Wortgewaltphantasien

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Alle Sprachgewalt geht vom Volke aus
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Das mit den Eskimos und ihren Wörter für Schnee ist ja inzwischen abgefrühstückt – kein Mensch glaubt mehr an ein ausgedehntes, lexikalisch manifestes Interesse der Völker des nördlichen Polarkreises am kristallförmigen Nierderschlag. Höchste Zeit also für neue Varianten des zugrundeliegenden Mythos, dass Sprachgemeinschaften besonders viele Wörter für das haben, was ihnen besonders wichtig ist.

Auf eine interessante Variante wies mich SciLogger Dierk Haasis (Con Text) neulich hin. Es geht dabei um die Kunstsprache Dothraki, die im Game-of-Thrones-Romanzyklus (dt. „Das Lied von Eis und Feuer“) von George R.R. Martin angedeutet wird und die der Linguist und Conlanger David J. Peterson für die gleichnamige Fernsehserie mit Vokabular und Grammatik ausgestattet hat. Als fiktionale Sprach ist Dothraki mäßig interessant — ihm fehlt die solide anti-typologische Exotik, die z.B. das Klingonische oder das Na’vi kennzeichnet.

So musste sich die Science-Fiction- und Fantasy-Webseite Den of Geek! sehr anstrengen, um für eine Rezension der Serie etwas Berichtenswertes zum Dothraki zu finden:

There are more words in the invented Dothraki for “kill” than for “love”. (Es gibt im erfundenen Dothraki mehr Wörter für „töten“ als für „lieben“.)

Das scheint zu stimmen. Das Dothraki Wiki nennt nur ein Wort für lieben — zhilat — aber drei für töten:

  • addrivat: töten (vor allem wenn es absichtlich durch eine Person geschieht)
  • drozhat: töten (unabsichtlich oder durch unbelebte Gegenstände oder Tiere
  • ogat: ein Tier schlachten, einen Menschen brutal töten (wie man ein Tier schlachten würde

Damit soll betont werden, was für ein kriegerisches Volk die Dothraki sind. Man stelle sich das vor! Mehr Wörter für das Töten als für die Liebe!

Aber natürlich sind die Dothraki damit (leider) absolut unauffällig. Mir ist keine Sprache bekannt, in der es anders wäre. Nehmen wir das Deutsche. Für „lieben“ haben wir, mal nachzählen, eins, zw– ah, ein Wort: lieben. Für „töten“ dagegen haben wir so viele, dass wir die Dothraki mithilfe eines schlichten Wörterbuchs in Angst und Schrecken versetzten könnten (an dieser Stelle mal ein Dank an openthesaurus.de):

abknallen, abmurksen, abschlachten, abstechen, ausknipsen, auslöschen, ausschalten, beseitigen, einschläferneliminieren, entleiben, erdolchen, erdrosseln, erdrückenerhängen, erlegenermorden, ersäufen, erschießen, erschlagen, erstechen, ersticken, ertränken, erwürgen, exekutieren, hinrichten, kaltmachen, killen, liquidieren, lynchen, massakrieren, meucheln, neutralisieren, niedermetzeln, steinigen, terminieren, töten, totmachen, totprügelntotschießen, totschlagenumbringen, umlegen, vergasen, vergiften

Und da sind noch nicht Mal Redewendungen aus mehr als einem Wort dabei, wie den Garaus machen, ins Jenseits befördern, um die Ecke bringen usw.

Aber vielleicht sind wir Deutschen tatsächlich einfach ein sehr gewalttätiges Volk (man könnte es schließlich niemandem verdenken, der auf diese Idee käme)? Vielleicht (die Angelsachsen dann allerdings auch).

Aber die Gründe für die lexikalische Vielfalt beim Töten liegen woanders. Erstens gibt es schlicht mehr Arten, jemanden zu töten, als jemanden zu lieben: Viele der oben aufgeführten Wörter spezifizieren ein bestimmtes Vorgehen (z.B. ertränken, ersticken), ein bestimmtes Tötungsinstrument (z.B. erschießen, steinigen) oder eine bestimmte Absicht (z.B. lynchen, hinrichten). Zweitens ist das Töten in unserer Gesellschaft tabuisiert, und wir brauchen deshalb Euphemismen, die das ganze etwas blumiger (entleiben, kaltmachen), seriöser (exekutieren, liquidieren), harmloser (ausschalten, neutralisieren) oder Dysphemismen, die es besonders brutal (abmurksen, totmachen) klingen lassen.

Wenn die Dothraki also ein Kriegervolk sind, dann zeigt sich das eher daran, wie wenig Wörter sie für das Töten haben — für etwas Alltägliches und allgemein Akzeptiertes braucht eine Sprachgemeinschaft nicht viele Worte.

 

Nachtrag. Aus gegebenem Anlass verweise ich hier für diejenigen, die sich tatsächlich noch einmal mit den Eskimowörtern für Schnee befassen wollen, auf ausgewählte Beiträge dazu im Bremer Sprachblog, im Sprachlog und anderswo:

© 2012, Anatol Stefanowitsch

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Nach Umwegen über Politologie und Volkswirtschaftslehre habe ich Englische Sprachwissenschaft und Sprachlehrforschung an der Universität Hamburg studiert und danach an der Rice University in Houston, Texas in Allgemeiner Sprachwissenschaft promoviert. Von 2002 bis 2010 war ich Professor für Englische Sprachwissenschaft an der Universität Bremen, im August 2010 habe ich einen Ruf auf eine Professur für anglistische Sprachwissenschaft an der Universität Hamburg angenommen. Mein wichtigstes Forschungsgebiet ist die korpuslinguistische Untersuchung der Grammatik des Englischen und Deutschen aus der Perspektive der Konstruktionsgrammatik.

46 Kommentare

  1. Exotik

    Ein schöner Artikel. Vielen Dank.

    Der Hinweis auf exotische Züge von Klingonisch und Na’vi ist spannend. Über einen Artikel, was eine Kunstsprache für einen Linguisten ansprechend macht oder auch über bekanntere Kunstsprachen an sich, würde ich mich freuen.

  2. All about love

    Dem Open Thesaurus fallen folgende “Synonyme” für “lieben” ein:
    auf jemanden stehen umgangssprachlich [1]
    gefallen [5]
    Gefallen finden an [2]
    gernhaben [2]
    in jemanden verliebt sein [1]
    sehr) mögen [1]
    vergöttern [3]
    Mir fällt noch anhimmeln, sehr schätzen, Sex haben ein. Je nach Kontext.
    Es sind natürlich nur sinnverwandte Wörter. Aber so furchtbar einschichtig ist
    das Deutsche nicht, wenn es um positive Gefühle geht. Schön.

  3. Kommt drauf an.

    Die Sache dürfte wesentlich enger werden, wenn man auch alle Wörter für die körperliche Liebe miteinschließt. 🙂

  4. Englisch?

    Schade, dass es den Artikel nicht in Englisch gibt. Die meisten Fanseiten zu dem Thema sind englischsprachig und würden sich bestimmt auch brennend für diese Analyse interessieren.

    Noch eine Kleinigkeit: Der Zyklus heißt auch im Englischen “A Song of Ice and Fire”. Lediglich der erste Band heißt “A Game of Thrones”. Die Fernsehserie wiederum nennt sich auch in Anlehnung an den ersten Band “A Game of Thrones”.

  5. @Björn hat es bereits angedeutet: Wie sieht es aus, wenn man “lieben” mit “hassen” vergleicht und “töten” mit “kopulieren”?

  6. äääh? und was ist mit:

    bumsen, ficken, vögeln, kopulieren, rammeln, poppen, pimpeln, nageln…

  7. Oh, ein wenig spät. Öfter mal einen Refresh machen (zumindest alle Stunde).

    Aber schön zu wissen, daß ich nicht der einzige mit schmutzigen Gedanken bin.

  8. Samisch

    Lieber Herr Stefanowitsch,

    wo sie von den Eskimos sprechen, fällt mir der zugehörige Artikel der englischen Wikipedia ein: http://en.wikipedia.org/wiki/Eskimo_words_for_snow
    Hier hat vor einiger Zeit jemand die Aussage eingefügt, auf Samisch gäbe es tatsächlich eine derartige Vokabelvielfalt. Dies wurde auf der Diskussionsseite natürlich sofort stark angezweifelt, aber der Bearbeiter hatte einige Belege vorzuweisen.

    – Auf das Zitat aus “ACIA 2005, Artic Climate Impact Assessment” würde ich überhaupt nichts geben. Einen Klimabericht als Quelle zu linguistischen Themen anzugeben ist schon etwas weit hergeholt. Und mit genau der gleichen Art von Zitaten könnte man die Eskimo-Geschichte tausendfach “nachweisen”.
    – Die Broschüre “The Sami Language” vom Department of Scandinavian Studies der Universität Wisconsin-Madison ist da schon etwas interessanter. http://scandinavian.wisc.edu/…/LanguageToday.pdf
    – Schließlich aber gibt er einen Link zu dem Aufsatz “Diversity in Saami terminology for reindeer and snow” eines Dr. Ole Henrik Magga an. Hier ist tatsächlich eine detaillierte Auflistung dutzender Wörter enthalten. Solch ein Beleg ist natürlich schwer zu entkräften, vor allem, wenn man kein Samisch spricht. http://www.arcticlanguages.com/…eer_and_Snow.pdf

    Mich würde Ihre geschätzte Meinung dazu interessieren, falls Sie Zeit und Lust finden.

  9. Liebe

    Interessant, dass in den Kommentaren bei “lieben” gleich an Fortpflanzung gedacht wird. Das wäre mir so schnell nicht in den Sinn gekommen. Gibt es da vielleicht Geschlechtsunterschiede? 😉

  10. Fühlen und Tun

    Auch wenn mir über den Open Thesaurus hinaus noch ein paar Synonyma für Lieben als Gefühl einfallen (liebhaben, in jemanden vernarrt sein, sich in jemanden verguckt haben, jemandem verfallen sein), glaube ich auch, dass es im Deutschen deutlich mehr Wörter für Töten gibt.

    Aber ließe es sich wirklich belegen, dass es weniger Arten gibt, jemanden zu lieben als jemanden zu töten? Geschwister lieben sich – das wäre meine These – schon ziemlich anders als Eheleute. Eltern lieben ihre Kinder anders als vice versa – vielleicht liebt sogar der Vater anders als die Mutter. Der Mensch liebt Gott anders als sich Frischverliebte lieben. Das Meer liebt man in der Regel anders als sein Vaterland und so fort an.

    Könnte es nicht eher damit zusammenhängen, dass Menschen über äußerlich wahrnehmbare Handlungen sehr viel häufiger und schon seit sehr viel längerer Zeit sprechen als über innere Vorgänge. Dietrich Schwanitz hat sehr pointiert geschrieben, was Verliebtsein ist, wisse die Menschheit erst seit Shakespeares “Romeo und Julia”.

    Das erklärte dann auch, warum “jemanden lieben” in der Bedeutung “mit jemandem Geschlechtsverkehr haben” – wie Björn zutreffend bemerkte – in der Zahl der Synonyma das Töten locker erreichen dürfte.

    “Reden” dürfte auch deutlich mehr Synonyma haben als “Denken”. Und man wird kaum sagen können, dass Reden stärker tabuisiert sei als Denken. Und nur weil es mehr Wörter fürs Reden und Töten als fürs Denken und Lieben gibt, ist man dem Schluss zugeneigt, dass es mehr Arten des erstgenannten Handlungsweisen als der zweitgenannten Geisteszustände gäbe.

  11. @Nathalie

    Mindestens ebenso bezeichnend finde ich, dass “Sie als Frau” beim Geschlechtsverkehr gleich die Fortpflanzung assoziieren 🙂

  12. Zur körperlichen Liebe

    “Vielleicht sind wir Deutschen tatsächlich einfach ein sehr liebestolles Volk (aber wer käme schon auf diese Idee)? Vielleicht.
    Aber die Gründe für die lexikalische Vielfalt beim Sex liegen woanders. Erstens gibt es schlicht sehr viele Arten, Sex zu haben: Viele der bekannten Wörter und Wendungen spezifizieren ein bestimmtes Vorgehen (z.B. blasen, reiten), die Beziehung zwischen den Beteiligten (z.B. fremdgehen, die Ehe vollziehen) oder eine bestimmte Absicht (z.B. schwängern, entjungfern). Zweitens ist Sex in unserer Gesellschaft tabuisiert, und wir brauchen deshalb Euphemismen, die das ganze etwas blumiger (vögeln), seriöser (kopulieren, penetrieren), harmloser (schnackseln, Liebe machen) oder Dysphemismen, die es besonders brutal (rammeln, nageln) klingen lassen.”

    Konnte nicht wiederstehen 😉

  13. @Phaeake

    Hihi, ja, könnte man so sehen. Wobei ich das gerne auf den Kontext “Leben beenden” vs. “Leben zeugen” schieben würde 😉

  14. Stefanowitsch silaappoq

    Ich kenne schon recht viele Begriffe und Wendungen im Grönländischen, die mit Schnee und seinen Erscheinungsformen zu tun haben. Es könnte vielleicht daran liegen, dass ich kein Hochstapler bin, der irgendwoher etwas aufgeschnappt hat und sich im Internet als Fachkundiger aufspielt, sondern auf einem isländischen Hof mit vielen Gastarbeitern aus Grönland aufgewachsen bin.

    Ich würde mich sehr gerne mal mit Dir auf grönländisch über Schnee unterhalten, am besten vor einer Kamera, so dass alle sehen und hören können, wie tief Dein Wissen ist. Meine E-Mail hast Du ja. Ich komme jederzeit zu Dir nach Hamburg und kann auch noch ein paar Grönländer mitbringen.

    Rúna Gísladóttir

    [Sehr geehrte Frau Gísladóttir, Sie dürfen Ihre Bauernhof-Erfahrungen gerne auf Ihrer eigenen Webseite verarbeiten. Vielleicht gelingt es Ihnen ja, die staunende Fachwelt von einer Vielzahl von Wörtern für Schnee im Grönländischen zu überzeugen, aber wahrscheinlicher ist es wohl, dass Sie nur ein weiteres Mal Ihr Unverständnis bezüglich sprachlicher Strukturprinzipien und Funktionsweisen dokumentieren. Mir wäre beides recht, solange Sie (und die anderen Mitwirkenden Ihrer gernegroßen, pseudobildungsbürgertümelnden Langweilerseite) mir hier im Sprachlog damit nicht auf den Geist gehen. Um Ihnen dabei zu helfen, Ihre dümmlichen Pöbeleien in Zukunft für sich zu behalten, sind Sie für Kommentare hier ab jetzt gesperrt. — A.S.]

  15. Schnee

    Ist ja nicht so, als gäbe es im Deutschen [oder Englischen, Französischen etc.] nicht auch reichlich Wörter für die verschiedenen Erscheinungsweisen von ‘Schnee’.

    Ich habe leider gerade so viel Anderes zu tun, dass ich den dem ‘viele Wörter für Schnee’ zugrunde liegenden Denkfehler hier nicht auseinanderklamüsere. Vielleicht kommen ja alle selbst drauf, der erste Satz dieses Kommentars reicht ja wohl als Denkanstoß.

  16. @Kronf

    Dass es im Samischen viele Wörter für verschiedene Arten von Rentieren gibt halte ich für wenig verwunderlich, im Deutschen gibt es ja auch sehr viele Wörter für verschiedene Arten von Rindern.
    Spontan fallen mir Ochse, Bulle, Stier, Kalb, Färse, Rind (in der Fachsprache eine Kuh, die das erste Mal kalbt), Kuh und Vieh/Viech (bei den mir bekannten Bauern ist das ein neutraler Begriff) ein.
    Dazu kommen noch Bezeichnungen für verschiedene Rinderrassen, aber davon habe ich wirklich keine Ahnung.

    In Deutschland werden Rinder nur für Fleischerzeugung und Milchwirtschaft gehalten, die Rentiere der Saami sind außerdem noch Zugtiere, was vermutlich zu einer weiteren sprachlichen Ausdifferenzierung führt.

  17. “Als fiktionale Sprach ist Dothraki mäßig interessant – ihm fehlt die solide anti-typologische Exotik, die z.B. das Klingonische oder das Na’vi kennzeichnet.”

    Dothraki wird allerdings von Menschen gesprochen, nicht von außerirdischen Wesen wie Klingonen oder Na’vi. Entsprechend gehe ich nicht davon aus, dass ausgesprochene typologische Exotik hier notwendigerweise ein Designziel war/sein muss.

  18. Synonyme für “lieben”

    Aus dem Duden online:

    Synonyme zu lieben:
    anbeten, gernhaben, hängen an, ins Herz geschlossen haben, lieb haben, mögen, sein Herz verloren haben, vergöttern, verliebt sein, vernarrt sein; (gehoben) verehren, zärtliche Gefühle hegen, zugetan sein; (umgangssprachlich) anhimmeln, eine Schwäche/Vorliebe haben, etwas übrighaben für, schwärmen; (umgangssprachlich) abfahren auf, Feuer und Flamme sein, toll finden, verrückt sein auf/nach; (umgangssprachlich, besonders Jugendsprache) stehen auf

    Plus 29 synonym verwendbare Phrasen/Wörter für Sex (und das dürften bei Weitem nicht alle sein).

    Ihrer Herleitung zufolge wären wir ein sehr liebloses Volk, was ich nicht so recht glauben möchte.

  19. @D. Müller, Marén: Das sind alles keine Synonyme für „lieben“, sondern nur lose bedeutungsverwandte Wörter. Die Redewendungen, die Phaeake nennt, sind da schon näher dran.

    @Phaeake: Die verschiedenen Arten der Liebe — wäre eine interessante Frage, ob es Sprachen gibt, die hier unterscheiden (dass Schwanitz allerdings das Konzept der romantischen Verliebtheit auf Shakespeare zurückführt, zeugt von einer erstaunlichen Unkenntnis der romantischen Literatur vor und außerhalb des elisabethanischen England. Aber nun, der Mann war anglistischer Literaturwissenschaftler). Die Frage nach dem Zusammenhang mit der äußerlichen Wahrnehmbarkeit ist ebenfalls interessant, man müsste das mal systematisch untersuchen.

    @Nathalie: Ja, für das ausdifferenzierte Geschlechtsverkehrvokabular würde ich diese Argumentation sofort unterschreiben.

  20. @ Marén: Lieblos

    Tät ich auch lieber nicht glauben, aber schauen wir uns mal um: Wenn irgendwo eine Aussage gegen Rassismus, Frauenfeindlichkeit, Homophobie o.ä. gemacht wird und die Autorin die Dreistigkeit besitzt, diese (oder beliebige andere) Spielarten von Diskriminierung schlechtzuheißen und Mitgefühl mit den Opfern zu äußern, kriegen Sie sofort einen Sturm hasserfüllter Kommentare, die das für unsinnig oder gefährlich halten oder jede (vermeintliche) Besserbehandlung der Diskriminierten strikt ablehnen. Ein Beispiel ist der Zeit-Artikel über die Gedenkfeier für die Opfer der NSU (hier). Die übelsten Äußerungen sind von der Moderation ziemlich schnell gelöscht worden, aber da weht so viel Hass oder wenigstens Missgunst durch die Kommentare, dass ich keine Probleme habe, die Deutschen für ein großenteils liebloses und egozentrisches Volk zu halten.
    Inwieweit man aus dem Vokabular ohne weiteres solche Schlüsse ziehen kann, weiß ich nicht. Da muss man wahrscheinlich vorsichtig sein…

  21. Eigentlich zeigt doch schon der Ort, an dem “Romeo und Julia” sich zuträgt, von wem die Engländer das Verliebtsein gelernt haben…

  22. Die größte deutsche Tragödie

    handelt von einem sehr sprachaffinen deutschen Hochschullehrer. Sie beginnt mit der Suche nach der treffendsten Übersetzung des altgriechischen Wortes ‘logos’. Das mit dem notgeilen alten Sack will ich überhört haben.

    Ob es nun Shakespeare, Catull oder Sappho die erste präzise Beschreibung des Verliebtseins geleistet hat, finde ich gar nicht so wichtig. Bedeutender erscheint mir, dass eine Sprachgemeinschaft recht weit entwickelt sein muss, um hierfür das Vokabular zu entwickeln. Jedenfalls weiter als, die thematisiert, dass man Mammut tot gemacht habe.

  23. @ A.S.: Die Begründung a), dass die
    verschiedenen Tötungsarten zu vielen Synonymen führen, leuchtet unmittelbar ein, die Begründung b) mit der Tabuisierung muss differenziert werden. Denn auch “lieben” kann tabuisiert werden, und zwar nicht nur die körperliche Form. Davon zeugen Synonyme und eng sinnverwandte Wendungen wie “(voll) abfahren auf” (ein 16-Jähriger redet selten offen über Gefühle, jedenfalls solche) oder tiefstaplerische Ausdrücke wie “gern haben” (muss kein Synonym für “lieben” sein, kann es aber, wenn der Sprechende z. B. fürchtet, ausgelacht zu werden). Und natürlich gibt es etliche romantisierende Metaphern.

  24. Liebe und Sex

    Für „lieben“ im engeren Sinne gibt es tatsächlich keine oder nur sehr wenige wirkliche Synonyme bzw Periphrasen (behaupte ich).

    Für „Sex haben“ dagegen schon, Beispiele haben andere vor mir schon ausreichend gegeben.

    Das Problem ist hier wohl, dass (eine der Bedeutungen von) „lieben“ oder „liebe machen“ eine Periphrase für „Sex haben“ ist, statt dass „Sex haben“ eine von „lieben“ ist.

    Genau das bestätigt aber Anatols Hypothese, dass eine Sprache vor allem zu tabuisierten Themen eine ganze Fülle von Umschreibungen mit und ohne Konnotation hervorbringt. Und im Gegensatz zum Konzept der „seelischen“ Liebe ist das der körperlichen im Deutschen heute wie damals extrem stark tabuisiert.

  25. @A.S.

    Ich war zu Recht immer bekannt als jemand, der Schwanitz für weit überschätzt hielt, aber hier muss ich ihn ein wenig in Schutz nehmen. Der Mann war schon hochgebildet und wusste sehr wohl um die Literatur zur Liebe [und zum Tod selbstverständlich – die beiden Themen der Literatur]. Als Shakespeare-Kenner wusste er natürlich, wo der größte Dichter aller Zeiten raubmordkopiert – ‘tschuldigung: Inspiration gefunden – hatte.

    Die Interpretation des von Phaeake paraphrasierten Satzes ist beinahe schon bösartig, ging es DS doch nur um eine Hyperbel bzgl. der Großartigkeit WS’. Ein rhetorischer Kniff somit.

    PS: Als gesellschaftlich bedeutsam, d.h. vom Ideal zur versuchten Realität übergegangen, würde ich die romantische Liebe übrigens erst dem Ende des 18. bzw. dem Beginn des 19. Jahrhunderts zuschlagen. Aber dieses weite Feld mache ich irgendwann mal bei mir im Blog auf.

  26. @Dierk

    Und ich habe Schwanitz immer für unterschätzt gehalten — gerade seinen unmittelbaren Kollegen (waren ja alles KollegEN, damals) ist es es schwergefallen, hinter seiner nicht zu leugnenden Eitelkeit und Öffentlichkeitsaffinität den höchst brillanten und vor allem originellen Denker zu erkennen. Er hätte es um ein Haar geschafft, mich von der Sprachwissenschaft weg zur Literaturwissenschaft zu bringen! Trotzdem zeigt nicht nur das hier diskutierte Zitat die Grenzen seines Denkens, auch seine Schriften und seine Vorlesungen haben immer deutlich gemacht, dass er zwar sehr belesen, aber auch sehr gefangen in bestimmten Strömungen der europäischen Geistes- und Kulturgeschichte war. Hyperbel hin oder her, ich habe von Schwanitz ganze Vorlesungen über die romantische Liebe gehört (schwer gestützt auf Luhmann), und da hat er die Liebe natürlich ebenfalls als Phänomen der Moderne dargestellt (und sich ebenfalls kräftig auf Shakespeare bezogen). Das kann man ja auch machen, wenn man Liebe genau auf das einengt, was die Literatur seit dem 18 Jahrhundert aus ihr gemacht hat. Aber das ist dann natürlich zirkulär (was Literaturwissenschaftler/innen allerdings noch nie gestört hat). Da Dopamin, Adrenalin, Endorphin und Cortisol aber deutlich älter sind als Shakespeares Stücke, bleibe ich mal bei meiner vor langer Zeit aufgestellten Arbeitshypothese, dass die Idee von (romantischer) Liebe als Erfindung der Moderne ihrerseits eine Erfindung von (europäischen, weißen) Männern mittleren Alters ist, deren Motive für jeden außer ihnen selbst offensichtlich sein dürften. Also: Schwanitz war großartig und sein viel zu früher Tod ist auch aus intellektueller Sicht bedauerlich, aber zu einem Experten in Sachen romantischer Liebe würde ich ihn nicht ernennen.

  27. @ Stefanowitsch

    Man mache dasselbe “open thesaurus”-Spiel mit “leben” und “sterben”. Man wird wenige Synonyme für’s Leben, aber viele für’s Sterben finden. Dasselbe bei “gelingen” (wenige Synomyme) – “scheitern” (viele).

    Also liegt doch der Verdacht nahe, dass positiv konnotierte Verben weniger Synonyme haben, als negative. Oder, metaphysisch-philosophisch gesprochen: der Möglichkeitsraum des Negativen, dessen, was nicht/noch nicht ist oder nicht sein soll, ist wesentlich weiter als der Raum des Positiv-Seienden – und die Sprache trägt dem Rechnung.

  28. Kann man das Thema “romatische Liebe in der englischen Literatur” sinnvoll diskutieren, ohne Chaucer mit ins Bild zu nehmen? Es kommt mir nach den Schilderungen so vor, als habe der bei Schwanitz nur ein Schattendasein gefristet, aber das kann ich mir eigentlich nicht so recht vorstellen.

  29. romatische Liebe

    Sollte natürlich “aromatische Liebe” heißen.

    Nebenbei gefragt: denkt Ihr, Schwanitz wollte mit seinem Bildungsbuch der Menschheit ernsthaft gutes tun oder sich eher subtil über diejenigen lustig machen, die es lesen?

  30. Es wäre hilfreich, wenn hier mal erläutert würde, wie Synonyme von bloß “bedeutungsverwandten” Wörtern abgegrenzt werden.

    “vergasen” und “ersticken” sollen synonym sein, “lieben” und “ins Herz schließen” jedoch nur bedeutungsverwandt?

    Kann man diese verschiedenen Kategorien so direkt vergleichen? Natürlich ist jede Handlung, die den Tod eines Lebewesens zur Folge hat, eine Form von “töten”. Ein wirklich simples Kriterium: Ist am Ende jemand tot, so hat man ein Synonym für “töten”. Übrigens wurden Synonyme für Selbsttötungshandlungen ausgelassen. (Wahrscheinlich weil es nicht so gut in das beabsichtigte Schema des Kriegerischen passt.)

    Was wäre das entsprechende Kriterium, das alle Synonyme für “lieben” verbindet? Was ist denn das, was “lieben” von “mögen” (und dergl.) unterscheidet? Muss man dafür das Wort “lieben” nicht definieren?

  31. Apples and oranges

    Verben für eine akute Handlung mit denen für einen chronischen Gemütszustand zu vergleichen ist von vornherein ein bisschen apfelbirnig. Ob lexemische Synonymfrequenz überhaupt eine Aussagekraft hat, lässt sich an diesem Paar ganz bestimmt nicht sinnvoll untersuchen.

  32. @Anatol

    Ich zitiere kurz aus einem deiner Kommentare:
    “@D. Müller, Marén: Das sind alles keine Synonyme für „lieben“, sondern nur lose bedeutungsverwandte Wörter. Die Redewendungen, die Phaeake nennt, sind da schon näher dran.”
    (https://scilogs.spektrum.de/…tphantasien#comment-37528)

    Laut Wikipedia kann man statt von Synonymie “auch von Bedeutungs-, Sinn- oder Verwendungsgleichheit, -ähnlichkeit oder -verwandtschaft sprechen”.

    Die Wörter deiner Beispielliste im Artikel bezeichnest du alle als Wörter für “töten”. Offenbar sind das für dich Synonyme, so interpretiere ich jedenfalls den oben zitierten Kommentar. Leider bleibt völlig unklar, was du meinst. Synonyme im Sinne von “Bedeutungs-, Sinn- oder Verwendungsgleichheit” können die von dir aufgeführten Beispiele nicht sein, zumindest nicht alle deiner Beispiele. “abstechen”, “erschießen” oder “vergiften” lassen sich nicht ohne weiteres austauschen. (Nebenbei bemerkt: Wenn man das Wort “erschießen” nicht hätte, müsste man sich mit einer Wortgruppe behelfen, etwa “mit einer Schusswaffe töten” – ist das noch eine Beudeutungs”verwandtschaft” oder geht das nicht weit darüber hinaus?)

    Schade, dass du sich dazu nicht äußern magst.

  33. lieben vs. abfahren/stehen auf etc.

    Ich weiß ja nicht, ob einige Autoren hier schon lange in einer monogamen, ereinigslosen Ehe stecken und deshalb keine Unterschiede mehr sehen, aber lieben und solche Ausdrücke wie abfahren auf oder stehen auf sind nicht annähernd bedeutungsverwandt und existieren mit Sicherheit nicht nur, weil 16-Jährige nicht gerne über Gefühle reden. Man kann übrigens auch noch mit 24 auf jemanden abfahren.

    Wenn also ein Junge auf ein Mädchen aus seiner Klasse abfährt, heißt das noch lange nicht, dass er sie liebt. Und wenn jemand sagt “ich stehe auf Jungs”, liebt er nicht die Gesamtheit aller Jungen.

  34. @stefle

    Wo ist der Link zum WP-Artikel, aus dem du die Definition für ‘synonym’ hast? Ist die dort versuchte Synonymisierung wissenschaftlich haltbar oder bloß Konversationslexikon? Ist die WP überhaupt eine letztgültige Quelle oder nur ein hilfreicher Startpunkt? Sind ‘Enzyklopädie’ und ‘Lexikon’ synonym?

  35. Ich würde den kurzen Ausschnitt, den ich zitiert hatte, nicht als Definition bezeichnen.
    http://de.wikipedia.org/wiki/Synonym
    (1. Absatz)

    Möglicherweise lässt sich der Begriff des Synonyms verschieden definieren. Mich würde vor allem interessieren, wie Anatol seine Beispelliste der Wörter für “töten” versteht. Den Begriff “Synonym” hat er später in einem Kommentar verwendet.

    Du musst deine Frage Anatol stellen.

  36. Die staunende Fachwelt

    Herr Professor, obwohl ich nur ein einfaches Bauernmädchen bin, darf ich dennoch zitieren, was die Fachwelt zu diesem abgefrühstückten Thema zu sagen hat?

    Jan Henrik Holst
    Einführung in die eskimo-aleutischen Sprachen
    Hamburg, 2005
    Seite 169f

    Im Wortschatz jeder Sprache kommt es zu einer Anpassung an die Umwelt: Für Dinge, über die oft gesprochen wird, entwickelt sich eine entsprechende Terminologie. In den Eskimo-Sprachen gibt es u. a. über den Walfang, den Fischfang und das Klima der Arktis einen elaborierten Wortschatz. Das berühmteste Beispiel ist die Möglichkeit, viele Sorten von Schnee zu unterscheiden. Dorais (1990:205) [Dorais, Louis-Jacque: The Canadian Inuit and their language. In: Collis (1990), Seite 185-289)] hat aus zwei Wörterbüchern von Lucien Schneider die folgenden Schnee-Wörter im Arctic Quebec Inuktitut zusammengestellt:

    qanik: fallender Schnee
    qanittaq: vor kurzem gefallener Schnee
    aputi: Schnee auf dem Boden
    maujaq: weicher Schnee auf dem Boden
    masak: nasser fallender Schnee
    matsaaq: halbgeschmolzener Schnee auf dem Boden
    aqilluqaaq: Treiben von weichem Schnee
    sitilluqaq: Treiben von hartem Schnee
    kaviRisiRlaq: durch Regen und Frost rauh gewordener Schnee
    pukak: kristallener Schnee auf dem Boden
    miNuliq: feiner Mantel von pudrigem Schnee
    natiRuvaaq: feiner von Wind getragener Schnee
    piiRtuRiniq: dünner Mantel von weichem Schnee auf einem Objekt
    qiqumaaq: Schnee, dessen Oberfläche gefroren ist
    katakaRtanaq: harte Kruste von Schnee, die unter Fußstapfen nachgibt
    aumannaq: Schnee im Begriff zu schmelzen, auf dem Boden
    aniu: Schnee zum Herstellen von Wasser
    SiRmiq: schmelzender Schnee als Baumaterial für ein Schneehaus
    illusaq: Schnee benutzbar zum Bauen eines Schneehauses
    isiRiaRtaq: gelber oder rötlich fallender Schnee
    kiniRtaq: kompakter Schnee
    maNNUq: schmelzender Schnee
    qannialaq: leicht fallender Schnee
    qanniapaluk: sehr leicht fallender Schnee, noch in der Luft

    Ich selbst kenne nur den Osten Grönlands. Wenn man da von Siedlung zu Siedlung reist, erfährt man noch viel solcher Wörter, die an die Schneebedingungen des Ortes angepasst sind. Und die Menge ist örtlich immer viel größer als die Wörter oben in der Liste.

  37. Daß es in diesen Sprachen viele Wörter für Schnee – aber auch für Hitze und Schmerz -gibt, bestreitet ja niemand. Es gibt nur keine bestimmte endliche Zahl davon, sondern vielmehr potentiell unendlich viele. Einen aussagekräftigen Vergleich mit etwa dem Deutschen erhält man nicht dann, wenn man Eskimo-Aleutische Wörter mit den Wörtern die die erbärmliche deutsche Morphologie hergibt vergleicht, sondern dann, wenn man als Vergleichspunkt etwa die deutsche Nominalphrase hernimmt. Dann zeigt sich (wie auch die Übersetzungen Ihrer Beispiele schon nahelegen), daß das Deutsche mit Nominalphrasen für Schnee überreich gesegnet ist:

    -Schnee, der gestern gefallen ist
    -Schnee, in den jemand gepinkelt hat
    -Schnee, auf dem einmal ein Tanz stattfand
    -Schnee, auf dem zweimal ein Tanz stattfand
    -Schnee, auf dem dreimal ein Tanz stattfand

  38. grönländisch und schnee

    die antwort ist nicht gerade befriedigend. es existiert schon ein unterschied zwischen einem einem substantiv + nebensatz und einem zusammengesetzten wort.

    1. geht es erst mal darum, ob man sowas wie “durch frost rauh gewordener schnee” im deutschen sagt. das bezweifle ich. wenn die grönländer allerdings wert darauf legen, diese unterteilung durchzuführen, dann kann man diese beschreibung sehr wohl als einzelnes wort ansehen. im deutschen unterscheidet man vielleicht weichen schnee, harten schnee, matschigen schnee und schnee, der schlecht geeignet für die herstellung von schneebällen ist.

    im grönländischen scheint es aber zig weitere unterteilungen zu geben, die den deutschen egal zu sein.

    somit ist die aufführung all dieser begriffe gerechtfertigt und das leugnen dieser wortvielfalt ist lächerlich.

    2. findet man in der liste genug zweisilbige wörter, die wohl kaum aus einem adjektiv und substantiv entstanden sind. und selbst wenn sind sie jetzt feste wendungen. haben wir das wort “weichschnee” oder “hartschnee”? zumindest nicht im normalen sprachgebrauch. und wenn jemand auf einem bauernhof aufwächst und dort solche wörter wie “weichschnee” oder “rauh-durch-frost-schnee” kennelernt, dann sagt das EINIGES über das vokabular der grönländer aus.

  39. @krass

    Natürlich gibt es einen Unterschied zwischen zusammengesetzten Wörtern und Nebensätzen. In welcher Sprache man sich welcher Konstruktion behilft, sagt aber nichts darüber aus, wieviele verschiedene Arten Schnee sich wer vorstellen kann. Vielleicht sollten sie mal mit einem (deutschsprachigen) Schweizer Lawinenforscher sprechen, der hat trotz seiner mannigfaltigen Vorstellung verschiedener Schneetypen wahrscehinlich nur wenige Wörter parat, die nicht das Wort “Schnee” enthalten (Schwimmschnee, Schneewechte, Schneewehe, Triebschnee, Lockerschnee, Nassschnee, Neuschnee, Büßerschnee, Firmschnee). Natürlich gibt es auch solche Wörter (Harsch oder Sulz), aber selbst die lassen sich mit “~schnee” verwenden. Dass der Schweizer Lawinenforscher da so unflexibel ist, liegt nicht daran, dass er oder seine Landsleute zu wenig über Schnee nachdenken, sondern daran, wie in ihrer Sprache – dem Deutschen nämlich – Begriffe gebildet werden.

    Im Übrigen gibt es auch im Deutschen ein Wort für roten Schnee: Blutschnee. Das klingt ein bisschen gruselig, oder?

  40. die antwort ist nicht gerade befriedigend. es existiert schon ein unterschied zwischen einem einem substantiv + nebensatz und einem zusammengesetzten wort.

    Ich habe nicht behauptet, daß es keine Unterschiede gebe, sondern behauptet, daß man einen Teil dessen, was in einer Grammatik eskimo-aleutischer Sprachen vielleicht als Wort angesehen werden kann hinsichtlich seiner Ausdruckskraft (das habe ich allerdings nicht hinreichend deutlich gesagt) besser mit deutschen Nominalphrasen vergleicht, als mit deutschen Wörtern. Andere Eskimo-Wörter entsprechen gar ganzen deutschen Sätzen. Es ist naiv, anzunehmen, deutsche Wörter und eskimo-aleutische Wörter seien genau dasselbe, nur weil das Deutsche anscheinend zu wenig Wörter für “Wort” hat.

    Im Übrigen – das ist in meinem Kommentar nicht berücksichtigt, weil es mir, wie gesagt, hauptsächlich um ein vergleichbares Spektrum ausdrückbarer Sinne ging – kann man auch im Deutschen potentiell unendlich viele Schneewörter bilden, wie etwa A.S. im Folgebeitrag dargelegt hat.

    dann kann man diese beschreibung sehr wohl als einzelnes wort ansehen. im deutschen unterscheidet man vielleicht weichen schnee, harten schnee, matschigen schnee und schnee, der schlecht geeignet für die herstellung von schneebällen ist.

    im grönländischen scheint es aber zig weitere unterteilungen zu geben, die den deutschen egal zu sein.

    somit ist die aufführung all dieser begriffe gerechtfertigt und das leugnen dieser wortvielfalt ist lächerlich.

    Zunächst belegt eine Aufführung von Begriffen keine Wortvielfalt, aber das ist ein philosophisches Detail. Dann habe ich die Existenz einer unbegrenzten Anzahl von Wörtern für Schnee zugestanden. Darin kann ich beim besten Willen kein Leugnen einer Wortvielfalt erkennen.

    Entscheidend ist hier aber, daß diese Wortvielfalt nicht erstaunlich ist, sofern sie durch grammatische Regularitäten zustande kommt und nicht durch eine Unmenge von Wörtern konstituiert wird, die keinerlei regelhaften Bezug zueinander erkennen lassen. Das ist aber genau die Suggestion, die die Eskimo-Wörter für Schnee so attraktiv macht. Daß das Deutsche über zahllose Wörter für “Haus” (“Vorhaus”, “Haupthaus”, “Gartenhaus”, “Gotteshaus”, “Freudenhaus”, “Steakhaus”, “Backhaus” etc.) und ebenso für “Schnee” und eine üppige Zahl anderer Dinge verfügt, reißt ja auch keine alte Sau vom Hocker.

    Zu 2. hat zw0rk schon das wichtigste gesagt. Selbstverständlich kann es für Grönländer und Lawinenforscher sinnvoll sein, mehr Arten von Schnee begrifflich sauber zu trennen, als für den gemeinen Deutschen, dem vielleicht mehr an der klaren Unterscheidung zwischen Freuden- und Gotteshaus gelegen ist. Niemand bestreitet, daß es von Vorteil ist, über Dinge von alltäglicher Bedeutung klar reden zu können. Ein Problem gibt es, wie oben dargelegt, dann, wenn eskimo-aleutische Sprachen dargestellt werden, als seien sie in dieser Hinsicht eine bemerkenswerte Ausnahme und folgten nicht einfach der Regel.