Die Wissenschaft und die Emotionen
BLOG: Sustain O'Brain
Nachhaltig nachdenken in psychologischen Tiefen
Ein älterer Herr sitzt knurrig in einer Küche und rührt in seiner Tasse. Die Tür geht auf und herein tritt ein weiterer Herr, vermutlich etwas jünger, dafür in einem braun-grauen Anzug. Wortlos durchquert dieser den Raum und lässt sich dann in einem erhöhten Stuhl nieder, dem Schiedsrichterstuhl beim Tennis nicht ganz unähnlich. Fortan sitzt er schweigend da und schaut dem Anderen bei dem zu, was dieser so in seiner Küche treibt. Wobei das in diesem Fall nicht gerade viel ist.
Die Szene stammt aus dem Film Kitchen Stories. Nordnorwegische Hausmänner sollen von schwedischen Forschern in ihrem Küchenverhalten beobachtet werden und dies natürlich nach den strengen Regeln der Wissenschaft. Ich liebe diesen Film, vor allem, weil er genau das so herrlich auf die Schippe nimmt.
Denn Folke, der Mann im Anzug, hat den ausgesprochen wichtigen Auftrag, seinen Hausmann fortwährend in dessen Küche zu beobachten. Dabei ist ihm jeglicher Kontakt mit seinem Untersuchungsobjekt untersagt. Natürlich soll so die Beeinflussung des Objektes in seinem natürlichen Verhalten unterbunden und die Qualität der Wissenschaft sichergestellt werden. Verstöße werden strengstens bestraft, in diesem Fall droht der Ausschluss aus dem Forschungsprojekt.
Nun ist die Tatsache, dass da ein Fremder mit Notizbuch und dicken Socken im Hochstuhl sitzt und nichts sagt, alles andere als eine natürliche Situation. Und wie absurd das Ganze tatsächlich ist, zeigt sich spätestens, als Isak beschließt, seine Rolle als Untersuchungsobjekt anders auszufüllen, als der Untersuchungsplan vorsieht. (Mehr wird nicht verraten, das verdirbt den Spaß am Selbergucken.)
Der Film spielt auf einen Grundgedanken wissenschaftlichen Arbeitens an: Nur forscherfreie Forschung ist gute Forschung! Schließlich ist Wissenschaft eine höchst ernste und damit rationale Angelegenheit, die objektive Einsichten in die Befindlichkeit von Dingen und Menschen liefern soll. Ein Forscher, noch dazu, wenn es sich um so ein unberechenbar-emotionales Wesen wie einen Menschen handelt, stört da nur den Erkenntnisprozess.
Homo Scientificus – Das rationale Wesen. Quelle.
Der Mensch, der sich auf dieses Unterfangen trotzdem einlässt, muss da einen ziemlichen Drahtseilakt hinlegen, denn
einerseits:
Wissenschaft ist ab und an durchaus ein mühsames Unterfangen. Auch bei spannenden Forschungsfragen purzeln die Erkenntnisse nicht ununterbrochen in des Forschers Computer. Da müssen zunächst Untersuchungspläne entworfen, Daten erhoben und – oh schreck! – auch umfangreich ausgewertet werden. Dann geht auch noch hier und da etwas schief oder ganz daneben. Und immer die Angst im Nacken, dass irgendjemand die gleiche Studie in dem Magazin veröffentlicht, bei dem man sich selbst gerade bewerben will. Das Ganze ist in der Regel nicht auf wenige Monate ausgelegt, sondern wird eher in Jahren gerechnet. Das alles ist nicht immer lustig.
So ein Forscherwesen braucht eine gehörige Portion Eigenmotivation, um das alles unbeschadet durchzustehen. Und wo soll diese Motivation bitte schön herkommen wenn nicht durch die Begeisterung für das Thema (Achtung Emotionen), Begeisterung für genau diese Art von Arbeit (schon wieder Emotionen) und eine gehörige Portion Neugier (hier besteht der dringende Verdacht der Subjektivität)???
Nebenbei: Man könnte hier anmerken, dass Wissenschaft von sich aus schon den Keim böser Subjektivität in sich trägt, denn das Thema muss mindestens zwei Menschen interessieren: einen, der bereit ist, Arbeit und Mühe hineinzustecken und einen zweiten, der den ersten finanziert. Was niemanden interessiert, wird auch nicht erforscht.
Andererseits:
Ja, andererseits, soll Wissenschaft eben doch eine rationale und nicht emotionale Angelegenheit sein, auch wenn durchaus fraglich ist, ob sich das so wirklich trennen lässt. (Ich stimme Herrn Damasio in dieser Hinsicht zu und sage "nein", aber das ist eine andere Geschichte und soll in einem anderen Blogbeitrag erzählt werden.) Der Forscher hat sich zurückzunehmen und nur objektiv gültige Ergebnisse vorzulegen. Emotionen sind verpönt, gefragt ist – auch wenn der Kontakt zum Planeten Vulkan bedauerlicherweise noch nicht hergestellt werden konnte – Mr. Spock in vielfacher Ausführung .
Wissenschaft hat Ernstes zu berichten und soll entsprechend ernst genommen werden. Manche Autoren scheinen schwer geplagt zu sein von der Angst, in ihrer nicht-emotionalen-dafür-wissenschaftlichen Bedeutung nicht ernst genommen zu werden; anders kann ich mir die Fülle unglaublich trockener und noch dazu oft völlig unverständlicher Publikationen bei eigentlich spannenden Themen nicht erklären.
Es geht also um Seriosität in der Forschung und Seriosität ist immer eine ernste Angelegenheit. Diese Verbindung ist oft so eng, dass andersherum alles, was anschaulich und vielleicht sogar unterhaltsam sowie auch für die Menschen auf der Straße verständlich daherkommt, eher suspekt erscheint. Das macht ja Spaß, dass kann doch keine seriöse Wissenschaft sein!
Nicht nur, dass ich meine Zweifel habe, ob diese objektiv-rationale Wissenschaft tatsächlich möglich ist; ich frage mich zudem, ob die Verknüpfung Wissenschaft = Ernsthaftigkeit sinnvoll ist. Das scheinen sich mehrere Menschen zu fragen, sonst wären Kabarettisten mit wissenschaftlichem Hintergrund nicht so erfolgreich.
Es ist durchaus möglich, Wissenschaft auch nach außen mit viel Begeisterung und Herzblut zu vertreten, ohne dafür gleich zum Kabarettisten werden zu müssen. Die junge Dame in dem folgenden Video möchte gerne die Welt retten und das – man höre und staune – mit Computerspielen. Dabei zeigt sich auch: Begeisterung und Herzblut der Forscherin sind dem Wissenstransfer und den Aha-Erlebnissen weiterer Menschen durchaus zuträglich. Und das ist doch die Aufgabe von Wissenschaft, oder?
(Mehr Infos zu ihr gibt’s hier: http://www.ted.com/speakers/jane_mcgonigal.html )
PS: Folke und Isak, die beiden Herren aus Kitchen Stories, sind sich später sehr einig: Wenn man tatsächlich etwas von anderen Menschen erfahren will, sollte man mit ihnen reden.
Video veröffentlicht unter Creative Commons Licence
Bild veröffentlicht unter Creative Commons Attribution-ShareAlike 3.0 unported
Das menschliche Element
Nimmt man das einleitende Beispiel mit dem häuslichen Beobachter als Massstab, so scheint es in diesem Beitrag vor allem um psychologische und soziologische Forschung zu gehen. In so einem Fall ist der Mensch sowohl Subjekt/Forscher als auch Objekt/Versuchsperson nur dass es sich um verschiedene Menschen in verschiedenen Rollen handelt.
Eine solche Rollenaufteilung ist tatsächlich ein schwieriger Fall, vor allem wenn die beiden Parteien davon wissen. Doch heute wird vieles aufgezeichnet ohne dass die beobachtete Person das weiss und viele Lebensäusserungen (z.B. im Internet oder am Mobiltelefon) hinterlassen Spuren ohne dass die meisten sich dessen bewusst sind. Nicht nur für Spione sondern auch für heutige und zukünftige Wissenschaftler bietet diese Datenanhäufung ein reiches Betätigungsfeld. Blogeinträge und Kommentare in diesem Blog hier beispielsweise, werden, wenn sie erhalten bleiben, wohl von irgend einem späteren Historiker, der sich auf das beginnende 21. Jahrhundert spezialisiert hat, ausgewertet, und er wird zu Schlüssen kommen, die uns Heutige vielleicht erheitern würden.
Wie aber richtig festgestellt, ist die entscheidende Frage in der Forschung oft, was man für Fragen stellt. Die “richtigen” Fragen führen weiter. Wer aber bestimmt, was die richtigen Fragen sind? Da gibt es vieles was eine Rolle spielen kann: der Zeitgeist, die Popularität des Forschungsbereichs, in den die Frage hineinfällt oder einfach das persönliche Interesse und Feuer des Forschers für sein Thema. Und richtig: Forschung ohne Publikum ist sinnlos. Meist genügen als Publikum allerdings andere Forscher, die eine Arbeit lesen und damit weiterarbeiten. Doch wie in anderen Gebieten auch, gibt es auch in der Forschung die Möglichkeit der Verwertung auf mehreren Kanälen und Ebenen und diese Möglichkeit wird auch von immer mehr Forschern wahrgenommen. Man publiziert also eine Facharbeit, präsentiert sie auch vor anderen Forschern und verfasst eine populärwissenschaftliche Version, die man in einem Buch oder einer Zeitschrift veröffentlicht oder vor interessierten Laien vorträgt. Eventuell gründet man auch eine Firma, die die Forschungsarbeit als Grundlage hat.
Forschung ohne Forscher gibt es tatsächlich nicht. Und der Forscher ist ein Mensch und hat alle möglichen Motive für seine Anstrengungen – nicht wenige seiner Motive mögen mit dem Bemühen um Wahrheit wenig zu tun haben. Vielleicht will er mit seiner Arbeit einfach seine Karriere befördern oder es steckt mehr dahinter: Oft kennt die Hintergründe nur der Forscher und eine Forschungsarbeit, die die Motive der Forscher untersuchen würde, hätte es wohl schwer, weil eine Meinungsumfrage – auch wenn sie anonym ist – vor allem das an Motiven liefern würde was als legitim, ethisch und edel gilt.
@Simone: Ich hab da Zweifel.
“Ein Forscher, noch dazu, wenn es sich um so ein unberechenbar-emotionales Wesen wie einen Menschen handelt, stört da nur den Erkenntnisprozess.”
Das ist sicher irgendwo richtig, doch die Frage ist, wie schädlich das ist: Physiker haben zum ersten Mal mit der Quantenmechanik die Tatsache ernstgenommen, daß jede Informationsübertragung auf kleinen Skalen den Ausgang des Experiments ebenfalls auf kleinen Skalen beeinflußt. Dennoch gibt es Computer und die Sache funktioniert wiederholbar so gut, daß der Anteil des Welthandels mit Anwendungen der Quantentheorie über 25% liegt (meine ich mich zu erinnern – weiß jemand Genaueres?). Irgendeine Beeinflußung macht daher nicht gleich alles kaputt, sondern sie ändert etwas, etwas Spezifisches – je nachdem, wie dieser Einfluß aussieht. Doch dazu sagst du nichts und insofern kann ich dein Argument nicht so ganz mitmachen.
“Und wo soll diese Motivation bitte schön herkommen wenn nicht durch die Begeisterung für das Thema (Achtung Emotionen)”
Ich finde es wenig einleuchtend, bei Handlungen immer nach Motiven zu fragen. Mein Argument dafür kannst du hier nachlesen:
http://www.brainlogs.de/blogs/blog/mind-at-work/2009-09-21/actions-without-motives
Und noch suspekter finde ich den Ansatz, daß Motive aus Emotionen gebildet werden müssen: Wenn ich z.B. an einem Stopschild anhalte, dann brauche ich dafür weder ein Motiv als psychisches Vorkommnis, noch eine Emotion – ich halte einfach, weil da ein Schild steht. Insofern erscheint mir dein Punkt eher ein Produkt einer Ideologie darüber zu sein, wie menschliches Verhalten zu sein hat, wie es – anständigerweise – abzulaufen hat. Gehört die Ideologie zum intuitiven Rüstzeug von Psychologen?
“Man könnte hier anmerken, dass Wissenschaft von sich aus schon den Keim böser Subjektivität in sich trägt, denn das Thema muss mindestens zwei Menschen interessieren: einen, der bereit ist, Arbeit und Mühe hineinzustecken und einen zweiten, der den ersten finanziert.”
Nein, könnte man nicht: Zwar ist es richtig, daß nicht erforscht wird, was nicht interessiert, aber daraus folgt weder, daß das dann tatsächlich Erforschte auch falsch ist noch das gewonnene Wissen notwendigerweise irreführend oder unvollständig ist. Denn der Entstehungszusammenhang und der Rechtfertigungszusammenhang einer Aussage sind völlig unabhängig voneinander.
Abgesehen davon hat Subjektivität in diesem Zusammenhang etwas mit Nicht-Reproduzierbarkeit zu tun: Persönliche Interpretationen und Deutungen reproduzierbarer Daten mögen vielleicht falsch sein. Aber sie sind nicht deshalb auch subjektiv, d.h. informativ in Bezug auf den Interpretierer. Daß es so ist – wie z.B. bei der Freudschen Fehlleistung angenommen, ist eine Extrathese, für die man auch extra argumentieren muß.
“anders kann ich mir die Fülle unglaublich trockener und noch dazu oft völlig unverständlicher Publikationen bei eigentlich spannenden Themen nicht erklären.”
Das ist natürlich ein interessanter Punkt: Könntest du uns hier vielleicht ein Beispiel geben?
Der “objektive” Forscher
Danke für den interessanten Beitrag. Waren das nun eher Emotionen oder pure Vernunft, die dich zum Schreiben veranlasst haben? 🙂
Ich denke, es ist in der Wissenschaftstheorie, -soziologie und -geschichte spätestens seit Kuhn deutlich geworden, dass WissenschaftlerInnen eben auch Menschen sind; und wissenschaftliche Gemeinschaften eben auch menschliche (soziale) Gemeinschaften. Die Frage, wie “Objektivität” möglich sein kann, wenn so viele Subjekte am Werk sind, wird bis heute diskutiert.
Idealerweise übernehmen standardisierte Experimente und Instrumente die Arbeit; aber Experimente müssen entwickelt, Instrumente gebaut, eingestellt und abgelesen werden; und niemand kann einfach Ergebnisse veröffentlichen, sondern muss diese interpretieren und diskutieren. Bei der Untersuchung des Menschen ergibt sich noch eine ganz andere Dimension der Komplexität, wie Kitchen Stories ja so schön deutlich macht.
Die Idee ist, dass durch die gegenseitige Beobachtung und Kontrolle durch peer review und Replikation ein gewisses Maß an Beobachterunabhängigkeit gewährleistet wird; das sind sicher Verbesserungsmöglichkeiten. Allerdings gibt es auch Forschungsgebiete, in denen so gut wie gar nicht repliziert wird und noch nicht einmal klar ist, unter welchen Bedingungen ein Experiment als (gelungene oder gescheiterte) Replikation gelten könnte (bsp. soziale Neurowissenschaft oder “Neuroökonomie” mit fMRT).
Wissenschaft ist ein fortschreitender Prozess, der manchmal Erkenntnis, manchmal Unsinn produziert — und was was ist, das wissen wir meistens leider erst im Nachhinein.
Beim Aspekt der Wissenschaftsvermittlung möchte ich dir aber widersprechen: Ich denke, es gibt schon recht viele WissenschaftlerInnen, die ihre öffentlichen Auftritte gut beherrschen; in manchen Kreisen gehören Medientrainings schon zur Ausbildung dazu. Meine Erfahrung ist aber, dass bei Vereinfachungen häufig etwas herauskommt, was mit der eigentlichen Wissenschaft nichts mehr zu tun hat (z.B. “Wir können Gedanken lesen”) oder aber die Journalisten das Interesse verlieren, weil das Thema eben doch zu schwierig ist.
Übrigens mag ich persönlich die Spektrum-Hefte deshalb so gerne, weil man dort meines Erachtens einen guten Mittelweg gefunden hat; jedenfalls sind mir bisher keine besseren Beispiele begegnet.
Objektivität und Realität
Hinter der Frage nach den Grenzen der Objektivität oder gar der Frage ob es Objektivität überhaupt geben kann verbirgt sich auch die Frage nach dem Wesen der Realität.
Der Materialismus, Physikalismus, wie er von den meisten Naturwissenschaftlern (implizit) vertreten wird und im Buch “Über die Natur der Dinge” von Bunge/Mahner (siehe http://www.brainlogs.de/blogs/blog/mind-at-work/2010-08-02/denkanst-e-was-ist-ein-naturwissenschaftliches-weltbild ) in allen Fazetten dargestellt wird, geht davon aus, dass es eine Realität unabhängig vom Menschen gibt, dass diese Realtität durch die Summe aller Dinge entsteht und Konstrukte wie mathematische Konzepte oder Ideen keine eigenständige vom Menschen unabhängige Existenz führen. Dem Naturwissenschaftler geht es darum, diese Realtität zu erforschen und jeder Schleier oder Filter, der die Sicht auf diese Realität verstellt, verfälscht möglicherweise das Ergebnis und muss deshalb reduziert, wenn möglich sogar eliminiert werden (eventuell durch nachträgliche Berücksichtigung verfälschender Einflüsse). Auch die Quantenmechanik, in der das Ergebnis vom Versuchsaufbau abhängt und zudem nur mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit eintrifft, bringt keinen subjektiven Faktor, sondern höchstens einen probalistischen Faktor ins Spiel.
Naturwissenschaftler werden sich immer gegen die Behauptung wehren, dass ihre Wissenschaft – wie möglicherweise einige Geisteswissenschaften – letzlich nur ein soziales Konstrukt sei.
Emotionen, aber auch viele Eigenschaften des menschlichen Erkenntnisapparates bestimmen tatsächlich wie die Realität bei uns “ankommt”, sie stellen aber die Realität selbst nicht in Frage. Verneint man nicht nur die materielle Sicht auf die Welt, sonder sogar eine allen Lebewesen gemeinsame Realität, kommt man darüber hinaus bei konsequentem Weiterdenken in viele Schwierigkeiten: Kommunikation zwischen allen Menschen unabhängig von der Kultur wäre dann beispielsweise nicht möglich. Doch damit wäre auch Wissenschaft mit universellem Anspruch nicht mehr möglich. Wir würden in einem heillosen Subjektivismus, Relativismus und Kulturalismus versinken.
@Stephan, Simone: komplentär
“Die Frage, wie “Objektivität” möglich sein kann, wenn so viele Subjekte am Werk sind, wird bis heute diskutiert.”
Das ist natürlich ebenso richtig, wie der Hinweis auf Wissenschaftssoziologie. Aber dennoch bin ich mir darüber im Unklaren, ob das Verhältnis von “subjektiv” und “objektiv” einfach das der Komplementarität ist. Wäre das so, dann würde man sagen, daß objektiv ist, was nicht subjektiv ist und umgekehrt. Aber das will mir gar nicht einleuchten.
Beim Thema Gerechtigkeit ist das analog: Ist etwas nicht ungerecht, folgt nach meiner Ansicht noch lange nicht, daß es gerecht ist. Denn tertium non datur ist mehr ein Designprinzip z.B. eines Kalküls, denn ein apriorisch wahrer Satz.
Hat sich einer von euch schon mal über solche Sachen Gedanken gemacht?
@all: Martin Holzherr
“Wir würden in einem heillosen Subjektivismus, Relativismus und Kulturalismus versinken.”
Ich hätte es nicht besser formulieren können.
Wie siehst du das, Simone?
Holzherr: Gewichtige Begriffe
Dass Sie eine ganze Reihe gewichtiger Begriffe in den Ring schmeißen, trägt meines Erachtens nicht zur Lösung des Problems bei.
Haben Sie dafür auch Belege? Wieso sollte beispielsweise ein Biologe, der es mit lebenden Organismen zu tun hat, bei seiner Arbeit auf die Hypothese angewiesen sein müssen, dass letztlich alles Physikalisch ist (und was heißt das überhaupt?).
Das, was Sie hier unter “Physikalismus” verstehen, scheint mir eher eine Beschreibung eines allgemeinen metaphysischen Realismus mit einem epistemischen Optimismus zu sein; aber man muss als Wissenschaftler auch kein harter Realist sein, sondern kann mit einem Pragmatismus oder Instrumentalismus sehr weit kommen. Jedenfalls setzt wissenschaftlichen Arbeitens meines Erachtens nicht Ihre Metaphysik voraus.
Schauen Sie, wie Sie hier einen Strohmann aufbauen: Ich sprach allein von menschlichen Einflüssen im wissenschaftlichen Arbeiten, die man durch bestimmte Vorsichtsmaßnahmen zu kontrollieren versuchen kann. Jetzt schreiben Sie hier von der These, dass Wissenschaft “letztlich nur ein soziales Konstrukt sei”. Ich denke, so weit würden selbst Vertreter des strong programme der Wissenschaftssoziologie nicht gehen. Wer ist also Ihr Diskussionsgegner? Gibt es den überhaupt realiter?
Sie werfen aber sehr wohl die Frage auf, welchen mehr oder weniger direkten oder indirekten Zugang wir zur “Realität selbst” haben.
Das halte ich schon historisch für falsch. Warum müsste beispielsweise ein Mentalist vom Schlage Berkeleys davon ausgehen, dass Kommunikation unmöglich ist? Davon abgesehen geht zwischenmenschliche Kommunikation auch oft schief, insbesondere zwischen Kulturen; oder auch zwischen Männern und Frauen. Leben die vielleicht in verschiedenen “Realitäten”?
Wer vertritt die denn heute noch? Die Beispiele gelungener Reduktionen lassen sich doch an beiden Händen abzählen. Wer glaubt denn heute noch an eine Einheitstheorie? Sie können doch schon die Chemie nicht auf die Physik reduzieren, geschweige denn die Wissenschaften lebendiger, bewusster usw. Systeme.
Nö. Wir würden allenfalls bei einer etwas realistischeren Sichtweise darüber ankommen, was wissenschaftliches Arbeiten in der Praxis bedeutet. Womit wir wieder bei meinem Kommentar angekommen wären.
@Schleim: No science without reality
Das Bemühen um Objektivität macht (nur?) Sinn, wenn man von einer Realität ausgeht, die vom menschlichen Bewusstsein unabhängig ist. Jeder Naturwissenschaftler vertritt implizit einen philosophischen Realismus. Da Naturwissenschaftler zudem dazu neigen, die Anzahl der Annahmen über die Welt, die nötig sind, minimal zu halten, tendiert ein Naturwissenschaftler auch zu einem strengen Naturalismus, also zur Auffassung, dass
1) “alles mit rechten Dingen zugeht” und
2) eine Übernatur nicht nötig ist und aus Denkökonomie darum auch nicht existiert (sonst könnte man allerhand zusammenfantasieren, was einem Naturwissenschaftler widerstrebt).
Der Materialismus schliesslich geht noch einen Schritt weiter und sagt positiv: “alles was reel ist, besteht aus konkreten, materiellen Dinge”. Zahlen beispielsweise oder Engel gehören nicht zur Realtität, es sind Konstrukte beziehungsweise Hirngespinste.
Die Bezeichnung Physikalismus für den oben definierten Materialismus ist etwas unglücklich, denn ein physikalischer Reduktionismus geht zu weit. Physikalismus – ein Begriff der im englischen Sprachraum verbreitet ist -muss deshalb als “Die Welt besteht aus physischen Dingen” verstanden werden.
Wenn sie schreiben
so lässt sich darauf antworten: Auf diese Hypothese ist ein Biologie nicht angewiesen, wohl aber auf die Annahme, dass “alles mit rechten Dingen zugeht” und dass er es auch in der Biologie mit materiellen Dingen und nur mit materiellen Dingen zu tun hat.
Mit der folgenden Formulierung
habe ich lediglich ein Bonmot aufgenommen, das Ian McEwan in seinem Roman Solar verwendet. Dort legt eine Sozialwissenschaftlerin dar, wie ein bestimmtes Gen nicht von Wissenschaftlern entdeckt werde, sondern vielmehr ein soziales Konstrukt darstelle. Auch das folgende Fragment aus Solar zeigt um was es geht:
Solar, der Roman von Ian McEwan ist eine Satire. Die Satire macht aber am deutlichsten, wohin sich gewisse Anschauungen entwickeln können. Grundlage solcher Irrlehren sind falsche Vorstellung von dem, was Realtität ist.
Kommen wir noch zur gemeinsamen Realität, die ich nur schon darum für nötig halte, damit wir über das gleiche sprechen können (also nicht sprechen, sondern sprechen können). Hier schreiben sie
Hier kann ich leider nicht mithalten, da ich den Mentalismus nicht kenne und auch nicht kennenlernen will. Es geht mir nur um die simple Annahme, dass verschiedene Forscher die gleiche Realität erforschen. Ohne diese Annahme ist es sinnlos überhaupt etwas zu publizieren. Missverständnisse, die sie ansprechen, spielen hier eine ähnliche Rolle wie die fehlende oder etwas getrübte Objektivität: Sie ändern nichts daran, dass Kommunikation möglich ist. Eben darum möglich ist, weil wir über die gleichen materiellen Dinge sprechen und diese materiellen Dinge unabhängig von uns Untersuchern existieren.
Wenn ich schreibe Doch damit wäre auch Wissenschaft mit universellem Anspruch nicht mehr möglich., so meine ich, dass naturwissenschaftliche Erkenntnise zum Beispiel über chemische oder physikalische Systeme eine Wahrheit besitzen können, die für alle Menschen in allen Kulturen gültig ist. Eben weil es Erkenntnisse über eine Realtität sind, die auch ohne menschliches Bewusstsein existiert.
Sie schreiben
Naturalismus und Materialismus verlangen nicht nach durchgängiger Reduzierbarkeit. Doch sie gehen davon aus, dass nirgends Magie im Spiel ist. Das Zusammenspiel einfacher Dinge kann zu Dingen neuer Qualität führen. H20 (das Wassermolekül bestehend aus zwei Wasserstoffatomen und einem Sauerstoffatom) beispielsweise ist ein neues Ding, dass mehr als nur die Summe seiner Komponenten ist. In diesem Fall kann die Physik sehr wohl die Eigenschaften dieses neuen Dings erklären. Man spricht nicht umsonst von Chemie als der Physik der Elektronenhülle.
Die materialistische Auffassung der Welt ist eine sparsame, denkfaule Erklärung der Welt. Wissenschaflter, vor allem Naturwissenschaftler, neigen zu dieser Auffassung. Wissenachaft kann aber auch von Nicht-Materialisten betrieben werden, jedoch kaum von Personen, die ablehnen, dass es eine nicht vom Bewusstsein abhängige, allen gemeinsame Realität gibt.
Holzh: Wissenschaft ohne ihre Metaphysik
Sie wissen ja, wie leicht man Allaussagen widerlegen kann und dass es empirisch unmöglich ist, sie zu beweisen; allein das zeigt schon, dass Sie hier nicht die empirischen Wissenschaften vertreten, sondern nur eine bestimmte Naturphilosophie; und da Sie ständig Sätze produzieren, die meines Erachtens falsch sind oder sich nicht beweisen lassen, erfüllen Sie diese Rolle meiner Meinung nach ziemlich schlecht.
Ach, wer macht sich denn in der Forschungspraxis über Ihre Metaphysik Gedanken? Ich denke, in der Praxis nehmen viele Forscher eben das an, was für ihre Forschungsarbeit nützlich ist; und Ihre “rechten Dinge” sind nicht mehr als eine rhetorische Floskel. In der nicht zu fernen Vergangenheit haben nicht wenige Naturwissenschaftler noch geglaubt, dass es beispielsweise gerade ein Gott ist, der für die “rechten Dinge” sorgt. Die Frage, warum es überhaupt Regularitäten in der Welt gibt, die sich entdecken lassen (oder die sich vielleicht gerade auch durch wissenschaftliche Verallgemeinerung ausdrücken), können Sie jedenfalls mit Ihrer Metaphysik nicht auflösen. Sie können nur hoffen, dass Begriffe wie Zufall, Selbstorganisation und Komplexität überzeugen.
Ihre Materialismusdefinition ist nicht nur zirkulär (was ist denn Materie?), sondern wohl im Lichte der grundlagenphysikalischen Forschung des 20. Jahrhunderts unplausibel.
Und dafür, dass Zahlen und Engel “nicht zur Realität” gehören, scheinen sie mir aber ganz schön viel in der Welt bewirken zu können. Sie akzeptieren also, dass etwas, das nicht existiert, den Lauf der Welt beeinflusst (und zwar in jedem Moment). Wie war das noch? Schrieben Sie nicht eben noch, alles würde “mit rechten Dingen” zugehen? Ja klar! Wunder über Wunder…
Das stimmt überhaupt nicht. Ihre “Annahme” ist inhaltsleer (siehe oben) und ein Biologe muss überhaupt nicht Ihrer Metaphysik folgen, um beispielsweise Arten zu beschreiben und zu klassifizieren, Lebensprozesse zu untersuchen und zu verstehen usw.
Sie haben mir ferner auch meine Frage, welcher Wissenschaftler wirklich Ihre Metaphysik vertritt, nicht beantwortet; stattdessen kommen Sie mit einem nach Ihren eigenen Worten satirischen Element. Wollen Sie hier eigentlich überzeugen oder nur unterhalten? Letzteres gelingt Ihnen jedenfalls. Ich bin herrlich amüsiert, fürchte aber nur, dass wir mit der Diskussion Ihrer Metaphysik der Besitzerin dieses Blogs auf die Nerven gehen.
Aha. Dass Sie sich mit der Position eines Gegners nicht nur nicht befasst haben, sondern nach eigenem Bekunden auch gar nicht befassen wollen, bringt Ihnen jedenfalls in meiner Skala “intellektueller Redlichkeit” eine gute Portion Minuspunkte ein. Da läuten bei mir gleich die Dogmatismus-Alarmglocken.
Bitte nehmen Sie doch mal ein Geschichtsbuch in die Hand und lesen Sie selbst nach, wie oft Wissenschaftler über Dinge kommuniziert haben, die nicht existieren. (Und wenn Sie zu faul sind, ein Geschichtsbuch zu lesen — Sie schreiben an anderer Stelle ja selbst von Ihrer Denkfaulheit — dann googlen Sie wenigstens mal Worte wie “Vulcan” oder “Äther”; die Liste ist noch viel länger). Ferner werden auch heute noch bsp. in der wissenschaftlichen Lehre Modelle verwendet (“Kommunikation”), von denen wir wissen, dass sie eigentlich falsch sind. Haben Sie im Chemieunterricht mal was vom Bohrschen Atommodell gehört?
Ich denke, Sie irren sich über Ihre Beweispflicht. Für die Stützung Ihrer übertrieben starken Metaphysik reicht eben kein Einzelfallbeispiel, in dem Ihre Annahme mal funktioniert, sondern Sie müssen schon zeigen, dass Ihre Annahme in allen Fällen funktioniert; und da es sich um eine metaphysische These handelt, bezieht sich das nicht mal nur auf bisherige Entdeckungen (für die Sie meines Erachtens schon scheitern dürften), sondern alle nur möglichen Entdeckungen.
Aber da Sie ja denkfaul sind, wie Sie selbst behaupten, muss ich auf Ihren Beweis wohl vergebens hoffen.
Ja wer denn nun? Dass Sie Ihre Behauptungen ständig nur wiederholen, nicht aber mit empirischen Daten stützen, erinnert mich jedenfalls mehr an den Stil einer Predigt. Amen.
Na schön, haben wir endlich mal einen ganz deutlichen Widerspruch. Ich denke zwar, dass Sie sich ständig widersprechen, aber hier lässt es sich einfacher Zeigen. (Ich halte mich zwar nicht für denkfaul, habe aber nicht unendlich viel Zeit; auch nicht unendlich viel Geduld.) Eben kam ein Biologie nicht ohne Materialismus aus (O-Ton Holzherr: “Auf diese Hypothese ist ein Biologie nicht angewiesen, wohl aber auf die Annahme, dass … er es auch in der Biologie mit materiellen Dingen und nur mit materiellen Dingen zu tun hat.”), jetzt aber doch. Entweder ist nun die Biologie keine Wissenschaft, oder sie haben ein ganz großes Problem. Vielleicht eilt Ihnen noch ein Schutzengel herbei? Ansonsten wünsche ich Ihnen weiterhin viel Spaß im Land der Denkabsurditäten.
P.S. Anstatt der Kollegin weiter ihr Diskussionsforum zuzumüllen, möchte ich an dieser Stelle lieber auf meinen eigenen Post zum Naturalismus verweisen.
@alle
Kaum schau ich mal 2 Tage nicht in den Blog, gibts so viel zu lesen, dass ich erstmal sehen muss, wie ich da durchsteige 😉
Zunächst mal freut es mich, dass sie hier so angeregt diskutieren und sich auch die Mühe ausführlicher Antworten machen. Alles Weitere dann in den jeweiligen Antworten. (Ich werd die Antworten nach Adressat aufsplitten, sonst gibts Kuddelmuddel.)
@Martin Holzherr
Sie schreiben:
“Meist genügen als Publikum allerdings andere Forscher, die eine Arbeit lesen und damit weiterarbeiten. Doch wie in anderen Gebieten auch, gibt es auch in der Forschung die Möglichkeit der Verwertung auf mehreren Kanälen und Ebenen und diese Möglichkeit wird auch von immer mehr Forschern wahrgenommen.”
Ich denke, das sollten sie auch. Wissenschaft hat einen öffentlichen Auftrag, dient einem öffentlichen Interesse und wird in vielen Fällen von dieser Öffentlichkeit finanziert. Diese dann von den Ergebnissen der Forschung auszuschließen, zum Beispiel, weil kein Außenstehender versteht, wovon da die Rede ist, halte ich weder für richtig noch für sinnvoll.
Dass es da auch andere Motive gibt, da stimme ich Ihnen allerdings vollkommen zu 🙂
@Elmar Diedrichs
du schreibst:
“Das ist sicher irgendwo richtig, doch die Frage ist, wie schädlich das ist … Irgendeine Beeinflußung macht daher nicht gleich alles kaputt, sondern sie ändert etwas, etwas Spezifisches – je nachdem, wie dieser Einfluß aussieht.”
Oh wir sind uns da vollkommen einig. Mir gehts auch nicht darum, in Frage zu stellen, dass Dinge Menschenübergreifend funktionieren. Mir gehts um den Anspruch der Objektivität. Wenn Objektivität allerdings übersetzt bedeutet: objektiv ist das, was zwischen verschiedenen Menschen funktioniert, dann kann ich das gerne objektiv nennen. Mir geht es um den Anspruch, der dahinter steht: Die Vorstellung, wir könnten etwas untersuchen, ohne Einfluss zu nehmen, der ja gerade in der Psychologie und ihren Nachbardisziplinen gerne formuliert wird.
Das mit dem Schild sehe ich anders. Niemand hält einfach nur so vor einem Schild und wenn es keine Bedeutung für mich hat, fahre ich einfach weiter. Ich halte vor dem Schild, weil ich gelernt habe, dass man das so macht, weil ich kein Bußgeld zahlen möchte, weil ich ein Mensch sein möchte, der sich an Regeln hält, weil ich keinen Unfall verursachen möchte, weil mir das Schild gefällt …Selbst wenn es automatisch geschieht und ich mir dessen nicht unbedingt bewusst bin, hatte es irgendwann irgendwann Bedeutung. Wir können jetzt darüber diskutieren, ob wir das Motiv, Bedürfnis, Sinn oder irgendwie anders nennen.
@Elmar Diedrichs
Nactrag:
“Nein, könnte man nicht: Zwar ist es richtig, daß nicht erforscht wird, was nicht interessiert, aber daraus folgt weder, daß das dann tatsächlich Erforschte auch falsch ist noch das gewonnene Wissen notwendigerweise irreführend oder unvollständig ist.”
Nun, das habe ich auch nicht gesagt. Ich habe gesagt bzw. gemeint, dass der erste Schritt der Wissenschaft ein subjektiver ist, nämlich die Auswahl des Themas. Und darin stimmst du mir ja auch zu. Was mit Subjektivität anfängt, ist ja nicht per se falsch, ganz im Gegenteil. Es ist nur nicht objektiv. Oder wir müssten hier mal klären, was wir tatsächlich unter Objektivität verstehen.
Zu den unverständlichen Texten: Die theoretische Soziologie z.B. ist voll davon und manchmal nur mit echter Übersetzungsarbeit zu verstehen, bei deutschen (!) Texten.
@Stephan Schleim
Du schreibst:
“Die Frage, wie “Objektivität” möglich sein kann, wenn so viele Subjekte am Werk sind, wird bis heute diskutiert.”
Ich werfe mal ganz frech in den Raum, ob das nicht die falsche Frage ist: Vielleicht sollten wir eher fragen, ob 100%ige Objektivität wirklich notwendig ist, wenn diese a) selbst in der Physik (Quantenmechanik) und der Mathematik (Axiome)nicht zu erreichen ist und b) wir jeden Tag feststellen, dass die Welt auch ganz gut mit ein bisschen Subjektivität funktioniert.
“Wissenschaft ist ein fortschreitender Prozess, der manchmal Erkenntnis, manchmal Unsinn produziert — und was was ist, das wissen wir meistens leider erst im Nachhinein.”
Ja und genau aus diesem Grund ist ein bisschen wissenschaftliche Bescheidenheit durchaus angebracht 😉
Dann weiter:
“Beim Aspekt der Wissenschaftsvermittlung möchte ich dir aber widersprechen: Ich denke, es gibt schon recht viele WissenschaftlerInnen, die ihre öffentlichen Auftritte gut beherrschen; in manchen Kreisen gehören Medientrainings schon zur Ausbildung dazu.” Recht so! Weiter so! Allerdings:
“Meine Erfahrung ist aber, dass bei Vereinfachungen häufig etwas herauskommt, was mit der eigentlichen Wissenschaft nichts mehr zu tun hat.”
…geht es eben nicht nur um das Zuschmeißen mediengerechter Happen. Es geht um die Fähigkeit, selbst komplizierte Dinge so darzustellen, dass auch ein Fachfremder sie zumindest in Ansätzen verstehen kann. Und das ist eine sehr hohe Kunst, die unbedingt gelernt gehört. (Wer dann Interesse entwickelt, kann sich ja in die weiteren Tiefen begeben, das gilt durchaus auch für Journalisten 😉 )
Zu Objektivität und den ganzen -ismen
“Wir würden in einem heillosen Subjektivismus, Relativismus und Kulturalismus versinken.”
Da juckt es mir in den Fingern:
a) Das tun wir sowieso, wir merken es nur nicht.(Das fängt schon mit der Sprache an und geht mit der Wahrnehmung weiter…)
b) Es könnte hilfreich sein, genau diesen Subjektivismus mal ein wenig zuzulassen. Das bewahrt uns davor, anzunehmen, wir hätten die einzig wahre Weisheit mit Löffeln geschlürft.
c) Auch ein Philosoph muss Brötchen kaufen. (Das habe ich mal in einem Buch über Hume gelesen und fand es großartig.)
Will meinen: Ich kann hier wunderbar über solche Dinge philosophieren und zum Beispiel feststellen, dass es 100.000 Varianten gibt, was Menschen mit einem Brötchen verbinden. “Draw a distinction and a universe comes into being” Wenn ich Brötchen kaufen möchte, muss ich ein paar dieser Universien zurückstellen, und darauf vertrauen, dass die Verkäuferin schon weiß, was ich meine, wenn ich sage: Ich möchte Brötchen kaufen. Das gilt meines Erachtens für jede Form von Kommunikation. Und darin steckt doch etwas ganz Fantastisches: Wir sind alle hoffnungslos subjektiv und schaffen es trotzdem in ganz vielen Fällen, uns zu verstehen. Ist das nicht eine großartige Leistung? 😉
@Simone D. W. : Objektivität + Meinung
Ich denke man muss unterscheiden zwischen einer Meinung, wo es naturgemäss keine Objektivität gibt und dem Anspruch auf Wissenschaftlichkeit und Universalität.
Die folgende Aussage,
Zitat: Vielleicht sollten wir eher fragen, ob 100%ige Objektivität wirklich notwendig ist, wenn diese a) selbst in der Physik (Quantenmechanik) und der Mathematik (Axiome)nicht zu erreichen ist und b) wir jeden Tag feststellen, dass die Welt auch ganz gut mit ein bisschen Subjektivität funktioniert.
will den Forscher vor Objektivität retten, indem behauptet wird, auch in der Mathematik und Physik gebe es subjektive Elemente. Das trifft jedoch für die angegebenen Beispiel nicht zu: in der Quantenmechanik gilt lediglich, dass jede Unterschung eines quantenmechanischen Systems dieses beeinflusst, allerdings auf eine vorausschaubare Art. Die Axiome der Mathematik wiederum sind Audruck davon, dass es in der Mathematik um Konstrukte des Menschen geht und nicht um primäre Realitäten. Dass ein mathematisches Gebiet auf Axiome zurückgeführt werden kann zeigt gerade die Transparenz der Mathematik.
Vielleicht wäre es besser anstatt Objektivität zuerst einmal von einer wissenschaftlichen Arbeit Transparenz einzufordern. Ähnlich wie in der Mathematik darf man auch in allen anderen Wissenschaften möglichst wenig Grundannahmen machen, vor allem keine solchen, die willkürlich und nicht nachvollziebar sind. Ich denke, es gibt bei sozialwissenschaftlichen und psychologischen Arbeit oft einen Common Sense oder mehr noch ein dahinterliegendes Glaubensystem, dass mehr den Wunsch nach einer bestimmten Realität ausdrückt als dass es einer vorhandenen Realität entspricht. Das ist allerdings nur ein “Gefühl” von mir. Doch auch geisteswissenschaftliche Forschung ist vielfältig. Gewisse Themen erfordern eben eine strengere Anlehung an die Methoden, die auch in der Naturwissenschaft angewandt werden, andere wiederum nicht.
@ Simone: Zustimmung
Ich kann dir nur zustimmen (wie langweilig), möchte aber kurz eine Ergänzung hinzufügen:
Das ist dann eben eine normative Frage und einige Wissenschaftstheoretiker würden sich dagegen wehren, hier ein Urteil zu fällen; umgekehrt können die meisten Forscher ja auch ganz gut damit leben, sich nicht nach dem zu richten, was Wissenschaftstheoretiker (und -geschichtler, -soziologen) über sie denken und schreiben.
Ich persönlich würde sagen, dass nichts von dem, was ich tun und denken kann, jemals 100% objektiv sein wird. Idealerweise bin ich mir einer gewissen Irrtumswahrscheinlichkeit bewusst. Es scheint aber Menschen zu geben, die nicht mit der Idee leben können oder wollen, dass sie sich vielleicht irren.
Subjekt und Objekt
Sorry, wenn ich mich jetzt auch noch hier hineinhänge – aber ich versteh’ das Problem nicht, wahrscheinlich bin ich ja einfach zu naiv.
Ich hab’ mich von den Idealisten lehren lassen (womöglich zu Unrecht), dass ein Objekt immer eines Subjektes bedarf, und umgekehrt, ein Subjekt immer eines Objektes. “An sich” hat keines von beiden Bestand – sie hängen voneinander ab.
Und “Objektivität”, dacht’ ich, sei ein Diskursprodukt, eine Sache der Intersubjektivität. Man einigt sich auf Regeln (meinetwegen die der Wissenschaft, Messbarkeit, Reproduzierbarkeit, Mathematisierbarkeit), und dann kommt eben “wissenschaftliche Objektivität” dabei heraus.
Ist das jetzt zu naiv?
Das “Pirx Paradigma”
eine kurze Zusammenfassung interessanter Überlegungen Stanislav Lems zum Thema.
@Simone: Relativismus?
“Das mit dem Schild sehe ich anders.”
Ich meinte folgenden Fall:
“Ich halte vor dem Schild, weil ich gelernt habe, dass man das so macht,”
natürlich kann es auch andere Gründe geben, die wir Motive nennen. Aber zu behaupten, daß es immer eine Motiv gibt ist falsch und wohl mehr eine Mode in der Psychologie.
“Wir können jetzt darüber diskutieren, ob wir das Motiv, Bedürfnis, Sinn oder irgendwie anders nennen.”
Es spielt eine Rolle, wie man das nennt: Nennt man das so, dann suggeriert man. daß jede Handlungserklärung auf Motive angewiesen ist. Und das ist eine schlechte Strategie.
Meinem link bist du offenbar nicht gefolgt.
“Ich habe gesagt bzw. gemeint, dass der erste Schritt der Wissenschaft ein subjektiver ist,”
In diesem Fall stellt sich die Frage nach der Bedeutung von “subjektiv” und wie du sie von mit der Bedeutung von “objektiv” konstratierst. Dein Artikel leidet daran, daß er beide Konzept nicht mal im Ansatz erläutert – was ja auch nicht so ganz einfach ist, wie ich gerne zugebe.
Wenn du das aber machen würdest, dann können man auch disktuieren, welchen “wissenschaftlichen Schaden” subjektiver Einfku´ zur Folge hat. So wie es jetzt ist, kann man das nicht und dem Artikel fehlt irgendwo eine Pointe.
“Die theoretische Soziologie z.B. ist voll davon”
Danke, daß macht es mir nicht leichter. Könntest du wenigstens einen Autor nennen?
“a) Das tun wir sowieso, wir merken es nur nicht.(Das fängt schon mit der Sprache an und geht mit der Wahrnehmung weiter…)”
Das ist eine äußerst steile These und wahrscheinlich würde es einen eigenen post erfordern, darauf zu antworten. Auf jeden Fall würde ich gegen einen solchen relativistischen Standpunkt opponieren.
“b) Es könnte hilfreich sein, genau diesen Subjektivismus mal ein wenig zuzulassen. Das bewahrt uns davor, anzunehmen, wir hätten die einzig wahre Weisheit mit Löffeln geschlürft.”
Hier gehen wieder verschiedene Bedeutungen von “subjektiv” durcheinander: Die eine, die die Auswahl von etwas betrifft und die andere, die die Wahrheit einer Aussage betrifft. Und last noch least ist die moralische Nebenwirkung, die du hier ins Spiel bringst wirkelich nicht nachvollziebar: Warum es keine Andere Möglichkeit geben soll, zu verhindern, daß man aufhört, kritisch nachzudenken, liegt nicht auf der Hand.
Ich finde das alles überhaupt nicht gut, was hier passiert.
“Ist das nicht eine großartige Leistung?”
Nein, das ist ganz normal: Da der völlig überzogene Relativismus, den du hier predigst nicht mal im Ansatz plausibel ist, ist gelungene Kommunikation keineswegs erstaunlich. Es ist auch nicht erstaunlich, daß Babies nach und nach unsere Sprache lernen und man ihnen das Elternhaus anmerkt, in dem sie groß wurden. Wäre alles so subjektiv, wie du sagst, wäre das nicht so. Was daher erklärungsbedürftig ist, ist diese Art der Privatheit des Verständnisses, die in all deinen Aussagen mitschwingt.
Vielleicht könntest du über diese in unserer Kultur äußerst drängende Problem man bloggen. Dann könnte man diskutieren.
@Helmut Wicht
Vielen Dank für den Beitrag, ich finde ihn sehr erhellend 🙂
@Elmar Diedrichs
So, wir sind also in einigen grundsätzlichen Fragen unterschiedlicher Meinung. Wie schön, aus meinem ganz privaten Verständnis heraus gehört das zum wissenschaftlichen Diskurs und bereichert diesen. Allerdings frage ich mich gerade, ob der Wechsel auf die persönliche Ebene auch dazu gehört. Anscheinend schon. Und ob er diesen bereichert. Ich meine nein.
“Allerdings frage ich mich gerade, ob der Wechsel auf die persönliche Ebene auch dazu gehört.”
Welcher Wechsel auf die persönliche Ebene?
Nein, hier wurden keine Bewertungen deiner Person kommuniziert. Das sind deine persönlichen normativen Gespenster.
Stattdessen wäre es hilfreich, wenn du in der Erklärung “subjektiv” vs “objektiv” noch etwas nachreichen würdest. Das war ja auch Helmuts Punkt.
@ Elmar: Lasen wir denselben Text?
(a) kann ich nicht verstehen. Woran machst du das fest? Wieso “völlig überzogen”? Wo ist die Grenze zwischen gemäßigtem, normalem, überzogenem und völlig überzogenem Relativismus?
(b) finde ich daneben. Ich hatte den Eindruck, dass hier jemand anders am Predigen war und das habe ich auch geschrieben.
Haben wir unterschiedliche Beiträge gelesen? Wunderbares Beispiel für “gelungene Kommunikation”, hmm?
Gruß
Stephan
@S.D.Wiede.. Gewinn durch Subjektivität?
Ohne eine gemeinsme Realität, mit der sich (auch) die Wissenschaft beschäftigt droht folgendes:
“Wir würden in einem heillosen Subjektivismus, Relativismus und Kulturalismus versinken.”
Simone Wiedenhöft’s Antwort: a) Das tun wir sowieso, wir merken es nur nicht.(Das fängt schon mit der Sprache an und geht mit der Wahrnehmung weiter…)
b) Es könnte hilfreich sein, genau diesen Subjektivismus mal ein wenig zuzulassen. Das bewahrt uns davor, anzunehmen, wir hätten die einzig wahre Weisheit mit Löffeln geschlürft.
Die Frage ist, gewinnt man etwas durch Subjektivismus und Relativismus. Wenn sie schreiben der Subjektivismus bewahre uns davor anzunehmen, wir hätten die einzig wahre Weisheit mit Löffeln geschlürft, so verwundert mich das zutiefst. Wer ein wissenschaftliches Papier schreibt, macht doch damit auch ein Wagnis, nämlich das Wagnis sich zu irren, von anderen auf Denkfehler hingewiesen zu werden und vieles mehr. Und dies auch dann, wenn er sich um Objektivität und Einhaltung aller Standards bemüht hat.
Wenn man sich aber nicht einmal um Objektivität bemüht, um was bemüht man sich dann: Etwa darum, dass man verstanden wird und einem möglichst viele zustimmen. Ich behaupte: in den meisten Fällen ist das Resultat dann schlicht uninteressant und bringt weder dem Autor noch anderen Forschern etwas.
@Stephan: Ok, schauen wir noch mal
“Haben wir unterschiedliche Beiträge gelesen? Wunderbares Beispiel für “gelungene Kommunikation”, hmm?”
I never trust myself. 😉 Also noch mal:
Was Simone hier gesagt hat, war
“Wir würden in einem heillosen Subjektivismus, Relativismus und Kulturalismus versinken.
Da juckt es mir in den Fingern:
a) Das tun wir sowieso, wir merken es nur nicht.(Das fängt schon mit der Sprache an und geht mit der Wahrnehmung weiter…)”
Und das ist doch äquivalent zu:
“Ja, es gibt einen heillosen (=unbeschränkten) Subjektivismus, Relativismus, Kulturalismus.”
Oder seh ich das falsch?
Abgesehen davon, daß wie üblich bei Relativisten nicht der Hauch eines Argumentes vorhanden ist. Stattdessen wird rumgemault, daß es angeblich persönlich wird: Auch eine Art, sich zu drücken….
“Wo ist die Grenze zwischen gemäßigtem, normalem, überzogenem und völlig überzogenem Relativismus?”
Sehr einfach: Wie Simone richtig beschrieben hat, gibt es sehr viele Kommunikations- und Organisationsaufgaben zu lösen, wenn viele Menschen zusammenleben. Und das klappt erstaunlich gut: Ich kann ebenso in Berkeley meine Brötchen beim spanischen Bäcker kaufen, indem ich sinnvoll gestikuiere (weil ich kein Spanisch kann), wie auch beim Berkeley Bowl mit zusätzlichem flirt an der Kasse, weil ich angeblich einen entzückenden Akzent habe – sehr überzeugendes Verkaufsgespräch übrigens … 😉
Daher ist jeder Relativismus überzogen, der den offenkundigen Normalfall künstlich zur Ausnahme macht und dann hinterher die Existenz irgendeiner wundersamen Lösung postuliert, die er aber selbst nicht angeben kann. Und genau das macht Simone.
Und so ein Relativismus macht keinen Sinn, er ist indiskutabel. Natürlich gibt es Unterschiede z.B. im Sprachgebrauch, aber man erklärt die Sache nicht dadurch, daß diese Abweichungen zur Norm erhebt.
Da muß schon mehr kommen.
@ Elmar: Heillose Diskussion?
Hmm, ich würde erst einmal anmerken, dass die Konsequenz Herrn Holzherrs (“Wir würden… versinken.”) eine non sequitur, also falsch ist. (Zum einen funktioniert Kommunikation sowieso nicht perfekt, zum andern ist nicht ersichtlich, wieso wir nicht auch [zumindest begrenzt] mit Wesen in anderen Realitäten kommunizieren könnten. Vielleicht würde das davon abhängen, ob es bestimmte Ähnlichkeitsbeziehungen zwischen den Welten gibt. Siehe ferner meine Anmerkungen zur Idee einer “Wissenschaft mit universellem Anspruch”, um die es in Herrn H.s Satz davor geht. Aber mit solchen Feinheiten gibt sich der überzeugte Vefechter der Wahrheit ja nicht ab, oder?)
Ich denke, wenn wir nun alles an dem Wörtchen “heillos” festmachen, dann würde ich gemäß dem prinicple of charity erst mal bei meiner Gesprächspartnerin, die vielleicht auch nicht so geübt ist im philosophischen Argumentieren wie der eine oder die andere hier, nachfragen, wie stark sie das wirklich meint; das gilt meines Erachtens insbesondere dann, wenn wir nicht nur den Kommentar, sondern auch ihren Beitrag zum Thema vorliegen haben, in dem es sicher um Subjektivität geht aber — so habe ich das zumindest verstanden — um gemäßigte.
Hattest du hier nicht selbst noch das tertium non datur verabschiedet? Ich bin jedenfalls sehr für eine fuzzy-Bewertung zwischen Objektivität und Subjektivität. Der Film Kitchen Stories würde doch beispielsweise nicht bestreiten, dass es Männer und Küchen gibt, sondern nur, dass eine “objektive” Messung des Verhaltens jener in diesen problematisch ist. Wenn wir es insbesondere mit der Wissenschaft vom Menschen zu tun haben, finde ich daran überhaupt nichts Überzogenes, sondern eher Vernünftiges. Wenn sich die Kollegin ferner für etwas Bescheidenheit im Interpretieren wissenschaftlicher Ergebnisse einsetzt, würde ich ihr eher eine Kiste Wein (ich denke da an Deidesheimer Riesling) spendieren, als ihr die Ohren lang zu ziehen. Von einer “Predigt” habe ich da jedenfalls nichts gesehen. Je nachdem, wie viel Wein ich schon mit jemandem getrunken habe, würde ich auch das mit den “normativen Gespenstern” nicht unbedingt so formulieren; aber zugegeben, das ist sehr subjektiv — und vinotief.
Ich denke, ich werde mich hier mal aus der Diskussion zurückziehen; habe ja schon so viel geschrieben; aber komm du mal wieder in meinen Blog (oder nach Deidesheim), dann zieh ich dir die Ohren lang! 🙂
P.S. Im Übrigen würde ich sagen, dass der Flirt nicht nur am Akzent, sondern auch an Körpergröße, -bau und Haarfarbe liegen könnte; hast du diese alternativen Erklärungsmöglichkeiten schon ausgeschlossen? Oder wie subjektiv hast du dich für ersteren entschieden?
@Simone: nochmal
Diese Bemerkung von dir
“Vielleicht sollten wir eher fragen, ob 100%ige Objektivität wirklich notwendig ist, wenn diese a) selbst in der Physik (Quantenmechanik) und der Mathematik (Axiome) nicht zu erreichen ist und b) wir jeden Tag feststellen, dass die Welt auch ganz gut mit ein bisschen Subjektivität funktioniert. “
demonstriert, daß der eigentlich Aufhänger des Artikels noch nicht ausgereift ist:
Objektivität ist in der QM sehr wohl erreichtbar, nur ihr wahrscheinlichkeitstheoretischer Charakter läßt sich ebensowenig nicht wegdiskutieren, wie der Einfluß der Messung, nicht aber der Person des Forschers auf der Experiment. Mit Subjektivität hat das folglich nichts zu tun.
Mathematik ist eine Sprache, die sich gerne den Aufgaben, die an sie herangetragen werden anpaßt. Ihre Axiomatisierung ist nicht der Beginn, sondern das Ende mathematischer Forschung und daher kein Hinweis auf subjektive Auswahl. Die wirklich mathematischen Ideen, die die mathematische Kreativität leiten, stehen nicht in Lehrbüchern, sondern diese enthalten durch Benutzung der Axiomatisierung eine Darlegung und Ausleuchtung der begrifflichen Beziehungen zwischen mathematischen Objekten.
Axiomatisierung ist daher lehrreich, weil z.B. gezeigt wird, daß wir Aussage C schon aus A folgern können und B dafür nicht brauchen, B zwar benutzen könnten, es aus begrifflicher Sparsamkeit aber nicht tun. Denn wir wollen, daß C ein breit verwendbares Werkzeug ist und B als zusätzliche Voraussetzung für C würde uns bei spannenden Fragen komplexer mathematischer Objekte M nur belasten und beschränken.
So funktioniert das Spiel, klaro?
Aber das kannst du nicht wissen, weil du von Mathe keine Ahnung hast.
Im übrigen stelle ich nicht fest, daß die Welt mit Subjektivität gut funktioniert. Abgesehen davon, daß du wohl einen bestimmten Teil der Welt im Blick hast (offenbar nicht den der Naturwissenschaften), mag es stimmen, daß Subjektivität in diesem Teil dominant ist. Doch was wir an dieser Stelle brauchen ist eine andere Aussage – die Aussage, daß sie schlechter funktionieren würde ohne Subjektivität (was immer das sein mag).
Aber zu dem Punkt hast du nichts gesagt.
“Im Übrigen würde ich sagen, dass der Flirt nicht nur am Akzent, sondern auch an Körpergröße, -bau und Haarfarbe liegen könnte; hast du diese alternativen Erklärungsmöglichkeiten schon ausgeschlossen? Oder wie subjektiv hast du dich für ersteren entschieden?”
Ach, das gehörte einfach zum Verkaufsgespräch und war nichts Persönliches – nichts, worüber ich mir Gedanken mache.
“aber komm du mal wieder in meinen Blog (oder nach Deidesheim), dann zieh ich dir die Ohren lang!”
Auweia – dann komme ich nur mit meiner persönlichen Killerkakerlake im Schlepptau. 😉
@ Elmar: Subjekt und Mathe
Sorry, da will ich den Fachmann mit Fachakzent jetzt doch noch mal nachfragen (aunahmsweise aus echter Neugier, nicht aus Penetranz *g*):
Wie ist das, wenn es von der Definition mathematischer Begriffe wie “Kante” und “Fläche” abhängt, ob ein Möbiusband eine oder zwei Seiten hat? Oder wenn verschiedene logische Kalküle anders mit der materiellen Implikation umgehen? Oder parakonsistente Logiken anders mit Widersprüchen usw.? Sind da Tatsachenfragen nicht Abhängig von Axiomen? Gibt es in der Mathematik nicht mehr als nur den Mainstream? Und daher nicht mehr als nur eine Realität?
Haben wir hier nicht außerdem ein Henne-Ei-Problem? Mathematische Forschung ohne Definitionen oder Definitionen ohne mathematische Forschung? Was war denn zuerst da?
P.S. Deine Killerkakerlake kriegst du nicht durch den Zoll, die stehen unter Artenschutz, damit kannst du mir keine Angst machen.
@Stephan, Susanne: Definitionen
“erst mal bei meiner Gesprächspartnerin, die vielleicht auch nicht so geübt ist im philosophischen Argumentieren wie der eine oder die andere hier, nachfragen, “
Das versuche ich hier ja rauszukriegen: Wo immer sich Hinweise auf einem Standpunkt finden, hake ich nach.
“Hattest du hier nicht selbst noch das tertium non datur verabschiedet?”
Ja, das ist ein sehr beschränkendes design-Prinzip.
“Ich bin jedenfalls sehr für eine fuzzy-Bewertung zwischen Objektivität und Subjektivität.”
Hm … was soll ich dazu sagen? Noch ringen wir ja um eine akzeptable Auslegung dieser Konzepte.
“Wenn wir es insbesondere mit der Wissenschaft vom Menschen zu tun haben, finde ich daran überhaupt nichts Überzogenes, sondern eher Vernünftiges.”
Damit hast du auf jeden Fall recht. Aber die Behauptungen in diesem post scheinen doch sehr viel weiter zu gehen.
“Wenn sich die Kollegin ferner für etwas Bescheidenheit im Interpretieren wissenschaftlicher Ergebnisse einsetzt, würde ich ihr eher eine Kiste Wein (ich denke da an Deidesheimer Riesling) spendieren, als ihr die Ohren lang zu ziehen. “
Ok, wann machen wir die flach? Ich zahle die andere Hälfte. *prost*
Anyway – es gibt ja inzwischen genug Beispiele. Wer rafft sich zu einer Neuformulierung von “subjektiv” und “objektiv” auf?
Den Standpunkt von Martin Holzherr finde ich nach wie vor attraktiv.
“Wer rafft sich zu einer Neuformulierung von “subjektiv” und “objektiv” auf?” Das ist es ja gerade, was mir zu schaffen macht. Denn was objektiv ist, so stimme ich H.Wicht zu, wenn er schreibt:
“Und “Objektivität”, dacht’ ich, sei ein Diskursprodukt, eine Sache der Intersubjektivität.”
Um das Subjekt muß es also gehen. Kopernikanische Wende in der Metaphysik: Wir sind es als Subjekte, die die Erkenntnis in die Gegenstände legen. Nicht umgekehrt! (->Kant)
@Stephan: diskriminatorische Leistung
“Wie ist das, wenn es von der Definition mathematischer Begriffe wie “Kante” und “Fläche” abhängt, ob ein Möbiusband eine oder zwei Seiten hat?”
Kommt drauf an: Was ein Mathematiker möchte, ist ein maximaler Reichtum an mathematischen Aussagen und das “Sichtbarmachen” möglchst viele Unterschiede und Relationen zwischen mathematischen Objekten. Es kann vorteilhaft sein, ein Möbiusband mit einer Kante zu konstruieren, weil z.B. irgendein andere toplogische Zusammenhang sich dann einfacher hinschreiben läßt. Es kann aber auch Vorteile haben, ein Möbiusband mit zwei Kanten zu definieren, weil nur so eine Orientierung auf dem Band richtig hinbekommt.
(Ich hab keine Ahnung von Topologie.)
In jedem Fall würde man machen, was nützt. Der Preis wäre dann eine Kante mehr oder eine Kante weniger – je nach Standpunkt.
“Sind da Tatsachenfragen nicht Abhängig von Axiomen?”
In diesem Sinne: Ja. Aber die Akxiome sind dennoch nicht willkürlich, sondern der Nutzen, den sie erlauben, rechtfertigt den mathematischen Apparat. Entsprechend verzichten Mathematiker darauf, zu sagen, ihre Aussagen seien wahr und sprechen von deren Beweisbarkeit relativ zu den Axiomen und Definitionen.
“Gibt es in der Mathematik nicht mehr als nur den Mainstream?”
Gibt es, klar. Es gibt viele exotische Gebiete, von denen ich grade mal den Namen kenne. Manche beginnen sicher auch mit einer Definition, die nur eine Nuance von der Mainstream-Definition abweicht.
“Und daher nicht mehr als nur eine Realität?”
Das würde ich nicht sagen, da Mathe nach meiner Ansicht keine Struktur der Realität beschreibt, sondern einen Teil unserer Erfahrungen mit den physischen Phänomenen der Natur in quantifizierbarer Weise konzeptualisiert. Diese Ansicht ist zwar unter Mathematiker nicht sehr populär, aber sie hat was für sich. Guck doch dafür mal in dem Bloggewitter “Mathematik” nach.
“Haben wir hier nicht außerdem ein Henne-Ei-Problem? Mathematische Forschung ohne Definitionen oder Definitionen ohne mathematische Forschung? Was war denn zuerst da?”
Das würde ich so beantworten: Man geht am Anfang ganz naiv los und sagt erstmal “Kante:= ….! Ist doch klar: Schau her, ich male dir das hin, was willste denn mehr?”. Und alle anderen sagen: “Ok, mal gucken, was so passiert mit dem Teil.”. Dann gehen die los und finden nach und nach immer mehr Probleme mit dieser Definition und machen Verbesserungsvorschläge und so entwickelt sich der Begriff der Kante immer weiter. Und so läuft das auch mit Axiomatierung: Man revidiert Definitionen, weil man merkt, daß man auf anderem Wege noch sparsamer Axiomatisieren kann.
Mit anderen Worten: Das ist kein “Henne-Ei”-Probem.
“Deine Killerkakerlake kriegst du nicht durch den Zoll, die stehen unter Artenschutz, damit kannst du mir keine Angst machen.”
Verdammt … na, dann werd ich eben noch in Berlin eine anwerben!! 😛
Nachtrag
Solange es um den Tisch geht, der vor mir steht, können wir uns im Rahmen der Intersubjektivität einigen. Auch ist es möglich, sich die QM durch das Doppelspaltexperiment anschaulich zu machen. Es gibt aber auch Gegenstände, die in ihrer vermeintlichen “Objektivität” durch Indoktrination geglaubt/fürwahr gehalten werden. Und dies betrifft nicht nur religiöse Gegenstände!
@ Martin Holzherr
Wir diskutieren hier auf mehreren Ebenen in einem linearen Medium, vielleicht sollten wir mal das Medium wechseln und das Ganze bei einem Wasser/Kaffee/Bier oder Ähnlichem weiter ausführen? Langsam wird es ein wenig kompliziert.
Zudem glaube ich, dass wir gar nicht so weit weg voneinander sind.
Da ich den Eindruck habe, dass Sie tatsächlich ein Interesse an dem haben, was ich mit dem, was ich schreibe, meine, möchte ich hier noch mal versuchen, das Ganze etwas zu entwirren und gehe Ihre Anmerkungen im Einzelnen durch:
“Die Frage ist, gewinnt man etwas durch Subjektivismus und Relativismus.”
“Wenn sie schreiben der Subjektivismus bewahre uns davor anzunehmen, wir hätten die einzig wahre Weisheit mit Löffeln geschlürft, so verwundert mich das zutiefst.”
Ich mache hier noch mal einen Absatz, weil ich den Eindruck habe, dass der zweite Teil einen anderen Aspekt betrifft.
Subjektivität bedeutet für mich in diesem Zusammenhang: Ich als Forscher lebe in einer bestimmten für mich gültigen Realität und die ist geprägt durch meine Erfahrungen, meine Kultur, mein Selbstverständnis als Forscher, die Standards in meiner Fachrichtung und wahrscheinlich noch vieles Andere mehr. Wenn ich nun die Dinge in der Welt betrachte, dann schaue ich mit dieser Brille auf die Welt. Ich kann einfach keinen archimedischen Punkt einnehmen, der außerhalb meiner selbst liegt. Subjektivität bedeutet für mich, auch anzuerkennen, dass es auch andere Brillen=Realitäten gibt, die ebenfalls ihre Berechtigung haben.Das muss nicht heißen, dass ich mit ihnen einverstanden bin oder sie teile, aber ich räume die Möglichkeit ein, dass diese anderen Realitäten existieren. Und genau, weil wir diesen archimedischen Punkt nicht einnehmen können, entwickeln wir zum Beispiel explizite Standards, also klar ausgesprochene Regeln, wie zum Beispiel eine wissenschaftliche Untersuchung in einem bestimmten Bereich durchgeführt werden soll. Und wie Herr Wicht so schön meinte, genau das ist Wissenschaft meiner Meinung nach: das Einigen auf Regeln.
Diese Regeln sind von Menschen im Laufe der Zeit entwickelt, angepasst,erweitert, umgedeutet und verändert worden.
Jetzt weiter in Ihrem Text:
“Wer ein wissenschaftliches Papier schreibt, macht doch damit auch ein Wagnis, nämlich das Wagnis sich zu irren, von anderen auf Denkfehler hingewiesen zu werden und vieles mehr. Und dies auch dann, wenn er sich um Objektivität und Einhaltung aller Standards bemüht hat.”
Da haben Sie meiner Meinung nach vollkommen Recht und ich sehe das auch nicht im Widerspruch zu dem, was ich oben ausgeführt habe. Ich spreche niemandem ab, dass er sich um Objektivität und die Einhaltung von Standards bemüht, wobei ich zwischen diesen beiden Punkten eine Trennung vornehmen würde. Wenn Standards gegeben sind, ist es vergleichsweise einfach, diese zu erfüllen. Die Regeln sind vorgegeben und ich weiß, was ich zu tun habe. (Das ist sehr vereinfacht, ich hoffe Sie sehen trotzdem den Punkt.) Bei der Objektivität gibt es jetzt meiner Meinung nach zwei Möglichkeiten: Als Forscher bin ich davon überzeugt, dass ich diesen archimedischen Punkt erreichen kann. Dann müsste ich aber definieren, wann ich diesen erreicht habe, was wiederum ein durch mich bestimmter Punkt ist.
Oder ich kann sagen: Ich kann diesen archimedischen Punkt nicht einnehmen,ich kann diese Brille meiner (Forscher-)Persönlichkeit nicht abnehmen, aber ich kann sie so klein wie möglich machen und die Gläser, so gut es geht, putzen. Dann gehe ich davon aus, dass ich Objektivität nicht erreichen kann, auch wenn ich mich um – im Rahmen meiner Möglichkeiten – größtmögliche Objektivität bemühe.
Ich persönlich würde an dieser Stelle nicht mehr von Objektivität sprechen, weil ich mit Objektivität genau diesen archimedischen Punkt meine. Es gibt auch eine methodische Auffassung von Objektivität, also die Auffassung, dass verschiedene Forscher bei der gleichen Untersuchung zu den gleichen Ergebnissen kommen. Auch hier habe ich Schwierigkeiten mit dem Begriff Objektivität, da sie sich vorher geeinigt haben, die gleichen Regeln anzuwenden. Es geschieht also nicht losgelöst von diesen Regeln. Jetzt könnte man sagen, dass das Ergebnis innerhalb dieses Regelsystems objektiv ist, aber das klingt in meinen Ohren ein wenig paradox.
Weiter in Ihrem Text:
“Wenn man sich aber nicht einmal um Objektivität bemüht, um was bemüht man sich dann:”
Ich denke, es geht um Selbstreflexion, Transparenz, intersubjektive Überprüfbarkeit, Einhaltung von Standards, Begründung der Verfahren und Methoden etc. All diese Dinge werden oft salopp mit Objektivität gleichgesetzt, was in bestimmten Kontexten auch völlig ok ist. Wenn wir uns hier aber auf eine theoretische Diskussion einlassen, würde ich das trennen.
“Etwa darum, dass man verstanden wird und einem möglichst viele zustimmen. Ich behaupte: in den meisten Fällen ist das Resultat dann schlicht uninteressant und bringt weder dem Autor noch anderen Forschern etwas.”
Ich kann Ihre Argumentation nachvollziehen, wenn Sie hier darauf hinauswollen, dass Wissenschaft dann in Beliebigkeit und Chaos führt. Ich möchte dies um andere Punkte ergänzen: Nicht alle Bereiche der Wissenschaft drehen sich um die EINHALTUNG von Standards. So gehört es ebenso zum wissenschaftlichen Arbeiten, etablierte Standards zu hinterfragen und vielleicht auch zu brechen, um daraus neue Standards zu entwickeln. Und in vielen Bereichen der Wissenschaft müssen sich zum Beispiel mit jeder neuen Untersuchungstechnologie ebenfalls erst neue Standards etablieren. Das ist ein fortlaufender Prozess.
Die verwendeten standardisierten Untersuchungsmethoden sind oft aus bestimmten methodischen, inhaltlichen und durchaus auch philosophischen Theorien abgeleitet. Doch wie entstehen diese Theorien? Auch da ist die Bedeutung von Standards sehr unterschiedlich, je nach Fachgebiet und -richtung.
Also noch mal zusammengefasst: Subjektivität bedeutet für mich KEINESFALLS Beliebigkeit. Es bedeutet für mich, dass wir unsere Brille, mit der wir auf die Welt schauen, nicht gänzlich von uns lösen können. Es bedeutet auch, dass wir uns nicht gänzlich von dem lösen können, was wir untersuchen. Es bedeutet für mich auch, dass der Blick, den wir auf die Welt haben, eingeschränkt ist und die Welt nicht in Gänze erfassen kann. Somit kann jemand anderes auf einen anderen Teil der Welt schauen. Und er kann auf den gleichen Teil der Welt mit einer anderen Brille schauen.
Subjektivität bedeutet für mich, dass Wissenschaftler sich dieser Grenzen bewusst sind und verantwortungsvoll damit umgehen.
Ich habe mich ernsthaft bemüht, ein wenig Licht in diese Verwirrungen zu bringen und bin jetzt für meinen Teil leergedacht.
So nu aber ein Letztes
a) Ich bemühe mich darum, meine Texte so zu schreiben, dass auch Menschen sie verstehen, die jetzt vielleicht nicht in meinem Spezialthema zu Hause sind. Oder gehört verklausuliertes Fachchinesisch hier zum notwendig guten Ton und man darf nicht mitspielen, wenn man den nicht auflegen will?
b) @Elmar “Das versuche ich hier ja rauszukriegen: Wo immer sich Hinweise auf einem Standpunkt finden, hake ich nach.”
Stell vernünftige Fragen, dann bekommst du auch vernünftige Antworten.
So und wer will jetzt wann welche Kiste Wein mit wem trinken?
@Simone: Ratio
“Stell vernünftige Fragen, dann bekommst du auch vernünftige Antworten.”
Genau: Ich bin dafür bekannt, daß es mir an Vernünftigkeit mangelt. 😉
Andererseits scheint das sachliche Thema ‘Wissenschaft, Emotionen, Subjektivität und Objektivitätsanspruch’ ein normatives Ende gefunden zu haben:
“Subjektivität bedeutet für mich, auch anzuerkennen, dass es auch andere Brillen=Realitäten gibt, die ebenfalls ihre Berechtigung haben.”
Na, wer hätte das gedacht? 😉
Das, was die Mode hat streng geteilt, nennen wir Objektivität. Ob es einen Zauber gibt, der da bindet, weiß ich nicht zu sagen! (-> L.v.B., 9.Sinfonie)
@ Elmar: Doch Henne-oder-Ei
Danke erst Mal für die Antwort. Aber dann ist der Unterschied zwischen Definition und Axiom doch fließend — das heißt, wenn sich eine Anzahl MathematikerInnen auf bestimmte grundlegende Definitionen einigen, dann wird das axiomatisch. Ich denke, dann haben wir zumindest ein fließendes Henne-Ei-Problem.
Also wenn du auf das Bloggertreffen eine Killerkakerlake mitbringst, dann werde ich Pamela Anderson und/oder die Leute von PETA mitbringen und denen erzählen, dass du Kakerlaken nicht artgerecht hältst.
Und wenn du noch daran Zweifel hast, dass ein Möbiusband zwei Seiten hast, wie kannst du dann erklären, dass sich die Kakerlaken auf der Ober- und Unterseite des Bands gegenüberstehen und sich gegenseitig Karatemoves zeigen? (Abbildung ähnlich)
q.e.d. und gute Nacht
@Stephan: Definition und Axiom
“Aber dann ist der Unterschied zwischen Definition und Axiom doch fließend — das heißt, wenn sich eine Anzahl MathematikerInnen auf bestimmte grundlegende Definitionen einigen, dann wird das axiomatisch.”
Es gibt natürlich semantische Unterschiede: Definitionen legen Vokabular fest, Axiome nicht. Aber was den epistemischen Status angeht, ist das schon richtig: Man macht letztlich immer Annahmen, deren Wahrheit nicht mitbehauptet wird, und insofern sind auch Definitionen ein bißchen wie Axiome. Einen naturalistischen Mathematiker stört das aber natürlich nicht: Seine epistemische Bescheidenheit ist unbeschränkt.
“Objektivät” als Dienstbotentugend
Mein Eindruck nach häufigem Nachhilfeunterricht für Soziologiestudenten ist, dass die Thematisierung der Forscher- Forschungsgegenstand-Beziehung hauptsächlich nur ein Symptom dafür ist, dass Soziologie erst in den Anfangsphasen einer Wiss.-Entwicklung steckt. Ähnliches kann man in den Frühphasen von Physik, Physiologie usw. bei den alten Griechen sehen. Es gibt aber auch einen zweiten, modernen, Hintergrund solcher selbstreferentiellen Themen in der Soziologie: Die thematisierte “Objektivität” ist nicht, wie bei den Naturwissenschaften, eine gegenüber den Forschungsgegenständen, sondern, im Gegensatz zu den Naturwiss., eine gegenüber den Auftraggebern. Denn das Erkenntnisziel ist nicht die Realität, sondern die operative Nützlichkeit. Soziologie ist eine “Domestikenqualifikation” gegenüber den politischen oder wirtschaftlichen “Herrschaften”. Und mit “Objektivität” ist die Domestikenqualifikation zuverlässiger, aber sensibler, Dienstbarkeit gemeint. Der Sozialwissenschaftler ist der “Theo Lingen” unter den Akademikern. Was ist dem Diener wichtig? Nicht mit dem Kutscher oder dem Gärtner verwechselt zu werden. Daher der Domestikenjargon und die (von der Herrschaft herübergewehte) Hausdienerarroganz. “Soziologendeutsch” ist “Dienstbotenjargon”. Worauf achtet der Hausdiener? Darauf, besser als sogar die Herrschaft die Form zu wahren, über deren Mängel gekonnt hinwegzusehen und: In jeder Situation, auch der peinlichsten – anständig zu bleiben. Manchmal ziehen die Diener über die Herrschaft kräftig her, was sein Analogon in umwerfend revolutionären soziologischen Theorien findet, die aber – wie auch bei Hofnarren – stets auf die Reaktion der Herrschaften schielt. Dieser Blick erscheint in den Theorien als selbstreferentielles Meta-theoretisieren.
@Simone: Stephan lag falsch
Das hier
“Ich kann einfach keinen archimedischen Punkt einnehmen, der außerhalb meiner selbst liegt.”
ist nun wirklich Relativismus par exellence. Ich weiß nicht, wie man noch klarer machen kann, daß man als Wissenschaftler von der Verbindlichkeit seiner Aussagen zurücktritt, insofern Wissenschaft nur noch die Beschäftigung des Forschers mit sich selbst ist. Angesichts der Tatsache, daß Flugzeuge fliegen ist das aber völlig unrealistisch.
“Und genau, weil wir diesen archimedischen Punkt nicht einnehmen können, entwickeln wir zum Beispiel explizite Standards, also klar ausgesprochene Regeln”
Womit du für “objektiv” zweierlei am Wickel hast: ‘archimedischer Punkt’ und ‘Intersubjektivität’. Objektivität wäre dann vereinbarungsrelativ, doch so wie ich das sehe, verlangt jede Vereinbarung bereits vor der Vereinbarung, daß es etwas gibt, was gemeinsam geteilt wird. Und es gibt ja auch Kandidaten dafür: Die Natur und die Sprache. Und ich kann nicht sehen, warum das für einen archimedischen Punkt nicht ausreichen sollte.
“Ich kann diesen archimedischen Punkt nicht einnehmen,ich kann diese Brille meiner (Forscher-)Persönlichkeit nicht abnehmen,”
Es fehlt jeder Grund, warum die Inexistenz eines archimedischen Punktes äquivalent zur einer Art epistemischen Brille sein soll. Im Grunde sind das interessante Frage zur Gültigkeit des angesammelten Wissens, die du da ansprichst, aber so du wirfst alle interessanten Optionen mit solchen Schnellschüssen über Bord. Und schreibst auch noch in deinem blog rein, daß du keine Lust auf weitere Diskussionen hast – versteh ich nicht.
“Ich persönlich würde an dieser Stelle nicht mehr von Objektivität sprechen, weil ich mit Objektivität genau diesen archimedischen Punkt meine.”
Aha. Aber weiß meint das nun? Gehst du über zu einem “mind makes nature”-Standpunkt? Welche Subjektabhängigkeit hast du im Blick, wenn du von der Unerreichbarkeit eines archimedischen Standpunktes sprichst? Oder sind das nur Reste einer Kantischen Erkenntislehre?
“Subjektivität bedeutet für mich, dass Wissenschaftler sich dieser Grenzen bewusst sind und verantwortungsvoll damit umgehen.”
Mit diesem Rat kann ich nichts anfangen: Bitte sag mir doch mal, wie ich mich als Mathematiker so benehmen kann, um das falsch zu machen. Dann wüßte ich schon mehr.