»Lizenz zur Unmoral«

11 Minuten mit Gehirn&Geist im November 2021

Redakteur Steve Ayan spricht in diesem Beitrag über die Lizenz zur Unmoral.

2 Kommentare

  1. Moralische Lizenzierung ist quasi der Oberbegriff oder die Verallgemeinerung eines Kompensations-Phänomens, das in vielen Zusammenhängen immer wieder auftaucht. Hier drei Beispiele dafür:
    1) während des Ramadan dürfen Muslime während des Tages nichts essen, wohl aber nach Sonnenuntergang. Und dann essen sie oft mehr als genug und legen an Gewicht zu. Ein Phänomen der Überkompensation einer vorher erlebten Entbehrung. Ähnliches ist aus der Fastenzeit bei Christen bekannt wo das verbotene Fleisch Anlass für besonders leckere Nicht-Fleisch Gerichte war/ist. Hier wird aber nicht nachher, also nicht mit zeitlichem Abstand kompensiert, sondern es wird der scheinbaren Entbehrung (kein Fleisch) direkt etwas anderes Gutes entgegengesetzt so dass für viele gar nie ein Verzicht stattfand
    2) Wohlhabende ohne Auto scheinen mehr zu fliegen als Leute mit Auto
    3) ein befreundeter Jurist erzählte mir, dass ein Richter, der einen Jugendlichen wegen Cannabiskonsum eine relativ grosse Strafe aussprach, dies später kompensierte nachdem er ihn auf die Unverhältnismässigkeit der Strafe aufmerksam machte. In der Folge entschied er sich bei einem anderen Fall für eine unverhältnismässig geringe Bestrafung und das erst noch bei einer ganz anderen Strafsache.

    Eine naheliegende Erklärung für dieses Kompensationsverhalten ist die Annahme es gäbe eine Art moralisches Gleichgewicht, eine Kreidetafel im Hinterkopf auf denen wir moralisch positives und negatives Verhalten miteinander ins Gleichgewicht bringen.
    Bei den obigen Beispielen würden 1) und 2) unter Moralische Lizenzierung fallen, während 3) ein Fall der moralischen Kompensation für eine vorhergehende moralisch fragwürdige Handlung gewesen wäre.

    Lebensphilosophisch stellt sich bei so etwas wie einem moralischen Gleichgewicht und der Annahme wir rechneten intern mit einem Haben und einem Soll bei der Moral unserer Handlungen schnell einmal die Frage, ob Menschen nicht bewusst und sogar unbewusst durch interne (oder auch externe) Belohnung und Bestrafung gesteuert sind, ob wir Menschen also in vielerlei Hinsicht genauso Rechenautomaten sind wie die Rechenautomaten, die die Ingenieure erfunden haben. Kürzlich erschien ein Forschungs-Artikel der künstlichen Intelligenz mit dem Titel Reward is enough , der folgende These aufstellt:

    In diesem Artikel stellen wir die Hypothese auf, dass das Ziel der Maximierung der Belohnung ausreicht, um ein Verhalten zu fördern, das die meisten, wenn nicht alle Attribute der Intelligenz aufweist, die in der natürlichen und künstlichen Intelligenz untersucht werden, einschließlich Wissen, Lernen, Wahrnehmung, soziale Intelligenz, Sprache und Verallgemeinerung.

    Profaner ausgedrückt: Belohne und Bestrafe um zu erziehen, denn damit wirst du jedes Ziel erreichen.
    Und scheinbar belohnen und bestrafen wir uns auch selbst. Es braucht keinen Dritten. Oder doch?

  2. Neun Minuten, es gibt insofern “eine Lizenz, eine Erlaubnis”, zur Unmoral, weil Moral, oder Ethik, oder Sittsamkeit Maßstäbe bereit stellen, die angefragt werden dürfen und einem gesellschaftlichen Verlauf unterliegen.

    Diese “neun Minuten” sind aus diesseitiger, antizipierender Sicht auch (vergleichsweise) gut investiert worden.

    An sich, sozusagen, alles richtig.

    Außer vielleicht i.p. sog. Lizensierung womöglch AUFZUSTEIFEN,
    derart vorgenommen werden kann philosophisch nicht.

    Es gibt philosophisch ganz unterschiedliche Moralmodelle.
    Dr. W mag diejenigen davon, die den (gewohnten) zivilisatorischen Stand bestmöglich weiter zu entwickeln vermögen.

    “Eine Lizenz zur Unmoral” gibt es aus diesseitiger Sicht im Ablativ.

    Mit freundlichen Grüßen
    Dr. Webbaer (der hofft sich klar ausgedrückt zu haben)

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