Nachhaltige Verantwortungsverwirrung

BLOG: Sustain O'Brain

Nachhaltig nachdenken in psychologischen Tiefen
Sustain O'Brain
Schon im Sommer letzten Jahres flatterte ein Zeitungsauschnitt auf meinen virtuellen Schreibtisch, in dem es hieß, Corporate Social Responsibility-Aktivitäten (CSR) lohnten sich wirtschaftlich nicht für Unternehmen. Seitdem hatte ich immer wieder vor, dieser Nachricht nachzugehen. Nun habe ich diese Studie endlich aufgestöbert (Hoffmann & Maaß 2009) und siehe da, neben der Behandlung dieser an sich schon interessanten Frage findet sich hier eine ausführliche Herleitung des Corporate Social Responsibility-Konzeptes. Das rührt an einer Frage, die mich noch länger beschäftigt als die nach der Wirtschaftlichkeit von CSR:
 
Sind Nachhaltigkeit und CSR eigentlich das Gleiche?
 
Da gibt es auf der einen Seite eine Diskussion um an Nachhaltigkeit orientierter Unternehmensführung inklusive eines deutschen Nachhaltigkeitspreises, der u. A. Deutschlands nachhaltigstes Unternehmen auszeichnet. Im Englischen geht dann alles, was mit „sustainable“ anfängt, ebenfalls in diese Richtung. Auf der anderen Seite gibt es eine ganze Menge “corporate”: corporate (social) responsibility, corporate gouvernance, corporate citizenship, corporate giving, manchmal auch corporate accountability und vermutlich noch einiges mehr. Zumindest ist es recht einleuchtend, CSR als Oberbegriff dieser verschiedenen Begriffe anzusehen, wobei man dann ja noch die Corporate Social Responsibility (CSR) von der Corporate Responsibility (CR) unterscheiden könnte… Solange es nicht explizit um Selbstverantwortung geht, kann meiner Meinung nach Verantwortung nichts anderes als eine soziale sein, wobei ich „sozial“ sehr weit fasse und im Sinne von „gesellschaftlich“ (und nicht „barmherzig karitativ“) verstehe. Also lassen wir das. Und diese ganzen „corporates“ auseinanderzuhalten ist ein anderes Thema und kann ein andermal behandelt werden. Hier also zurück zu der Frage, was es mit Nachhaltigkeit und CSR so auf sich hat.
 
Da es sich hier offensichtlich um zwei unterschiedliche Begriffe handelt, liegt die Vermutung nahe, hier auch zumindest im Ursprung zwei unterschiedliche Konzepte vor sich zu haben. Andererseits habe ich gerade bei Praktikern in Unternehmen oft den Eindruck, dass sie diese Begriffe synonym verwenden. Nachhaltigkeit und CSR? Alles eins! Und wenn ich mich auf die Suche nach Nachhaltigkeitsberichten mache, suche ich genauso nach „CSR“- wie auch nach „Sustainability-Report“. Ganz fern scheinen sich die Themen also auch nicht zu sein. Die Verwirrung ist groß; ein guter Grund, mal genauer hinzuschauen (und die Frage nach der Wirtschaftlichkeit von CSR-Aktivitäten später zu behandeln).
 
Vielleicht erst einmal zu den Gemeinsamkeiten, die zu dieser ganzen Begriffsverwirrung beitragen: Nach der eingangs zitierten Studie handelt es sich zum Beispiel bei einer Spende an das örtliche Tierheim um eine CSR-Aktivität. (Für die, die das mit dem „corporate“ genauer verstehen wollen, hier: „coporate giving“.) Das allein wird vermutlich noch nicht ausreichen, um daraus einen CSR-Bericht erstellen zu können. Wenn wir uns die Definition der Europäischen Kommission anschauen, die Hoffmann und Maaß ihren CSR-Überlegungen zu Grunde legen, wird deutlich, dass es bei CSR durchaus um mehr gehen kann:
"CSR ist definiert als ein Konzept, das den Unternehmen als Grundlage dient, auf freiwilliger Basis soziale Belange und Umweltbelange in ihre Unternehmenstätigkeit und in die Wechselbeziehungen mit den Stakeholdern zu integrieren" (Europäische Kommission 2004, S. 7). 
Dem steht die Ausgangsdefinition der World Commission on Environment and Development zum Begriff der Nachhaltigen Entwicklung gegenüber (WCED 1987, Abs. 2.1):
"Sustainable development is development that meets the needs of the present without compromising the ability of future generations to meet their own needs. It contains within it two key concepts:
• the concept of ‘needs’, in particular the essential needs of the world’s poor, to which overriding priority should be given; and
• the idea of limitations imposed by the state of technology and social organization on the environment’s ability to meet present and future needs."
Nun lassen sich erste Gemeinsamkeiten erkennen:
  • Es spielen neben ökonomischen also auch ökologische und soziale Aspekte der Unternehmensführung eine Rolle. Dieser Gedanke lässt sich in dem Drei-Säulen-Modell einer nachhaltigen Entwicklung ebenfalls finden.
  • Grundgedanke ist in beiden Fällen, als Unternehmen Verantwortung zu übernehmen für diese Bereiche. 
  • Dabei ist es wichtig, die Bedürfnisse derer, die von der Unternehmenstätigkeit beeinflusst werden (die Stakeholder), ebenfalls zu berücksichtigen und mit ihnen in einen Dialog zu treten. 
Soweit, so gut. Jetzt also zu den Unterschieden.
CSR ist, das ist deutlich geworden, ein wirtschaftliches Konzept und basiert – wer genau gelesen hat, hats gesehen – auf Freiwilligkeit. Das heißt im Klartext: Es ist prima, wenn Unternehmen CSR in ihre Managementstrategie aufnehmen. Wenn sie es nicht tun, ist es allerdings auch völlig in Ordnung. 
Demgegenüber stammt das Kozept der Nachhaltigkeit aus der Politik und formuliert ganz klar einen normativen Auftrag: Wir haben die Pflicht, sicherzustellen, dass die jetzige wie auch zukünftige Generationen ihre Grundbedürfnisse befriedigen können, wobei die ökologischen Rahmenbedingungen die Befriedigung der Bedürfnisse natürliche Grenzen auferlegt. Da der Zustand dieser ökologischen Rahmenbedingungen mehr als bedenklich ist, ist es demnach ganz und gar nicht in Ordnung, einfach so weiterzumachen wie bisher und Unternehmenstätigkeit beispielsweise rein wirtschaftlich – und dazu meist auch noch kurzfristig – auszurichten.
 
Und auch, wenn beide Konzepte die Wichtigkeit eines stakeholderintegrierenden Dialogs betonen, unterscheiden sie sich bei genauerem Hinsehen darin, wer denn zu diesen zu berücksichtigenden Stakeholdern gehört. Hoffmann & Maaß zählen im Rahmen des CSR-Konzeptes all diejenigen dazu, die „Einfluss auf den wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens“ nehmen können. Doch die ursprüngliche Bedeutung war eine viel weiter gefasste. Und auch Organisationen, die sich für die Qualität von Nachhaltigkeitsberichten einsetzen, so wie die Global Reporting Initiative (GRI 2006), fassen den Stakeholderbegriff weiter: Für sie sind Stakeholder all diejenigen, die durch die Entscheidungen des Unternehmens beeinflusst werden, unabhängig von ihrem Einfluss auf das Unternehmen.
Wenn diese Begriffe jedoch nicht das Gleiche meinen, trotzdem aber deutliche Überschneidungen aufweisen, besteht eine weitere Frage nun darin: Wie stehen diese Konzepte denn zueinander? Was ist Teil von wem? Nun, ein Literaturstudium hilft hier nicht unbedingt weiter, da gibt es doch recht unterschiedliche Auffassungen. Also bin ich im Zuge meiner zunehmenden begrifflichen Verwirrung zu der Antwort gekommen: Das kommt darauf an. Darauf zum Beispiel, unter welchem Aspekt ich diese beiden Konzepte betrachte:
1. Anzahl der angesprochenen gesellschaftlichen Akteure
Da Nachhaltigkeit ein ursprünglich politisches Konzept ist und Politik wiederum in allen Lebensbereichen eine wichtige Rolle spielt (auch wenn auch manchmal sehr versteckt), bezieht sich Nachhaltigkeit auf alle Aspekte gesellschaftlichen und individuellen Lebens. Im Grunde kann jedes gesellschaftliche Thema unter nachhaltigkeitsorientierten Gesichtspunkten betrachtet werden, jeder kann nachhaltig handeln. CSR dagegen ist ein wirtschaftliches Konzept, das Handlungsimpulse vor allem für Unternehmen liefern kann. Da nun Unternehmen einen Teil der Gesellschaft darstellen, bietet sich folgendes Verhältnis an:
 
 
 
 
Betrachten wir diese Konzepte aus dem Blickwinkel von Unternehmen, ergeben sich hier ebenfalls unterschiedliche Sortiermöglichkeiten:
 
2. Zugrunde gelegte Kriterien
Eine CSR-Aktivität muss nicht unbedingt auch nachhaltig sein (wenn ich mein Unternehmen durch Spenden an gemeinnützige Einrichtungen ruiniere, ist niemandem geholfen). Andersherum, an Nachhaltigkeit orientierte Aktivitäten eines Unternehmens lassen sich immer auch in dem Licht sozialer Verantwortung sehen. Demnach ist es durchaus denkbar, Nachhaltigkeit als Teil eines breiter gefassten CSR-Begriffes darzustellen:
3. CSR als Vorstufe zur Nachhaltigkeit
Und dann können CSR-Aktivitäten wiederum eine Vorstufe sein hin zu einem umfassenderen, ganzheitlich nachhaltigen Unternehmenskonzept. Damit werden sie zu einem Teil eines übergeordneten, größeren Ganzen, womit sich die Darstellung erneut umdreht:
Und wahrscheinlich gibt es auch hier noch mehrere Aspekte, unter denen man die Konzepte CSR und Nachhaltigkeit zueinander sortieren kann. Und nu?
 
Ich zumindest bin bei meiner persönlichen Ansicht zu diesem doch recht komplexen Verhältnis einen guten Schritt weitergekommen. Für mich ist klar, dass CSR eine nachhaltige Unternehmensausrichtung nicht ersetzen kann, höchstens kann es einen ersten Schritt in eine nachhaltige Richtung darstellen. Netterweise kann ich das jetzt auch begründen. Und so werde mir noch einmal Gedanken machen, was die konzeptionellen Unterschiede (vielleicht kommen ja auch noch mehr dazu?) eigentlich bedeuten, wenn die Konzepte im praktischen Unternehmensalltag als gleichbedeutend angesehen werden. Bedeuten sie dann überhaupt etwas? Das ist eine andere Geschichte und kann ein Andermal erzählt werden.
Literatur:
Europäische Kommission (2004): Verantwortliche Unternehmertätigkeit. Eine Sammlung von ‚good practice‘-Fallbeispielen aus kleinen und mittleren Unternehmen in ganz Europa. Luxemburg: Amt für amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften (online unter: http://ec.europa.eu/enterprise/policies/sustainable-business/files/responsible_entrepreneurship/doc/resp_entrep_de.pdf, 07.03.2010)
Global Reporting Initiative (2006): Leitfaden zur Nachhaltigkeitsberichterstattung. Version 3.0 (online unter: http://www.globalreporting.org/Home/LanguageBar/LanguageGerman.htm, 07.03.2010)
Hoffmann, Marina (2009): Corporate Social Responsibility als Erfolgsfaktor einer stakeholderbezogenen Führungsstrategie? Ergebnisse einer empirischen Untersuchung. In: Institut für Mittelstandsforschung Bonn (Hrsg.): Jahrbuch zur Mittelstandsforschung, S. 1-51.
WCED (1987): Report of the World Commission on Environment and Development: Our Common Future (online unter: http://www.worldinbalance.net/intagreements/1987-brundtland.php, 18.07.2010)

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Simone D. Wiedenhöft - Diplom-Psychologin, Beraterin für Kommunikation in nachhaltiger Form und bald auch Doktorandin zum Thema - interessiert sich gemeinhin für das, was Menschen umtreibt und dazu und vor allem für das, was Menschen wachsen lässt. Hier denkt sie nachhaltig nach über alles, was im Entferntesten mit Nachhaltigkeit zu tun hat, und findet die Psychologie der kleinen und großen Dinge viel zu spannend, um sie dabei links liegen lassen zu können. Kontakt: sustain.o.brain (at) lern.ag

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