Vor 25 Jahren – Über Zufälle und deren Dokumentation

BLOG: Streifzüge rückwärts

Die Wege der Lebenswissenschaften
Streifzüge rückwärts

Die Oktober 1992-Ausgabe der Zeitschrift Experimental Brain Research enthält ein Paper, das die Neurowissenschaften revolutioniert hat. Es beschreibt die Entdeckung von Spiegelneuronen durch Giacomo Rizzolatti und Kollegen. Spiegelneurone sind Nervenzellen im Gehirn, mit denen wir die Handlungen von anderen verstehen. Sie sind nicht nur aktiv, wenn wir selbst eine Handlung ausführen – zum Beispiel ein Objekt aufheben – sondern auch, wenn wir jemanden beobachten, der dieses tut. Sie dienen also dazu, das Beobachtete mit unseren eigenen Handlungen in Verbindung zu bringen. Die ursprüngliche Studie wurde an Makaken gemacht. Heute geht man aber davon aus, dass es Spiegelneurone auch bei Menschen gibt und dass sie die Grundlage für Empathie und Mitgefühl bilden.

Die Entdeckung der Spiegelneurone war eine Zufallsentdeckung – das heißt, sie war zumindest nicht geplant. Ziel der Untersuchung war es eigentlich, zu messen, welche Neurone im Gehirn bei welcher Art von Greifbewegung aktiv sind. Aber dann stellten die Wissenschaftler fest, dass bestimmte Neurone auch aktiv wurden, wenn nicht der Affe selbst, sondern der Experimentator einen Gegenstand in die Hand nahm. So schreiben sie es auch in ihrem Paper:

Our original aim in the present experiments was to study the activity of F5 neurons in a behavioral situation in which we could separate stimulus-associated responses from the activity related to movements. […] After the initial recording experiments, we incidentally observed that some experimenter’s actions, such as picking up the food or placing it inside the testing box, activated a relatively large proportion of F5 neurons in the absence of any overt movement of the monkey.

Und damit gehören Rizzolatti und Kollegen zur Ausnahme. Zufallsentdeckungen gibt zwar es viele – Penicillin, Radioaktivität, die Mikrowelle, um nur ein paar zu nennen – aber selten findet der Entdeckungsprozess Eingang in die Primärliteratur. Zwei weitere prominente Beispiele für Zufallsentdeckungen aus den Neurowissenschaften sind (1) die sogenannten Ortszellen im Gehirn, die uns einen Orientierungssinn geben und (2) Zellen in der Sehrinde, die auf Bewegung von Konturen ansprechen. Beide Entdeckungen wurden mit einem Nobelpreis geehrt. In beiden Fällen beschreiben die Wissenschaftler in ihrer Nobelpreisrede, welche Rolle der Zufall bei der Entdeckung spielte (siehe unten). Nichts davon findet sich in der Originalveröffentlichung wieder.

Wissenschaftliche Publikationen sind sehr formal und folgen einem rigiden Schema. Sie zählen die Daten auf und lesen sich in aller Regel so, als wäre Wissenschaft ein zielstrebiges Unterfangen (manchmal ist sie das, aber eben nicht immer). Noch dazu sind sie in großen Teilen im passiv geschrieben und lesen sich sehr unpersönlich, fast als wäre Forschen ein Prozess, der von den Forschern unabhängig abläuft.

1963 hielt der Nobelpreisträger Peter Medawar einen Vortrag mit dem Titel „Is the scientific paper fraud?“ („Ist das wissenschaftliche Paper Betrug?“). Damit meint er nicht, dass die Paper Fakten falsch darstellen, sondern, dass sie den Gedankenprozess, der zu der präsentierten Arbeit oder zu einer Hypothese geführt hat, nicht korrekt wiedergeben – eben weil sie einem formalen Schema folgen, in dem die Entdeckungsgeschichte keinen Platz hat.

1976 schrieb ein weiterer Nobelpreiträger, Alan Hodgkin, in einem Essay über seine Endeckungen: „I believe that the record of published papers conveys an impression of directness and planning which does not at all coincide with the actual sequence of events”, schreibt er ( etwa: “Ich glaube, dass wissenschaftliche Publikationen einen Eindruck von Geradlinigkeit und Planung vermitteln, die mit der wirklichen Folge von Begebenheiten überhaupt nicht übereinstimmen”).

Natürlich gibt es einen Grund für die formale Form wissenschaftlicher Publikationen. Sie wären viel zu lang, wenn sie die Irrwege der Forschung darstellen würden. Aber ein kleiner Hinweis auf den Entdeckungsprozess – wie bei Rizzolatti – ist doch eine Bereicherung der sonst eher trockenen wissenschaftlichen Publikationen. Und es hilft dem Leser, die Entdeckung einzuordnen.

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Weitere Zufallsentdeckungen aus den Neurowissenschaften:

David Hubel und Torsten Wiesel erhielten1981 den Nobelpreis für ihre Arbeiten zur Informationsverarbeitung in der Sehrinde von Katzen. Die Wissenschaftler hatten entdeckt, dass dort einzelne Gruppen von Nervenzellen auf sehr spezifische Stimuli reagierten, zum Beispiel auf die Bewegung von Strichen in eine bestimmte Richtung. Diese Entdeckung machten sie zufällig, als sie (mit mäßigem Erfolg) die Reaktion von Zellen auf helle und dunkle Punkte untersuchten. Sie nutzten dazu eine Art Diaprojektor, um der Katze entsprechende Bilder präsentieren. Eines Tages stießen sie auf eine Zelle, die immer dann aktiv wurde, wenn sie gerade das Dia wechselten. Sie hatten eine Zelle entdeckt, die auf bestimmte Bewegungen reagiert. Der Schatten des Diarands, der beim Diawechsel auf die Retina der Katze viel, löste die Reaktion aus. Aus der Rede:

We were inserting the glass slide with its black spot into the slot of the ophthalmoscope when suddenly over the audiomonitor the cell went off like a machine gun. After some fussing and fiddling we found out what was happening. The response had nothing to do with the black dot. As the glass slide was inserted its edge was casting onto the retina a faint but sharp shadow, a straight dark line on a light background. That was what the cell wanted, and it wanted it, moreover, in just one narrow range of orientations.

Das Paper dazu: H. Hubel and T. N. Wiesel (1959). Receptive fields of single neurones in the cat’s striate cortex. J Physiol. 148(3): 574–591.

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John O’Keefe erhielt 2014 den Nobelpreis für seine Entdeckung von Orstzellen im Gehirn – Zellen, die Teil unseres „inneren GPS“ sind. Ortszellen die reagieren immer dann, wenn wir uns an einem bestimmten Ort befinden. Hier seine Entdeckungsgeschichte aus der Nobelpreisrede:

“… Looking back at the notes from this period it is clear that there were hints that the animal’s location was important but it was only on a particular day when we were recording from a very clear well isolated cell with a clear correlate that it dawned on me that these cells weren’t particularly interested in what the animal was doing or why it was doing it but rather they were interested in where it was in the environment at the time. The cells were coding for the animal’s location!”

Das Paper dazu: O’Keefe J, Dostrovsky J. (1971). The hippocampus as a spatial map. Preliminary evidence from unit activity in the freely-moving rat. Brain Res. 34(1):171-5.

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Erst wollte ich Biologin werden – ich habe studiert, promoviert und als Postdoc geforscht. Nun bin ich Wissenschaftsjournalistin und darf jetzt das, was einst mein Leben war, von außen betrachten. Ich schreibe über Lebenswissenschaften, Molekularbiologie und Neurowissenschaften für die Fach- und für die Publikumspresse. Die Zusammenhänge zwischen Wissenschaft und Gesellschaft faszinieren mich schon immer – ihnen widme ich diesen Blog.

17 Kommentare

  1. Das Thema ´Spegelneuronen´ ist ein erschreckendes Beispiel für unseriöse Forschung und sinnlose Tierquälerei!

    Thomas Nagel veröffentlichte schon 1974 seinen Beitrag ´What is it like to be a bat? (Wie es wohl ist, eine Fledermaus zu sein), in dem er u.a. darauf hinwies, dass wir die Erlebniswelt eines anderen Lebewesens nie verstehen können. Und daher können wir sie auch nicht ´spiegeln´. D.h. der Begriff ´Spiegelneuronen´ war schon widerlegt – bevor er überhaupt erfunden wurde. Die seitdem durchgeführten Experimente mit Tieren sind daher außerst fragwürdig, bzw. Tierquälerei.

    Wenn wir einen neuen Reiz wahrnehmen, dann RE-AKTIVIERT unser Gehirn sofort eine vergleichbare eigene Erfahrung. D.h. wir synchronisieren unser Erleben/Erinnern mit Beobachtungen. Und auf Grundlage dieser eigenen Erfahrungen verstehen wir, was wir erleben – das ist die Grundlage von Empathie, Theory of Mind aber auch von Vorurteilen und falschen Erinnerungen. Spiegelneuronen braucht es dazu nicht. (Per Google-suche [Kinseher nderf denken_nte] finden Sie einen Text in dem u. a. auch die Arbeitsweise DENKEN beschrieben ist.)

    Die Idee der Spiegelneuronen ist leider Grundlage für viele ´wissenschaftliche´ Arbeiten – ein Irrweg, durch den falsche Ideen entstanden, Forschungszeit verschwendet und Tiere unnötig gequält werden.

    • @KRichard

      “… Forschungszeit verschwendet und Tiere unnötig gequält werden.”

      Jo, das ist das Dilemma Mensch im geistigen Stillstand seit … 😁

      “Beim Luciden Traum …
      – wo Messelektroden belegen, dass die Versuchsperson die ganze Zeit lebendig ist.” (Quelle: Blume)

      Hat denn irgendwer behauptet das der “Lucide Träumer” eine AKE mit Todeserfahrung …???
      Aus eigener Erfahrung weiss / mutmaße ich, dass in einer Sekunde Tod soviel neue und ziemlich schwer erklärbare Erfahrung sein kann, das …!!!

      “Zeit und Raum sind relativ.” (Albert Einstein) 😎 wie wahr

      • @hto: Wenn man nicht wissen kann, was ein anderes Lebewesen empfindet (Thomas Nagel) – dann kann man diese Erleben auch nicht ´spiegeln´; d.h. die Idee von Spiegelneuronen hat keine nachvollziehbare Grundlage.

        Bei NTEs kann man die Struktur des Denkens bewusst erleben und logisch nachvollziehen – und dabei zeigt sich, dass Denken/Kreativität nur ein Ergebnis von einfachen Mustervergleichsaktivitäten ist. Spiegelneuronen braucht es dazu nicht – im Gegenteil: zwischengeschaltete ´Spiegelneuronen´ würden die Arbeit des Gehirns verzögern und damit die Überlebensfähigkeit verringern (weil die Reaktionszeit verlängert würde).

        • @KRichard
          😄 ganz genau, ich brauche die Spiegelneuronen auch nicht, bzw. bleibe trotzdem immer skeptisch, bei dem was ich sehe, und höre. 😎
          Besonders bei Erzählungen über NTE und AKE. 😁

          • Besonders bei imperialistisch-bedingten / bewusstseinsbetäubten Erzählungen über NTE und AKE!!!

  2. @Katrin Weigmann:

    Ich frage mich nur, ob es überhaupt „zufällige Entdeckungen“ in der medizinischen Forschung, einschließlich Neurologie, geben kann. Dass alle physischen und psychischen Aktivitäten beim Mensch oder Tier auf neuronale Aktivitäten zurückzuführen sind, ist keine Entdeckung sondern eher eine Trivialität. Die zufällige Entdeckung von Spiegelneuronen bei Affen kann von daher einzig durch gezielte Forschung direkt am Mensch als Entdeckung gelten, deren Ergebnisse wiederum nichts mit Zufall zu tun haben.

    Hier möchte ich folgendes Zitat anführen:

    „Alle an Tieren experimentell gewonnenen Ergebnisse haben nur für die jeweilige Art Aussagekraft und in exakter Auslegung sogar nur für das jeweilige Individuum, an dem experimentiert wurde. Es ist also falsch, aus den an Ratten studierten Sachverhalten einfach auf die Bedingungen von Menschen, Hunden oder Wiederkäuern zu schließen.”

    Prof. Dr. Klaus Gärtner, Tierexperimentator, Sprecher der Deutschen Forschungsgemeinschaft und Leiter des Instituts für Versuchstierkunde sowie der Zentralen Tierlaboratorien an der Medizinischen Hochschule Hannover, in Diagnosen, 9. Sept. 1978

    Auch möchte ich auf die Forschung der wunderbaren Hirnforscherin Tania Singer hinweisen, die einzig durch gezielte Forschung am menschlichen Gehirn belastbare Erkenntnisse in diesem Bereich vorweisen kann: “Wir müssen mehr fühlen”

    mfg
    Jocelyne Lopez

  3. Katrin Weigmann schrieb (11. Oktober 2017):
    > Zufallsentdeckungen [… z.B.] die Entdeckung von Spiegelneuronen durch Giacomo Rizzolatti und Kollegen.

    > 1963 hielt der Nobelpreisträger Peter Medawar einen Vortrag mit dem Titel „Is the scientific paper [a] fraud?“ („Ist das wissenschaftliche Paper Betrug?“). Damit meint er nicht, dass die Paper[s] Fakten falsch darstellen, sondern, dass sie den Gedankenprozess, der zu der präsentierten Arbeit oder zu einer Hypothese geführt hat, nicht korrekt wiedergeben – eben weil sie einem formalen Schema folgen, in dem die Entdeckungsgeschichte keinen Platz hat.

    > […] Aber ein kleiner Hinweis auf den Entdeckungsprozess – wie bei Rizzolatti – ist doch eine Bereicherung der sonst eher trockenen wissenschaftlichen Publikationen. Und es hilft dem Leser, die Entdeckung einzuordnen.

    Wesentlich erscheint mir, dass die näheren Umstände einer Entdeckung sich begrifflich einigermaßen strikt von dem unterscheiden lassen, was (dabei) entdeckt wurde;
    ebenso wie die (eventuellen) Gedankenprozessen, die zu einem bestimmten mitteilbaren Resultat führten, vom betreffenden Resultat an sich begrifflich strikt unterscheidbar sind.

    Sie sind “anekdotisch” (und als solche zwar keineswegs unbedingt trivial oder uninteressant oder bedeutungslos oder nicht mitteilenswert);
    aber die (“reine”) Definition dessen, was entdeckt wurde (und wonach sich andere auch noch mehr oder weniger routinemäßig auf die Suche machen könnten) beinhaltet eben gerade nicht die Entdeckungsgeschichte;
    und auch nicht die (“reine”) Beschreibung des (tatsächlichen oder erwarteten) Vorkommens dessen, was in einem/ersten Falle entdeckt wurde.

    Weil diese begriffliche Unterscheidbarkeit nun mal besteht, sollte man verschiedenen Beteiligten auch diesbezüglich verschiedene Interessen zugestehen; alle Einzelnen sollten ihren jeweiligen Interessen wahlweise nachgehen bzw. Ausdruck geben können.

    In Wikipedia wird die Unterscheidung verschiedener begrifflicher Fragmente durch das Doppelkreuz-Schriftzeichen (“[[<Gegenstand>#<begriffliches_Fragment>]]”) unterstützt;
    und hoffentlich (sicherlich zwangsläufig) recht bald auch das wahlweise Ein- oder Ausblenden verschiedener begrifflicher Fragmente als [[User:Option]].

    Wikipedia bietet sich (zumindest in so fern) deshalb zur Veröffentlichung und zur Recherche von wissenschaftlichen Arbeiten über Entdeckungen als auch im Allgemeinen an.

  4. Wenn Ortstzellen im Gehirn, Neuronen, die auf beobachtete Handlungen gleich reagieren wie bei Handlungen selbst (also Spiegelneuronen) und Sehrindenneuronen, die auf Bewegungen von Konturen aktiv werden als hochrangige Entdeckungen behandelt werden, ist das für mich eher ein Zeichen, dass die Neurowissenschaften zum Zeitpunkt der Entdeckungen – und vielleicht sogar jetzt noch – noch nicht sehr weit waren und es zum Zeitpunkt der Entdeckung noch kein integrierendes Bild aller neuronalen Prozesse gab. Zu diesem Bild passt auch die Tendenz zur Überinterpretation, die sich für mich etwa darin zeigt, dass man Spiegelneuronen direkt mit Empathie in Verbindung bringt.

    Allerdings spielen Zufälle beim wissenschaftlichen Prozess wohl recht häufig eine Rolle. Naturgemäss, wenn Wissenschaft und vor allem Forschen ein Vordringen in noch unerforschte, unbekannte Zonen bedeutet. Dass der Entdeckungsprozess in der Regel in der wissenschaftlichen Arbeit nicht beschrieben wird, scheint mir aber tatsächlich ein Mangel. Klar gehört dieser Prozess nicht in den Hauptteil einer Arbeit, aber warum nicht einen Anhang schreiben in dem man den Arbeitsprozess und seinen Fortgang festhält?

  5. Zitat KRichard: „Wenn man nicht wissen kann, was ein anderes Lebewesen empfindet (Thomas Nagel) – dann kann man diese Erleben auch nicht ´spiegeln´; d.h. die Idee von Spiegelneuronen hat keine nachvollziehbare Grundlage.“

    Eine ganz ähnliche Aussage wie Thomas Nagel hat auch der Nobelpreisträger Konrad Lorenz getroffen hinsichtlich des Zugangs zu dem Erlebniswelt von anderen Lebewesen. Ich finde das genau Zitat nicht mehr (das ich in einem seiner Bücher gelesen habe) und wiedergebe es nur sinngemäß aus dem Gedächtnis: „Ich habe mein ganzes Leben der Beobachtung der grauen Gänse gewidmet, jedoch werde ich nie erfahren was sie empfinden, wenn sie über meinen Kopf im Tal ziehen“.

    • @J. Lopez

      Das Denken und bewusste Erleben, also auch unsere konfusionierte Gefühlswelt, wird in dieser Welt- und “Werteordnung” bestimmt durch imperialistische Hierarchie und Materialismus.
      Wenn Mensch also mehr erfahren will, dann sollte er/sie zuallererst ein menschenwürdigeres System des Zusammenlebens gestalten – weg vom illusionären Wettbewerb in “Individualbewusstsein” und “Recht des Stärkeren”, hin zu Möglichkeiten der fusionierenden Kraft des ursprünglichen Geistes allen Lebens, hin zu geistig-heilendem Selbst- und Massenbewusstsein OHNE … und mit …!
      Es gibt nur EINE Wahrheit!!!

  6. Zitat Martin Holzherr: „Wenn Ortstzellen im Gehirn, Neuronen, die auf beobachtete Handlungen gleich reagieren wie bei Handlungen selbst (also Spiegelneuronen) und Sehrindenneuronen, die auf Bewegungen von Konturen aktiv werden als hochrangige Entdeckungen behandelt werden, ist das für mich eher ein Zeichen, dass die Neurowissenschaften zum Zeitpunkt der Entdeckungen – und vielleicht sogar jetzt noch – noch nicht sehr weit waren und es zum Zeitpunkt der Entdeckung noch kein integrierendes Bild aller neuronalen Prozesse gab. Zu diesem Bild passt auch die Tendenz zur Überinterpretation, die sich für mich etwa darin zeigt, dass man Spiegelneuronen direkt mit Empathie in Verbindung bringt.“

    Die Tendenz zur Überinterpretation von Eingriffen im Gehirn von Tieren wird eklatant durch die Forschung und die Karriere des umstrittenen Hirnforschers Wolf Singer in Deutschland dokumentiert.

    Wolf Singer hat über 30 Jahre lang invasive Experimente zur Erforschung der „Augen-Hand-Koordination“ von Affen durchgeführt und die Ergebnisse dieser Forschung als experimenteller Nachweis … der Nicht-Existenz der Willensfreiheit bei Menschen und der Nicht-Existenz Gottes in den Medien vorgestellt! Verblüffend, oder?

    Genau diese gleichen Tests zur Erforschung der Augen-Hand-Koordination wurden allerdings zuvor in den achtziger Jahren mit dem Libet-Experiment nicht-invasiv mit freiwilligen menschlichen Probanden bereits durchgeführt, wobei die Experimentatoren selbst zu dem Schluß gekommen waren, dass dieses Experiment methodologisch nicht geeignet war, die Existenz oder Nicht-Existenz der Willensfreiheit bei Menschen nachzuweisen, siehe hier: Die Libet-Experimente

    Alle Experimente von Wolf Singer wurden übrigens unter dem Deckmantel der medizinischen Forschung zu Therapieansätzen von menschlichen neurologischen oder psychiatrischen Erkrankungen wie Alzheimer, Parkinson, Multiple Sklerose, Epilepsie oder Schizophrenie bei der zuständigen Genehmigungsbehörde beantragt. Irgendwelche Hinweise auf diese angestrebten Ziele und diesen zu erwartenden Nutzen, geschweige denn irgendwelche Forschungsergebnisse, sucht man allerdings vergeblich in der Wikipedia-Seite von Wolf Singer, wo seine Forschung wie folgt dargelegt wird:

    „Erforscht wird in seinem Institut u. a. auch das Entstehen der Sehstörung Amblyopie. […] Seine Folgerungen aus der neurowissenschaftlichen Forschung hinsichtlich politischer und juristischer, psychologischer sowie entwicklungspsychologischer und pädagogischer oder anthropologischer, aber auch z. B. architektonischer oder städtebaulicher Fragen bis hin zu solchen historischer und philosophisch-weltanschaulicher Art werden von der Presse gerne aufgegriffen. Besonders kontrovers erörtert wurden seine Thesen zur Willensfreiheit. […]”

    Das alles will Wolf Singer durch die Messung der Geschwindigkeit von neuronalen Signalen zwischen Augen, Hand und Gehirn von Affen herausgefunden haben. Na denn, wenn es keine Überinterpretation ist…

  7. @Lopez: nicht nur durch den Text von Thomas Nagel ist die Idee von Spiegelneuronen fragwürdig:

    http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/pmc2773693 ´eight problems for the mirror neuron theory of action understanding in monkeys and humans´

    http://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0168010214002314 ´the role of shared neural activations, mirror neurons and morality in empathy – a critical comment´

    Auch diese beiden Arbeiten enthalten schwerwiegende Kritikpunkte an der Idee der ´Spiegelneuronen´.

    • Die Spiegelneuronen wurden hier als Beispiel angeführt. Sie sind nicht der Gegenstand des Blogs. Es passiert häufig, dass man selber unwillkürlich Bewegungen nachahmt, die man gerade beobachtet, z.B. im Fernsehen, wenn ich Fußball schaue. Imitation von Bewegungen ist eine der erfolgreichsten Lernmethoden. Es macht also durchaus Sinn, wenn sie neurobiologisch verankert ist.

  8. Zitat hto: “Wenn Mensch also mehr erfahren will, dann sollte er/sie zuallererst ein menschenwürdigeres System des Zusammenlebens gestalten – weg vom illusionären Wettbewerb in “Individualbewusstsein” und “Recht des Stärkeren”,

    Genau dieses angestrebten Ziel erhofft sich die Hirnforscherin Tania Singer gemäß dem schon weiter oben verlinkten Interview Wir müssen mehr fühlen, und zwar ohne “Zufallsentdeckungen” und ohne blindes Herumstechen im Gehirn von Tieren auf der Suche von irgendwelchen hypothetischen “Spiegelneuronen”. Ich bewundere diese Forscherin, ich fühle mich tief verbunden mit ihrem Denken, ihrem Gefühlswelt und ihrem Weltbild.

    • @J. Lopez

      Und ich fühle mich tief verbunden mit der EINDEUTIGEN Wahrheit des Jesus. Einer Wahrheit die NICHTS mit den HEUCHLERISCH wissenschaftlich-theologischen Interpretationen der Bibel zu tun hat – tatsächlich wird in der Bibel der wohl erste und bisher einzig wahre Sozialist/Kommunist beschrieben, bzw. sein Versuch uns den “Tanz um das goldene Kalb” abzugewöhnen, und somit die Überwindung der Vorsehung / das Schicksal / die “göttliche Sicherung” vor dem Freien Willen zu bewirken!!!

    • Prof. Tanja Singer ist die Tochter von Prof. Wolf Singer. Das dürfte bekannt sein. Es bedeutet nicht, dass sie dasselbe Weltbild vertritt wie ihr Vater, aber so weit dürften sie auch nicht auseinander liegen.

      • Ja, es ist mir bekannt, dass Tanja Singer die Tochter von Wolf Singer ist. Und nein, sie vertritt nicht dasselbe Weltbild wie ihr Vater als Wissenschaftlerin: Empathieforschung sollte für Wolf Singer etwas sein, worüber er nie darauf gekommen wäre, denn seine eigene Forschung und seine Karriere als berüchtigter und brutaler Tierexperimentator zeigen seit mehr als 30 Jahren, dass Empathie für ihn ein Fremdwort ist. In diesem Punkt ist der Apfel glücklicherweise weit vom Stamm gefallen…

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