Resilienz: Warum manche besser durch die Pandemie kommen als andere

Die coronabedingten Einschränkungen treffen alle, aber nicht alle gleich. Je nach Gesundheit, Alter, Job und finanzieller Sicherheit bedroht uns die Pandemie unterschiedlich stark und beeinträchtigen uns die politischen Maßnahmen weniger oder mehr. Doch verschiedene Reaktionen auf die Ausnahmesituation hängen nicht nur von äußeren Faktoren ab. Auch wenn Menschen objektiv dieselbe Belastung erfahren und in der gleichen sozialen Situation leben, kann sich das komplett unterschiedlich auf ihre psychische Gesundheit auswirken. Neue Konzepte der Stress-Resilienz können erklären, woran das liegt – und wer an Krisen sogar wachsen kann.

von Lara Puhlmann

Stress ist ein ungeliebter Gemütszustand, den die meisten Menschen versuchen zu vermeiden. Seinen schlechten Ruf hat er teilweise zu Unrecht, denn Stress ist essenziell für unser Überleben. Besonders auf ungewohnte oder schwer vorhersehbare Anforderungen reagieren wir mit Stress. Akute Stressschübe helfen uns dann, die nötige Energie zu mobilisieren, um in entscheidenden Situationen unser Bestes geben zu können. Sie zu bewältigen, kann anstrengend, aber auch anregend und lehrreich sein. Hält Stress jedoch zu lange an und lässt sich nicht bewältigen, wird er gefährlich: Krankheiten, die im Zusammenhang mit Stress stehen, sind inzwischen weltweit für mehr als 70 Prozent der Todesfälle verantwortlich.

Die Folgen der Corona-Pandemie scheinen genau diese Art von belastendem Stress zu fördern. Die meisten erfahren kaum noch die stimulierende, positive Seite von Stress, sondern erleben ihn allein als anhaltende, unkontrollierbare Belastung. Schon in den ersten Monaten der Pandemie haben sich dabei schwere Auswirkungen auf die mentale Gesundheit abgezeichnet: Psychische Symptome, die im Zusammenhang mit Stress-bedingten Störungen wie Depression und Angst stehen, nahmen zu, in manchen Stichproben sogar gerade bei den Menschen, die vorher kaum Symptome zeigten.

Doch selbst dieser langanhaltende Stress macht nicht allen gleich zu schaffen. Menschen, die mental stabil durch solch schwierige Lebenslagen gehen, werden als resilient beschrieben. Sie bleiben von widrigen Umständen unbeeinträchtigt oder schaffen es, ihr mentales Wohlbefinden schnell zurückzuerlangen. Die aktuelle Ausnahmesituation birgt die seltene Chance, solch unterschiedliche Reaktionen auf schwere Zeiten in breiten Teilen der Bevölkerung zu erforschen. Durch sie erleben die meisten ähnliche Arten der Belastung: Einschränkungen in den täglichen Aktivitäten und sozialen Interaktionen, Angst vor dem Virus und Probleme bei der Arbeit. Das erlaubt ResilienzforscherInnen zu ergründen, ob wir wirklich verschieden auch auf ähnliche Strapazen reagieren – und woran das liegt.

Resilienz-Forschung: Ein neuer Ansatz

Wie aber kann man wissen, ob eine mental stabile Person resilienter durch die momentane Situation geht, oder einfach weniger Einschränkungen in ihrem Leben hat? Damit wir das differenzieren können, hat unsere Forschungsgruppe am Leibniz Institut für Resilienzforschung eine neue Methode entwickelt, um Resilienz zu messen. Statt nur die psychischen Beschwerden der Befragten zu vergleichen, schauen wir uns die mentale Gesundheit relativ zu den äußeren Umständen an. Dazu werden Teilnehmende gebeten, neben Fragen zu ihrer psychischen Gesundheit auch anzugeben, was für Widrigkeiten sie kürzlich erlebt haben. In langen Listen möglicher negativer Erlebnisse, wie ‚Verlust von sozialen Kontakten‘ und ‚Probleme in der Kinderbetreuung‘, kreuzen sie alle an, die auf sie zutreffen. So können wir erkennen, welche Personen mehr und welche weniger stark mit vergleichbarer Belastung zu kämpfen haben.

Mithilfe dieser Methode haben wir in einer europäischen Forschungskooperative untersucht, wovon es abhängt, dass manche die momentane Situation besser ertragen können als andere. Aus mehreren Langzeitstudien kannten wir bereits einige Faktoren, die scheinbar mit Stress-Resilienz zusammenhängen. In der aktuellen Ausnahmesituation haben nun über 15.000 ProbandInnen aus 24 Ländern Fragebögen zu diesen möglichen Resilienz-Faktoren, stressigen Erlebnissen und zu ihrer psychischen Gesundheit ausgefüllt.

Die Ergebnisse bestätigen: Es gibt eine Reihe von psychologischen Faktoren, die einen signifikanten Einfluss darauf haben, wie sehr sich Stress in und um die Corona-Krise auf die psychische Gesundheit auswirkt. Demnach reagieren etwa Personen, die zu Nervosität neigen, leichter reizbar und eher unsicher sind, vergleichsweise stärker auf solche Strapazen. Diese Eigenschaften werden mit dem Persönlichkeitsmerkmal ‚Neurotizismus‘ beschrieben. Im Gegensatz dazu waren optimistische Menschen weniger beeinträchtigt von widrigen Umständen, genauso wie solche, die stärker das Gefühl haben, selbstwirksam zu sein, also sich in schwierigen Situationen auf ihre eigenen Fähigkeiten verlassen zu können.

In der Krise etwas Positives sehen

Entscheidend war außerdem, wie die Teilnehmenden konkret mit schwierigen Situationen umgehen. Allein zu wissen, dass man sich bei Problemen auf ausreichend soziale Unterstützung verlassen kann, schien dabei zu helfen, sie zu bewältigen. Weniger daran litten außerdem die Menschen, die in den Einschränkungen etwas Positives, wie einen Sinn oder eine Chance, erkennen. Besonders wichtig war in diesem Zusammenhang auch ein positiver Blick speziell auf die Corona-Krise. Teilnehmende, die Aussagen zustimmten wie, „Ich glaube, dass sich die Gesellschaft aufgrund der Corona-Pandemie auf lange Sicht zum Besseren entwickeln wird“, oder, „ich erwarte, dass ich aus der Corona-Pandemie etwas Positives für mein Leben lernen kann“, reagierten deutlich resilienter.

Unsere Studie zeigt also, dass diese Faktoren bestimmend für die Stress-Resilienz sind, selbst, wenn wir die individuelle Beanspruchung durch die Pandemie berücksichtigen. Eine entscheidende Frage ist aber noch offen: inwieweit können sich solche ‚Resilienz-Faktoren‘ entwickeln? Frühe Forschungsansätze haben Resilienz meist als eine Art stabiles Persönlichkeitsmerkmal beschrieben. Wir glauben mittlerweile, dass sich Resilienz verändern kann – und zwar vor allem genau dann, wenn wir mit Belastung konfrontiert sind. Eine prominente Erklärung: Solche Erlebnisse geben die Möglichkeit, den Umgang mit Stress zu trainieren. Dabei können Menschen vielleicht genau die Faktoren entwickeln, die sich in späteren Krisensituationen als schützend erweisen. Ob dass der Fall ist, und wie genau das abläuft, untersuchen wir in einem aktuellen Projekt mit dem gleichen internationalen Forschungsteam.

Die Krise ist also auch eine Chance, und es ist zu hoffen, dass viele Menschen letztendlich gestärkt und resilienter aus ihr herausgehen. In der Forschung spricht man in diesem Zusammenhang trefflicher Weise von Stress-‚Immunisierung‘ oder -‚Impfung‘. Dass sich ein besserer Umgang mit Stress prinzipiell erlernen lässt, wissen wir schon jetzt. So scheint zum Beispiel Meditations- und Achtsamkeits-Training dafür zu sorgen, dass sich Menschen weniger gestresst fühlen. Selbst die Menge an Stresshormonen kann dadurch sinken, wie wir in zwei Studien am Max-Planck-Institut herausfinden konnten (1, 2). Andere Untersuchungen zeigen, dass man negative Situationen gezielt positiver sehen kann – und somit vielleicht genau den Resilienzfaktor entwickelt, der in unserer Studie der Corona-Stressoren besonders wichtig war.

Solche Ergebnisse machen Hoffnung, dass wir stressbedingten Krankheiten durch gezieltes Training künftig vorbeugen können. Gleichzeitig sehen wir aber auch, dass die uns bekannten Resilienzfaktoren bislang nur einen kleinen Teil davon erklären, wie sich Stress tatsächlich auswirkt. Demographische Faktoren wie Alter, schulischer Bildungsstand und Beziehungsstatus haben in unserer Resilienz-Studie ebenfalls einen Einfluss gezeigt. Es ist außerdem davon auszugehen, dass wir viele Facetten der Resilienz noch nicht ausreichend genau erfassen können.

Eines darf man in dem Zusammenhang aber auch nicht vergessen: Dass man sich in verschiedenen Situationen überlastet fühlt, lässt sich nicht allein dadurch verhindern, dass jeder und jede an der eigenen Resilienz arbeitet. Dafür müssen sich auch äußere Umstände ändern, etwa in unsicheren oder extrem zehrenden Berufen. Individuelles Resilienz-Training sollten also mit solch struktureller Veränderung kombiniert werden, wenn es darum geht, stressbedingten Erkrankungen in unserer Gesellschaft effektiv vorzubeugen.

Veröffentlicht von

Lara Puhlmann ist Biopsychologin und erforscht die Auswirkungen von Stress auf Körper und Geist. Sie nutzt biologische Maße und Trainingsstudien, um herauszufinden, wie man stressbedingten Krankheiten vorbeugen kann. Sie hat in England Psychologie und kognitive Neurowissenschaften studiert und kam für ihre Promotion ans Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig. In der Abteilung "Sozialer Stress und Familiengesundheit" untersucht sie, wie sich Achtsamkeitstraining auf die Gesundheit auswirkt. Parallel erforscht sie am Leibniz-Institut für Resilienzforschung in Mainz, wie sich Stress-Resilienz entwickelt und fördern lässt.

30 Kommentare

  1. @Puhlmann

    Mit der Art und Weise wie unsere frühesten Erlebnisse LEBENSLANG dem bewussten Erinnern zugänglich sind, haben wir eine wichtige Grundlage für Resilienz.

    Diese Erlebnisse bzw.Erinnerungen helfen uns, selbst schwerste Schicksalsschläge zu überwinden.

    (Ich schicke morgen einen Brief mit Belegmaterial nach Mainz an Sie ab – Sie sollten den Inhalt mit Prof. Kalisch und den anderen Kollegen vom DynaMORE-Projekt besprechen.)

    • Hallo KRichard,
      In der Tat sind frühe Kindheitserlebnisse und -erinnerungen ein wichtiger Faktor dafür, wie wir lebenslang auf Stress und Widrigkeiten reagieren. In kritischen Entwicklungsphasen wie der Kindheit haben unsere Erlebnisse einen besonders großen und andauernden Einfluss auf Körper und Geist. Sie können zu der Ausprägung bestimmter Verhaltensmuster führen, oder zu psychologischen und physiologischen Veranlagungen, die uns über lange Zeit begleiten. Es gibt aber auch im höheren Alter noch kritische Lebensphasen, die ähnliche Auswirkungen haben können. Im DynaMORE Projekt erforschen wir zum Beispiel, wie sich Erfahrungen im jungen Erwachsenenalter (18-25 Jahre) auf die psychologische und physiologische Entwicklung der Teilnehmenden auswirken. Diese Lebensphase ist geprägt von Umbrüchen, wie neuen Anforderungen beim Einstieg in die Arbeit oder in das Studium, und häufig auch Umgebungswechsel, infolge welcher ein neues soziales Netzwerk aufgebaut werden muss. Diese Herausforderungen könnte ein Grund sein, warum Menschen in dieser Lebensphase besonders oft psychische Erkrankungen entwickeln (e.g. Reavley et al., 2010) – und im Umkehrschluss vielleicht auch Resilienzfaktoren entwickeln.
      Auch im höheren Erwachsenenalter mag es noch individuelle kritische Lebensphasen geben. Die Forschung zu Stress-‘Immunisierung’ zeigt außerdem, dass sich Stresserfahrungen über die gesamte Lebensspanne auf die individuelle Stress-Resilienz auswirken können (s. Link im Text). Trotz der Bedeutung von Kindheitserlebnisse ist es daher scheinbar nie ‘zu spät’, um Resilienzfaktoren zu entwickeln.

      • Ein Problem dass ich in Forschungsprojekten, wie dem von Ihnen beschriebenen “DynaMORE” Projekt sehe, ist die große Distanz der Forschenden zu den erforschten Phänomenen. Insbesondere im Fach der Psychologie mit seiner überdurchschnittlich starken sozialen Vorselektion*. In der Regel haben die Forschenden aufgrund Ihrer eigenen Überprivilegiertenbiographie (quasi ausschließlich biodeutsche, weiße Akademikerkinder oder deren Äquivalent an Instituten mit internationaler Belegschaft) nicht die Fähigkeit, die Auswirkungen psychischer Belastungen auf den Alltag und die Biographie von Betroffenen nachzuvollziehen, also nicht im Sinne eines auswendig gelernten Lehrbuchmodells, sondern aus der Selbsterfahrung heraus!

        *eine Folge des hohen NCs, der nicht kein neutraler Selektor nach objektiven Maßstäben sein kann, wenn parallel in der Schulen ein impliziter und expliziter Bewertungsbias zu Ungunsten von bestimmten Schüler*innen hochprävalent ist, etwa Schüler*innenmit weniger attraktivem Äußeren, mit niedrigem sozialen Status der Herkunftsfamilien oder mit bestimmten gering angesehenen Migrationshintergründen

  2. Ohne zynisch sein zu wollen… die Ergebnisse klingen wie:

    “Menschen, die mit dem Leben besser zurecht kommen, kommen auch mit einer Krise besser zurecht.”

    Wer hätte das erwartet? 😉

    • In der Summe der beschriebenen Resilienz-Faktoren mag das so erscheinen. Das entscheidende ist aber, dass wir sehr vage Konzepte, wie ‚sein Leben im Griff haben‘, in ihre Bestandteile zerlegen. Wir identifizieren klar definierte Faktoren, die scheinbar dazu führen, dass jemand resilient auf Stress reagiert. Nur, wenn wir diese einzelnen Bestandteile betrachten und integrieren, können wir herausfinden, welche spezifischen Faktoren besonders wichtig sind – hier, in der Krise etwas Positives zu sehen – und sich dementsprechend für stress-präventives Training eignen könnten.

      • Die besonders “resilient” erscheinenden Menschen haben “ihr Leben besser im Griff”, weil Sie eben neurobiologisch besser ausgestattet sind um Stress & Belastungen kognitiv verarbeiten zu können, ohne dass hierbei die individuelle Belastungsschwelle dieser “resilienteren” Menschen überschritten wird, während eben das gleiche Maß an Stressoren bei anders ausgestatteten Menschen bereits das Fass zum Überlaufen bringt, so dass diese in einen Zustand der Überlastung und verminderten Handlungsfähigkeit versetzt werden.

        Hier hilft kein “psychologisieren”, es handelt sich im Kern (wie in meinem anderen, längeren Kommentar ausgeführt) um Unterschiede, die auf die unterschiedliche individuelle Biologie zurückzuführen sind.

        Ich weiß: Psychologiegläubige mögen diesen “Biology first” Ansatz nicht gerne hören, weil es das behavioristische Weltbild, das aus den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts stammt, obsolet macht, aber sollten wir im Jahr 2021 wirklich Erklärungsansätze verfolgen die auf einem Black-Box-Paradigma und bestenfalls semiwissenschaftlichen Lerntheorien basieren, wenn wir doch naturwissenschaftliche Ansätze zur Verfügung haben?

        • Wie aus meiner Antwort zu Ihrem längeren Kommentar hervorgeht, sind neurobiologische Faktoren zwar wichtig für die Resilienzforschung, ein reduktionistischer, primär biologischer Ansatz, der ganzheitliche Zusammenhänge mit der Psyhcologie vernächlässigt, jedoch nicht zielführend.

  3. Mon cas personnel.
    Je n’ai pas un psychisme très stable ni une vie heureuse, mais justement :
    Comme je ne suis jamais très gaie, ai en ce moment d’autres soucis dans ma vie (métier fatigant, problèmes dentaires, personnes très âgées dans ma famille) et que je n’a avec tout cela pas beaucoup de contacts sociaux ni de loisirs… eh bien le confinement ne change pratiquement pas ma vie.
    J’ai l’habitude d’être seule et de ne rien faire de folichon.À la limite, j’ai moins le sentiment un peu frustrant que le monde bouge autour de moi pendant que suis “trop” passive. =)
    C’est moins stressant que d’habitude.

    La seule contraintes qui me pèsent ce sont le masque en permanence au travail et les fermetures de frontières pour voir éventuellement ma famille, mais ce n’est pas dramatique.

  4. Hallo Frau Puhlmann

    Gehen ggfls. Menschen mit einem “überwiegend” gesunden Selbstwert (versus Ego-wert) und “überwiegend” gelebter innerer Unabhängigkeit nicht eher gelassener (nicht gleichgültiger) und demütiger (nicht resignierend) mit äußeren Einflüssen um?
    Kann Forschung dazu vielleicht nur (!) Anstöße, Angebote für das Treffen von eigenen Entscheidungen (getragen von intrinsischen Einstellungen, Haltungen und Werten) geben, bzw. offerieren?
    Ist Wachstum als Persönlichkeit nicht immer getragen vom Umgang mit äußeren Einflüssen (individuell, im Kleinen wie auch im Großen) ?
    Hmmm, kann denn Wachstum verordnet werden, oder ist dies nicht immer eine eigene Entscheidung ?
    Anbei ein Link zu einem bemerkenswerten, erklärenden Cartoon….
    https://www.facebook.com/photo/?fbid=1243308999124184&set=picfp.100003352885587
    Alles Gute Ihnen

    • Sie “psychologisieren” hier meiner Einschätzung nach zu sehr (im Sinne einer beinah esoterisch anmutenden philosophischen Verklärung von Phänomenen, die in erster Linie biologisch determiniert sind)!

  5. (Ups, ich habe vorhin in der falschen Sprache geschrieben).

    Was mich anbetrifft :

    Meine psychische Verfassung ist nicht die Beste und mein Leben nicht das Glücklichste, aber eben.
    Da ich selten sehr fröhlich bin und andere, schlimmere Sorgen habe (anstrengender Beruf, älternde Mutter, gravierende Zahnchirurgische Probleme) und dadurch in den letzten Jahren wenige soziale Kontakte und Hobbies habe, hat der Lockdown in meinem Leben sehr wenig geändert.
    Ich bin es gewohnt, alleine zu sein und nichts Außerordentliches zu erleben und zu unternehmen.

    Fast könnte ich sagen, dass ich weniger das frustrierende Gefühl empfinde, dass die Welt um mich herum bunt und lebendig ist, während ich “zu” passiv bin und etwas verpasse.
    Das ist etwas entspannend.

    Die wirklichen Unannehmlichkeiten sind für mich das Tragen der Maske in der Arbeit und die geschlossenen grenzen, sollte ich meine Familie besuchen wollen.

    • Hallo Solange,

      wieso bist du selten fröhlich? Aufgrund deiner sogenannten “schlimmeren” Sorgen? Oder liegt da was anderes dahinter? Was die Sorgen angeht, sind das alles Punkte, die entweder veränderbar oder hinnehmbar sind. Wenn du einen anstrengenden Beruf hast, wieso führst du diesen weiter aus? Kannst du den Bereich innerhalb deines Jobs wechseln? Kannst du gar komplett den Job wechseln? Wenn du mit dieser Situation unzufrieden bist, hast du an eine “Veränderung” in dem Bereich gedacht? Das Gleiche gilt für deine Zähne. Vermutlich hast du eine Zahnarztphobie, was absolut normal ist. Auch hier gibt es spezielle Praxen, die es wissen, mit Angstpatienten umzugehen. Hast du so eine Praxis schon mal konsultiert? Oder liegt auch hier ein anderer Grund? Was deine Mutter anbelangt, das ist der Lauf des Lebens. Menschen kommen und gehen…wir werden alle älter….wichtig ist, daraus das Beste zu machen! Die Situation akzeptieren! Nicht trauern darüber, dass es so ist, sondern aktiv gestalten. Was braucht sie? Einen glücklichen Sohn, oder? Gute Gespräche, das Gefühl, dass du bei ihr bist, etc. Humor hilft auch oft in diesen Situationen….vlllt bringt es was, Hobbies zu finden oder auch nach neuen sozialen Kontakten zu suchen…vllt wirst du dadurch glücklicher…probieren solltest du es!

  6. Als Tochter einer hochneurotischen und möglicherweise depressiven Mutter habe ich jahrzehntelang unter leichten bis mittelschweren Depressionen gelitten.

    Ich denke, es waren sehr schwierige Aufgaben als allein-erziehende Mutter, die mich haben erstarken lassen. Für Sie markierte ich den Fels in der Brandung – heute bin ich es.

    Ich denke, eine extreme Belastungssituation ist es, wenn die Kinder einer allein erziehenden Mutter das Haus verlassen.

  7. Ich fände es interessant zu wissen, ob die im Artikel genannten Studien nachweisen konnten bzw. untersucht haben, dass/ob es einen (positiven) Effekt auf die Resilienz hat, wenn Menschen gläubig sind.

  8. Als 76jähriger Mensch männlichen Typs, über 50 Jahre als Friseur in einem Münchener-no-schicki-micki-Viertel am und mit Menschen gearbeitet, mit einer Frau die 7 Geschwister hat seit Jahrzehnten verheiratet und selbst als Einzelkind leicht egoistisch groß geworden sowie in den letzten 15 Jahren als ehernamtlicher Hospizbegleiter engagiert stellte ich mir auch immer wieder die Frage warum Menschen bei objektiv gleicher Belastung so subjektiv unterschiedlichn reagieren?
    Egal ob essentielle Belastungen oder eigentlich Pipi-Fax.
    Meine Erkenntniss ist zwar nicht akademische fundiert, trotzdem erlaube ich mir sie aufzuzeigen: individuelle Schicksalshaftigkeit.
    Glauben und Annehmen wollen das die Wenigsten.
    Wer es kann findet seinen Frieden.

    • Interessant!

      Könnten Sie näher ausführen, was Sie unter “individueller Schicksalshaftigkeit” verstehen?

      Ist das in dem Sinne gemeint, dass es quasi Zufall oder “Schicksal” ist, wie psychisch stabil eine Person ist und wie gut diese daraus resultierend auf Stress reagieren kann?

  9. Hallo Frau Puhlmann,
    ich halte mich eigentlich schon für eine Person mit einer “robusten Resilienz”, die ich von Kindesbeinen an erlernen und trainieren musste. Und tatsächlich hat sie mir durch etliche Lebenskrisen geholfen, weil ich mich als immer selbstwirksam erlebt habe. Es gab schon mal so etwas wie Stillstand, aber niemals dieses Ohnmachtsgefühl.
    Tatsächlich empfinde ich aber gegenwärtig in dieser Pandemie zum ersten Mal, dass diese Resillienz nicht mehr wirkt, nicht mehr ausreicht, weil die alte Selbstwirksamkeit fehlt. Ganz ehrlich fühle ich mich im Moment wie in einem Käfig, von dem der Schlüssel abhanden gekommen ist. Und das macht mir latente Panik. Vielleicht liegt es daran, dass ich meine Freiheit so sehr liebe und genau diese gerade so eingeschränkt ist/ ich sie so erlebe. Vielleicht liegt es auch am zunehmenden Alter, was mich eh nachdenklicher gemacht hat. Aber ich frage mich (und hier erbitte ich tatsächlich Ihre Einschätzung), ob man Resillienz auch wieder “verlernen” kann. Oder ist es die Summe der stressigen Situationen eines Lebens, die einen dazu bringen kann, dass die alten Bewältigungsmuste und – mechanismen versagen?

  10. Schön das das mal Jemand erforscht hat, wir haben immer Positives in der Situation gesehen, die Umwelt konnte sich erholen, die Mill. Touristen sind ausgeblieben was auch den Einheimischen die nicht vom Tourismus leben gut tut.
    Es wird weniger Müll, Abgase usw. produziert. Man kann ja heute online Kontakt halten, es ist auch positiv nicht von allen möglichen Menschen angeblasen zu werden ob im Nahverkehr oder wenn sich die Massen durch die Läden schieben. ALLES ist entspannter bis auf die Mainstreammedien die täglich ein Horrobild herauf beschwören. Wenn man sich aber davon nicht beeindrucken lässt, gehts einem viel besser als vor Corona.

  11. Endlich ist auch in der Resilienz-Forschung ein Bewusstsein dafür entstanden, dass nicht nur die belastenden Stressoren abgefragt werden, sondern gleichzeitig auch die vorhandenen mentalen Ressourcen, mit denen der Stress bewältigt werden kann.
    Im Rahmen der Selbststeuerung wird schon seit längerer Zeit die Ausprägung der Selbststeuerungsfaktoren abgefragt und mit der Stärke des subjektiv empfundenen Alltagsstresses in Form von Belastung bzw. Druck/Bedrohung verglichen (PSI-Theorie nach Kuhl).
    Wurde also Zeit, dass Belastung im Rahmen von Resilienz nicht isoliert betrachtet wird.
    Positiv anzumerken finde ich, dass nicht nur auf der Ebene des Individuums nach Ursachen geforscht werden sollte, sondern auch die strukturellen Ursachen durch Gesellschaft, Wirtschaft und Politik in den Fokus genommen werden sollten, um hier günstigere Bedingungen einfordern zu können und zu müssen.

  12. Resilienz ist für meinen Geschmack ein vergessener Begleiter, wenn ich mich sicher und gebunden fühle. Sobald dies nicht mehr der Fall ist, berufend auf die Sozialpsychologie der Mensch sei ein soziales Wesen und kann in Gruppen eine Sinnhaftigkeit entwickeln, wird automatisch ein Prozess der Widerstandskraftübung in Gang gesetzt. Ich denke Wohlbefinden fängt bei meiner eigenen Einstellung an, das Wahrnehmen meiner Wirkung auf mein Gegenüber, das Annehmen und mich selbst lieben. Motivation ist der größte Trigger zum Lernen, wir müssen nun lernen uns zu mögen, dann wird auch die Kraft kommen in den gesunden Widerstand zu gehen. Natürlich sehe ich von allen medizinischen pathologischen Abweichungen im Verhalten ab. Also meine Botschaft: Lerne Dich selbst zu lieben!

  13. Als alleinerziehende Mutter mit agoraphobischen Episoden seit meinem 14 Lebensjahr und daraus resultierenden Mobbing-Erlebnissen während der Schulzeit sowie Studiumsabbruch, einem nicht sehr loyalen ersten Ehemann, einem alkoholabhängigen zweiten Ehemann, der sich zwischendurch auch gewalttätig zeigte, lernte ich sehr schnell, mich (trotz Freundeskreises) letztendlich allein auf mich und mein Geschick zu verlassen.
    Die zum Glück “gelungene” Erziehung meines Sohnes (25) mit all ihren Aufgaben verlieh mir den nötigen Feinschliff an Resilienz.
    Die glücklichen Fügungen, immer wieder berufliche Möglichkeiten zu erhalten, die meine Existenz sicherten und sichern, weiß ich immer noch sehr zu schätzen.
    Heute weiß ich, was ich kann und komme beinahe ohne Hilfe von außen mit unterschiedlichen alltäglichen Anforderungen gut zurecht.
    Durch meine Agoraphobie bin ich es zudem gewohnt, auf dies und jenes verzichten zu müssen, bin dennoch ein geselliger und humorvoller Mensch.
    Ich persönlich sehe die Wurzeln meiner “resilienten” Haltung in der Art, wie ich meine Kindheit erleben durfte:
    Etwas ländlich am Stadtrand, viel Natur, ein riesiger Abenteuerspielplatz, auf dem man sich täglich ausprobieren konnte, mit aufgeschürften Knien, viel Freiheit (Helikoptereltern gab es damals nicht!), es wurde gestritten, sich vertragen, Riskantes getestet, sich verletzt etc., und das ohne permanente Aufsicht durch Erwachsene. Dem Ideenreichtum und dessen Umsetzung waren kaum Grenzen gesetzt.
    Ich bin mir sicher, dass diese Umstände den Grundstein für meine Widerstandsfähigkeit gelegt haben (und ich bedauere die meisten Kinder, die heute unter Daueraufsicht und -kontrolle stehen; somit selten erfahren, was sie sich eigenständig zutrauen und ausprobieren können).
    Daher komme ich bis jetzt auch ohne psychische Blessuren durch die Pandemie,
    wobei die Existenz meine kleinen Gartens hilfreich ist.

  14. Interessant ! Ich denke….ob man DAS nun so oder so nennt….Menschen , die ihre Befindlichkeit nicht völlig von “äusseren Umständen” Abhängigkeiten machen….sind stärker im Umgang und der Abwehr von Seuchen oder ähnlichen Beeinträchtigungen….! Wer sich der “Gefahr” hingibt…..leidet auch öfter daran…hier sind wir beim Thema “Sieg des Geistes über Materie”….! Und…ich bin mir nach 64 Jahren des Lebens sicher , dass DAS möglich ist….der Geist…..das Hirn in seiner Essenz….ist zu weitaus mehr fähig , als Alles bisher erforscht wurde….hoffe , dass DAS irgendwann mal mal wissendschaftlich nachgewiesen werden kann….denn DAS wäre ein neuer Ansatz….statt chemischer Therapie !

  15. Normalerweise fühle ich mich vom Leben überfordert. Es ist mir zu schnell, zu laut, zu fordernd, unter Druck geht bei mir gar nichts mehr. Mit Stress, wie man ihn z. B. auf der Arbeit erlebt oder auch mit Konflikten mit meinen Mitmenschen, komme ich denkbar schlecht klar. Mit meiner Resilenz ist es also nicht weit her. Die Corona-Zeit ist für mich die Gelegenheit mal tief durchzuatmen. Es gibt weder familiäre noch gesellschaftliche Verpflichtungen, keiner will was von mir, endlich darf ich mein “Einsiedlernaturell” so richtig ausleben, ohne mich erklären zu müssen. Ich bin regelrecht aufgeblüht, mir fehlt nichts, so gut wie jetzt ging es mir schon lange nicht mehr. Auch diese Seite gibt es. Allerdings bin ich sicherlich privilegiert. Ich wohne auf dem Dorf in einem großen Haus mit Grundstück, da kommt kein Lagerkoller auf und ich finde immer was zu tun. Dank Rente muss ich auch nicht um einen Arbeitsplatz und meine finanzielle Sicherheit fürchten. Dazu bin ich glücklich verheiratet. Was habe ich also schon auszustehen? So stressfrei wie im Moment habe ich wohl noch nie gelebt. Auch diese Seite gibt es. Menschen wie ich profitieren vom Lockdown, gerade weil alles ein paar Nummern ruhiger läuft. Ich genieße das einfach mal, so lange es anhält. Der Tag, an dem für alle um mich herum “endlich” alles wieder normal läuft und es mir wieder zu laut, zu schnell und zu fordernd wird, wird früh genug kommen.

  16. Menschen mit einem hohen Anspruchsdenken an Andere haben es sicherlich deutlich schwerer, sich in Krisen zu beschränken als Menschen, die bereits gelernt haben (mussten/wollten), sich selbst “im Griff” zu haben (Disziplin und Selbstbeherrschung) und ihre Ansprüche einfach runterzuschrauben.
    Demut vor dem Leben und der Pragmatismus, sich selbst nicht als den “Bauchnabel der Welt” zu sehen und nicht so wichtig zu nehmen, tragen m.E. zur Resilienz ungemein bei.
    Ansonsten: “Hinfallen, aufstehen, Krone richten, weitergehen”

  17. Sehr geehrte Frau Puhlmann,

    in Ihrem Artikel und und Ihren Forschungen habe ich mich zu 100% wiedergefunden und kann die (bisherigen) Ergebnisse nur unterstreichen.
    Vor 5 Jahren habe ich durch eine Trennung (Verlassenwerden nach 37 Jahren Partnerschaft) eine, mehrere Jahre andauernde, existenzielle Krise erlebt – die alle Lebensbereiche umfasst hat.
    Der dadurch entstandene, extremste Stress brfähigte mich, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln, (eigentlich) über meine Kräfte hinaus, ums “nackte Überleben” zu kämpfen. Noch heute wundert sich mein Umfeld, wie ich das leisten konnte und freut sich mit mir, dass mir dies so gut gelungen ist, dass es mir heute, in allen Bereichen, so gut geht – vor allem, dass ich so gut wie alle, sozialen Kontakte halten, ja sogar vertiefen oder erweitern konnte.
    Genau diese waren es auch, die mir, wie von Ihnen beschrieben, die größte Kraft in der Krise waren. Ich nenne es immer “mein goldenes Pfund”.
    Auch erfülle ich mir seit dem viele , allesamt “einfache” und kostenminimierte Wünsche. Diese haben mir (eigentlich) schon längst vorgeschwebt (z.B. Hilfe im Weinberg, Arbeit im eigenen Garten, mehrtägige Radtouren, Besuche von Ausstellungen etc.) und führen fortlaufend zu einer tiefen Zufriedenheit.
    Zudem möchte ich mich meinem Vorredner anschließen – zur Bewältigung von (Lebens)krisen gehört unbedingt eine “Lebensdemut”, das Wissen/der Glaube, dass man nur ein “kleines Puzzleteil” im “Großen Ganzen” ist, dass es einen “weitreichenden Plan” gibt, den wir letztendlich nicht überschauen können und nicht zuletzt, mit wenig zufrieden zu sein und daraus das Beste zu machen.
    Durch meine vergangene, extrem schwere, existenzbedrohende Lebenskrise und meine Erfahrung, dass man “immer etwas Gutes daraus ziehen/machen kann, liegt meine “Latte sehr hoch” (was sogar mein Umfeld oft wundert) und ich bin schon sehr gespannt, welche Möglichkeiten sich aus “Corona” ergeben werden und was die gesamte Menschheit daraus lernt (hoffentlich!!). Ich selbst konnte schon mehrere eher positive Effekte und (Lern)Erfahrungen bei mir ausmachen. So singen wir z.B. in der Nachbarschaft, seit 17.03.20, JEDEN Abend zusammen 2 Lieder – das tut wunderbar gut.

    Andrea K.

  18. Als positiv gestimmter Mensch ist das halbleere Glas für mich immer
    halbvoll, nicht halbleer. Menschen, die im Laufe ihres Daseins auch die
    weniger guten Situationen gemeistert haben, sind viel besser darauf vorbereitet,
    eine Krise zu bewältigen. Das zeigt sich auch in der gewachsenen Immunität der einzelnen Individuen: wer als Kind regelmässig auf der Strasse, im Feld oder
    im Wald gespielt hat, baute sich einen größeren Eigen-Schutzschild auf, hat auch
    weniger mit Allergien, gleich welcher Art, zu kämpfen. Ich kannte Menschen,
    denen alles in den Schoß gelegt wurde, die nie um etwas kämpfen mussten –
    bei einem größeren Problemen sahen sie nur einen Ausweg im Suizid….!!!

  19. Der Unterschiedliche Grad der “Resilienz” zwischen verschiedenen Individuen lässt sich im wesentlichen auf die unterschiedliche (neuro-)biologische Grundkonstitution eines jeden Menschen zurückführen, die im wesentlichen genetisch determiniert ist.

    So wie wir alle uns auch in der Leistungsfähigkeit anderer körperlicher Organe und Systeme unterscheiden, so trifft dies auch auf das Gehirn und das Zentrale Nervensystem zu! Beispiel: nicht jede/r ist mit den körperlichen Anlagen eines Usain Bolt geboren und kann entsprechende leichtathletischen Leistungen vollbringen; genauso wenig besitzt jede/r die neurobiologische Konstitution, die es ihr / ihm erlaubt in Angesicht von belastenden Stress ruhig und gedanklich klar zu bleiben, da der individuelle “tipping point”, also die Belastungsgrenze, stark von der quasi individuellen Funktions- und Informationsverarbeitungskapazität des Gehirn abhängt.

    Mitunter sind noch im Laufe des Lebens erworbene neurologische Einschränkungen, etwa nach Schädel-Hirntrauma, neurochirurgischen Eingriffen, neurologischen Erkrankungen etc. zu berücksichtigen, die sich negativ auf die Funktionsfähigkeit des zentralen Nervensystems und in Folge auch auf die psychische Stabilität einer Person auswirken.

    Insofern ist der populärwissenschaftliche Ansatz, Resilienz quasi als eine erlernbare Fähigkeit oder eine Fähigkeit, die aus der “richtigen Lebenseinstellung” resultiert, darzustellen, kontraproduktiv! Denn letztlich führt dies dazu, dass Menschen die aufgrund Ihrer suboptimalen, angeborenen oder erworbenen neuro-gesundheitlichen Kondition eher zu Nervosität, Empfindsamkeit oder Reizbarkeit neigen, zusätzlichen Vorwürfen und Schuldzuweisungen ausgesetzt werden, denn nach der populärwissenschaftlichen Lesart kann man Ihnen ja Ihre fehlende Resilienz vorhalten.

    Und so werden “geringresilente” Menschen zusätzlichen Stigmata ausgesetzt, an statt dass man Sie in Ihrer weniger resilienten Konstitution akzeptiert. Ich habe schon erleben dürfen wie dies zur sozialen Exklusion von vulnerablen Menschen führt, die schnell als “zu anstrengend” oder “zu empfindlich” gelten.

    • Sehr geehrte(r) Dr Ishaq,

      Danke für Ihren Kommentar und den Hinweis auf neurobiologische Veranlagung als wichtigen Einflussfaktor für Resilienz. Ich stimme Ihnen zu, dass diese auch relevant ist, allerdings in Interaktion mit psychologischen Faktoren. Sie sprechen von dem Gehirn als Determinante von unserer Veranlagung zu Resilienz – ist dies nicht das physiologische Korrelat unserer Psyche? Zahlreiche neurowissenschaftliche Studien zeigen die Zusammenhänge zwischen Psychologie und Neurophysiologie, aber dies ist keine einseitige Beziehung. Stattdessen stellt die Forschung der letzten Jahrzehnte dar, dass psychische Gesundheit ganzheitlich und nicht dualistisch zu verstehen ist.

      Darum bemühen wir uns auch in unserer Forschung. Psychologische und neurophysiologische Faktoren sind eng verbunden und können gemeinsam die individuelle Reaktion auf Stress und Widrigkeiten beeinflussen. Dementsprechend wollen wir die psychologischen und physiologischen Grundlagen der ‘Veranlagung’ zu Resilienz, aber eben auch der Entwicklung von Resilienzfaktoren, ergründen. Zum Beispiel, wenn eine Person über Jahre hinweg zunehmend resilienter auf Widrigkeiten reagiert, geht dies einerseits mit Veränderungen in deren Bewertung von Stressoren, und andererseits in deren physiologischen Reaktion auf Stress einher? (Physiologischen Prozesse wurden in der hier besprochenen Studie aus rein praktischen Gründen nicht untersucht). Nebenbei bemerkt könnte auch die klassische Biomedizin meiner Meinung nach von ganzheitlicheren Ansätzen profitieren.

      Auch in unserer Forschung gehen wir davon aus, dass ein Großteil der psychologischen und biologischen Faktoren, die einen Menschen zu einer resilienten Reaktion auf Krisen helfen, schon von Geburt an feststeht, oder sich zumindest im frühkindlichen Alter entwickelt. Gleichzeitig ist aber der Anteil, der sich noch im (jungen) Erwachsenenalter entwickelt und ggf. sogar formen lässt, ein besonders interessantes Forschungsobjekt und hoch relevant für den größten Teil der Gesellschaft. Dabei beruht die neue Konzeptualisierung von Resilienz als eine (teilweise) erlernbare Fähigkeit auf wissenschaftlichen Studien und zum Beispiel der Beobachtung, dass Menschen, die eine erhebliche, aber nicht übermäßige Stressbelastung in ihrem Leben erfahren haben, generell resilienter auf Widrigkeiten reagieren. Somit ist dies durchaus kein populärwissenschaftlicher Ansatz. Die Tatsache, dass diese Theorie einen so großen populärwissenschaftlichen Anklang findet, kann wiederrum zu Problemen führen. Richtig und wichtig ist die Kritik daran, wenn Resilienz simplifiziert als eine zu 100% kontrollierbare und erlernbare Fähigkeit dargestellt wird.

  20. LARichard,
    Als 76jähriger gehören Sie zur unmittelbaren Kriegs/Nachkriegsgeneration.
    Die hat alle Schwierigkeiten des Lebens durchgemacht, von Hunger über Gewalt, Kriminalität, viel Arbeit.
    Deshalb stimmt ihre These, die individuelle Schicksalshaftigkeit in der frühesten Jugend prägt den Menschen.
    (Ich bin auch aus dieser Zeit) Und diese Generation ist durch die Coronabeschränkungen weniger getroffen, vermute ich mal.

  21. Ich empfehle zu diesem Thema die Lektüre von “Resilienz im Krisenkapitalismus” von Graefe.

    Sich der positiven Psychologie anzubiedern ist ein echtes Armutszeugnis für die Kog/Neurowissenschaftler. Aber die müssen ja alles in ihr Paradigma integrieren was nicht niet und nagelfest ist – selber Schuld. Außerdem – wenn es nunmal gut zum Zeitgeist passt und man damit super publizieren kann?

    Resilienz und posttraumatisches Wachstum hat nach wie vor Hochkonjunktur, denn es passt natürlich gut zur Corona-Krise, aber auch zu Klimawandel, Wirtschaftskrisen, Arbeitsstress, Entfremdung, etc…

    Sehs einfach positiv – du kannst im Homeoffice jetzt mehr Yoga machen und dadurch glücklicher werden! Vor allem sehs positiv, weil das nunmal glücklich macht (zumindest auf dem Papier – im Fragebogen). Alles eine Frage der Zweckrationalität und Verwertbarkeit des Menschen. Echte Aufarbeitung von Traumata und ein Hinterfragen der äußeren gesellschaftlichen Bedingungen in denen diese Auftreten ist nicht gewollt. Mach dich selbst resilient und immun gegen die Verschleißerscheinungen aus der Umwelt – schaffst du es nicht, damit klar zu kommen – selber Schuld, du bist/warst nicht resilient genug, mach besser ein Training um nachzubessern!

    In den Kommentaren zu solchen Artikeln kann man dann gleich lesen wie Menschen sich mit dem Narrativ vernähen und über ihre eigene Resilienz fantasieren und der Karotte dankbar hinterher rennen.

    Jeder will jetzt homo resiliensis werden.

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