Deutsch im Außendienst

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Alle Sprachgewalt geht vom Volke aus
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Besonders spannend ist es nicht, aber irgendwie habe ich das Gefühl, ich müsste ein paar Worte dazu sagen: Seit ein paar Tagen wird in der deutschen und europäischen Presse ein Brief des deutschen Außenministers Guido Westerwelle an die Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik Catherine Ashton diskutiert, in dem es um die Rolle der deutschen Sprache im derzeit in der Planung befindlichen Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD) gehen soll. Viel genauer kann ich es nicht sagen, denn der Text des Schreibens ist nicht öffentlich. Ich habe versucht, ihn direkt vom Auswärtigen Amt zu erhalten, aber man möchte den Inhalt des Briefes dort nicht öffentlich machen, angeblich, um die Verhandlungen um den EAD nicht zu gefährden. Warum es keine Gefahr ist, dass der Brief in der Presse breitgetreten wird, erschließt sich mir nicht, aber sei’s drum. Grob gesagt scheint es in dem Schreiben darum zu gehen, dass bei der Einstellung für den EAD deutsche Sprachkenntnisse vorgeschrieben bzw. Bewerber/innen mit solchen Kenntnissen bevorzugt behandelt werden sollen:

„Deutsch ist die am meisten gesprochene Muttersprache in Europa, und es gibt gar keinen Grund, die deutsche Sprache zu vernachlässigen“, sagte Westerwelle mit Blick auf die rund 100 Millionen Muttersprachler vor allem in Deutschland und Österreich. In einem Brief an EU-Außenministerin Catherine Ashton forderte Westerwelle, die Einstellungskriterien für den Auswärtigen Dienst sollten „klare Anforderungen für die Beherrschung mehrerer Fremdsprachen, insbesondere auch der deutschen Sprache, enthalten“. [AFP, 23. März 2010]

Damit folgt Westerwelles Brief inhaltlich einer schriftlichen Anfrage, die die Europaabgeordneten Ernst Strasser (A, ÖVP), Elmar Brok (D, CDU), Herbert Dorfmann (I, Südtiroler Volkspartei), Christian Ehler (D, CDU), Monika Hohlmeier (D, CSU), Axel Voss (D, CDU) und Manfred Weber (D, CSU) am 8. März 2010 an Frau Ashton gestellt haben, und die so gut wie gar kein Presseecho gefunden hat, obwohl sie für jeden lesbar auf den Webseiten des Europaparlaments steht und die Verhandlungen dort öffentlich gefährden darf:

Deutsch ist die Sprache mit der größten Anzahl an Muttersprachlern in der Europäischen Union. In fünf EU-Staaten ist sie Amtssprache, darüber hinaus zählt Deutsch zu den wichtigsten Fremdsprachen innerhalb der EU.

Dieses Faktum sollte der zu schaffende Europäische Auswärtige Dienst widerspiegeln.

Wird sich die Hohe Vertreterin der Union und Vizepräsidentin der Kommission angesichts der Bedeutung der deutschen Sprache innerhalb der Europäischen Union dafür einsetzen, dass Deutsch Arbeitssprache des Europäischen Auswärtigen Dienstes wird? [STRASSER et al. 2010]

Ein Blick in die Geschichte des 20 Jahrhunderts würde schon ein paar Gründe liefern, die einen noch einmal über die Weisheit nachdenken lassen könnten, lauthals nach einer deutschsprachigen EU zu schreien. Andererseits ist Deutschland die ökonomische Supermacht der EU, und wenn man nach der Anzahl seiner Sprecher geht, dann haben Westerwelle und die sieben Europaabgeordneten ohnehin recht: 32 Prozent der EU Bürger sprechen Deutsch (18 Prozent als Muttersprache). Damit liegt Deutsch klar an zweiter Stelle hinter Englisch mit 51 Prozent (13 Prozent Muttersprachler). Auf dem dritten Platz folgt Frankreich mit 26 Prozent (12 Prozent als Muttersprache). Italienisch und Spanisch landen weit abgeschlagen auf den Plätzen 4 und 5, keine andere Sprache fällt zahlenmäßig ins Gewicht:

Es dürfte klar sein, dass es Westerwelle eher um politische als um sprachliche Interessen geht: Wenn die Beherrschung der deutschen Sprache ein Einstellungskriterium für den Europäischen Auswärtigen Dienst würde, hätten deutsche Muttersprachler beste Chancen auf wichtige Ämter in der neuen Behörde. In der Presse wird Westerwelle für seinen Brief trotzdem eher als Bewahrer der deutschen Sprache gefeiert.

Das ist auch nicht völlig falsch. Ich will ihm gar nicht absprechen, dass es ihm auch ein klein wenig um die deutsche Sprache an sich geht, denn die FDP fordert schon seit Jahren eine stringentere Durchsetzung ihres Status als Arbeitssprache (den sie offiziell ja schon lange hat). Und wenn Westerwelle (und die sieben Europaparlamentarier) diese Forderung tatsächlich durchsetzen könnten, würden sie damit tatsächlich auch der deutschen Sprache einen Dienst erweisen.

Denn die Zahl der Deutschlerner weltweit ist rückläufig: 2005 waren es noch 17 Millionen, derzeit sind es nur noch 14,5 Millionen. Die Gründe hierfür dürften vielfältig sein – unter anderem wurden die finanziellen Mittel der Goethe-Institute jahrelang gekürzt, sodass weder vernünftig Werbung für die deutsche Sprache, noch für die deutsche Kultur gemacht werden konnte.

Wenn Geld da war, wurde es für Imagekampagnen ausgegeben, mit denen man dem Ausland weismachen wollte, wir Deutschen hätten die nationalen Minderwertigkeitskomplexe, mit denen wir halb Europa in Schutt und Asche gelegt haben, gegen selbstironischen Humor eingetauscht, weswegen man nun beruhigt Deutsch lernen könne (der Telegraph kommentierte diese Kampagne süffisant mit der Schlagzeile Germans use humor to force surrender of British prejudice – „Deutsche verwenden Humor, um Kapitulation britischer Vorurteile zu erzwingen“ [TELEGRAPH.co.uk 2002]). Oder man hoffte, dass französische Fans der Band Tokio Hotel für eine Renaissance der deutschen Sprache in Frankreich sorgen würden [SPIEGEL.de/Isermann 2007).

Aber diese Kampagnen und Hoffnungen wären selbst dann zum Misserfolg verdammt gewesen, wenn wir wirklich Humor hätten (obwohl, der Erfolg von Tokio Hotel zeugt schon von einer gewissen hintergründigen Ironie). Denn Fremdsprachenlerner lassen sich immer weniger von einem Interesse an Land und Kultur der betreffenden Sprachgemeinschaft leiten, und immer mehr von dem, was man in der Sprachlernforschung „instrumentelle Motivation“ nennt: Das Lernen einer Fremdsprache soll sich finanziell lohnen, bei der Verwirklichung von Karriere- und Lebensplänen helfen. Das hat die Europäische Kommission schon 2005 festgestellt, als man die Entwicklung der Sprachlernmotivation von 2001 bis 2005 verglich:

Das kann einem gefallen oder nicht. Ich persönlich bin ein überzeugter Verfechter instrumenteller Motivation, aber ich unterrichte auch seit 10 Jahren Sprachwissenschaft – ein Fach, das denjenigen, die es am meisten brauchen, nämlich zukünftigen Lehrern – so derartig zuwider ist, dass keine andere Motivation infrage kommt. Aber auch, wenn es einem nicht gefällt – es ist eine Tatsache. Und aus dieser Tatsache folgt, dass man zur Förderung des Deutschen als Fremdsprache so viele instrumentelle Anreize zum Deutschlernen schaffen muss, wie nur irgend möglich. Ein europäischer diplomatischer Dienst, für den man Deutsch können muss, kann da nicht schaden. Vielleicht verzeihen uns die ehrgeizigen Deutschlerner dann sogar Tokio Hotel.

 

AFP (2010) Westerwelle kämpft in Europa für die deutsche Sprache. Pressemeldung vom 23. März 2010 [Link]

EUROPÄISCHE KOMMISSION (2005) Die Europäer und ihre Sprachen. Eurobarometer Spezial 243. [Link]

STRASSER, Ernst, Elmar BROK, Herbert DORFMANN, Christian EHLER, Monika HOHLMEIER, Axel VOSS und Manfred WEBER (2010) Deutsch als Arbeitssprache des Europäischen Auswärtigen Dienstes. Parlamentarische Anfrage vom 8. März 2010. [Link]

SPIEGEL.de/Ralf Isermann (2007) Bill, mon amour. Spiegel Online, 17. April 2007. [Link]

TELEGRAPH.co.uk (2002) Germans use humour to force surrender of British prejudice, 30. Juni 2002 [Link]

© 2010, Anatol Stefanowitsch

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Nach Umwegen über Politologie und Volkswirtschaftslehre habe ich Englische Sprachwissenschaft und Sprachlehrforschung an der Universität Hamburg studiert und danach an der Rice University in Houston, Texas in Allgemeiner Sprachwissenschaft promoviert. Von 2002 bis 2010 war ich Professor für Englische Sprachwissenschaft an der Universität Bremen, im August 2010 habe ich einen Ruf auf eine Professur für anglistische Sprachwissenschaft an der Universität Hamburg angenommen. Mein wichtigstes Forschungsgebiet ist die korpuslinguistische Untersuchung der Grammatik des Englischen und Deutschen aus der Perspektive der Konstruktionsgrammatik.

13 Kommentare

  1. Versteh ich nicht…

    Vielleicht bin ich ja ein bisschen zu bloed fuer das ganze, aber ist ein “Auswaertiger Dienst” nicht hauptsaechlich fuer die Kommunikation mit Laendern ausserhalb des jeweiligen Raumes gedacht?

    Daraus schliesse ich dass sich die Sprachkenntnisse vor allem an denen der Gespraechspartner (also z.B. Englisch, Chinesisch, Japanisch und Russisch) orientieren sollten, und nicht an denen innerhalb des eigenen Hauses.

    In einer Firma zwinge ich einen Kunden doch auch nicht meine Sprache zu sprechen sondern versuche auf den Kunden zuzugehen und dessen Sprache zu sprechen.

  2. @Achim

    Chinesisch, Russisch, Japanisch? Nein, mit Chinesen, Russen und Japanern verhandelt Westerwelle dann so:

    „Wenn Sie bitte so freundlich wären, weil das eine diplomatische Verhandlung in Europa ist. Wir, ich bitte Sie, das, bei allem Verständnis dafür, aber… So wie es in China/Russland/Japan üblich ist, dass man dort selbstverständlich Chinesisch/Russesisch/Japanesisch spricht, so ist es in Europa üblich, dass man hier Deutsch spricht, weil, bei allem Verständnis, das ist die größte Muttersprache. Und damit das nur gleich klar ist, wir können auch gerne mal außerhalb einer diplomatischen Verhandlung fabelhaft auch uns zum Hund-Süss-Sauer/Vodka/Sushi treffen und dann sprechen wir nur Chinesisch/Russesisch/Japanesisch. Aber… es ist Europa hier.”

  3. Veraltete Weltanschauung?

    Im EAD sollen gebildete, qualifizierte Landesvertreter zusammenkommen, um zu beraten, richtig? Eine Sprache zu erlernen ist eine freudige und sie erlernt zu haben eine bereichernde Erfahrung (auch wenn man ja eigentlich nie damit aufhoert). Das ist etwas, das jeder, der die Zeit dazu hat, schon aus eigenem Antrieb unternehmen sollte. Aber einigen Menschen liegt das Beherrschen mehrerer Sprachen mehr als anderen. Woran man nicht vorbeikommt, ist das Englisch. Wozu koennten in einem Kreis, in dem man von jedem Erwarten koennen sollte, dass er die englische Sprache fliessend beherrscht, weitere sprachliche Auflagen hilfreich sein? Ich sehe darin keinerlei Nutzen.

  4. Die Wikipedia schreibt, der europäische auswärtige Dienst habe die Aufgabe, die Positionen der Mitgliedsstaaten besser abzustimmen, zu koordinieren und einheitlich zu kommunizieren. Ein bedeutender Teil des Aufgabengebiets sind also Gespräche innerhalb der EU.

  5. Besser: Hundert Liegestütze

    Das scheint mir ohnehin eine rein theoretische – und damit komplett nutzlose – Forderung zu sein.

    Wie soll man sich das vorstellen? Da sitzen ein Franzose und ein Pole und parlieren über eine englische Vorlage – ausgerechnet auf Deutsch? Da alle Englisch können, würde doch ohnehin, sobald auch nur einer nicht perfekt Deutsch spricht (und man müsste das schon auf sehr hohem Niveau beherrschen), auf Englisch umgeschwenkt. Und welcher Deutsche oder Österreicher stellt sich hin und zwingt seinen Gesprächspartnern ein deutsches Gespräch auf, nur weil sie das laut Einstellungsanforderung ja eigentlich beherrschen müssten?

    Da erscheint es mir sinnvoller, von allen Bewerbern zu verlangen, ihre Fitness mit Liegestützen unter Beweis zu stellen, als Kenntnisse in einer Sprache nachzuweisen, die sie in der Praxis ohnehin nicht gebrauchen.

  6. finanziell gesehen

    Das Erlernen der deutschen Sprache lohnt sich wirtschaftlich gesehen ja nur dann, wenn Ausländern mit Deutschkenntnissen sehr viel mehr Arbeits- und Karrierechancen offen stehen als nur beim EAD.

  7. Anderer Angang

    Ist es nicht so, dass man nicht darauf abstellen müsste, welche Sprache bei den meisten Menschen Muttersprache ist, sondern einfach pragmatisch fragen sollte, welche Sprache wird von den meisten gesprochen? So wird doch am ehesten das Ziel – eine reibungslose Kommunikation – erreicht. Alles andere ist doch nationalistisch angehauchter Pathos.

  8. Es sind übrigens 12 FDP-Abgeordnete im Europäischen Parlament vertreten!

    Wie sind die denn alle da reingekommen?

  9. Wenn Deutsch nicht ohnehin meine Muttersprache wäre, würde ich es garantiert nicht lernen wollen.

    Englisch hat da doch einige Vorteile. Hauptsächlich natürlich daß man praktisch überall auf der Welt jemanden findet, der es zumindest einigermaßen versteht und nebenbei ist es doch auch von der Struktur um einiges einfacher als Deutsch.

    Anstatt die englische Sprache zu bekämpfen, sollten die deutschen Politiker eher dazu übergehen Englisch zu fördern und die Deutschen zu animieren, es besser zu lernen.
    Dies würde auf lange Sicht auch Nutzen für Deutschland bringen.

    ‘Es dürfte klar sein, dass es Westerwelle eher um politische als um sprachliche Interessen geht.’

    Diese Aussage trifft den Kern.

  10. Parlamentarische Anfrage vom 8. März 201

    Sehr geehrter Herr Stefanowitsch,
    ist Ihnen bekannt, ob es mittweile eine Reaktion auf die von Ihnen zitierte Parlamentarische Anfrage gibt?
    Mit freundlichen Grüßen
    Jan Kruse

  11. @J. Kruse

    Ja, die Hohe Vertreterin hat die Anfrage beantwortet. Sie weist darauf hin, dass es eine einheitliche Sprachregelung für alle Organe der EU gibt, und dass diese auch auf den EAD Anwendung findet.