Vor 100 Jahren – Der Begriff „Bakteriophage“

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Am 15. September 1917 stellte Félix d’Hérelle vom Pasteur Institut in Paris auf einem Kongress der Akademie der Wissenschaften seine Arbeit vor und prägte erstmals den Begriff „Bakteriophage“. d’Hérelle hatte bei Untersuchungen an Ruhr-Patienten entdeckt, dass Flecken in Bakterienkulturen entstehen, in denen die Ruhr-Bakterien nicht wachsen können. Er hatte wenig Zweifel, was die Ursache dieser Flecken angeht: Es musste sich um Phagen handeln, also um Viren, die auf Bakterien spezialisiert sind.  Wie sich später herausstellte, hatte er mit dieser Vermutung durchaus Recht.

Félix Hubert d’Hérelle
Félix Hubert d’Hérelle
Foto: Institut Pasteur – Photothèque
Lizenz: public domain/gemeinfrei
Das Original ist hier zu finden

Schon damals erkannte d’Hérelle das therapeutische Potential der Bakteriophagen im Einsatz gegen bakterielle Infektionen. In verschiedenen Studien setzte er die Phagentherapie ein und heilte Menschen mit Ruhr, Pest oder Cholera. Danach ist die Phagentherapie in Vergessenheit geraten – zumindest in der westlichen Welt. Nun aber wird sie angesichts zunehmender Bedrohung durch Antibiotikaresistenzen wiederentdeckt. Aber warum erst jetzt? Warum blieb diese Behandlungsmethode so lange unerforscht?

Das hat viele Gründe, sowohl wissenschaftliche als auch politische. Die Forschung an der Phagentherapie ist ein gutes Beispiel dafür, welchen Einfluss politische und gesellschaftliche Faktoren auf den wissenschaftlichen Fortschritt haben.

Unumstritten war die Phagentherapie von Anfang an nicht. Trotz d’Hérelles Behandlungserfolgen gab es viele Wissenschaftler, die ihm nicht glaubten. Man wusste sehr wenig über Bakteriophagen, selbst ihre Existenz war umstritten, denn elektronenmikroskopische Aufnahmen gab es erst in den 1940er Jahren. Da man so wenig über Phagen wusste, war es auch schwierig, sie zu isolieren und medizinisch einzusetzen. Viele Mediziner hatten mit der Phagentherapie keine Heilungserfolge und sahen in d’Herelle einen Scharlatan.

Darüber hinaus spielten persönliche Konflikte eine Rolle. Unerschrocken hatte d’Hérelle die Forschung des Nobelpreisträgers Jules Bordet kritisiert. Der war nun beleidigt und schlug zurück, indem er d’Hérelles Arbeit angriff. Viele glaubten Bordet, der er als Nobelpreisträger die größere wissenschaftliche Autorität war (siehe Summers, 2012).

Anfang der 1920er Jahre arbeitete d’Hérelle mit Georgi Eliava zusammen, der ein Forschungsinstitut in Tiflis (Georgien) leitete und zu einem Forschungsaufenthalt nach Paris gekommen war. Es entwickelte sich eine Freundschaft. Eliava lud d’Hérelle nach Tiflis ein, wo er längere Zeit forschte und beinahe auch geblieben wäre, aber es kam anders. 1937 wurde Eliava Opfer des Stalin-Regimes und hingerichtet, d’Hérelle kehrte nach Frankreich zurück.

Dennoch ging die Forschung an der Phagentherapie in den damaligen Ostblockstaaten weiter. Der zweite Weltkrieg hat die Forschungsaktivitäten noch beflügelt, denn man suchte dringend nach erschwinglichen Behandlungsmöglichkeiten für die vielen verwundeten Soldaten. Auch nach dem Krieg wurde die Forschung weiterbetrieben und am Ende der Sowjetunion hatte das Eliava-Institut – benannt nach Georgi Eliava, inzwischen rehabilitiert – an die 1000 Mitarbeiter. Noch heute ist die Phagentherapie in Russland und Georgien anerkannt und wird mit Erfolg praktiziert.

Das sah im Westen anders aus. Im goldenen Zeitalter der Antibiotika wurde hier die Erforschung der Phagentherapie an den Rand gedrückt, zumal sie ja umstritten war. Antibiotika zeigen, im Gegensatz zu Phagen, eine sehr breite Wirkung und das macht sie so attraktiv – sie sind universell einsetzbar. Aber auch politische Vorurteile spielten eine Rolle. Vielen Forschern war jegliche Wissenschaft aus den Ostblockstaaten schlicht suspekt und diese Einstellung hielt lange an (siehe Summers, 2012).

Erst in der letzten Zeit werden Forschungsaktivitäten zur Phagentherapie wieder aufgenommen. Beispielsweise unterstützt die Europäische Kommission seit 2013 das große, internationale Forschungsprojekt Phagoburn, in dem der Einsatz der Phagentherapie zur Behandlung von infizierten Brandwunden untersucht wird.

Aber bis die Phagentherapie in der westlichen Welt Anwendung findet, wird es wohl noch etwas dauern. Noch ist die Phagentherapie hier nicht zugelassen. Es fehlt an klinischen Studien und an dem entsprechenden regulatorischen Rahmen. Medizinische Produkte werden durch die EU Direktive 2001/83/EG geregelt, aber hier kommen Bakteriophagen nicht vor. Es ist auch nicht klar, in welche Klassen von medizinischen Produkten sie fallen würden, denn sie sind weder ein Medikament, noch ein Impfstoff, noch gehören sie in die Kategorie der „Arzneimittel für neuartige Therapien“, wie zum Beispiel Gen- und Zelltherapien. Die Phagentherapie, die so lange politischen und gesellschaftlichen Gegenwind hatte, kämpft nun mit der Bürokratie.

Literatur:

  • Summers WC (2012) The strange history of phage therapy. Bacteriophage 2(2):130-133. doi: 10.4161/bact.20757
  • Chanishvili N (2012) Phage therapy–history from Twort and d’Herelle through Soviet experience to current approaches. Adv Virus Res. 83:3-40. doi: 10.1016/B978-0-12-394438-2.00001-3
  • Stone R (2002) Bacteriophage therapy. Stalin’s forgotten cure. Science 298(5594):728-31. doi: 10.1126/science.298.5594.728
  • Huys I, Pirnay JP, Lavigne R, Jennes S, De Vos D, Casteels M, Verbeken G (2013) Paving a regulatory pathway for phage therapy. Europe should muster the resources to financially, technically and legally support the introduction of phage therapy. EMBO Rep. 14(11):951-4. doi: 10.1038/embor.2013.163

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Erst wollte ich Biologin werden – ich habe studiert, promoviert und als Postdoc geforscht. Nun bin ich Wissenschaftsjournalistin und darf jetzt das, was einst mein Leben war, von außen betrachten. Ich schreibe über Lebenswissenschaften, Molekularbiologie und Neurowissenschaften für die Fach- und für die Publikumspresse. Die Zusammenhänge zwischen Wissenschaft und Gesellschaft faszinieren mich schon immer – ihnen widme ich diesen Blog.

4 Kommentare

  1. Bakteriophagen sind sehr viel spezifischer als Antibiotika. Im Grunde muss man den Krankheitserreger (seine Spezies) kennen um dann den richtigen Bakteriophagen einzusetzen, was heute noche eine Bakterienkultur voraussetzt. Das Resultat und damit die Spezies-Diagnose liegt dann erst mehrere Tage später vor. Doch neuere Methoden können Bakterien ohne Kultur direkt aus einer Probe bestimmen, was das Procedere beschleunigt und Phagen eine Chance in der Therapie gibt.

    Im übrigen werden Phagen bereits zur Bekämpfung von Listerien und Salmonellen in Lebensmitteln eingesetzt.

  2. “Viren” sind ja suspekt. Sie sind ja allgemein “böse”.

    Aber da tut man den Viren wohl eher unrecht, denn Viren haben auch eine spezielle Funktion in evolutionären Entwicklungen. Das “Einschleusen” von Erbinformationen in bestehende Organismen.
    Das kann man allerdings auch wieder als bedrohlich erkennen. Weshalb dieses “Böse” von Viren eben überpräsent bleibt.

    Nebenher hat die Einschleusung von Erbinformationen auch Auswirkungen auf die Gehirnfunktionen und Hardware.

    Noch ein Grund, warum man “Viren” eben liebend gerne ablehnt.

    Ob das alles schon damals bekannt war, ist unklar. Kann aber sein.

    Insgesammt erklärt das dann wohl auch die politische Seite der Verhältnisse und Sichtweisen auf Bakteriophagen.

    • Für Bakteriophagen gilt wohl aus Sicht des Menschen: Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Ja, Bakteriophagen sind Viren, aber Viren, die Bakterien befallen. Die meisten Viren sind speziesspezifisch, sie sind also auf einen bestimmten Wirt fixiert. Bakteriophagen sind für Menschen völlig ungefährlich, weil ihr Wirt Bakterien sind und meist eben nicht irgend ein Bakterium, sondern eine ganz bestimmte Art von Bakterium.
      Es kommt alllerdings auch vor, dass Viren von einer Spezies auf eine andere überspringen – und nicht allzu selten löst ein solcher Übersprung eine schweres Krankheitsbild aus. Viele für den Menschen hochgefährliche Infektionskrankheiten wie AIDS, Vogelgrippe, etc. Der Artikel 13 Animal-to-Human Diseases Kill 2.2 Million People Each Year zeigt das Gefahrenpotenzial durch solche überspringende Viren.

      • Zitat:
        dass Viren von einer Spezies auf eine andere überspringen – und nicht allzu selten löst ein solcher Übersprung eine schweres Krankheitsbild aus.

        -> Sind sie sicher, dass sie mit Sicherheit richtig liegen, mit dieser Aussage?

        Sie können das doch gar nicht wissen, wie wenig selten das geschieht, wenn sie die Situationen nicht kennen, wo keine Krankheit ausgelöst wird. Diese Situationen werden nämlich nicht bemerkt. Eben, weil es keine sichtbaren oder deutlich fühlbaren Folgen hat.

        Rinderwahn…
        Ist man da sicher, dass dabei ein Virus ursächlich war? Und das dieser vom Tier zum Menschen weitergegeben wurde? (Er könnte vielleicht – aber ebenso kann es auch sein, dass er erst im Menschen war, und dann zufällig beim Rind auftrat).
        Der Mensch (und Tiere ebenso) ist Wirt von so allerhand. Und darunter sind einige Parasiten, die Probleme machen. Viele aber jedoch tun dies nicht – oder unter bestimmten Bedingungen nicht.
        Der Rinderwahn bringt mich gerade, bezüglich der Einschleusung von Erbgut und Veränderung im Gehirn, auf die Idee, das Aufkommen des Phänomens mit einigen gesellschaftlichen Veränderungen im Zusammenhang zu bringen.

        Wie ist das:
        gehen die Phagen mit dem befallenen Bakterium zu grunde oder kann das Virus weiter-existieren?

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