Die mit den Prolls tanzt

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Alle Sprachgewalt geht vom Volke aus
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Werden Schüler mit Namen wie Kevin oder Mandy für dieselbe Leistung schlechter benotet als Schüler mit Namen wie Maximilian und Charlotte? Müssen sich Justin und Jacqueline schon wegen ihrer Namen auf eine Hauptschulkarriere einstellen, wärend Alexanders und Katharinas Eltern schon mal einen Platz im Studentenwohnheim reservieren lassen können? Die kurze Antwort lautet „Nein“, auch wenn die Medien uns seit einigen Tagen das Gegenteil erzählen.

Die lange Antwort lautet ebenfalls „Nein“, nur ist der Weg dahin etwas komplizierter.

Er beginnt im letzten Jahr, als es die Oldenburger Erziehungswissenschaftlerin Astrid Kaiser mit einer Examensarbeit ihrer Studentin Julia Kube in die Schlagzeilen drängte, in der die Verfasserin sich mit der Frage beschäftigte, ob Grundschullehrer/innen Vornamen mit bestimmten Charaktereigenschaften in Zusammenhang bringen.

Wenn es so wäre, würde das nicht überraschen: In der Sozialpsychologie gibt es eine lange Forschungstradition, die zeigt, dass der Vorname einer Person einen Einfluss darauf hat, wie diese Person von anderen wahrgenommen wird. Und tatsächlich fand Kaisers Examenskandidatin genau das heraus:

Von dem überwiegenden Anteil der befragten Lehrpersonen werden SchülerInnen mit bestimmten Namen eher negativ oder eher positiv wahrgenommen. Als eher freundlicher, leistungsstärker und verhaltensunauffällig stellen sich Kinder mit Vornamen wie Charlotte, Sophie, Marie, Hannah, Alexander, Maximilian, Simon, Lukas oder Jakob im Bewusstsein von LehrerInnen dar, während Namen wie Chantal, Mandy, Angelina, Kevin, Justin oder Maurice eher mit Leistungsschwäche und Verhaltensauffälligkeit assoziiert werden. Besonders „Kevin“ hat sich als stereotyper Vorname für einen „verhaltensauffälligen“ Schüler herausgestellt. In einem Fragebogen fand sich der Kommentar „Kevin ist kein Name, sondern eine Diagnose!“ [Pressemeldung der Universität Oldenburg, 16. September 2009]

Bei der Studie handelte es sich um eine Online-Befragung, in der explizit nach der Bewertung von Vornamen gefragt wurde. Aus ihr lassen sich deshalb natürlich keinerlei Schlussfolgerungen für den Schulalltag ziehen; ob Grundschullehrer/innen einen echten Kevin oder eine echte Mandy in ihrer Klasse tatsächlich anders bewerten würden als einen echten Maximilian oder eine echte Charlotte, bleibt reine Spekulation. Die Verfasserin der Arbeit machte das seinerzeit auch der Presse gegenüber deutlich — anders als ihre Betreuerin, die z.B. Spiegel Online gegenüber sehr weitreichende Schlussfolgerungen aus der Arbeit zog:

Ob Lehrer ihre Schüler aufgrund der Namen auch ungerecht behandeln, lasse sich aus ihrer Untersuchung nicht ableiten, sagt Kube. Die Betreuerin ihrer Arbeit, Astrid Kaiser, hält jedoch auch das für belegbar. Sie war selbst Lehrerin und bildet heute als Pädagogik-Professorin Grundschullehrer aus. „Die Namensfalle schnappt zu, sobald der Lehrer die Klassenliste in der Hand hält“, sagt sie. Wer einzelnen Kindern wenig zutraue, bewerte sie auch ungerecht. Andere Untersuchungen hätten gezeigt: Bei Kindern, die Lehrer für leistungsstark halten, übersehen sie viel häufiger Fehler in Diktaten als bei Kindern, die sie eher schwach einschätzen. „Es zeigt sich immer wieder, dass Kevins schlecht bewertet werden.“ [Trenkamp/SPIEGEL.DE 2009]

Dass Lehrer/innen sich bei der Benotung von Schülern von allgemeinen Erwartungshaltungen bezüglich deren Leistungsstärke leiten lassen, mag tatsächlich durch Studien belegt sein, aber zum Einfluss von Vornamen auf die Benotung gab es damals keine wissenschaftliche Studie. Kaisers Argument, das sie auch in einer Reihe kurzer informeller Artikel darlegte, von denen  Kaiser (2009) [PDF] noch der wissenschaftlichste ist, ist ein rein logisches: Erwartungshaltungen beeinflussen Noten, Vornamen beeinflussen Erwartungshaltungen, also beeinflussen Vornamen Noten. Aber mit der Logik ist das in der Wissenschaft so eine Sache: In der echten Welt spielen oft soviele Faktoren zusammen, dass solche logisch nachvollziehbaren Wirkungszusammenhänge keinen nachweisbaren Einfluss haben.

Um herauszufinden, ob die Leistungen eines Kevin oder einer Mandy tatsächlich schlechter bewertet werden als die eines Maximilian oder einer Charlotte, müsste man ein Experiment durchführen, bei dem Lehrer/innen jeweils zweimal dieselbe Arbeit (z.B. einen kurzen Aufsatz) zur Bewertung vorgelegt bekommen, wobei dieser Text einmal angeblich von einem Schüler mit einem „klugen“ Namen und einmal von einem Schüler mit einem „dummen“ Namen stammt. Diese Bewertungen könnte man dann direkt vergleichen. Selbst wenn sich dabei ein systematischer Unterschied zeigen würde, wäre das noch kein Beweis, dass der Vorname auch im Schulalltag eine Rolle spielt, denn dort käme eine Vielzahl von Faktoren hinzu, die man bei diesem Experiment bewusst außen vor ließe — Benehmen, Aussehen, Verhalten im Unterricht, usw. Aber man würde damit zeigen, dass der Vorname — neben anderen Faktoren — einen Einfluss haben könnte.

Ein solches Experiment hat nun eine namenlose Examenskandidatin unter Kaisers Betreuung durchgeführt (zur Namenlosigkeit später mehr). Allerdings mit einem entscheidenden Unterschied: der mit jeweils zwei verschiedenen Vornamen versehene Text wurde nicht von derselben Versuchsperson bewertet, sondern jede Versuchsperson bekam nur einen der Texte zu sehen. Das ist zwar insofern nachvollziehbar, als dass es sehr schwer wäre, dafür zu sorgen, dass die Versuchsperson nicht merkt, dass sie zweimal denselben Text bewerten soll, aber trotzdem wird dadurch die Aussagekraft des Experiments stark eingeschränkt. Im vorliegenden Fall hat die namenlose Kandidatin diesen Nachteil durch eine relativ hohe Zahl von Versuchspersonen auszugleichen versucht.

Sie legte den teilnehmenden Grundschullehrer/innen jeweils zwölf Texte vor, von denen vier mit positiv belegten, vier mit neutralen und vier mit negativ belegten Namen versehen waren (die Belegung der Namen ist aus der Examensarbeit von Kube entnommen). Diese mussten auf einer Skala von 1 (schlecht) bis 10 (sehr gut) entweder auf Rechtschreibung oder auf Sauberkeit oder auf ihren Inhalt benotet werden. In der Auswertung wurden dann jeweils die Bewertungen für die identischen Texte mit unterschiedlichen Namen verglichen.

Da es sich nicht um einen wissenschaftlichen Fachaufsatz, sondern eben nur um eine Examensarbeit handelt, will ich nicht auf die Schwächen in der Darstellung und Auswertung eingehen, die sich darin finden. Sie liegen im Bereich dessen, was mir selbst aus gut betreuten Examensarbeiten vertraut ist. Nach einer ausführlichen Diskussion der Fragestellung, der Konstruktion des Fragebogens, der Auswahl der Versuchspersonen und einer Reihe eher beschreibender Ergebnisse kommt die Kandidatin auf Seite 48 zum entscheidenden Punkt: Sie vergleicht hier die Ergebnisse für die positiv und negativ belegten Namen. Die statistische Form, in der sie das tut, ist nicht unbedingt leserfreundlich: Sie stellt die Häufigkeitsverteilung der Bewertungen über die zehn Skalenstufen hinweg dar. Diese Darstellung macht es schwer, zu erkennen, ob die negativ belegten Daten denn nun schlechter bewertet wurden als die positiv belegten, deshalb habe ich aus den Daten die Mittelwerte errechnet:

Der Einfluss von Vornamen auf Noten.

Wie klar zu erkennen ist, ist nichts zu erkennen. Die Unterschiede in den Bewertungen gehen bei den männlichen Vornamen zwar in die richtige Richtung, sind aber sehr klein und statistisch nicht signifikant (d.h., die Wahrscheinlichkeit, dass der beobachtete Unterschied zufällig zustande gekommen ist, ist zu hoch, als dass man ihm irgendeine Bedeutung beimessen darf). Bei den weiblichen Vornamen geht der Unterschied sogar in die falsche Richtung (die negativ belegten Vornamen werden besser benotet), aber auch hier ist der Unterschied klein und nicht signifikant.

Die Kandidatin erkennt das merkwürdigerweise nicht, obwohl sie selbst die statistische Auswertung liefert. Sie hält einen Einfluss von Vornamen auf die Benotung von Schülern zumindest bei männlichen Namen für erwiesen und diskutiert im zweiten Teil ihrer Arbeit mögliche Konsequenzen daraus. Diesmal ist es die Betreuerin, die vorsichtiger formuliert:

„Aber dieser Zusammenhang ist nur schwach“, so Astrid Kaiser. Während sich bei der letzten Kevin-Studie noch zeigte, wie stark die Vorurteile gegen bestimmte Vornamen sind, fiel der Einfluss auf die Bewertung in der neuen Studie eher gering aus. [Trenkamp/SPIEGEL.de 2010]

Schwach ist gar kein Ausdruck: Mit großer Wahrscheinlichkeit gibt es keinen Zusammenhang. Sie könenn Ihre Kinder also beruhigt weiterhin Kevin, Mandy, Justin und Chantal nennen (Macht das überhaupt noch jemand? Diese Namen sind alle so Neunziger).

Und was hat es nun mit der Namenlosigkeit der Verfasserin auf sich? Sie fürchtet Repressalien:

[Kaiser] warnt: „Man macht sich unbeliebt.“ Sie beschäftige das Thema schon lange, habe aber über Jahre niemanden gefunden, der das genauer untersuchen wollte. „Eine Habilitandin lehnte das Thema ab, weil sie Angst hatte, dass man ihr Lehrerschelte vorwirft.“

Auch die Autorin der aktuellen Kevin-Studie will anonym bleiben. Sie habe weder Lust auf Journalistenanrufe noch auf Anfeindungen von Lehrern. Ihre Arbeit soll deshalb unter einem Decknamen erscheinen. [Trenkamp/SPIEGEL.de 2010]

Dass die Kandidatin keine Lust hatte, der Presse Rede und Antwort zu stehen, kann man respektieren, wobei man sich dann fragt, warum die Examensarbeit überhaupt per Pressemeldung öffentlich gemacht wurde. Aber die Angst vor Anfeindungen von Lehrern halte ich für übertrieben. Wofür sollte man die Kandidatin anfeinden? Dafür, dass sie gezeigt hat, dass Lehrer/innen sich bei der Benotung nicht durch die Vornamen der Schüler beeinflussen lassen?

Die Idee, die Examensarbeit unter einem Decknamen zu veröffentlichen, grenzt ans Abstruse. Schließlich geht es hier nicht darum, der katholischen Kirche das heliozentrische Weltbild schmackhaft zu machen und auf die Verfasserin wartet kein Scheiterhaufen. Wenn sie zu ihrer Arbeit nicht öffentlich stehen möchte, ist das ihr gutes Recht, aber da die Arbeit ohnehin kein interessantes Ergebnis liefert, sollte man sie dann vielleicht lieber ohne Medienkampagne in einer staubigen Schublade verschwinden lassen.

Wissenschaft und Decknamen passen nicht zusammen. Da könnte man ja gleich die Universitäten bei Street View verpixeln lassen.

 

[Nachtrag (30. August 2010): Die Frage, ob es tatsächlich schichtenspezifische Namen gibt, diskutiere ich hier.]

 

ANONYM (2010) Ohne Titel („Masterarbeit Noten-Vornamen“). Masterarbeit, Universität Oldenburg. [PDF]

KAISER, Astrid: Vornamen: Nomen est omen. In: Oberfränkischer Schulanzeiger. 2009, H. 12, S. 15-18 [PDF]

KUBE, Julia (2009) Vornamensforschung: Fragebogenuntersuchung bei Lehrerinnen und Lehrern, ob Vorurteile bezüglich spezifischer Vornamen von Grundschülern und davon abgeleitete erwartete spezifische Persönlichkeitsmerkmale vorliegen. Masterarbeit, Universität Oldenburg.

TRENKAMP, Oliver/SPIEGEL.de (2009) Ungerechte Grundschullehrer: „Kevin ist kein Name, sondern eine Diagnose“. Spiegel Online, 16. August 2010 [Link]

TRENKAMP, Oliver/SPIEGEL.de (2010) Grundschullehrer-Vorurteile: Kevins bekommen schlechtere Noten. Spiegel Online, 24. August 2010 [Link]

© 2010, Anatol Stefanowitsch

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Nach Umwegen über Politologie und Volkswirtschaftslehre habe ich Englische Sprachwissenschaft und Sprachlehrforschung an der Universität Hamburg studiert und danach an der Rice University in Houston, Texas in Allgemeiner Sprachwissenschaft promoviert. Von 2002 bis 2010 war ich Professor für Englische Sprachwissenschaft an der Universität Bremen, im August 2010 habe ich einen Ruf auf eine Professur für anglistische Sprachwissenschaft an der Universität Hamburg angenommen. Mein wichtigstes Forschungsgebiet ist die korpuslinguistische Untersuchung der Grammatik des Englischen und Deutschen aus der Perspektive der Konstruktionsgrammatik.

21 Kommentare

  1. Fachleute

    Es gibt Wissensgebiete, in denen jeder meint, Fachmann zu sein, weil es zwangsläufig ein Teil seines Lebens ist oder war: Lebensmittelläden, Autoverkehr und eben auch Schule. In diesen Gebieten bilden sich die schönsten Vorurteile heraus, weil Otto Normalverbraucher meint, auf echte Fachleute und wissenschaftliche Methoden verzichten zu können. Das führt zu einem Fachleute-Bashing (Oops: Anglizismus), das hier eben die Lehrer betrifft. Es kommt hinzu, das sich jeder an irgendeinen Lehrer erinnert, auf den er einen Brast (endlich ein schönes deutsches Wort) hatte. Auf den werden dann alle Vorurteile projiziert.

    [Im Prinzip stimme ich Ihnen zu, aber die Kollegin Kaiser ist natürlich eine echte Fachfrau für die Grundschule und es geht ihr eigentlich auch nicht um Lehrer-Bashing. Dieser mediale Vornamen-Zirkus ist, soweit ich das beurteilen kann, auch nicht typisch für sie. — A.S.]

  2. Geschlecht statt Name

    Sprachwissenschaftlich ist es zwar noch uninteressanter und ich habe mir die Arbeiten nicht angeguckt, aber die einfachen Mittelwertdiagramme – darin fehlt übrigens ein ‚n‘ – suggerieren, dass es einen signifikanten Geschlechterbias unter den Lehrern gibt. Dazu (ebenso wie zur ethnischen und sozialen Herkunft) gibt es bestimmt eigene soziologische oder sozialpsychologische Untersuchungen, aber wenn die Effekte des Primärmerkmals so viel schwächer sind als die eines Sekundärmerkmals, sollte das für das Fazit der Arbeit ausschlaggebend sein: „Wenn Sie wollen, dass Ihr Kind gute Noten bekommt, nennen Sie es nicht Maximilian, sondern Mandy!“

    [In der Arbeit werden 168 Fragebögen mit jeweils 12 Benotungen ausgewertet. Der Grafik liegt eine Grundgesamtheit von 1 920 Urteilen zugrunde. Wie die sich aus den 168 * 12 Urteilen ergeben, weiß ich nicht. Es kann sein, dass das irgendwo in der Arbeit steht, aber wie angedeutet ist die Darstellung der quantitativen Ergebnisse nicht optimal. — A.S.]

  3. guter Kommentar, Schluss fragwürdig

    Danke für die Zerlegung. Störend finde ich einzig folgendes Zitat:

    “da die Arbeit ohnehin kein interessantes Ergebnis liefert, sollte man sie dann vielleicht lieber ohne Medienkampagne in einer staubigen Schublade verschwinden lassen.”

    aus zwei Gründen: 1. Die Arbeit liefert ein Interessantes Ergebnis: kein Unterschied!
    2. Publication Bias: Arbeiten mit negativen Ergebnissen werden sowieso zu selten publiziert.

    [Zu 1.): Ich stimme Ihnen zu und muss mich korrigieren. Da die Hypothese „Vorname beeinflusst Note“ durch die Meldungen im letzten Jahr weite Verbreitung gefunden hat, ist deren Widerlegung tatsächlich interessant und sollte veröffentlicht werden. — A.S.]

  4. Qualitätsjournalismus

    Dem Post und den Kommentaren ist inhaltlich nichts hinzuzufügen, aber die Aufbereitung bei Spiegel Online ist doch einen Kommentar wert: Ich habe den Artikel gar nicht gelesen, weil ich anhand von Überschrift und Aufmacherphoto sofort dachte, dass hier die olle Kamelle vom letzten Jahr ausgebuddelt wurde. Das Foto mit dem Bullauge wurde auch seinerzeit verwendet.

  5. Mandy und Chantal

    Komisch, dass diese zwei Namen immer wieder genannt werden. Tatsächlich war Mandy in der DDR häufig und spielt nach der Wende kaum eine Rolle mehr. Chantal hat überhaupt nie eine größere Verbreitung gehabt. Jaqueline, Jessica und Jennifer sind da viel, sagen wir mal, verbreiteter und schichtspezifischer.
    Nach meiner gänzlich laienhaften Beobachtung finden sich schichtspezifische, vulgo prollige Mädchennamen nicht so häufig. Bei den Buben ist das schon auffälliger. Interessant finde ich diese Seiten im Netz zu diesem Thema: http://www.beliebte-vornamen.de/…000er-jahre.htm

  6. @Christoph Päper

    Genau das drängte sich mir beim Betrachten der Graphik auch auf. Das sind mir überhaupt die liebsten Examensarbeiten: Man versucht etwas zu beweisen, findet es durch die Ergebnisse der Arbeit widerlegt, dreht dann alles so, dass es trotzdem zur These passt (man will ja nicht versagt haben) und übersieht (oder ignoriert) dabei andere, viel interessantere Ergebnisse.

  7. Bei den Buben ist das schon auffälliger.

    Ja, in der Liste finden sich schon unter den ersten 100 zahlreiche Namen, bei denen man an “Prolls” denken muss: Justin, Kevin, Jason, Colin, Joel, Mike, Jeremy.

    Aus einem Praktikum an einer Grundschule kann ich berichten, dass es zumindest vor 6-7 Jahren in Mode war, einem Neugeborenen englische Namen zu geben, auch wenn keine englischen Vorfahren vorhanden sind, was oft in gruseligen Vorname-Nachname-Kombinationen endete. Es gab einige sechsjährige Kinder, die Jason, Justin, Marc-Owen oder Timothy hießen.

  8. Nachfrage

    Ähm – wenn sich wirklich herausstellen sollte, dass die (gleichen?) Arbeiten unter Mädchennamen systematisch besser bewertet wurden als jene von Jungen, wäre DAS doch der Hammer, oder!?

    [Das könnte man aus den Daten nur schließen, wenn für die männlichen und weiblichen Vornamen jeweils dieselben Texte verwendet wurden. Ob das der Fall war, kann ich nach der Lektüre der Arbeit nicht mit Sicherheit sagen. — A.S.]

  9. Vielleicht möchte die Kandidatin selbst gar nicht, dass die Arbeit veröffentlicht wird. Es macht ja doch den Anschein, als ob Frau Kaiser da eine Agenda hat…

  10. Grundannahme

    Die Grundannahme bei solchen Untersuchungen ist immer, dass die Intelligenz oder Lernfähigkeit bei Kindern objektiv gesehen unabhängig von ihrem Vornamen ist. Diese Grundannahme muß aber keineswegs richtig sein. Bestimmte Namen sind in bestimmten Kreisen nunmal häufiger als anderswo. Bildungsferne Schichten haben andere Namens-“Hitparaden” als Bildungsbürger. Ich fände es deshalb erstmal interessant die Grundannahme zu überprüfen, z.B. mit einem Intelligenztest.

    Mir ist aber klar dass sowas natürlich völlig political incorrect wäre.

    [Selbst in Ihrem Szenario wäre die Intelligenz und Lernfähigkeit einzelner Schüler/innen unabhängig von deren Vornamen. Ich teile die Bedenken von suz (nächster Kommentar), aber nehmen wir um des Arguments willen einmal an, Kinder aus bildungsfernen Schichten seien im Durchschnitt weniger intelligent und leistungsfähig sind als Kinder von Bildungsbürgern und bestimmte Namen (z.B. Justin, Jacqueline) würden in bildungsfernen Schichten überdurchschnittlich häufig vergeben, andere (z.B. Maximilian, Marie) bei Bildungsbürgern. Wenn wir dann hundert zufällig ausgewählte Jacquelines und hundert zufällig ausgewählte Maries vorgesetzt bekämen, über die wir außer ihren Namen nichts wüssten, könnten wir vorhersagen, dass die Jacquelines im Durchschnitt weniger leistungsstark sein werden als die Maries. Wenn wir dagegen nur eine Jacqueline und eine Marie vorgesetzt bekämen, könnten wir über deren Leistungsfähigkeit und Intelligenz keine Aussagen treffen, denn erstens ist die Zuordnung von Namen zu Schichten ja nicht absolut (es gibt ja auch in Ihrem Szenario vereinzelte bildungsferne Maries und bildungsbürgerliche Jacquelines) und zweitens wären die Unterschiede in Lernfähigkeit und Intelligenz nur Durchschnittswerte der jeweiligen Gruppe, die über die einzelnen Individuen in diesen Gruppen nichts aussagen würde. Sie wären als Lehrer/in deshalb sehr schlecht beraten, wenn Sie aufgrund von Vornamen eine Annahme über die Intelligenz und Leistungsfähigkeit von Schüler/innen aufstellen würden. Die hier diskutierte Studie zeigt im Übrigen, dass Lehrer/innen sich dessen bewusst zu sein scheinen und solche Annahmen auch tatsächlich nicht treffen. Hinzu kommt, dass Sie als Lehrer/in über jedes Kind viel mehr wissen, als dessen Vornamen, sodass mögliche Vorurteile, die sie im Abstrakten vielleicht einem bestimmten Namen gegenüber haben, im konkreten Umgang mit Kindern keine Rolle spielen werden. — A.S.]

  11. @Arnd

    Die Grundannahme von Unabhängigkeit von Intelligenz und Vornamen ist aber schlicht richtig. Bildungschancen haben aber vor allem mit dem sozialen Hintergrund zu tun. Kinder aus bildungsstarken Schichten werden von Anfang an anders gefördert (auch und vor allem im Elternhaus). Ihre Argumentation ist also gefährlich, wenn ich Sie richtig verstehe: die Intelligenz könnte etwas mit dem Vornamen zu tun haben. Das ist aber recht, äh, abstrus. Die Widerlegung der Grundannahme (“Intelligenz und Vornamen sind unabhängig”) dürfte daher haarig werden.

    Richtig ist sicherlich, dass einige dieser “Negativornamen” in sozial schwachen und bildungsfernen Schichten häufiger vorkommen (zumindest wird uns das suggeriert – da ist oft auch viel Polemik und stereotypisches Schubladendenken dabei). Diese Kinder sind grundsätzlich nicht weniger intelligent – das nehmen einige oft einfach ungefragt so an. Deren Leistungsfähigkeit wird auch seltener und weniger intensiv gefordert und gefördert: diese Kinder bleiben häufiger auf der Strecke, weil ihre Start- und Standortvorteile schlechter sind. Und nicht, weil sie den falschen Vornamen haben. Das hat rein gar nichts mit “political correctness” zu tun.

  12. Einstellung gegenüber der Kandidatin

    Prinzipiell finde ich ihren Artikel interessant, finde aber, dass sie mit der Autorin ein wenig zu stark ins Gericht gehen. Ich halte eine Anonymisierung durchaus für legitim. Zwar leuchtet mir die Angst vor Anfeindungen durch Lehrer auch nicht ein, aber eine eventuelle Medienkampagne, die diese Examensarbeit als Aufhänger benutzt (auch wenn ja gar nichts sensationelles belegt wurde) würde ich mir auch nicht antun wollen.
    Die Gefahr ist hier, ob der vorherigen Berichterstattung durchaus gegeben.

    Es wäre übrigens äußerst interessant zu erfahren, ob die Text der Jungen und Mädchen gleich waren.

    [Wie gesagt, den Wunsch der Kandidatin nach Anonymität will ich nicht hinterfragen. Meine Kritik galt nicht diesem Wunsch, sondern der dramatisierenden Idee, die Arbeit unter einem Decknamen zu veröffentlichen. Es gibt eine einfache, wissenschaftlich saubere Lösung für das Problem der Kandidatin: Die Betreuerin könnte die Masterarbeit zu einem wissenschaftlichen Artikel ausarbeiten (in der derzeitigen Form kann sie ohnehin nicht erscheinen), und dieser könnte dann als gemeinsame Arbeit veröffentlicht werden. Dann erst würde die Presse informiert, die sich dann mit Sicherheit an die etabliertere der beiden Autor/innen wenden würde, sodass die Kandidatin ihre Ruhe hätte. Damit wäre übrigens auch eine sinnvolle Reihenfolge von Wissenschaft und medialer Vermittlung eingehalten. — A.S.]

  13. Die Fragwürdigkeit der Zensurengebung

    Bereits 1971 hat Karlheinz Ingenkamp die grundsätzliche Fragwürdigkeit der Zensurengebung festgestellt. In diesem Spiegelartikel von 1971 (http://www.spiegel.de/…gel/print/d-43257807.html) findet sich eine Zusammenfassung der Ergebnisse seiner Untersuchung. Ob es seither neuere Untersuchungen zum Thema gegeben hat, weiß ich leider nicht.

  14. Nachtrag

    Seit 40 Jahren ist das Problem bekannt. Nichts hat sich geändert. Leider.
    Warum macht man sich überhaupt noch Gedanken darüber, welchen Einfluss der Name haben könnte? Ich kann mich nur wundern.

  15. Bewertung Junge/Mädchen

    Die hier mehrfach geäusserte Vermutung, die anonyme Arbeit könnte einen Beleg für unterschiedliche Bewertung von Jungen und Mädchen darstellen, ist m.E. nicht korrekt. Für die Untersuchung wurden 12 Schülertexte ausgewählt, die jeweils von Lehrern zu bewerten waren. Sechs der Texte galten als von Jungen verfasst, sechs von Mädchen – es wurde in den beiden Fragebogen-Versionen nur die Konnotation der Vornamen variiert. So zumindest meine Interpretation der Beschreibung der Versuchsanordnung auf den Seiten 21 bis 23. Die Tabelle auf S. 43 zeigt ebenfalls, dass es sich um 12 verschiedene Texte handelt.

    [Sehr gut, da haben Sie genauer hingesehen und die Passagen gefunden, die mir entgangen sind. Ihre Interpretation scheint mir die richtige, für männliche und weibliche Vornamen wurden unterschiedliche Texte verwendet. Das zeigt auch das folgende Zitat (S. 65 der Arbeit):

    Für den tatsächlichen Nachweis der differenten Bewertung einer Textgrundlage in Abhängigkeit des Schülergeschlechts wäre eine Replikationsstudie unter cross-gendered Kriterien zwingend erforderlich.

    Ich nehme an, dass cross-gendered hier (entgegen seiner eigentlichen Bedeutung) „mit Geschlecht und Text als gekreuzten Variablen“ heißen soll.
    — A.S.]

  16. Vornamen und Noten

    Schade! Ich dachte ich bekomme jetzt im Nachhinein eine Ausrede für meine damaligen schulischen Leistungen geliefert. 😉

  17. Na ist doch klar, warum die Autorin ihren Namen nicht nennen will: sie heißt Chantal.

  18. Wenn man mir 12 Arbeiten von mir völlig fremden Personen zur Benotung vorlegen würde – würde ich dann auf die Namen achten? Ich glaube nicht …
    Wie kann man denn sicherstellen, daß die Versuchspersonen die “Namen” der vorgeblichen Diktatschreiber überhaupt zur Kenntnis nehmen?

  19. Wann wurde die zweite Studie erstellt? Wenn der Zeitpunkt nach der SPON-etc.-Veröffentlichung (liest annähernd jeder) lag, war sie von vornherein chancenlos. So dumm ist – bei allen Vorbehalten gegenüber einigen Exemplaren dieses Berufsstandes – kein Lehrer, dass er nicht merkt, worum es in diesem Experiment geht. Folglich bewertet er/sie neutral, selbst wenn besagte Lehrkraft sonst Kevins dikriminiert, wo es nur geht. Somit wäre gar nichts bewiesen, nicht Kaisers These, ebenso wenig jedoch Stefanowitschs Gegenthese.

  20. Offensichtliche Denkfehler

    Ich frage mich warum selbst “höherwertige” Publikationen wie Spiegel Online solche offensichtliche Denkfehler in “wissenschaftlichen” Studien nicht bemerken.

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