Von Kopf bis Fuß: Wie Sprachen Körperteile benennen
BLOG: Thinky & Brain
Trotz der universellen Struktur des menschlichen Körpers unterscheiden sich die ca. 7.000 Sprachen der Welt darin, wie sie Körperteile benennen. Im Deutschen unterscheiden wir zwischen Hand und Arm, während in der afrikanischen Sprache Wolof der Begriff loxo für beide Körperteile verwendet wird. Die Unterschiede in der Art und Weise, wie Sprachen Körperteile benennen, fasziniert Forschende aus den Bereichen Linguistik, Anthropologie und Psychologie seit vielen Jahren. Durch die Erforschung dieser Unterschiede können wir sowohl universelle Tendenzen als auch kulturspezifische Nuancen in der Sprache aufdecken.
Universelle Tendenzen und kulturelle Variationen
Ähnlich wie bei der Forschung im semantischen Bereich der Farben und Emotionen wurden in mehreren sprachvergleichenden Studien die Wortschätze für Körperteile untersucht, um kognitive Verarbeitungsprozesse von kulturellen Einflüssen abzugrenzen. So lässt sich beispielsweise generell feststellen, dass es in vielen Sprachen einen eigenständigen Begriffe für Körperteile wie MUND und ARM gibt. Und wenn es in einer Sprache ein Wort für FUß gibt, dann gibt es auch eines für HAND. Diese Prinzipien deuten auf einen kognitiven Prozess bei der Benennung von Körperteilen hin.
Die universellen Muster werden jedoch von kulturspezifischen Variationen begleitet. Zum Beispiel hat die Sprache Lavukaleve auf den Salomonen kein eigenes Wort für ARM und in Jahai, das in Malaysia gesprochen wird, gibt es kein Wort für MUND. Zudem gibt es mehrere Sprachen, die nur ein Wort haben, um HAND und ARM zu benennen. Diese unterschiedlichen sprachlichen Strategien weisen darauf hin, wie verschiedene Kulturen den menschlichen Körper wahrnehmen und mit ihm interagieren, indem sie die motorischen Funktionen gegenüber den visuellen Unterscheidungen betonen.
Wortschätze als Netzwerke
In den letzten Jahren wurde eine neue Methode zur sprachvergleichenden Analyse von Wortschätzen entwickelt. Das theoretische Konstrukt der Kolexifikation bezeichnet den Fall, dass ein Wort zwei Konzepte ausdrückt. Dieses Konstrukt wurde methodisch in Netzwerke umgesetzt. In diesen Netzwerken repräsentieren die Knoten ein sprachübergreifendes Konzept und die Verbindungen die Anzahl der Sprachen, in denen die beiden Konzepte mit dem selben Wort benannt sind. Diese methodische Innovation hat die Untersuchung lexikalischer Daten revolutioniert und groß angelegte sprachübergreifende Vergleiche ermöglicht.
Durch die Untersuchung von Wortschätzen für Körperteile in 1.028 verschiedenen Sprachen haben wir in einer neuen Studie die Muster der Kolexifizierungen von Körperteilen identifiziert. Diese Muster zeigen, dass Kolexifikationen in den Sprachen der Welt häufig zwischen benachbarten Körperteilen auftreten, wie z. B. HAND-ARM, FUß-BEIN oder MUND-LIPPE. Ein Grund für dieses Muster ist, dass sich manche Sprachen auf die funktionalen Merkmale konzentrieren, die zwei Teile miteinander verbinden. Die Sprecher:innen erkennen, dass wir einen Ball mit der Hand und dem Arm werfen oder dass wir mit dem Bein und dem Fuß gehen. Daher nutzen diese Sprachen nur ein Wort, um die beiden Körperteile zu benennen. Sprachen wie Deutsch hingegen konzentrieren sich auf visuelle Hinweise wie das Handgelenk oder den Knöchel, um die Körperteile konzeptuell zu trennen und sie mit eigenen Wörtern zu bezeichnen.
Notwendigkeit für mehr Daten
Studien zu Wortschätzen aus unterschiedlichen Sprachen liefern zwar wertvolle Erkenntnisse, es werden aber mehr Daten benötigt, um die Faktoren, die die Sprachvielfalt beeinflussen, vollständig zu verstehen. Die Dokumentation von Sprachen in Gebieten wie Afrika oder Neuguinea und die Erhebung soziologischer Daten zum Sprachkontext sind für die weitere Forschung von entscheidender Bedeutung. Umfassende Datenerhebungen können dazu beitragen, die Komplexität zu entschlüsseln, wie Sprache menschliche Erfahrungen und kulturelle Kontexte widerspiegelt.
Fazit
Die Untersuchung von Wörtern, die Körperteile benennen, unterstreicht die Vielfalt der menschlichen Sprache und ihre komplizierte Verbindung zu unserer Körperwahrnehmung. Durch den Vergleich des Wortschatzes in den Sprachen der Welt können wir die universellen und variablen Aspekte der sprachlichen Kategorisierung beleuchten. Diese interdisziplinären Studien bringen unser Verständnis von Sprache und Kultur voran.
hallo,
teilweise muss man gar nicht so weit schauen, wenn man die dialektik /umgangssprache ebenfalls noch beobachtet.
im (tiefen) schwäbischen gibt es auch nur den *Fuaß*, der bis zur hüfte reicht
wohl wird dort aber zwischen arm/hand unterschieden.
das führt beim hausarzt bisweilen zu seltsamen unterhaltungen.
in diesem sinne:
Adele (=auf wiedersehen)
Man braucht gar nicht so weit zu gehen. Die Schwaben benützen das Wort “Fuß” auch für Bein. Schwaben haben nur Füße.
Und das Besondere dabei, Schwaben verstehen an der Aussprache ? am Kontext ?
ob der Fuß oder das Bein gemeint ist. Für Außenstehende am Anfang ein Problem, so langsam beginne ich auch das Wort “Fuß” zu bevorzugen. Vielleicht ist die Assoziation zwischen Bein und Pein zu präsent ?
Solche Unterschiede findet auch man schon viel näher: Im Süddeutschen bezeichnet “Fuß” alles von den Zehen bis zur Hüfte, siehe https://www.atlas-alltagssprache.de/runde-7/f03a-b/
Annika Tjuka schrieb (30. Mai 2024):
> […] Die Unterschiede in der Art und Weise, wie Sprachen Körperteile benennen […]
> Im Deutschen unterscheiden wir zwischen HAND und ARM, während in der afrikanischen Sprache Wolof der Begriff LOXO für beide Körperteile verwendet wird.
Wie ließe sich dieser (offensichtlich deutschsprachige) Satz:
überhaupt sinngemäß in the Sprache Wolof übersetzen ?
p.s. —
Ein verwandtes Beispiel und damit verbundenes Problem aus meinem Forschungsgebiet, ebenfalls betreffend die “Benennung von (konzeptionell unterscheidbaren) Teilen” sowie damit verbundene Prinzipien und kognitive Prozesse:
Wenn ein Streichholz angezündet worden ist, indem der Streichholzkopf und die Reibefläche einer Streichholzschachtel (“hinreichend eng”) aufeinander trafen und sich aneinander vorbei bewegten (s. Symbolbilder),
lässt sich das wohl jeweils als ein bestimmtes “Ereignis” und insbesondere als ein “Koinzidenz-Ereignis” bezeichnen, an dem sowohl der genannte Streichholzkopf als auch die genannte Reibefläche beteiligt waren (und dabei unterscheidbar blieben).
(Dass sich mit feinerer Auflösung anstatt von nur einem einzelnen Ereigniss stattdessen vom einem aus mehreren Ereignissen bestehenden “Vorgang” von endlicher Ausdehnung reden ließe, soll hierbei zu vernachlässigen sein.)
Der Streichholzkopf hat (offenbar) einen ganz bestimmten, ganz eigenen, auffälligen Anteil an dem beschriebenen Ereignis; nämlich: “er entzündet sich (dabei)”.
Auch der Reibefläche ließe sich ein konkreter eigener Anteil an diesem selben Ereignis zuschreiben; etwa: “sie erhielt (dabei) Kratz- und Brandspuren”.
Mein Problem:
Wie nennt man ganz allgemein diese individuellen unterscheidbaren Anteile, die den verschiedenen Beteiligten am selben Koinzidenz-Ereignis jeweils zuzuschreiben sind ? Wie lautet der (deutsche, oder wenigstens englische) Fachbegriff ? —
– “Anzeige” (des betreffenden Beteiligten, am betreffenden Ereignis), in Verallgemeinerung der (schon von A. Einstein gebrauchten) Begriffe “Zeigerstellung” bzw. “Zeigerposition”; bzw. übersetzt:
– “indication” (of a particular participant, in a particular event)
??
Frank Wappler schrieb (30.05.2024, 11:38 Uhr):
> […]
tl;dr
Hat die Wolof-Sprache (wenigstens) einen allgemeinen Ausdruck für “Körperteil”?
(Im Schwäbischen kennt man vermutlich einen. …)
Und:
Nennen wir den individuellen Anteil jeweils eines bestimmten Beteiligten an einem bestimmten Ereignis mangels anderer speziell dafür schon geprägter Bezeichnungen doch (einfach)
dessen “Anzeige” im betreffenden Ereignis.
Frank Wappler,
mein Vorschlag: “Simultanpartner” für zwei Beteiligte die gleichzeitig an einem Ereignis teilhaben.
Fuß und Bein wären demnach Simultanpartner beim Laufen.
Nachtrag: Es gibt ja auch künstliche Füße .
Vielleicht “unterloxo” und “oberloxo“?
Arm und Hand bilden ja anatomisch eine Einheit.
In der deutschen Sprache ist auch z.B. die Rede von “Oberarm” und “Unterarm“, in der französischen Sprache von “avant-bras” (= “vorne-Arm”) und “bras supérieur” (=Oberarm)
Ich schlage vor, in der Allgemeinsprache:
– Kontakt (Ein Kontakt, ob materiell oder immateriell, bleibt nie ohne Veränderung der verschiedenen Beteiligten).
In der wissenschaftlichen Sprache schlage ich vor:
– Wechselwirkung (siehe oben)
Nachtrag:
Die französische Bezeichnung „avant-bras“ für „Unterarm“ fällt mir hier zum ersten Mal auf und könnte vielleicht einen Hinweis auf die Haupt-Perspektive der Wahrnehmung eines Körpers geben.
Für die Person selbst sowie auch für einen Außenseiter geschieht nämlich zweifelsohne die räumliche Wahrnehmung des Körpers eines Menschen intuitiv in der vertikalen Richtung von oben nach unten – was auch der Titel des Artikels von Frau Tjuka wie ganz selbstverständlich wiedergibt: „Von Kopf bis Fuß: Wie Sprachen Körperteile benennen“.
Von dieser Perspektive her sind die deutschen Bezeichnungen „Oberarm“ und „Unterarm“ des Körperteils „Arm“ ganz logisch (sowie auch die französische Bezeichnung „bras supérieur“ für „Oberarm“).
Nur die französische Bezeichnung „avant-bras“ für Unterarm (=Vor-Arm, Vorder-Arm, Vorne-Arm) tanzt aus der Reihe und könnte auf eine andere Beobachtungsperspektive des Arms deuten, und zwar nicht von oben nach unten, sondern eher von hinten nach vorne. Dies wäre auch nicht so ganz abwegig, denn die überwiegenden Bewegungen des Arms sind nach vorne gerichtet (außer, wenn wir uns am Rücken kratzen müssen, was verhältnismäßig selten vorkommt… 😉 ) Das wäre also nicht ganz abwegig, die Richtung der Bewegungen des Armes besonders wahrzunehmen, denn sie könnten auch eine potenzielle Gefahr bedeuten (Angriff).
Das ist nur so eine Idee, sie ist nur so viel wert wie sie ist, aber ich habe schon in einem Artikel bei Scilogs vor einiger Zeit mal gelesen, dass z.B. die räumliche Orientierung eines Menschen auch kulturell sei: Zum Beispiel, dass vor allem Völker, die unter Naturbedingungen leben, die Worte „links“ oder „rechts“ nicht kennen, wo der Beobachter sich selbst als Bezugspunkt nimmt, sondern dass sie andere Worte bzw. Objekte zur räumlichen Orientierung benutzen (wie z.B. neben, vorne, hinten usw.) – zumindest habe ich es so in Erinnerung aus dem Artikel.
Jocelyne Lopez schrieb (30.05.2024, 13:44 Uhr):
> […] In der deutschen Sprache ist auch z.B. die Rede von “Oberarm” und “Unterarm“, in der französischen Sprache von “avant-bras” (= “vorne-Arm”) und “bras supérieur” (=Oberarm)
Im Deutschen haben wir jedenfalls auch das Wort HAND, um das entsprechende anatomisch-visuell offenbar einzelne Körperteil ausdrücklich zu benennen.
Aber in der o.g. Wolof-Sprache … in der der Begriff LOXO offenbar für das gesamte Körperstück, das an der Schulter hängt (zusammen, als funktionelle Einheit) verwendet wird … ? …
> Vielleicht “unterloxo” und “oberloxo“?
Oder vielleicht: “das Stück LOXO jenseits des Handgelenks” ?
(Sofern die Wolof-Sprache eben doch zumindest Wörter für die Begriffe besäße, die hier Ersatz-weise auf deutsch als “Stück” und “jenseits” und “Handgelenk” auftauchen …) …
Ermöglicht die Wolof-Sprache denn nun überhaupt irgend so einen konkreten Ausdruck, der direkt in das Wort HAND übersetzbar wäre ?
Oder erlaubt sie das gar nicht ?
Was davon ist mit dem zweiten Satz des obigen SciLog-Beitrags denn überhaupt genau gemeint ?? — Vielleicht könnte sich Annika Tjuka ja bitte demnächst mal dazu äußern.
Frank Wappler schrieb (31.05.2024, 09:59 Uhr):
> […] Aber in der o.g. Wolof-Sprache … in der der Begriff LOXO offenbar für das gesamte Körperstück, das an der Schulter hängt (zusammen, als funktionelle Einheit) verwendet wird … ? […]
Sollte stattdessen sein:
»Aber in der o.g. Wolof-Sprache … in der das Wort LOXO offenbar für das gesamte Körperstück, das an der Schulter hängt (zusammen, als funktionelle Einheit) verwendet wird … ?«
.
Ich meine, dass je mehr die Menschen unter Naturbedingungen leben, desto mehr liegt der Focus auf die Funktionalität eines Körperteils, als auf seine Anatomie. Die Motorik des Arms als ganze ist wichtiger zu erfassen als seine anatomische Einzelteile (Schulter, Oberarm, Ellenbogen, Unterarm, Handgelenk, Hand). Die Hand kann man dabei nur als bloße Verlängerung des Arms ansehen, was auch mit dem Wort „Extremitäten“ für Hände und Füßen untergeordnet wird.
Eine Sprache ist auch nicht statisch, sie erweitert sich mit der Zeit und den Lebensbedingungen. Wenn die Wolof-Sprache noch aktiv unter den modernen Lebensbedingungen praktiziert wird, werden die Benutzer eben ein neues Wort erfinden, das sie brauchen, das ist ja ein normaler Prozess.
Dieser Prozess kann man in amüsanter Weise sehr gut mit der deutschen Sprache beobachten: Die Deutsche haben die Angewohnheit, die Sprache als „Baukasten-System“ zu entwickeln, d.h., dass sie schon vorhandene Worte zusammenkleben, um ein neues Wort zu kreieren. Ein Beispiel davon ist „Handschuh“: Das Wort „Hand“ existierte schon, das Wort „Schuh“ auch, also quetschen wir die zusammen und wir haben ein neues Wort, fertig: Ein „Schuh für die Hand“, lustig. 🙂 Die Franzosen haben sich hier zumindest die Mühe gegeben, ein ganz neues Wort für Handschuh zu erfinden („gant“), das nichts mit Hand („main“) und nichts mit Schuh („chaussure“) zu tun hat.
Diese kulturelle Gewohnheit der Deutschen, einzeln existierende Worte zusammenzuquetschen, führt in vielen Fällen zu Sprachungeheuern, die die Ausländer am Rande der Verzweiflung und der Erstickung bringen, wie der bekannte Beispiel „Donaudampfschifffahrtsgesellschaftskapitänsmütze“. Na ja, man muss als Anfänger in der deutschen Sprache durchhalten, sie ist ja immerhin nach meiner Theorie von Gott selbst erfunden worden, siehe „Deutsche Sprache“ … 😉