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Alle Sprachgewalt geht vom Volke aus
Sprachlog

In den Kommentaren zu meinem Beitrag zu Adels- und akademischen Titeln hatte ich etwas voreilig einen Nachtrag zur deren tatsächlicher Verwendung versprochen, und da die Grünen nun den Doktortitel aus dem Personalausweis streichen wollen, ist es höchste Zeit, diesen Nachtrag Wirklichkeit werden zu lassen.

Zunächst will ich noch einmal kurz die Sach- und Rechtslage zu akademischen Graden und Adelstiteln zusammenfassen, die ich in meinem letzten Beitrag ausführlicher dargestellt hatte (Punkt 1 übernehme ich dabei weitgehend wörtlich aus meinem aktuellen Parallelbeitrag bei DE PLAGIO):

Akademische Grade existieren und dürfen von ihren Inhabern öffentlich geführt werden — auf Visitenkarten und Briefpapier, auf Praxis- und Firmenschildern und natürlich auf Wahlplakaten. Das gilt nicht nur für den Doktorgrad, sondern auch für den BA, den MA, den Dipl. usw. Tatsächlich ist es in Deutschland relativ unüblich, Grade öffentlich zu führen — den BA und MA führt kaum jemand (außer vielleicht auf einer universitären Webseite). Der Dr. wird schon häufiger geführt — von Wissenschaftler/innen aber häufig nur im universitären Kontext, und von vielen gar nicht. Am Durchgängigsten scheint mir der Dipl.-Ing. geführt zu werden.

Etwas verwirrend ist nun die Tatsache, dass der Doktorgrad als einziger akademischer Grad im Personalausweis und im Reisepass eingetragen werden kann (aber nicht muss). Das führt zu viel Verwirrung bezüglich der Frage, ob er damit zu einem „Namensbestandteil“ wird (Antwort: im rechtlichen Sinne nicht, im Alltagsverständnis sicher). Die Frage ist aber ohnehin nebensächlich, da sie keinerlei Auswirkungen auf das öffentliche Führen des Grades hat. Ich kann einen Grad führen oder auch nicht, egal, ob ich ihn im Personalausweis stehen habe oder nicht.

Nur eins darf ich nicht: einen akademischen Grad führen, den ich gar nicht erworben habe. Wer das tut, macht sich strafbar. Das ist auch gut so, denn wenn es nicht so wäre, könnten akademische Grade ihre eigentliche Funktion nicht erfüllen, nämlich etwas über die Qualifikation ihrer Träger/innen aussagen.

Adelstitel existieren nicht. Wer einen hatte, konnte diesen bei der Abschaffung des Adels 1920 zu einem Teil des Nachnamens machen. Aus einem Freiherrn Hans zu Musterburg wurde dadurch ein Herr Hans Freiherr zu Musterburg. Ein Freiherr ist er dadurch nicht, ebensowenig, wie ein Herr Müller-Lüdenscheidt ein Müller oder eine Frau Koch-Mehrin eine Köchin ist.

Etwas verwirrend ist höchstens, dass die ehemaligen Adelstitel, anders als andere Namen, nach Geschlecht dekliniert werden — die Frau von Herrn Hans Freiherr zu Musterburg hieße z.B. Frau Erika Freifrau zu Musterburg, Frau Koch-Mehrin heißt dagegen eben nicht Frau Köchin-Mehrin. Aber das macht diese Namensteile nicht zu Adelstiteln, sondern eben zu einem deklinierbaren Namen (man vergleiche russische Nachnamen, die ebenfalls an das Geschlecht ihrer Träger/innen angepasst werden — Michail Gorbatschow, aber Raissa Gorbatschowa).

Diese Nachnamen können natürlich ebenfalls auf Visitenkarten, Praxisschildern oder Wahlplakaten stehen. Manchen Menschen sind diese Namensbestandteile (vielleicht wegen der Assoziation mit den ex-adligen B-Promis aus dem Privatfernsehen) unangenehm und sie lassen sie weg. Sie lassen dann aber keinen „Adelstitel“ weg, wie oft — in atemloser Ehrfurcht vor soviel edelmännischer Bescheidenheit — behauptet wird, sondern einen Teil ihres Namens. Eben so, als ob eine Frau Koch-Mehrin sich Frau Mehrin nennen würde.

Da es Adelstitel nicht gibt, darf sie jeder führen ohne sich strafbar zu machen (solange er dabei keine existierenden Namensrechte verletzt). Ich kann mich Anatol Graf zu Ottensen — oder sogar Graf Anatol zu Ottensen — nennen und das, wenn ich unter diesem Namen künstlerisch tätig bin, sogar in meinem Personalausweis eintragen lassen.

Beim alltäglichen Umgang mit (echten) akademischen und (vermeintlichen) Adelstiteln verhält es sich kurioserweise genau umgekehrt zur Rechtslage. Sowohl die Träger akademischer Grade selbst als auch die Sprachgemeinschaft insgesamt lässt diese Titel häufig unter den Tisch fallen, bzw. gesteht sie Ärzten (ob promoviert oder nicht) als Berufsbezeichnung zu. Die ehemals adligen Namensbestandteile der ehemaligen Adligen werden dagegen unbeirrt als tatsächliche Adelstitel tatsächlicher Adliger verwendet.

Ein schönes Beispiel dafür ist die Zeitung Main-Post, deren Einzugsgebiet unter anderem die fränkische Heimat des Nicht-Doktors und Nicht-Adligen Karl Theodor Freiherr zu Guttenberg umfasst. Die Zeitung hat ein gewisses Bewusstsein für dieses Thema (um nicht zu sagen, eine Besessenheit). So hat sie sich schon im August 2009 — das Zeitalter der enttarnten Plagiator/innen war noch in weiter Ferne — mit der Frage befasst, was „eine Promotion heute noch wert“ sei.

Schon damals stellte man die irrige Behauptung auf, Doktortitel wären ein deutsches Spezifikum (siehe dazu meinen oben verlinkten Beitrag auf DE PLAGIO). Vor allem aber mahnte man fast visionär einen sorgfältigeren Umgang der Universitäten mit „Schmalspur-Arbeiten ohne Erkenntniswert und Anspruch an.“

Als Guttenberg dann seinen Titel „zurückgab“, war das für die Main-Post Anlass, zu erklären, warum man den damaligen Verteidigungsminister ebenso wie alle anderen Promovierten in der Zeitung selten oder nie mit diesem Titel bezeichnete:

Dahinter steckt keine Missachtung, sondern ein journalistisches Ordnungsprinzip, das für Gleichbehandlung sorgen soll. …

Dr. wird in der Zeitung dann zum Namen hinzugefügt, wenn es ein Beitrag über den Titel selbst oder seinen Erwerb ist. Eine Nachricht könnte die Nennung ebenfalls herausfordern, etwa wenn nur das Dr.-Fachgebiet erschließt, warum eine bestimmte Person eine Aufgabe übernimmt … Mindestens einmal erscheint in solchen Fällen der Dr. im Text, meist bei der ersten Erwähnung. Fehlt er trotzdem, liegt es oft daran, dass der Träger des Titels keinen Wert auf die Nennung legt. Auch das gibt es häufig.

Vor der Einführung der Dr.-Regel herrschte ein Durcheinander, das ständig für Verdruss gesorgt hat. Beim Einen stand er dabei, der Titel, beim Anderen nicht. …

Der grundsätzliche Verzicht kommt nun der nüchtern gehaltenen Nachrichtensprache entgegen. [Main-Post, 27. August 2009]

Soweit, möchte man zunächst denken, so gut. Niemand kann oder will eine Zeitung oder sonst jemanden dazu zwingen, die akademischen Grade derer zu nennen, über die man schreibt. Wenn Bildung von einer Gesellschaft nicht aus sich selbst heraus als ein Wert wahrgenommen wird, den es lobend zu erwähnen gilt, dann ist das eben so.

Auch die Regel, akademische Grade nur dann zu nennen, wenn sie inhaltlich relevant sind, ist im Prinzip vernünftig. So halte ich selbst es auch mit meinen eigenen Titeln und Amtsbezeichnungen und mit denen von Kolleg/innen. Auf meiner universitären Webseite stehen sie, auf meinen privaten Webseiten nicht, im Sprachlog stehen sie in der Rubrik „Zur Person“, damit Leser/innen (wenn es sie genügend interessiert, um danach zu suchen) erfahren können, woher ich meine Fachkenntnisse über Sprache habe.

Leider macht die Main-Post diese scheinbar so rationale Titelpolitik damit kaputt, dass sie ex-adlige Namensbestandteile gerne und häufig so behandelt, als seien es tatsächlich Adelstitel.

Zeigen wir das am Beispiel von Guttenberg, dessen Nachname das Wort „Freiherr“ enthält. So verwendet man dessen Namen korrekt:

Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg hat viel abgeschrieben und übernommen. Zu viel, ohne Herkunftsangabe und in vorsätzlicher Absicht. [Link]

„Nach eingehender Würdigung der gegen seine Dissertationsschrift erhobenen Vorwürfe stellt die Kommission fest, dass Herr Freiherr zu Guttenberg die Standards guter wissenschaftlicher Praxis evident grob verletzt und hierbei vorsätzlich getäuscht hat“, erklärte die Universität Bayreuth am Freitag. [Link]

Die erste Verwendung findet sich auch durchaus in der Main-Post, die zweite nur in dem Zitat der Universität Bayreuth.

Gerne verwenden die Zeitung und die dort Zitierten das Wort Freiherr aber auch direkt als Anrede:

„Er steht nur für eines, nämlich die CSU, und dieses Qualitätsmerkmal war sogar bei Freiherr zu Guttenberg zu wenig“, sagte Rinderspacher. [Link]

Und noch lieber als alleinstehenden Adelstitel:

Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU): Der Freiherr aus Franken ist der Shootingstar in der deutschen Politik… [Link]

Zahlreiche Sozialdemokraten gingen da schon weiter; sie verlangten den Rücktritt des Freiherrn: … [Link]

Und manchmal rutscht es den Redakteuren, die doch bei Doktortiteln so prinzipientreu sind, sogar vor den Vornamen:

Seit der Keiler, dessen Namenspatron Freiherr Karl-Theodor zu Guttenberg und Pate die CSU-Stadtratsfraktion ist, im Wildpark Schweinfurt lebt, gab es in einem Frühjahr noch nie mehr als die Rekordzahl von 40 Frischlingen. … [Link]

So bleibt eben doch der Eindruck, dass man tatsächliche, erarbeitete Würden bei der Main-Post weniger schätzt als imaginäre, ererbte Würden. Und die Main-Post ist hier nicht untypisch — man findet eine ähnlich verkehrte Titel-Welt bei vielen Zeitungen.

Was können wir dagegen tun? Ich stelle zwei Vorschläge zur Diskussion (die sich nicht ausschließen).

Erstens: Wir ehrlichen Träger akademischer Titel sollten mit diesen nicht länger so bescheiden umgehen. Eine Dissertation — ganz gleich, ob in Philosophie oder Pharmazie, Queer Studies oder Quantenphysik — ist ein hartes Stück Arbeit. Warum verstecken wir diese Leistung? Und das gilt nicht nur für Doktorgrade: ein Hochschulstudium — egal, ob mit BA, MA, Staatsexamen oder Diplom abgeschlossen — ist ein hartes Stück Arbeit. Tragen wir auch diese Grade mit Stolz. Und auch andere Qualifikationen — Industriekaufmann, Klempnermeisterin, staatlich geprüfter Grafiker — sind ein hartes Stück arbeit. Tragen wir auch diese Berufsbezeichnungen offen und offensiv.

Zweitens: Bringen wir die Abschaffung des deutschen Adels von 1920 konsequent zu Ende. Streichen wir die Namensbestandteile, die sich aus ehemaligen Adelstiteln ableiten endgültig. Machen wir ein für alle Mal Schluss mit der Vorstellung, dass „Abstammung“ eine gesellschaftlich relevante Kategorie sei.

Wer einen Titel tragen will, soll ihn sich ehrlich verdienen. Und wer sich einen Titel ehrlich verdient hat, soll ihn auch tragen.

 

© 2011, Anatol Stefanowitsch

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Nach Umwegen über Politologie und Volkswirtschaftslehre habe ich Englische Sprachwissenschaft und Sprachlehrforschung an der Universität Hamburg studiert und danach an der Rice University in Houston, Texas in Allgemeiner Sprachwissenschaft promoviert. Von 2002 bis 2010 war ich Professor für Englische Sprachwissenschaft an der Universität Bremen, im August 2010 habe ich einen Ruf auf eine Professur für anglistische Sprachwissenschaft an der Universität Hamburg angenommen. Mein wichtigstes Forschungsgebiet ist die korpuslinguistische Untersuchung der Grammatik des Englischen und Deutschen aus der Perspektive der Konstruktionsgrammatik.

22 Kommentare

  1. In Österreich bleibt Frau Erika eine Freiherr zu Musterburg. Das ist insofern konsequent, da eine Eva Hermann auch nicht zur Eva Herfrau oder genauer Eva Damenfrau wird (ja, dafür fehlt das zweite r).

    Im Russischen wird dagegen wirklich (alles) durchdekliniert, Sachen enden auf o, Weiber auf a und Kerle auf nix, es sei denn, sie tappen in eine(n) Fall(e), dann wird aus einem Maik im Singular Genitiv auch mal schnell ein(e) Maika.

    Zu Deinem ersten Lösungsvorschlag verweise ich auch gerne auf unsere südlichen Nachbarn, in Österreich wird dies großflächig praktiziert – obwohl hier der angeheiratete Part dann doch den Titel häufig mitübernimmt.

  2. Die arme Frau von Sinnen!

    Allerdings würde dann ein “Verbot” dieser Praxis gleichzeitig ein Verbot der Künstlernamen nach sich ziehen. Wer kann schon prüfen ob einer den Adelstitel nicht als Künstlername beibehält?

  3. Anatol Graf zu Ottensen…

    …klingt aber wiklich gut!

    “So bleibt eben doch der Eindruck, dass man tatsächliche, erarbeitete Würden bei der Main-Post weniger schätzt als imaginäre, ererbte Würden. “

    Ein plausibler Grund dafür wurde ja erwähnt:

    ‘Vor allem aber mahnte man fast visionär einen sorgfältigeren Umgang der Universitäten mit „Schmalspur-Arbeiten ohne Erkenntniswert und Anspruch an.“’

    Man kann auch ganz ohne Plagiat ein dünnes Brett bohren. Erkenntniswert schnuppe, aber Titel im Pass. Zulasten derer, welche von wissenschaftlicher Neugier getrieben, neue Erkenntnisse hart erarbeiten. Das ist ja oft schwer zu unterscheiden.

    Dagegen hat doch ein ‘namifizierter’ ehemals zu recht getragenen Adelstitels einen gewissen historischen Informationsgehalt.

  4. „Er steht nur für eines, nämlich die CSU, und dieses Qualitätsmerkmal war sogar bei Freiherr zu Guttenberg zu wenig“

    Das ist ein schlechtes Beispiel, immerhin werden Nachnamen häufig ohne Anrede verwendet.

    “Diese Erkenntnis ist ausnahmsweise auch zu Merkel durchgedrungen.” etc.

  5. Erstens ist gut: Warum eigentlich nicht den akademischen Grad wenigstens in bestimmten Situationen des Auftretens nutzen?

    Das werde ich mir jetzt wirklich einmal überlegen – auch, wenn ich gar nicht in meinem MA-Berufsfeld arbeite.

  6. Geht es um Recht oder um Sprache?

    Bei den letzten beiden Beiträgen könnte man meinen, sich in einem Rechtsblog zu befinden.

    Was interessiert mich in meinem sprachlichen Äußerungen, was interessiert die Sprachgemeinschaft, welche Titel, Amts- und Berufsbezeichnungen durch § 132a StGB geschützt sind oder nicht; was das Namensrecht zu ehem. Adelstiteln sagt; was die Bestimmungen zu Personalausweisen und Pässen sagen?

    Wer diesen Blog verfolgt, weiß doch, daß die Sprachgemeinschaft die oberste Instanz für die Sprache ist.

    Ich rede meinen Arzt als “Herr Doktor”, meinen Zahnarzt aber nicht als “Herr Zahnarzt” an, obwohl beide Bezeichnungen strafrechtlich geschützt sind.

    Wenn ich jemanden vorstelle sage ich “Herr Schulze”, “Frau Meier”, “Dr. Müller”, “Botschafter Kunze”, “Bischof Huber”, “Prinz von Hannover” usw. Wenn ich diese Personen anrede, sage ich “Frau Meier”, “Herr Botschafter” oder “Exzellenz”, “Herr Bischof” oder “Eminenz”, “Prinz” oder “Prinz Ernst August” usw. Wer will, kann auch “Hoheit” oder “königliche Hoheit” sagen, na und?

    Als Anrede haben Titel, Amts- und Berufsbezeichnungen natürlich den großen Vorteil, daß man sich nicht unbedingt den Namen merken muß. Wenn mir einfach nicht der Name einfällt, sage ich notfalls auch “Herr Zahnarzt”, “Herr Rechtsanwalt” oder “Herr Diplomingenieur”. Ich würde allerdings kaum “Herr öffentlich bestellter Sachverständiger” sagen, obwohl auch diese Bezeichnung durch das StGB geschützt ist.

    Hierzu eine allgemeine Aussage zum Gebrauch der “Sprachgemeinschaft” zu machen, dürfte wohl etwas schwierig sein, würde zu einem “Sprachblog” aber besser passen als rechtliche Erwägungen.

    Bevor man apodiktische Aussagen wie “Adelstitel existieren nicht” macht, sollte man sich in der Sprachgemeinschaft umhören. Natürlich “existieren” Adelstitel, jedenfalls bei einigen Angehörigen der Sprachgemeinschaft.

    Am Sprachgebrauch bestimmter Zeitungen zu kritteln, ist eben auch nichts anderes als Sprachnörgelei.

  7. @Nörgler

    Wie so oft weiß ich nicht, worauf Sie hinaus wollen. Hier ging es darum, Rechtslage und Sprachgebrauch gegenüberzustellen, weshalb ich das im Beitrag auch explizit sage. Dass es im Sprachgebrauch Adelstitel gibt, war eine der zentralen Aussagen dieses Beitrags. Meine abschließenden Fragen zielen darauf ab, wie man den eigenen Sprachgebrauch oder das Namensrecht verändern kann, um bestimmte Prozesse in Gang zu setzen.

    Zur Frage Rechtsblog vs. Sprachblog — Sie sind doch lange genug dabei, um zu Wissen, dass ich mir meine Themen ungern vorschreiben lasse.

  8. @Nörgler

    Was.Für.Ein.Unsinn.

    Selbstverständlich könnte man sich – wenn man sonst auch kein Leben hat – darüber streiten, ob Adelstitel abgeschafft sind oder die damit zusammenhängenden Privilegien, Rechte und Pflichten. Man könnte aber auch Textverständnis aufbringen und Kontexte analysieren – wie es, nebenbei bemerkt, jener sprichwörtliche ‘Mann auf der Straße’ [und mit Sicherheit seine Frau!] täglich immer wieder tut.

    Mag sein, dass Oma Hedwig, Fräulein Susi und Nörgler einen Guttenberg immer noch als Freiherrn oder Baron sehen. Und es mag sein, dass Sie dies mit irgendeiner Gott gegebenen Sonderheit begründen wollen. Das ändert aber überhaupt nichts daran, dass es in Deutschland schon fast 100 Jahre keinen Adel mehr gibt und damit auch nicht deren hierarchische Bezeichnungen als eben diese Bezeichnungen.

    Sie werden lachen, aufgeregt sicherlich, aber es gibt tatsächlich falsche sprachliche Verwendung. Was m.W. auch keine einzige linguistische Schule ernsthaft bestreitet. Und es macht einen Unterschied, ob es um morphologische, phonologische, syntaktische, semantische Verschiebungen geht oder rechtliche Einschätzungen und deren Konsequenzen. Die unterschiedliche Festigkeit von Begriffen ist ein interessantes Studienfeld: Warum halten sich bestimmte Bedeutungen sehr gut, wieso verschieben sich andere sehr schnell und immer wieder? Über Stilistik gar nicht zu reden.

    Sollten Gerichte, ihr Argument konsequent weiter gedacht, Betrug nach gesundem Sprachgefühl oder nach gesetzlicher Definition beurteilen?

  9. Beruf oder Berufung?

    Der erste Vorschlag gefällt mir nicht so gut, weil ich befürchte, dass die Leute ihren sozialen Status dann noch mehr an ihren Berufen festmachen werden. Mir war es schon als Kind ein Graus, wenn andere sich „aufplusterten“ mit MEIN VATER ist …….. oder Mütter sagen hörte MEIN MANN ist……und arbeitet bei (Name der renommierten Firma). Selten hörte ich jemand sagen, MEINE Mutter ist….alleinerziehend, berufstätig und hat vier Kinder groß gezogen. Auch eine bewundernswerte Leistung, wenn auch nicht rein beruflicher Art. Bei gleichen schulischen Leistungen kommt das Kind mit Akademiker-Eltern z. B. Ärzte oder Lehrer viel eher aufs Gymnasium, als das ohne. Die Folge ist, dass gerade in Deutschland der Anteil an Studenten die aus sogenannten „bildungsfernen“ Schichten stammen sehr gering ist im Vergleich zum europäischen Ausland. Das gleiche Spiel sieht man dann bei der Stipendienvergabe der großen Studienstiftungen.

    Ich kann mich noch erinnern, wie mir eine Französischlehrerin, die einen Schüleraustausch mit Frankreich organisierte, erzählte das sie darauf achte, dass die Väter der deutschen Schüler und der französischen Gastfamilien einen ähnlichen Beruf/beruflichen Status haben. Die Tochter des deutschen Malermeisters konnte also nicht in die Familie des Uni-Professors. So hat sie das auf jeden Fall mit den deutschen Schülern gehandhabt, die nach Frankreich gingen. Sie sagte mir, sie mache das wegen der französischen Gastfamilien, die darauf viel Wert legen würden. Ob das stimmt, weiß ich nicht. Auf jeden Fall schrecken mich diese Dinge ab.

  10. @Joe Dramiga

    Ach, wenn Kinder sich doch bloß mit den akademischen Weihen ihrer Eltern aufplustern würden! Das wäre doch mal eine schöne Abwechslung vom Aufplustern mit dem Geld ihrer Eltern.

    Aber ernsthaft: Die soziale Schieflage im Bildungssystem hat doch nichts damit zu tun, ob wir unsere Qualifikationen nennen, oder nicht. Bisher sind wir damit in Deutschland eher zurückhaltend, und trotzdem korreliert Bildung mit Einkommen.

    Wenn jemand ernsthaft glaubte, ein akademischer oder sonstiger Abschluss mache ihn zu einem besseren Menschen (statt eben nur zu einem auf eine bestimmte Art qualifizierten), dann müsste man ihn dafür öffentlich auslachen.

    Aber dass uns unsere (Aus-)Bildung in Deutschland ganz allgemein eher peinlich zu sein scheint, als das wir stolz darauf wären, ist doch eine Diskussion wert.

  11. Das fränkische Lokalblatt passt sich mit seiner Handhabung akademischer Grade lediglich an die entsprechenden Richtlinien der deutschsprachigen Nachrichtenagenturen an und grenzt sich damit wohltuend von jenen Postillen ab, die jeden Provinzpolitiker mit einem zumeist vor Jahrzehnten in einem für ihre politische Arbeit nicht relevanten Thema promoviert haben, permanent mit Dr. benamsen und leider obendrein auch deren Politik als unfehlbar hinstellen – ist doch ein “Herr Doktor”. Grausig. Namen bestehen aus Vor- und Nachnamen, sieht man von historischen und exotischen Praxen wie Patronymen ab.

  12. Rückschritt?

    Berufsbezeichnungen öffentlich führen? Muß das sein? Auch wenn man sie reduziert als durch Prüfungen erworbene, so bleibt mir nur, mit Tucholsky zu sagen: “Man kann die Laternen auch aus der Zentrale einschalten.”

  13. @A.S.

    Sehr geehrter Herr Professor,

    Gott hehüte! Nichts läge mir ferner, als Ihnen vorschreiben zu wollen, welche Themen Sie in Ihrem eigenen Sprachblog ansprechen.

    Ich war nur etwas enttäuscht: Sie hatten ja auf die Frage von Joachim angekündigt, die Frage des Sprachgebrauchs bei akademischen Graden und ehem. Adelstiteln näher behandeln zu wollen. Das haben Sie zwar andeutungsweise getan, nach meinem Empfinden aber doch sehr kursorisch.

    Außerdem behandeln Sie den Sprachgebrauch bei “Adelstiteln” mit deutlich kritischem Unterton (“Und manchmal rutscht es den Redakteuren, …”), und Sie machen Vorschläge, die letztlich darauf abzielen, diesen Sprachgebrauch zu ändern.

    Auch das ist natürlich Ihr gutes Recht. Allerdings empfinde ich in diesem “präskriptiven” Ansatz einen gewissen Widerspruch zu Ihren sonstigen, betont “deskriptiven” Argumenten, soweit sie auf die “Sprachnörgler” abzielen. In diesem Zusammenhang berufen Sie sich gerne auf die “Sprachgemeinschaft”, die so oder so “sich entschieden” habe, und stellen die Bemühungen der “Sprachnörgler”, den Sprachgebrauch zu beeinflussen als Beweis völliger Weltfremdheit und Verblendung dar.

  14. “ein Hochschulstudium — egal, ob mit BA, MA, Staatsexamen oder Diplom abgeschlossen — ist ein hartes Stück Arbeit. Tragen wir auch diese Grade mit Stolz”
    Wobei das Staatsexamen kein akademischer Grad ist, sondern nur der Name der Abschlussprüfung.

  15. @Robroy

    Richtig, wobei 2 bestandene Examen sowohl bei Juristen, als auch bei Lehrern die Möglichkeit der Führung der Berufsbezeichnung Assessor ermöglichen, ohne das man den Beruf auch wirklich ausübt. Weiß allerdings auch kaum einer was damit gemeint ist.

    Die zweite Möglichkeit müsste im Sinne des Beitrags noch nach rechtlicher und alltagssprachlicher Benutzung differenziert werden. Bei Fritz “von” Thurn und Taxis ist es den Leuten auch egal, dass der eigentlich gar nicht so heißt.

  16. Bergassessor

    Der wichtigste “Titel” des Kohleadels, jedenfalls im Ruhrgebiet, war früher der “Bergassessor a.D.”. Jedenfalls fehlte er in keiner einschlägigen Todesanzeige.

    Es hat mich immer gewundert, warum diese Bezeichnung bei einem ehemaligen Bergwerksdirektor oder gar Konzernchef überhaupt für erwähnenswert gehalten wurde.

  17. Widerspruch?

    Beim alltäglichen Umgang mit (echten) akademischen und (vermeintlichen) Adelstiteln …

    Im vorherigen Beitrag hieß es dazu:

    Zunächst haben sie eines gemeinsam: Beide existieren in Deutschland nicht.

  18. Adelstitel als Namensbestandteil

    Mich wundert die ablehnende Grundhaltung gegenüber den Adelstiteln als Namensbestandteil in diesem Artikel. Anatol, einerseits schreibst Du selbst, dass ehemalige Titelträger 1920 die Möglichkeit hatten, diesen Titel als Namensbestandteil zu übernehmen, andererseits beschwerst Du Dich, dass Zeitungen dann diesen Namen auch so verwenden.

    Was spricht denn dagegen? Ein Name ist nun einmal etwas vererbtes, und man muss mit den Vor- und Nachteilen leben, ohne dass man dazu etwas kann. Ein Herr von Glücksburg hat sich seinen wohlklingenden Namen auch nicht “erarbeitet”, während die Kinder von Frau Möse spätestens in der Pubertät unter ihrem Namen leiden werden, egal wie intelligent und nett sie sind. Und wenn sich ein Herr Yildirim auf eine gutbezahlte Stelle bewirbt, ist es nicht unwahrscheinlich, dass er sie wegen seines Namens nicht bekommen wird.

    Da sind Adelstiten im Namen das kleinste Problem, wenn überhaupt eins. Es muss einem nur bewusst sein, dass sie ausschließlich Namensbestandteile sind, mehr nicht. Ich finde sie aber als Teil unseres kulturellen Erbes durchaus bereichernd, zumal sie nicht besonders häufig sind. Und nein, ich lese nicht die Gala, und ich habe auch nicht die Hochzeit von Haste-nicht-gesehen im Fernsehen verfolgt.

    Zeitungen wie die Main-Post sind dahingehend nur konsequent, wenn sie die Leute so benennen, wie sie heißen. Eben weil es “nur” ein Name ist und kein Qualitätsmerkmal – im Gegensatz zu einem Doktortitel, mit dem man gleich etwas sehr ernstes assoziiert.

  19. @Michael Kuhlmann

    Nein, ich beschwere mich nicht über die Verwendungen, bei denen der „Adelstitel“ als Teil des Nachnamens verwendet wird, also nach dem Schema [ANREDE + VORNAME + „ADELSTITEL“ + REST DES NACHNAMENS]. Ich „beschwere“ mich über die Verwendungen, wo so getan wird, als handle es sich eben nicht um einen Teil des Nachnamens, sondern eben um einen Titel, wie in den zitierten Beispielen. Guttenberg heißt „Freiherr“, er ist kein Freiherr, also kann man ihn ebensowenig als „der Freiherr“ oder gar „Freiherr Karl-Theodor zu Guttenberg“ bezeichnen, wie man Koch-Mehrin als „die Köchin“ oder „Köchin Silvana Mehrin“ bezeichnen kann.

    Die Streichung dieser Namensbestandteile, die ich am Ende vorschlage, ist ein davon unabhängiger Punkt. Ich halte es für diskutierenswert, ob es nicht an der Zeit wäre, diese Namensbestandteile als das anzuerkennen und abzuschaffen, was sie sind: würdelose Überreste eines feudalistischen, den Grundsätzen einer modernen Republik entgegenstehenden Systems, indem ein eingebildeter Stammbaum mehr zählt als tatsächliche Leistung. Aber da die Deutschen ja sogar die Hochzeit ausländischer Restmonarchen tagelang auf vier Kanälen im Fernsehen übertragen, ist mir klar, dass da wohl irgendeine tiefe masochistische Sehnsucht nach der guten alten Leibeigenschaft erfüllt wird. Und da jeder, der das möchte, einen solchen „Adelstitel“ tragen darf (und sich dafür noch nicht einmal von einem adoptierten „Prinzen“ oder „Grafen“ adoptieren lassen muss), ist mir das letzten Endes auch egal.

  20. Gestern an einer Litfaßsäule in Regensburg gesehen (Einladung zu einem Fest bei einem Sportverein):
    Schirmherr: S.D. Fürst Albert von Thurn und Taxis

  21. BSc/MSc

    “ein Hochschulstudium — egal, ob mit BA, MA, Staatsexamen oder Diplom abgeschlossen — ist ein hartes Stück Arbeit.”

    Ein mit Bachelor of Science oder Master of Science abgeschlossenes vermutlich auch.

  22. Russische Nachnamen

    > (man vergleiche russische Nachnamen, die
    > ebenfalls an das Geschlecht ihrer
    > Träger/innen angepasst werden — Michail
    > Gorbatschow, aber Raissa Gorbatschowa).
    >
    Ein Sachverhalt, von denen hier die meisten Standesämter übrigens noch nichts gehört haben.

    Nach deutschem Recht hätte Raissa, nach der Heirat mit Michail, Raissa Gorbatschow gehießen. Nur so geht das nach öffentlichem Recht. Danach hätte sie die Freude gehabt, eine Namensänderung aus “wichtigem Grund” beim Standesamt durchboxen zu dürfen.

    Ich hab das bei meinem lokalen Standesamt übrigens noch nicht geschafft.

    Dass der Adel da ein Vorrecht hat, ist ausnehmend interessant.