sitz des Vereins Albireo, befindet sich in einem "Haus der Jugend" (siehe Abb. oben), in dem es zahlreiche Aktivitäten für Kinder und Jugendliche angeboten werden. Wir trafen eine Gruppe von Jugendleitern, die noch immer mit Pionier-Halstuch herumlaufen, Trommeln schlagen und gemeinsame Ausflüge für die Sommer vorbereiten. Als nächstes besuchten wir eine Schießgruppe von Kindern (ca 6 bis 10 Jahre alt), die sich darin übten, ein Gewehr zu zerlegen und zusammen zu setzen. In einer anderen Etage des riesigen Gebäudes gab es Kinder und Jugendliche, die malten, töpferten oder Computergrafik anhand von Collagen trainierten. 

Abb. rechts: SchülerInnen genießen eine Planetarium-Show. 

Befremdlich wirkt diese Kultur für uns: Auf der einen Seite trainieren sich die kleinen Kinder in militärischen Übungen (Schießen, Marschieren, Trommeln), auf der anderen Seite gaukeln alt-russische Bräuche und Handarbeiten eine märchenhaft-beschauliche Friedlichkeit vor. Auf der einen Seite werden orthodox-christliche Feste zelebriert, andererseits grassiert der Aberglaube, weil man sich dauernd etwas wünschen darf – sei es beim einbeinigen Hüpfen durch ein altes Stadttor oder beim Verlassen eines Raumfahrtmuseums in einer der Omsker Schulen. Da stehen in jeder Stadt monumentale Lenin-Denkmäler neben den Doppelkreuzen des Christentums und der Stolz auf die moderne Technologie der Raumfahrt, Kybernetik und anderer Wissenschaften neben einem Lebensstil voller Mystik… 

  Bizarr!

 

Das Planetarium Omsk ist sozusagen ein Eigenbau – nicht ganz, aber "quasi". In einer ca 8m-kleinen, etwas ausgebeulten und unsymmetrischen Kuppel steht der schwarze Projektor. Es ist kein Markengerät von Zeiss, Bader oder Meade, was man klassisch hantelförmig kennt, sondern besteht aus zwei Halbkugeln. Bei genauer Betrachtung sieht man, dass winzige Löchlein in die Schalen gepiekt sind, durch die das Licht der inneren Glühlampe tritt. Das schwarze "Astronomen-Ei" wird von einem schwazen Zylinder begleitet (im rechten Bild oben erkennbar). Er besteht aus schwarzer Folie, auf die die Sternbild-Figuren gemalt sind. Weil aber schwarze Folie (natürlich) noch immer lichtdurchlässig ist, werden bei Einschalten des Zylinderprojektors die Sterne des Ei-Projektors überstrahlt. Darum sind auf die Folie auch die hellsten Sterne gemalt. Der Bilderhimmel ist übrigens kunterbunt. Völlig unsystematisch hat jedes Sternbild eine andere Farbe – d.h. eigentlich nicht unsystematisch, sondern nach dem klassischen Vierfarben-Kartenprinzip haben benachbarte Sternbilder verschiedene Farben. Das unterscheidet dieses Planetarium von den Standarddarstellungen, bei denen nur die Bilder des Tierkreises farblich abgehoben sind.

Die Sternwarte

Auf dem Dach des Hauses gibt es über dem Planetarium noch eine kleine Kuppel, in der ein Refraktor wohnt. Ausgepackt haben wir ihn nicht, obgleich wir in den drei klaren Nächten mehrere Stunden auf dem Dach verbrachten. Wir benutzen aber die transportablen Geräte, die auf der Terrasse um die Kuppel herum genutzt werden können. Manche Teilnehmenden konnten hie rzum ersten Mal Mars und Saturn sehen. Als wir versuchten, den Orion-Nebel einzustellen, zeigte sich bei 5° bis 10° überm Horizont, dass auch im Herzen Sibiriens eine Stadt nunmal kein gescheiter Beobachtungsstandort ist: Lichtverschmutzung und die Abgase der Industrie stören natürlich die Beobachtung.   

 

 

 

 

 

 

 

  Abb.:

  • links: Aufbau-Übung an einem einfachen Keplerschen Fernrohr (Wettbewerb-Spiel)
  • Mitte: Sonnenbeobachtung am Morgen des 6. April (kleine Protuberanz) 
  • rechts: das Teleskop in der Kuppel, ein Refraktor. 

 

Die Technische Universität Omsk ist übrigens sehr empfehlenswert! Sie ist frisch restauriert und hat eine exquisite Ausstattung von namhaften Firmen. Insbesondere in der Kybernetik, Mechatronik und Robotik kann man hier – offenbar – fantastisch studieren!

Ein kleiner Greifarm zeigt uns, wie er Bauklötzer nach Farbe sortieren kann. Große Firmen wie Mitsubishi und FESTO haben hier ihre Finger im Spiel: Internationale Kooperationen gibt es mit verschiedenen europäischen Staaten, China und den USA. An dieser Universität ist die Ausrüstung moderner als in den Werkstätten des DESY Hamburg! Und die (typisch-russisch!) allgegenwärtigen Auszeichnungen sind nicht (wie sonst typischerweise in Russland) nur Stecknadeln fürs Rever, sondern mit viel Geld verbunden!

Hier wird anscheinend die wirkliche Elite des Landes ausgebildet, mit individueller Betreuung und finanzieller Förderung – während die Wissenschaftlerstadt "Akademgorodok" in Novosibirsk vor allem einen guten Namen hat, viel Platz und Tradition – aber eben leider eine ältere Ausstattung.   

 

 

 

 

 

 

 Wild-Romantik

Nachdem wir nun einige Tage lang Schulen, Universitäten und andere Bildungseinrichtungen besucht hatten, gab es zum Schluss noch etwas Wild-Romantik:  Nicht nur Musik mit Gitarren-Begleitung im Planetarium, sondern auch einen Grillnachmittag im Schnee und fröhliches Ausprobieren von Eisdecken und Schneeschichten. Mit Goretex-Schuhen kann man übrigens prima auch im eisigen Wasser stehen und trockenen Fußes durch den allgegenwärtigen Matsch laufen. 

Nachdem am Anfang der Woche die deutschen den Geschwindigkeitsrekord hielten im Aufbau von Teleskopen, haben die Russen uns aber deutlich übertrumft im Bootsbau. Das Schiff, dass die deutschen aus einem Kunststoffbecher bastelten, kippte und auf dem Eiswassersee um, während das russisch-deutsche Gemeinschaftsprojekt, die AlbirVega (eine aufgeschnittene Plasteflasche, als Segel zwei Teile eines Kunststoffbechers an Birkenstöckchen und beschriftet mit Nagellack: was die russische Standard-Frau halt so dabei hat…), anschließend zu einer erfolgreichen Jungfernfahrt über eine tauende Wiese aufbrach. 

 

Das obligatorische Gruppenfoto, diesmal mit einem Teleskop. Hier haben unsere russischen Partner ihre Camp-T-Shirts bekommen, während die deutschen schon in Abschiedsstimmung sind und sich für den Heimflug rüsten. Nächste Woche schreiben einige schon wieder daheim Abitur oder beginnen das Sommersemester:    

 

Der Leiter des Planetariums, Vladimir, hält die Kamera im Anschlag. Das ist in der Tat eine charakterische Pose für ihn, alles dokumentierend. 🙂

 


gefördet von der

 

veranstaltet von der VEGA e.V.,

Organisation & Leitung: Nina Mut, Susanne M Hoffmann 


 

  Weitere Annekdoten:

Auf dem Flug von Moskau nach Nowosibirsk waren wir relativ spät am Check-In. Als die erste Hälfte der Gruppe das Gepäck bereits abgegeben hatte, war das Flugzeug bereits voll. Die einzigen freien Plätze waren in der Business-Class – also wurde der zweite Teil der Gruppe in die J-Class upgradet. So saßen dann einige Teenager auf superbequemen Sesseln und erhielten ein Drei-Gänge-Menü mit Kavier-Tartelettes im Aperitif und Eiscreme als Nachspeise. Relativ ausgeschlafen kamen wir also in Novosibirsk an.

Auf dem Rückflug von Moskau nach Berlin bzw Frankfurt (verschiedene Destination für verschiedene Leute) erhielten wir ebenfalls ein Upgrade, diesmal die ganze Gruppe und als Entschädigung für die Strapazen davor: Wir mussten schließlich stundenlang, sehr unkomfortabel und ohne Verpflegung in einem Flugzeug auf dem Moskauer Flughafen warten.   

Dazu folgende Geschichte: 

Der Flug von Omsk nach Moskau hatte eine halbe Stunde Verspätung, aber in Moskau Sheremetiovo, wo wir hätten landen und das nach dem Transit in ein anderes Flugzeug gen Deutschland einsteigen sollen, herrschte dicker Nebel. Folglich landete unsere Maschine auf dem anderen Moskauer Flughafen, an dem strahlender SOnnenschein dominierte. Nach einer Stunde warten im Flugzeug wurden die Passagiere mit direktem Reiseziel Moskau gebeten, auszusteigen. Wir anderen sollten uns wieder hinsetzen.

Weitere 1.5 Stunden vergingen, dann hatte man entschieden, dass wir auftanken und weiterfliegen sollten. Ich glaube, *das* geht wahrscheinlich nur in Russland: Um von einem Flughafen einer Stadt zum anderen Flughafen derselben Stadt zu gelangen, benutze man natürlich ein Flugzeug – nicht etwa (wie gewöhnliche Leute) einen Bus oder Zug – es ist schließlich ein Flughafen, kein Zughafen oder Busbahnhof. 😉 

 Alles in allem: ein wirkliches Abenteuer!

Ich persönlich fand es toll, noch einmal mehr über den Wolken zu schweben – das Gefühl beim Starten und Landen zu erleben und vor allem, den Service in der Business-Class zu genießen! Das 3-Gänge-Menü finde ich persönlich weniger wichtig als den sehr bequemen Sessel – gerade, wenn man weit nach Osten reist und folglich anschl unter dem Jetlag leidet. (ich glaube, ich werde meine Flüge nun immer via-Moskau buchen, denn da werde ich auf Business Class heraufgestuft! Wink )

 

Reisen hat etwas faszinierendes an sich:

Rückwärts durch die Zeit erlebt man hier 3D und in Farbe,

was anderswo schon Geschichte ist.

Also … na klar, man hat auch immer Dinge, die auf solchen Reisen stören und nerven, weil sie unserem europäischen Lebensstandard zuwider sind. Insbesondere aber bei den Russen gibt es lauter solch skurile Erlebnisse, die man ein Leben lang im Kopf behalten wird. 

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"physics was my first love and it will be my last physics of the future and physics of the past" Dr. Dr. Susanne M Hoffmann ist seit 1998 als Astronomin tätig (Universitäten, Planetarien, öffentliche Sternwarten, u.a.). Ihr fachlicher Hintergrund besteht in Physik und Wissenschaftsgeschichte (zwei Diplome), Informatik und Fachdidaktik (neue Medien/ Medienwissenschaft) als Weiterqualifikationen. Sie ist aufgewachsen im wiedervereinigten Berlin, zuhause auf dem Planeten Erde. Jobbedingt hat sie 2001-2006 in Potsdam gelebt, 2005-2008 saisonal in Mauretanien (winters) und Portugal (sommers), 2008-2009 und 2013-'15 in Berlin, 2010 in Hamburg, 2010-2012 in Hildesheim, 2015/6 in Wald/Österreich, 2017 in Semarang (Indonesien), seit 2017 in Jena, mit Gastaufenthalten im Rahmen von Forschungskollaborationen in Kairo+Luxor (Ägypten), Jerusalem+Tel Aviv (Israel), Hefei (China)... . Ihr fachliches Spezialgebiet sind Himmelskarten und Himmelsgloben; konkret deren Mathematik, Kartographie, Messverfahren = Astrometrie, ihre historische Entwicklung, Sternbilder als Kulturkalender und Koordinatensystem, Anomalien der Sternkarte - also fehlende und zusätzliche Sterne, Sternnamen... und die Schaustellung von alle dem in Projektionsplanetarien. Sie versteht dieses Blog als "Kommentar an die Welt", als Kolumne, als Informationsdienst, da sie der Gesellschaft, die ihr das viele studieren und forschen ermöglichte, etwas zurückgeben möchte (in der Hoffnung, dass ihr die Gesellschaft auch weiterhin die Forschung finanziert).

2 Kommentare

  1. Grüße aus Russland

    Hallo Susanne,
    genau deswegen finde ich auch den Kontakt zu unseren russischen Redshift-Programmierern immer so interessant: Die Russen sind ein überaus interessantes Völkchen – v.a. außerhalb Moskaus!
    Auch ich freue mich schon auf meinen nächsten Trip dorthin.
    Grüße,
    Stephan

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