Anglizismus des Jahres, Zwischenmeldung

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Die Jury hat die Nominierungen streng begutachtet: Von den fast vierzig Vorschlägen haben es nur sechzehn in die zweite Runde geschaft: App, (Updates etc.) ausrollen, Balconing, Blurmany, Cablegate, Chermany, Cloud, clouden, durchfaven, entfrienden, leaken, leiken/liken, Scripted Reality, Shitstorm, Social Media, und Whistleblower.

Was ist Ihr Anglizismus des Jahres?
App
ausrollen
Balconing
Blurmany
Cablegate
Chermany
Cloud
clouden
durchfaven
entfrienden
leaken
leiken oder liken
Scripted Reality
Shitstorm
Social Media
Whistleblower
  
pollcode.com free polls

Die anderen Vorschläge haben diese Hürde entweder nicht genommen, weil es sich um Produktbezeichnungen handelt, die (noch) keine breite Verwendung gefunden haben (z.B. flattrn, Handy-Ticket, twicken), oder, weil sie nicht neu genug waren. Unter letzteren waren auch Wörter, die zwar aktuell sind, deren Häufigkeit aber schon in den vergangenen Jahren stark angestiegen ist (z.B. followen, Home Office, Nacktscanner, Social Web und verpixeln). Um die ist es schade — Nacktscanner wäre im letzten Jahr mein absoluter Favorit gewesen — aber wir wollten das Neuheitskriterium möglichst strikt anwenden.

Wir nehmen uns nun etwa zehn Tage Zeit für unsere internen Beratungen und werden den Anglizismus des Jahres 2010 dann feierlich bekanntgeben. Ein genauer Termin wird nachgereicht — wir wollen der Bekanntgabe des Unworts des Jahres nicht in die Quere kommen, die für den 18. Januar angekündigt ist.

Einer der Vorschläge, App, ist übrigens vor einigen Tagen von der American Dialect Society zum amerikanischen „Word of the Year“ gewählt worden. Davon werden wir uns aber nicht beeinflussen lassen — Anglizismen sind Teil der deutschen Sprache und ihr Ansehen im Ursprungsland spielt bei ihrer Würdigung keine Rolle.

Wenn Sie selbst mit abstimmen wollen, können Sie das hier tun. Wir werden die Publikumswahl gemeinsam mit der Jury-Entscheidung bekannt geben — offizieller Anglizismus des Jahres 2010 wird aber das von der Jury ausgewählte Wort!

Mitglieder der Jury bloggen während der Beratungen ihre Gedanken zu ausgewählten Wörtern

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Nach Umwegen über Politologie und Volkswirtschaftslehre habe ich Englische Sprachwissenschaft und Sprachlehrforschung an der Universität Hamburg studiert und danach an der Rice University in Houston, Texas in Allgemeiner Sprachwissenschaft promoviert. Von 2002 bis 2010 war ich Professor für Englische Sprachwissenschaft an der Universität Bremen, im August 2010 habe ich einen Ruf auf eine Professur für anglistische Sprachwissenschaft an der Universität Hamburg angenommen. Mein wichtigstes Forschungsgebiet ist die korpuslinguistische Untersuchung der Grammatik des Englischen und Deutschen aus der Perspektive der Konstruktionsgrammatik.

26 Kommentare

  1. Liken?

    Kann es sein, dass “liken” in der Abstimmungsliste fehlt? Müsste da doch eigentlich stehen…

  2. Neue Abstimmung

    Ja, leiken/liken fehlte, Pollcode erlaubt keine Schrägstriche in den Antworten. Ich musste einen neuen Poll erstellen, wer schon abgestimmt hat, soll es bitte noch einmal tun! (bislang lagen 24 Stimmen vor, die ich archiviert habe, aber dem neuen Poll nicht von Hand hinzufügen kann).

  3. ausrollen

    Ausrollen scheint mir eher ein ältlicher Anglizismus zu sein – ich kenn ihn jedenfalls schon seit mehreren Jahren.

  4. Praktisch nur Wörter mit Internet-Bezug?

    Gab es denn wirklich nur so wenige Kandidaten aus anderen Bereichen?

  5. Ausrollen ein alter Hut

    Dass es “ausrollen” im Gegensatz zu followen oder Nacktscanner geschafft hat, wundert mich sehr. Neue Softwareversionen habe ich schon Mitte der Neunziger Jahre ausgerollt. Ich habe auch nicht das Gefühl, dass sich die Verbreitung dieses Wortes verstärkt hätte, es hat weiterhin den Charme von verstaubten Großraumbüros.

    [Ausrollen war ein schwieriger Kandidat, da es in bestimmten Bedeutungen natürlich schon immer vorkam („Teppich ausrollen“), in der Kombination „Update ausrollen“ dagegen insgesamt selten. Google News und Google Trends haben nur impressionistische Ergebnisse erbracht, sodass ich eine Bauchentscheidung treffen und alles Weitere meiner sehr kompetenten Jury überlassen musste. — A.S.]

  6. Differenzierungsvorschlag

    Für die nächste Runde schlage ich eine Differenzierung vor:

    – Lehnwörter (z.B. “cloud”)
    – Lehnübersetzungen (z.B. “ausrollen”)
    – Bedeutungserweiterungen bzw. -verschiebungen (z.B. “realisieren”)
    – Pseudoanglizismen (z.B. “Handy”)

    In jeder dieser Kategorie lassen sich Neuzugänge finden, die man gelungen findet, denen man einen “gesicherten Aufenthaltsstatus” im deutschen Wortschatz vorhersagt etc. (Naja, die letzte Kategorie dürfte seltener sein.)

    [Es war ja schwer genug, überhaupt Wortkandidaten zu finden, da sollte man vielleicht nicht zu viele Unterkategorien bilden; aber grundsätzlich gefällt mir der Vorschlag, und wir werden ihn (und andere Vorschläge zur Weiterentwicklung des Wettbewerbs) auf jeden Fall berücksichtigen. — A.S.]

  7. App?

    Ist App nicht auch ein alter Hut?
    Sagt man doch schon seit einigen Jahren, oder kommt mir das nur so vor?

  8. Wie ich wähle

    Also wollen würde ich dass “Whistleblower” gewinnt, das ist ein Wort für eine Sache die wir in Deutschland brauchen. Aber vermutlich wird sich App durchsetzen, sowohl im Sprachgebrauch als auch in der Jury. Es ist kurz, prägnant, und die Sache an sich ist auch nützlich.

  9. Ist App nicht auch ein alter Hut?
    Sagt man doch schon seit einigen Jahren, oder kommt mir das nur so vor?

    In der Kommentarliste des Vorschlagsthreads finden Sie eine Liste der Suchergebnisse bei Google für Suchbegriffe mit App — die Steigungsrate war höher als z.B. bei leaken. Im Jahr 2010 hat die Verwendung des Worts deutlich zugenommen.

    [Siehe außerdem auch die Nachforschungen im Schplock — A.S.]

  10. Flattrn

    Mit welcher Begründung ist den Flattrn nicht berücksichtigt worden?

    [Weil es ein Markenname ist (s.o.). Ein Lehnwort (und damit ein Anglizismus) wird es erst, wenn es über diese Marke hinaus verwendet wird — z.B. wenn mehr solcher Mikrospendedienste entstehen, und flattrn sich als allgemeiner Begriff für „einem Blogger eine kleine Spende zukommen lassen“ etabliert. A propos Spenden: Warum gibt es auf den SciLogs eigentlich kein Flattr? Lars? Martin? Carsten? — A.S.]

  11. Völlig vergessen

    Einen Anglizismus hätte ich beinahe vergessen. Der aber ist zu wichtig und zu bedeutsam, als dass man ihn hätte auslassen dürfte. Deshalb bitte ich den erlauchten Initiator und die auserwählte Jury um Ausnahmegenehmigung zur Nachnominierung desselben. Da der Wettberwerb ein noch junger ist, hoffe ich auf die Nachsicht von Ausrichter und Mitwirkende, und letztendlich geht es ja auch um eine gute Sache.

    Bei dem Anglizismus, den ich meine, geht es um das Phänomen der Geschwindigkeit (dass er neu ist und aus dem Jahre 2010 stammt, versteht sich dabei von selbst). Man könnte ihn einigermaßen genau mit Kaum rein – und schon wieder raus und erledigt! umreißen. Typisch angelsächsisch also: Klar, eindeutig und Tempo und Erfolg gehen Hand in Hand.

    Ich bitte hiermit alle Sprecher, den Anglizismus des Jahres 2010, nämlich Am Ende des Tages, in unserer Sprache willkommen zu heißen!

    Freiher von Guttenberg war es, so meine ich, der deutsche Verteidigungsminister, der den 2010 Begriff aus den USA einführte und durch permanenten Gebrauch schlussendlich derart adelte, dass in der Folge ihn fast jedermanm im Munde führte. Unser gegelter Minister will die deutschen Truppen nicht erst am Ende aller Tage, sondern schon am Ende des Tages aus Afghanistan abziehen.
    Das nenne ich Tempo, Helm ab, vor dem Mann! Das macht der Umgang mit den richtigen Leuten. Es hat eben sein Gutes, wenn man seinen Verbündeten genau zuhört. Denn von den Amerikanern lernen, heißt siegen lernen!

    [Sie kommen nicht nur für den Wettbewerb zu spät, Klausi, sondern überhaupt. — A.S.]

  12. An A.S.

    Schade…

    Darf ich mich in einer anderen Angelegenheit einmal an Sie wenden? (aus reinem Interesse und völlig ohne Hintergedanken, versprochen!)

    Ich ersetze in meinem Sprachgebrauch den englischen Begriff link in der Regel durch das deutsche Wort Wink, da mir das die beste Entsprechung zu sein scheint und sogar verwandt klingt. Wenn ich nun Wink bei Google eingebe, erhalte ich alle möglichen (136.000.000 Treffer insgesamt, ca. 9.000.000 auf Deutsch) und zum Teil für mich kuriose Erklärungen (kostenloses Ppprogramm), aber nicht die erwartete, etwa Wink = Hinweis, Rat, Tipp usw. Wenn ich nun Wink mit Synonymen wie Hinweis, Rat, Tipp eingebe, wird es nicht viel besser und es kommen zu meinem Erstaunen nur 235.000 Suchergebnisse zustande.

    Kann es sein, dass Wink sozusagen veraltetes Deutsch und ein Wort ist, das kaum noch jemand im Sinne von Hinweis verwendet, obwohl der Wink mit dem Zaunpfahl oder einen Wink geben noch im Sprachgebrauch sind?

  13. Link = Verweis

    @Klausi

    Ein Link ist ein Wink? Was ist denn das fuer ein komisches Kunstwort wo es doch das wunderschoene Deutsche Wort Verweis gibt?

    Die Deutsche “HTML-Bibel” SelfHTML verwendet dieses wunderschoene Deutsche Wort schon seit ueber 10 Jahren, siehe ein paar schoene Anwendungsbeispiele:

    http://de.selfhtml.org/…/verweise/definieren.htm

    So viel gutes Deutsch erwarte ich dann doch.

  14. An Armin

    Klar kenne ich das Wort, aber Wink gefällt mir ausgesprochen gut, noch besser sogar als Verweis.
    Und wieso Kunstwort?

    Bis demnächst und: Winke, winke!

  15. @Klausi

    Ich würde mal vermuten, dass Wink als Produkt- und Eigenname die “echten” Winks überdeckt, das ist jedoch kein Indiz dafür, das das Wort in der Hinweis-Bedeutung nicht mehr auftritt.
    Die Frequenz würde ich lieber über ein echtes Korpus messen, z.B. DWDS (für die letzten 100 Jahre) oder Cosmas II (schwerpunktmäßig Gegenwartssprache).
    (DWDS liefert nicht sehr viele Treffer, 475 von 1900-1949, aber nur 104 für 1950-1999. Sieht nach sinkender Frequenz des Wortes anfürsich aus, aber bei so kleinen Zahlen würde ich mich eher nicht festlegen. Für die Bedeutungen müsste man sich die ganzen Sachen natürlich einzeln anschauen.
    Ein echter Konkurrent zum Hinweis scheint der Wink aber nie gewesen zu sein, letzterer bringt für 1900-1949 1715 Treffer, für 1950-1999 2663.)

  16. An Kristin

    Ich verstehe zwar nichts vom Fach, aber Ihre Erklärungen kann ich gut nachvollziehen.

    Es ist wohl auch so, dass man heutzutage zwar noch winkt, aber keine Winke mehr gibt, selbst den mit dem Zaunpfahl nicht mehr.
    Wobei die Mehrzahl (Winke) noch weniger als die Einzahl (Wink) zu finden sein dürfte. Ich bin vor etlichen Jahren über das Wort Winke gestolpert und musste mir den Begriff über die Einzahl Wink, die ich natürlich kannte, herleiten.

  17. @Klausi

    Der Wink in ein Wink mit dem Zaunpfahl, also in der Bedeutung ‘Hinweis, Verweis’ klingt nach einer fossilierten Verwendung in Redewendung. In Redewendungen können Wörter oft auch dann, auch wenn ihre Verwendung als “Einzelwort” abnimmt, das Wort eine andere Bedeutung annimmt oder gar verschwindet – solange die Redewendung “aktuell” bleibt. Denn wir speichern Idiome als Ganzes ab (und rufen sie als Ganzes ab). So bleiben die Wörter in den Wendungen erhalten.

    (Manchmal fragt man sich doch: Was macht der ein Kegel in Kind und Kegel? Von mhd. kekel/kegel ‘unehelicher Sohn/uneheliches Kind’.)

    Mir wurde Ihre Verwendung von Wink deshalb nur nach einigem Nachdenken bzw. Ihrer Erklärung klar. Aber ist nur meine subjektives Gefühl. 🙂

  18. An H.M.Voynich

    Vielen Dank für die Mühe!
    Die sehr aussagekräftige Grafik zeigt für den Wink des Schicksals um 1940 einen Häufigkeitsberg. Gut vorstellbar, dass die Menschen damals wieder an so etwas wie Schicksal zu glauben begannen.

  19. An suz

    “Mir wurde Ihre Verwendung von Wink deshalb nur nach einigem Nachdenken bzw. Ihrer Erklärung klar. Aber ist nur meine subjektives Gefühl. :)”

    Kann ich nachvollziehen.
    Mir ging es bei einem Buchtitel ähnlich.
    Mit “Tausend Winke zu Steuerfragen” (oder so ähnlich) konnte ich anfangs nichts anfangen. Die Mehrzahl von Wink war mir damals nicht geläufig.

    Ich will es jetzt aber dabei belassen, die bisherigen Kommentare waren für mich aufschlussreich genug und Thema ist hier ja eigentlich die Wahl zum Anglizismus des Jahres. Vielen Dank an alle, die mir weitergeholfen haben!

  20. “kabeln”

    Letztes Jahr sind mir die Wörter “Kabel” und “kabeln” sehr aufgefallen.
    Im Deutschen hatte (!) man dafür bisher die Wörter Telegramm bzw. telegrafieren.

  21. Michael Gutbier “kabeln”

    Umgekehrt, zum Telegramm oder für telegrafieren sagte man früher “Kabel” (auch Depesche) oder”kabeln”.