Vor 5 Jahren – Ein wichtiger Schritt in Richtung Patienten-ernst-nehmen.
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Wenn neue Medikamente auf den Markt kommen, sind – trotz ausgiebiger klinischer Studien – nicht alle Risiken bekannt. Sehr seltene Nebenwirkungen oder Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten werden in klinischen Studien meist nicht erfasst. Umso wichtiger ist es, die Sicherheit von Arzneimitteln auch noch nach der Zulassung genau zu überwachen.
Seit Juli 2012 gelten neue europäische Rechtsvorschriften, um die Arzneimittelüberwachung zu verbessern (EU-Richtlinie 2010/84/EU und EU-Verordnung Nr. 1235/2010). Unter anderem sollte es allen Bürgerinnen und Bürgern in Europa ermöglicht werden, Verdachtsfälle von Nebenwirkungen direkt an die Behörden zu melden. Das war bis dahin in den meisten Ländern medizinischem Personal vorbehalten.
Das hatte einen Grund: Man hat Bürgerinnen und Bürgern lange nicht zugetraut, brauchbare Angaben zu machen. Da ihnen medizinische Kenntnisse und medizinisches Vokabular fehlen, so dachten viele, würden Berichte von Patienten nur das System mit nutzloser Information belasten. Eine Reihe von Studien aus den Niederlanden, Dänemark, England und Schweden haben das dann genauer untersucht und mit dem Vorurteil aufgeräumt. Sie zeigen klar: Patientenberichte können durchaus einen wertvollen Beitrag zur Arzneimittelüberwachung leisten.
Patientenberichte erklären genau und aus erster Hand, wie sich Nebenwirkungen bemerkbar machen und wie diese den Alltag beeinflussen. Sie haben dazu beigetragen, eine ganze Reihe von Nebenwirkungen aufzudecken. Manchmal handelt es sich gerade um Symptome, die Ärzte vielleicht nicht ausreichend melden, weil sie ihnen komisch oder abwegig erscheinen (zum Beispiel „stromschlagähnliche Empfindungen“ als Folge von manchen Serotonin-Wiederaufnahmehemmern). Und manchmal helfen Patientenberichte den Behörden dabei, zu verstehen, wie schwerwiegend bestimmte Nebenwirkungen sein können. Patientenberichte einholen ist ein wichtiger Schritt in Richtung Patienten-ernst-nehmen.
Eine aktuelle Studie hat sich nun damit auseinandergesetzt, wie die Änderungen der Rechtsvorschriften in der EU umgesetzt wurden. Sechs Länder (darunter Deutschland) wurden genauer unter die Lupe genommen, ihre Arzneimittelüberwachungssysteme analysiert, Verdachtsmeldungen untersucht und Schlussfolgerungen gezogen. Das wichtigste Ergebnis: Patienten ist die Möglichkeit, Nebenwirkungen zu melden, nicht hinreichend bekannt.
„Es gibt nichts Gutes, außer man tut es“, heißt ein bekanntes Sprichwort. „Es gibt nichts Gutes, außer man weiß es“ würde hier besser passen. Der nächste große Schritt ist nun also, die Menschen darüber zu informieren, dass sie Verdachtsfälle von Nebenwirkungen auch selbst melden können.
Zum Nachlesen:
Studie zur Arzneimittelüberwachung in der EU:
- Kaeding, Schmälter & Klika (2017). Pharmacovigilance in the European Union. Practical Implementation across Member States. (Springer)
Verschiedene Studien zu Verdachtsmeldungen von Patienten:
- Avery et al. (2011). Health Technol Assess. 2011 May;15(20):1-234, iii-iv.
- Härmark et al. (2016). Drug Saf. 39(10):883-90.
- Härmark et al. (2015). Drug Saf. 38(4):337-47.
- Vilhelmsson et al. (2012). BMC Pharmacol Toxicol. 13:19.
Pressemeldung des BfARM „Nebenwirkungen von Arzneimitteln melden: Europaweite Kampagne soll Patientinnen und Patienten sensibilisieren“
Bürgerinnen und Bürger in Deutschland können hier einen Verdachtsfall einer Nebenwirkung beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfARM) und Paul-Ehrlich-Institut (PEI) melden
Eine Alternative zu (Zitat)Rechtsvorschriften um die Arzneimittelüberwachung werden bald einmal Health-App’s sein. Die Health-App von Apple geht so weit, dass der Benutzer tagebuchartige Einträge zu seinem Sexualleben machen kann und machen soll. Hier die Nebenwirkungen von eingenommenen Arzneitmitteln mitzuerfassen ist logisch. Und da hinter diesen Health-Apps eine gewaltige Datenanalytik mit Ansätzen von Deep Learning steht, sind die Chancen gut, dass Nebenwirkungen, die bei mehreren Patienten vorkommen aufgedeckt werden.
Ergänzung: Mobile App could be game changer for prescription drug surveillance by empowering patients with the FDA berichtet über die Hoffnungen auf Apps für den Zweck der Aufzeichnung von Arzneimiittelwirkungen – und -nebenwirkungen im Jahre 2010. Die heutige Apple Health App scheint das aber nicht zu unterstützten.