Vor 60 Jahren und heute – Politik und Wissenschaft

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Streifzüge rückwärts

In der Debatte um die Atomare Abrüstung vor 60 Jahren wurden wissenschaftliche Erkenntnisse je nach parteipolitischen Interessen ausgelegt. Heute ist es in Fragen des Klimawandels ähnlich.

Vor 60 Jahren war die Welt mitten im kalten Krieg. Zwei Weltanschauungen standen sich feindlich gegenüber, zwischen Ost und West setzte ein Wettrüsten ein, zwei Supermächte hatten Atomwaffen, die Lage war äußerst bedrohlich. Mitten in diesem weltpolitischen Konflikt tobte auch eine wissenschaftliche Debatte in den USA.

Die eine Seite wurde angeführt durch Linus Pauling, Träger des Nobelpreises für Chemie. Er setzte sich ein für Abrüstung und gegen Atomtests – später sollte er für sein Engagement auch den Friedensnobelpreis bekommen. Und er war der Meinung, dass der radioaktive Niederschlag nach Atomtests – der „Fallout” – gesundheitsschädlich sei. Auf der anderes Seite standen Wissenschaftler wie Edward Teller. Teller hatte an den Atombomben mitgearbeitet, die über Hiroshima und Nagasaki abgeworfen wurden und war an der Entwicklung der Wasserstoffbombe beteiligt. Er sprach sich für Atomtests aus. Er war der Meinung, man brauche Atomwaffen, um einen Angriff der Sowjetunion abzuwenden. Und er meinte, dass die radioaktive Belastung durch den Fallout so gering ist, dass man sich davor nicht fürchten müsse.

In einer Fernsehdebatte im Februar 1958 gerieten die beiden Wissenschaftler aneinander. Danach war Pauling so erbost, dass er sich weigerte, mit Teller weiter öffentlich zu diskutieren – diese Art zu debattieren fand er „improper“. Aber der Streit hielt an und beide Seiten führen fort, ihre Argumente öffentlich zu vertreten.

Die Fernsehdebatte

“Nach meinen Schätzungen beträgt der Anstieg der Mutationsrate aufgrund des radioaktiven Niederschlags durch Tests bei der jetzigen Testrate ein Prozent“, sagte Pauling in der Fernsehdebatte – und er meint damit ein Prozent mehr Kinder mit schweren genetischen Schädigungen. 75 Millionen Kinder werden jährlich geboren, 2% davon mit Erbkrankheiten, erklärt Pauling. Bei einer Steigerung von 1% kommt er auf 15.000 schwerkranke Kinder pro Jahr, deren Leiden auf den Fallout zurückzuführen ist.

Teller hingegen meinte, es gäbe keinen klaren Beweis, dass eine so geringe Erhöhung der Radioaktivität überhaupt Schaden verursacht. Alle nur erdenklichen Dinge könnten theoretisch die Mutationsrate steigern und er zitiert eine Studie, die einen möglichen Zusammenhang zwischen Mutationen und zu enger Kleidung herstellt. Nach diesen Berechnungen wäre es also möglich, dass die Mode 100 oder 1000 Mal mehr Schaden anrichtet, als die radioaktive Strahlung der Atomtests.

„It is apparent that the issue has not been solved“, schließt der Moderator. Die Zuschauer waren mit Sicherheit hinterher nciht schlauer, als vorher.

Die Frage nach Mutationsraten und Radioaktivität ist eigentlich keine politische – aber in der politisch angespannten Situation des kalten Krieges wurde sie zu einer. Die einen warfen Teller vor, er sein Militarist. Die anderen warfen Pauling vor, er sein Kommunist (das war damals ein häufiger Vorwurf). Der Wissenschaft und ihrem Image hat das alles sicher nicht gut getan.

Das Klima heute

Heute haben wir wieder dieses Phänomen, dass eine wissenschaftliche Frage in den USA parteipolitisch diskutiert wird: Die Klimaerwärmung. Laut einer aktuellen Gallup-Umfrage (März 2018) glauben 69% der Republikaner, dass die Bedeutung der Klimaerwärmung generell überschätzt wird. Nur 4% der Demokraten teilen diese Meinung. 91% der Demokraten aber nur 33% der Republikaner machen sich große oder mittlere Sorgen um die Klimaerwärmung. Im Jahr 2000 waren es noch 78% bzw 64%. Die Spaltung nach Parteilinien nimmt also zu.

Es besteht ein breiter wissenschaftlicher Konsens darüber, dass der Mensch Hauptverursacher einer bereits laufenden globalen Erderwärmung ist. Dass so wenig Republikaner das einsehen, muss wohl damit zusammenhängen, dass sie die Konsequenzen scheuen: Eine Veränderung des eigenen Verhaltens und eine Regulation der Industrie. Zu tief sitzt die politisch begründete Aversion gegen jeglichen staatlichen Eingriff, vor allem, wenn er die Wirtschaft gefährden könnte. Präsident Donald Trump nennt Klimaerwärmung einen „hoax“. Einige glauben gar an eine Verschwörung der Linken. “For some reason, this issue of climate change has emerged as a paramount issue for the left – in this country and around the world”, sagte Vizepräsident Mike Pence in einem Interview.

Vor 60 Jahren und heute

So unterschiedlich die Debatten um Atomtests oder Klimawandel sind – es auch gibt viele Gemeinsamkeiten. In beiden Fällen ist die Debatte nicht sachlich, da es um politisch heikle Fragen geht. Wissenschaftlern wird vorgeworfen, sie hätten eine politische Agenda – sie seien Kommunisten oder politisch links oder rechts. In beiden Fällen ist mit Wissenschaftlichen Fakten kein Land zu gewinnen, es verschwimmen die Grenzen zwischen Politik und Wissenschaft.

Heißt das, man sollte Politik und Wissenschaft voneinander trennen? So in dem Sinne: Wissenschaftler sind apolitisch und liefern die Fakten, während Politiker – oder die Gesellschaft im Allgemeinen – die politischen Schlussfolgerungen zieht? Wohl kaum. Wissenschaftler sind Teil der Gesellschaft. Sie sind Menschen und damit haben sie auch ein Recht auf eine politische Meinung. Und dennoch wünscht man sich, dass wissenschaftliche Fakten gesehen werden als das, was sie sind: Fakten. Das Eis schmilzt – das ist keine politische Meinung. Das Klima und die Natur wissen nichts von politisch links oder rechts.

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Erst wollte ich Biologin werden – ich habe studiert, promoviert und als Postdoc geforscht. Nun bin ich Wissenschaftsjournalistin und darf jetzt das, was einst mein Leben war, von außen betrachten. Ich schreibe über Lebenswissenschaften, Molekularbiologie und Neurowissenschaften für die Fach- und für die Publikumspresse. Die Zusammenhänge zwischen Wissenschaft und Gesellschaft faszinieren mich schon immer – ihnen widme ich diesen Blog.

4 Kommentare

  1. Zur Erklärung der Gallup-Umfrage vom März 2018: Laut Gallup nahm gegenüber der gleichen Umfrage vom März 2017 der Anteil derjenigen, die sich als republikanisch bezeichneten von 26 % auf 23 % ab, während der Anteil der sich als unabhängig bezeichnenden von 42 % auf 45 % stieg. Wenn man davon ausgeht, dass vorher eher moderate Republikaner sich nun als unabhängig bezeichnen, könnte das einen Teil des Rückgangs der zum Klimawandel geäußerten Ansichten erklären [1].

    Zur Erklärung der Position republikanisch gesinnter Bürger: Außer den unangenehmen Konsequenzen gibt es ja noch viele andere Erklärungen. Beim Vergleich der Positionen von Anhängern politischer Gruppen über den Zeitraum 2000 mit 2018 spielen, meine ich, die zunehmende Polarisierung der Gesellschaft und soziale Dynamik insgesamt eine wichtige Rolle. Es ist den republikanischen Think-Tanks und fossilen Industrien gelungen, die Haltung dazu zu einem für die Gruppenidentität wichtigen Merkmal zu machen. Selbst wer mit den direkten Konsequenzen von Klimaschutz kein Problem hat, lässt sich von seinem sozialen Umfeld beeinflussen.

    Wie man sinnvoll Politik und eine Wissenschaft, deren Schlussfolgerungen höchst relevant für die Politik sind, die aber zugleich mit Falschdarstellungen angegriffen werden, ganz trennen kann, habe ich nie begriffen. Jedenfalls nicht, wenn man möchte, dass an der Schnittstelle zwischen Politik und Wissenschaft der wissenschaftliche Sachstand richtig und ausgewogen bei der Politik ankommt. Selbst wenn ein Wissenschaftler sich als Bürger nicht zu den politischen Schlussfolgerungen äußert, sollte er sich durch sein Berufsethos verpflichtet fühlen, dass seine Ergebnisse richtig und ausgewogen in Politik und Öffentlichkeit dargestellt werden. Das bedeutet, als Wissenschaftler sollte er darauf hinwirken, dass verzerrende und falsche schein-wissenschaftliche Einlassungen keinen schiefen Eindruck hinterlassen. Damit gerät derjenige, jedenfalls beim Thema Klimawandel, automatisch in die Schusslinie der “Kritiker”.

  2. So einfach wie hier dargestellt ist es natürlich nicht. Gerade die obigen Aussagen über die Auswirkungen von radioaktivem Fallout oder über die Auswirkungen des Klimawandels sind nicht Fakten, sondern mehr oder weniger begründete Annahmen aufgrund von Wissen und logischen Schlussfolgerungen. Jede quantitative Aussage (wie die, dass der Fallout die Mutationsrate um so und so viele Prozent erhöht) müsste mit einer Wahrscheinlichkeit versehen werden.
    Heute sind wir diesbezüglich tatsächlich weiter als zur Zeit des Streitgesprächs zwischen Teller und Pauling. Die Klimaforscher geben inzwischen Wahrscheinlichkeiten an für ihre Aussagen. Dies ist sogar fester Bestandteil der Berichte des Weltklimarats (IPCC).

    Doch die Reaktion des Publikums hat sich im Vergleich von damals und heute trotz der verbesserten und genaueren Kommunikation der Wissenschaftler nicht wesentlich geändert. Gerade weil die erwähnten Fragen so stark politisch aufgeladen sind neigen viele dazu, letztlich das zu glauben, was ihnen selbst in den Kram passt. Dazu kommt: die beiden politischen Lager in den USA glauben inzwischen Dinge, einfach weil man diese glauben muss, wenn man zu einem bestimmten Lager gehört. Das ist recht ähnlich wie zur Zeit als die Glaubenskonfessionen noch den Alltag bestimmten und Katholiken eine andere Weltsicht hatten als Protestanten. Die Ähnlichkeiten gehen noch weiter. Katholiken und Protestanten lasen früher auch andere Zeitungen und Zeitschriften als Protestanten und das tun US-Republikaner und US-Demokraten heute genauso. Aucht heute gilt noch: Glauben ist stärker als Wissen.

  3. Heißt das, man sollte Politik und Wissenschaft voneinander trennen? So in dem Sinne: Wissenschaftler sind apolitisch und liefern die Fakten, während Politiker – oder die Gesellschaft im Allgemeinen – die politischen Schlussfolgerungen zieht? Wohl kaum. Wissenschaftler sind Teil der Gesellschaft. Sie sind Menschen und damit haben sie auch ein Recht auf eine politische Meinung.

    ‘Politik’ wird von der ‘Wissenschaft’ beraten, wissenschaftliche Erkenntnis darf von Mandatsträgern eingeordnet werden.

    Insofern ist streng zu trennen, wenn keine Expertokratie angestrebt wird.

    Wissenschaftler werden oft mandats-fern politisch tätig, aktivistisch, dies darf als verwerflich betrachtet werden, wenn sie dies tun, um ihre Meinung politisch zu erhöhen.

    Dieses Machwerk darf insofern demokratisch abgelehnt werden, insbesondere, was die angeregten Maßnahmen betrifft.
    Ist wohl selbst bundesdeutsch vor einigen Jahren von den bundesdeutschen politischen Spitzen sozusagen weggehüstelt worden.

    “Lyriker” aus dem bundesdeutschen Hause PIK stoßen hier also oft also ungut auf. – Beispiele könnten genannt werden, Öffentlichkeitsarbeit könnte Dr. W allerdings selbst.
    Haben’S mal bei derartigen Publikationen mal reingelesen?

    Der Naturwissenschaftler verfügt über kein politisches Mandat, er soll seine Stellung als Angestellter des Wahlvolkes nicht dafür nutzen sich selbst mit seiner Arbeit und seiner Prädiktion zu überhöhen.

    Auch Geo-Engineering und generell Mitigation, gar Adaption muss bundesdeutscher klimatologischer Sicht aus dem Hause PIK nicht widersprochen werden, als Möglichkeit.
    Dieses vorgeschlagene sozusagen protestatantische am globalen (!) CO-Ausstoß ist ja “sowas von unterirdisch”, wie zumindest Dr. W findet.

    MFG
    Dr. Webbaer

    • *
      Dieses vorgeschlagene sozusagen protestatantische [Sparen] am globalen (!) CO-Ausstoß ist ja “sowas von unterirdisch”, wie zumindest Dr. W findet.

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