Antivirale Pandemievorbereitung könnte weltweite Verluste in Höhe von 28 Billionen Dollar vermeiden: Bundesagentur für Sprunginnovationen SPRIND startet AMC-Initiative

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SPRIND schlägt mit Unterstützung von Wirtschaftswissenschaftlern der University of Chicago neue Finanzierungsmodelle vor, um die weltweite Entwicklung von antiviralen Medikamenten zur Pandemievorsorge zu fördern

Neue Forschungsergebnisse der Bundesagentur für Sprunginnovation SPRIND zeigen, dass die immensen finanziellen und sozialen Kosten einer zukünftigen Pandemie weitgehend abgemildert werden könnten: Die frühzeitige Verfügbarkeit antiviraler Therapeutika könnte bei einer mit Covid-19 vergleichbaren Pandemie Millionen von Menschenleben retten und finanzelle Verluste in Höhe von 28,2 Billionen Dollar verhindern.

Diese Ergebnisse sind ebenso Teil der Arbeit von SPRIND zur globalen Pandemievorsorge wie der Innovationswettbewerb zur Entwicklung von antiviralen Breitbandmedikamenten, die in künftigen Pandemieszenarien schnell eingesetzt werden können. Zu diesem Zweck strebt SPRIND eine internationale vorgezogene Marktzusage (Advance Market Commitment, AMC) an, d. h. eine Verpflichtung, diese Medikamente zu festgelegten Konditionen zu kaufen. Dadurch bekommen die Hersteller eine finanzielle Sicherheit für die Entwickelung und Produktion neuer Wirkstoffe.

SPRIND hat anhand der Infektionszahlen und den Sterblichkeitsraten der Covid-19-Pandemie auf Basis von Daten der Weltgesundheitsorganisation und Our World in Data insgesamt 135 Szenarien modelliert. Das Referenzszenario geht davon aus, dass antivirale Medikamente 100 Tage nach Ausbruch der Pandemie zur Verfügung stehen und 50 % Schutz gegen die Übertragung und 50 % Wirksamkeit gegen Sterblichkeit bieten. Im Vergleich zu den Covid-19-Infektionen und der Covid-19 Sterblichkeit haben die Berechnungen ergeben, dass die frühzeitige Verfügbarkeit von antiviralen Medikamenten für eine vergleichbare künftige Pandemie:

  • eine wirksame Vorbeugung gegen eine weit verbreitete Pandemie schafft, bei der die Sterblichkeit und die Krankheitsfälle auf weniger als 1 % der COVID-19-Pandemie reduziert werden
  • etwa 6 Millionen Menschenleben rettet, wobei sich diese vermiedenen Todesfälle finanziell auf 7,8 Billionen Dollar belaufen
  • etwa 91 % der wirtschaftlichen Verluste in Höhe von 11,8 Billionen Dollar vermeidet
  • Bildungsverluste durch Schulschließungen in Höhe von 8,6 Billionen Dollar vermeidet

SPRIND arbeitet bei der Entwicklung eines Advance Market Commitment für antivirale Breitbandmedikamente im Rahmen einer Innovation Challenge mit dem Market Shaping Accelerator (MSA) der University of Chicago (UChicago) zusammen. Das MSA-Team, zu dem der Nobelpreisträger Michael Kremer, Rachel Glennerster, Christopher Snyder und Christopher Avery gehören, hat dazu beigetragen, einen marktgestaltenden Mechanismus zu entwickeln und die Herausforderungen im Zusammenhang mit den Auszahlungen, regulatorischen Fragestellungen und den derzeitigen kommerziellen Perspektiven dieser antiviralen Medikamente anzugehen.

Kontext: Lehren aus COVID-19

Angesichts der Tatsache, dass die COVID-19-Pandemie weltweit schätzungsweise über 27 Millionen Todesopfer forderte und einen Rückgang der Wirtschaftsleistung um fast 14 Billionen Dollar verursachte, könnte eine Vorausplanung für künftige, durch neuartige Viren verursachte Pandemien enorme menschliche und finanzielle Verluste abmildern. Obwohl es Hinweise darauf gibt, dass diese Pandemien in Abständen von 30 bis 50 Jahren auftreten können und nach Schätzungen des Centre for Global Development dadurch im Durchschnitt 2,5 Millionen Menschen jährlich sterben, besteht eindeutig ein Bedarf an robusteren Strategien für die Pandemievorsorge.

Die globalen Schwachstellen in der Pandemievorsorge wurden bei COVID-19 deutlich, da die Entwicklung und Zulassung von antiviralen Tabletten gegen den neuen Erreger, wie z. B. Paxlovid, fast zwei Jahre nach Ausbruch der Krankheit in Anspruch nahm. Diese neuen Therapeutika spielten daher bei der Bekämpfung der Pandemie nur eine begrenzte Rolle. Da künftige Ausbrüche nach wie vor ein erhebliches Risiko darstellen, sind schnell verfügbare antivirale Medikamente, die ein breites Spektrum an bekannten und noch unbekannten Erregern bekämpfen können, von grundlegender Bedeutung für eine rasche Pandemiebekämpfung, die Leben rettet.

Antivirale Mittel – eine Lösung für die Pandemievorbereitung

Bislang bekannte und bewährte antivirale Wirkstoffe konnten den Verlauf der Covid-19-Pandemie nicht wesentlich beeinflussen, da sie keine hinreichende Wirksamkeit hatten bzw. nicht schnell genug verfügbar waren. Im Gegensatz dazu haben plattformbasierte antivirale Breitbandmedikamente das Potenzial, umfassend zu wirken und schnell an neue oder mutierte Viren angepasst werden zu können. Im Falle künftiger Ausbrüche kann der Ansatz von Plattformtechnologien die effektive Einführung von Therapeutika beschleunigen, wie der Erfolg der mRNA-Impfstoffplattform gezeigt hat.

Die Notwendigkeit neuartiger antiviraler Therapeutika, die nach einem neuen Ausbruch frühzeitig zur Verfügung stehen können, wird von der der US-amerikanischen Biomedical Advanced Research and Development Authority (BARDA), die für die Beschaffung und Entwicklung medizinischer Gegenmaßnahmen zuständig ist, und der Health Emergency Preparedness and Response Authority (HERA) betont, die sich verpflichtet hat, die Bereitschaft zur Reaktion auf schwerwiegende grenzüberschreitende Gesundheitsbedrohungen zu verbessern, indem sie kontinuierlich Mittel zur Unterstützung der Entwicklung und weiteren Charakterisierung medizinischer Gegenmaßnahmen bereitstellt, sowie vom Deutschen Zentrum für Pandemie-Impfstoffe und -Therapeutika (ZEPAI). Ebenso steht die Entwicklung neuer Technologien für antivirale Medikamente ganz oben auf der Prioritätenliste des International Pandemic Preparedness Secretariat (IPPS), das mit der Umsetzung der 100-Tage-Mission beauftragt ist.

Das Haupthindernis für die Entwicklung neuer bahnbrechender Wirkstoffklassen sind die Kosten. Den Herstellern fehlen die kommerziellen Anreize, um in diese Forschung zu investieren, die möglicherweise nicht vergütet wird, da das Auftreten von Pandemien ungewiss ist. Das Schließen dieser Lücke zwischen dem Nutzen für die öffentliche Gesundheit und der finanziellen Attraktivität der Pandemievorsorge wird der Schlüssel für die Finanzierung und Entwicklung dieser Wirkstoffe sein.

SPRINDs Arbeit zum Aufbau neuer Finanzierungsmodelle

Da die bestehenden kommerziellen Finanzierungsmodelle für Medikamente zur Pandemievorsorge ungeeignet sind, werden alternative Ansätze benötigt. Ein solches Beispiel ist die vorgezogene Marktzusage (Advance Market Commitment, AMC); eine Vereinbarung, ein Produkt zu kaufen oder zu subventionieren, wenn es ein Unternehmen erfolgreich entwickelt und produziert. Dadurch werden Investoren und Herstellern incentiviert, die Kosten und Risiken der Innovation zu übernehmen.

Ein staatlich finanziertes AMC ermöglicht eine neue Form der Risikoteilung zwischen Steuerzahlern und Investoren. Wenn neue Technologien mit Hilfe staatlicher Forschungsförderung entwickelt werden, zahlen Steuerzahler für die unvermeidlichen Misserfolge auf dem Weg zu neuen Medikamenten. Da das AMC nur für erfolgreich entwickelte Medikamente zahlt, übernehmen die Investoren einen Teil des Risikos gescheiterter Versuche, diese neuen Medikamente zu entwickeln. Auf diese Weise können Regierungen ehrgeizige Ziele von großem Nutzen für die Gesellschaft verfolgen und gleichzeitig einen Teil des technologischen Risikos mit privaten Investoren teilen.

Im Rahmen der SPRIND Challenge „Broad-Spectrum Antivirals“ wurde eine Reihe unterschiedlicher Ansätze finanziert, die vielversprechende Ergebnisse liefern. Darüber hinaus existieren weitere Ansätze aus anderen therapeutischen Bereichen oder gänzlich neue Technologien, die sich erst noch beweisen müssen. Ein AMC würde es daher ermöglichen, diesen Forschungsbereich organisch weiterzuentwickeln und die Methoden zu belohnen, die sich als erfolgreich erweisen, ohne die Bandbreite der Möglichkeiten zu beschneiden. Durch die Abstimmung der Anreize auf umfassendere gesundheitspolitische Ziele wie behördliche Genehmigungen und Produktionskapazitäten kann ein AMC wirksame Anreize für die rechtzeitige Verfügbarkeit antiviraler Behandlungen bei Ausbruch einer Pandemie schaffen.

Jano Costard, Head of Challenges bei SPRIND, kommentiert: „Die Ergebnisse dieser Studie verdeutlichen das bahnbrechende Potenzial neuartiger Therapeutika für die Pandemiebekämpfung. Wichtig ist, dass diese neuen Technologien auch außerhalb von Pandemien ein transformatives Potenzial haben, um respiratorische Viren zu bekämpfen, für die es bislang keine geeigneten Medikamente gibt. Die große Bedeutung liegt jedoch darin, wie wir Technologien ermöglichen, die Leben retten können, was durch präventives Investieren erreicht werden kann. Ich danke den Teams von SPRIND, MSA und UChicago für ihr Engagement bei dieser bahnbrechenden Arbeit.“

Michael Kremer, Faculty Director des Market Shaping Accelerator an der University of Chicago und Wirtschaftsnobelpreisträger 2019, kommentiert: „Pandemien drohen unserer Wirtschaft und Gesellschaft enormen Schaden zuzufügen. Innovationen können dazu beitragen, uns vor künftigen Pandemien zu schützen, wie die Wirkung neuartiger mRNA-Impfstofftechnologien bei COVID-19 gezeigt hat. Leider bleiben die bestehenden Anreize für Investitionen in Innovationen zur Pandemievorsorge weit hinter dem gesellschaftlichen Bedarf zurück. Indem die Nachfrage nach erfolgreichen Produkten garantiert wird, kann das von SPRIND mit Unterstützung vom MSA konzipierte AMC die Energie und Kreativität des Privatsektors nutzen, um in die Entwicklung von antiviralen Breitbandmedikamenten zu investieren, die für die Bekämpfung künftiger Pandemien äußerst wertvoll wären.“

Thomas Kalil, CEO von Renaissance Philanthropy und ehemaliger stellvertretender Direktor im Büro für Wissenschafts- und Technologiepolitik des Weißen Hauses, sagt: „Die Regierungen können und sollten mehr tun, um die Bedrohung durch künftige Pandemien zu verringern, insbesondere angesichts der tragischen Verluste an Menschenleben im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie und den enormen Kosten für die Weltwirtschaft.  Die Arbeit von SPRIND und MSA hat gezeigt, dass der Marktgestaltung bei der Entwicklung von antiviralen Breitbandmedikamenten eine Schlüsselrolle zukommt, da diese Medikamente einen hohen gesellschaftlichen Nutzen und unsichere private Erträge haben könnten.  Ich hoffe, dass Regierungen und andere Geldgeber sich zusammenschließen, um diesen Vorschlag zu unterstützen.  Millionen von Menschenleben könnten davon abhängen.“

Rachel Glennerster, Fakultätsdirektorin des Market Shaping Accelerator an der University of Chicago und künftige Präsidentin des Center for Global Development, fügt hinzu: „Die Entwicklung innovativer antiviraler Breitbandmedikamente würde Leben retten und einen erwarteten Gegenwartswert von Hunderten von Milliarden Dollar an Nutzen bringen. Leider können wir uns nicht darauf verlassen, dass die Märkte diese Innovationen von selbst hervorbringen. Ein Advance Market Commitment für antivirale Breitbandmedikamente hat das Potenzial, bahnbrechende neue Technologien zur Bekämpfung von Infektionskrankheiten bei Pandemien und aktuellen viralen Bedrohungen hervorzubringen. Die von SPRIND vorgeschlagene Maßnahme könnte einen immensen gesellschaftlichen Nutzen bringen und sollte eine Priorität der internationalen Regierungen sein“.

Jeremy Farrar, Chief Scientist bei der Weltgesundheitsorganisation WHO, kommentiert: „Die Welt braucht neue antivirale Therapeutika, um bestehende endemische und epidemische Virusinfektionen (Dengue, Chikungunya, Influenza, Nipah und viele andere) zu bekämpfen und schnell auf künftige Pandemien zu reagieren. Für die meisten akuten Virusinfektionen gibt es jedoch keine sofort verfügbaren Therapeutika. Daher müssen Wissenschaft und Technologien für eine beschleunigte Entwicklung von antiviralen Arzneimitteln mit breitem Wirkungsspektrum eine Priorität für Regierungen, den Privatsektor und die Philanthropie sein.“

Weitere Informationen zur AMC Initiative von SPRIND und der University of Chicago finden Sie unter https://www.sprind.org/de/artikel/broad-spectrum-antivirals-blog-post/

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Christian Egle versteht sich als eine Art interdisziplinärer Hausmeister („I am helping put a man on the moon.“) bei SPRIND; immer darauf fokussiert, dass keine Bäume auf den Gleisen liegen, die den Weg zum Ziel versperren. Versteht Biochemie, ein wenig. Offizielles Tätigkeitsprofil: Pressesprecher und Referent der Geschäftsleitung.

4 Kommentare

  1. Problem: Bis jetzt gibt es keine breit wirkenden antiviralen Medikamente und auch das verlinkte Dokument gibt keine Hinweise darauf, welche Wirkmechanismen generell etwa respiratorische Viren hemmen könnten. Klar, es gibt Tamiflu, welches angeblich eine Grippeinfektion abschwächen soll. Aber das wird von einigen auch angezweifelt. In der Wikipedia liest man zu Tamiflu: Es soll virostatisch wirken, das heißt, Viren an der Vermehrung im Körper hindern; Nur schon das Wort „soll“ sagt sehr viel über die Ungewissheit einer relevanten Wirkungsweise.

    Wenn also Forschung an generell antiviralen Medikamenten gefordert wird, dann ist es höchst ungewiss, dass diese Forschung Früchte bringt. Diese Art Forschung ist zwangsweise eine Forschung ins Blaue hinaus, da es keine Vorbilder dafür gibt.

  2. Nett gemeint – aber unrealistisch.

    Wir erleben gerade im Gaza-Gebiet die Realität:
    Obwohl es dort Anzeichen für das Ausbrechen einer Polio-Epidemie gibt, wird nicht so reagiert wie es sozial und menschlich sinnvoll wäre.

  3. Solange Corona nicht aufgearbeitet wurde, glaube ich kein Wort mehr von irgendwelchen Pandemie-“Experten”.

  4. In einer Welt- und Werteordnung von/zu globalem Gemeinschaftseigentum OHNE wettbewerbsbedingte Symptomatik, könnte es absolut keinen Verlust von Geldwerten geben, es gebe einfach nur einen Wiederanfang, nachdem sich die unkorrumpierbare Vernunft mit zweifelsfrei-eindeutigem Verantwortungsbewusstsein für eine Zeit entsprechend menschenwürdig ohne Verlustängste und ohne “Ökonomie” von/zu Rationalisierungswahn organisiert hatte.

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