Thema Tierversuche – Ein Mangel an Diskurs

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Als ich neulich auf meinem Weg in die Innenstadt war, kam ich an einem Plakat vorbei, das mir im ersten Moment die Sprache verschlagen hat:

Credit: Martin Becker

Ich war mir immer darüber bewusst, dass es Gegner von Tierversuchen gibt und obwohl ich eine etwas andere Sicht der Dinge habe, bin ich davon überzeugt, dass in einer freien Demokratie jeder seine Meinung frei äußern darf und soll. Im zweiten Moment bin ich daher zu dem Entschluss gekommen, nicht sprachlos zu bleiben, sondern meine Sicht der Dinge zu schildern.

Tierversuche werden in der Bevölkerung kontrovers wahrgenommen, was auch an einer bislang einseitigen Berichterstattung liegt. Verschiedene Einrichtungen und Initiativen wie „Tierversuche verstehen“ und der 2015 in Deutschland gegründete Verein Pro-Test Deutschland e.V. versuchen dies seit Kurzem aktiv zu ändern. Ich möchte besonders auf zwei Behauptungen eingehen, die auch auf dem Plakat zu finden sind, die aber nicht der Wahrheit entsprechen:

1. Tierversuche seien wissenschaftlich irrelevant
2. Tierversuche seien nicht auf den Menschen übertragbar

In der biomedizinischen Forschung werden Tierversuche hauptsächlich in zwei Bereichen durchgeführt: Erstens in der Grundlagenforschung und zweitens in so genannten Pflichtversuchen. In der Grundlageforschung werden dabei circa dreimal so viele Tiere verwendet wie für Pflichtversuche. Die Grundlagenforschung beschäftigt sich mit den grundlegenden biologischen Prozessen des Lebens. Einige davon sind bereits sehr anwendungsbezogen und medizinisch hoch relevant, andere befinden sich hingegen noch in ihren Anfängen und es ist schwer abschätzbar, ob sie zu einem späteren Zeitpunkt und mit fortschreitender Erkenntnis in einer Anwendung aufgehen werden. Nichtsdestotrotz ist genau diese Forschung die Basis für medizinische Entwicklungen. Denn ebenjene Bereiche, welche heute in der Klinik Anwendung finden, waren vor einigen Jahrzehnten noch in ihren Kinderschuhen und waren ein (vielleicht sogar unscheinbares) Thema in der Grundlagenforschung. Der Fortschritt, den wir gemacht haben, lässt sich nicht zuletzt auch an unserer deutlich gestiegenen Lebenserwartung und den fantastischen Therapiemöglichkeiten für Krankheiten von AIDS bis Krebs ablesen. Und all diese Fortschritte wären ohne Tierversuche nicht möglich gewesen. Um diese Aussage zu untermauern, möchte ich einige Beispiele geben.

Krebserkrankungen gehören heute mit zu den Volkskrankheiten und enden immer noch oft tödlich. Trotzdem haben Grundlagenforschung und Medizin große Fortschritte in der Behandlung und Therapie gemacht. Viele Krebsarten können heute gezielt mit so genannten monoklonalen Antikörpern behandelt werden (http://www.nature.com/milestones/mileantibodies/full/mileantibodies14.html). Einer der erfolgreichsten Antikörper auf dem Markt ist Rituximab. Rituximab erkennt eine Zielstruktur auf B-Zellen und sorgt somit für die gezielte Eliminierung dieser Zellen. Der Clou an der Sache ist, dass B-Zellen besonders häufig zu Tumorzellen werden und so Leukämien auslösen.

Die Technologie zur Herstellung solcher monoklonaler Antikörper ist ein direktes Resultat aus Tierversuchen. Die Nobelpreisträger Cesar Milstein und Georges Köhler (später Direktor am Freiburger Max-Planck-Institut für Immunbiologie) haben herausgefunden, wie man aus immunisierten Mäusen einzelne antikörper-produzierende Zellen isolieren und diese gezielt zur Antikörperproduktion einsetzen kann. Die Relevanz dieses Tierversuchs wird somit sofort ersichtlich.

Das Beispiel Rituximab lässt sich auch auf die zweite Behauptung, Tierversuche seien nicht auf den Menschen übertragbar, beziehen. Rituximab wurde ursprünglich in einem Mausexperiment isoliert und ist somit ein muriner, also aus einer Maus stammender, Antikörper. Trotz seines murinen Ursprungs wird Rituximab heute standardmäßig in der humanen Lymphomtherapie eingesetzt. Allerdings wurde der Antikörper inzwischen gentechnisch modifiziert, um ihn den menschlichen Antikörpern ähnlicher zu machen. Die wichtigen Informationen, welche die exakte Zielerkennung bestimmen, stammen aber weiterhin aus der Maus.

Antikörper werden nicht nur in der Krebstherapie, sondern auch gegen Autoimmunkrankheiten eingesetzt (http://www.nature.com/milestones/mileantibodies/full/mileantibodies13.html). Sie sind also eine sehr vielfältige Waffe der Medizin. Aus diesem Grund ist es besonders wichtig zu verstehen, wie diese Moleküle natürlicherweise innerhalb des Immunsystems eines Organismus funktionieren. Die hohe Komplexität des Immunsystems lässt sich außerhalb eines Modellorganismus nicht in seiner Ganzheit verstehen und so sind auch diese Studien auf Tierversuche angewiesen.

Unser wachsendes Verständnis des Immunsystems, das größtenteils auf Tierversuchen basiert, bringt zudem neue Therapiemethoden hervor. So beruhen neueste Therapien zur Krebsbekämpfung auf körpereigenen Immunzellen (T-Zellen), die gezielt so modifiziert werden, dass sie nicht einen Krankheitserreger, sondern bestimmte Tumorzellen bekämpfen (https://dechema.wordpress.com/2016/02/08/zellbasierte-arzneimittel-hoffnungstraeger-zwischen-labor-und-krankenbett/).

Tierversuche bilden somit einen entscheidenden Schritt auf dem Weg zu nachhaltiger medizinischer Entwicklung und haben für Patienten eine hohe Relevanz. Meiner Ansicht nach sind unbelegte Aussagen, dass Tierversuche sinnlos und nicht auf den Menschen übertragbar seien, nicht hilfreich und schlichtweg falsch.

Ich möchte an dieser Stelle aber auch deutlich machen, dass es vermutlich keinem Forscher Freude bereitet, Versuchstiere zu töten. Es ist vielmehr ein notwendiger Schritt, der gut überlegt und durchdacht werden muss. Vor genau diesem Hintergrund stehen auch wir Forscher in der Verantwortung über unser Handeln nachzudenken und Alternativen, wann immer möglich, in Betracht zu ziehen. Ich komme zurück zum Beispiel Rituximab und monoklonale Antikörper, denn obwohl diese ursprünglich aus Tieren stammen, gibt es inzwischen mehrere Wege, um spezifische Antikörper in großen Mengen und ganz ohne Tierversuche herzustellen. Auch hier möchte ich hervorheben, dass die neuen Methoden zur Antikörpergenerierung auf dem Wissen der Biologie des Immunsystems basieren und somit auch auf Tierversuche zurückgehen. Für mich ist dies ein wunderbares Beispiel für den Fortschritt: Durch vermehrtes Verständnis und Wissen können wir Patienten helfen und gleichzeitig Tierversuche reduzieren.

Damit komme ich gleichzeitig zu einem anderen wichtigen Punkt: Alternativen zu Tierversuchen. Auf den Seiten von Tierversuchsgegnern bin ich immer wieder über die Aussage gestolpert, dass Zellkultursysteme perfekte Alternativen zu Tierversuchen darstellen.

Zellkulturen, also die Zucht von einzelnen Zellen in Petrischalen, sind durchaus eine weitgenutzte Strategie in der Grundlagenforschung. Es ist aber trotzdem logisch, dass eine einzelne isolierte Zellpopulation oft anders auf eine Behandlung reagieren wird als eine Mischung verschiedener Zellen, die miteinander in Wechselwirkung stehen, wie beispielsweise in Organen eines Organismus. Noch viel wichtiger ist aber das Bewusstsein, das auch für Zellkulturen Tiere sterben müssen. Und zwar nicht, weil die Zellen ursprünglich einmal isoliert werden, sondern weil Zellkulturen immer in einem Nährmedium gehalten werden müssen. Was in vielen Statements oftmals unterzugehen scheint, ist der Fakt, dass in den meisten Nährmedien fötales Kälberserum enthalten ist, also Blutserum von ungeborenen Kühen. Viele Zellen können wir ohne diesen Nährstoff-Cocktail (noch) nicht kultivieren. Auch hier bleibt aber die Hoffnung, dass wir mit zunehmendem Wissen Alternativen finden werden.

Die Vorteile und die Errungenschaften, die wir in der Medizin durch Tierversuche erlangt haben, sind nicht immer offensichtlich und oft mühsam nachzuvollziehen. Zusätzlich kommt erschwerend hinzu, dass Entwicklungen in der Forschung immer über einen langen Zeitraum entstehen. Die Entwicklungen für morgen aus den Tierversuchen von heute vorherzusehen ist nicht immer trivial. Vor dem Hintergrund dieser Komplexität kann ich es nachvollziehen, dass es leichter ist, die negativen Seiten von Tierversuchen zu sehen. Dies ist sicherlich auch ein Grund, warum der Diskurs in unserer Gesellschaft derzeit noch viel zu einseitig verläuft. Ich möchte mit diesem Beitrag einen differenzierten Perspektivwechsel ermöglichen und habe versucht sachlich die Vorteile und Errungenschaften von Tierversuchen zu erklären. Sicherlich gibt es noch eine Vielzahl von Argumenten, die hier ungenannt bleiben.

Die Nennung der Fakten von Forscherseite ist in der gesellschaftlichen Diskussion bisher zu kurz gekommen. Daher möchte ich mit diesem Artikel einen Anstoß geben und für weitere Informationen auf die Website von „Tierversuche verstehen“ verweisen.

… Was nicht alles aus einem Einkaufsbummel in der Stadt werden kann …

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Martin Becker hat in Braunschweig Biotechnologie und in Rhode Island/USA Zell- und Molekularbiologie studiert. Nach seiner Masterarbeit, in der er sich mit der Immunogenität von Zeckenspeichel beschäftigt hat, begann Martin seine Promotion in Freiburg. Hier forscht er seit 2012 in der Arbeitsgruppe von Michael Reth am Max-Planck-Institut für Immunbiologie und Epigenetik und wird auch durch BIOSS gefördert. Der Fokus seiner Arbeit liegt auf der Aktivierung von Antikörper-produzierenden B-Zellen und darauf, welche Rolle das Zytoskelett in diesem Prozess spielt. Martin ist Mitglied der Graduiertenschule IMPRS des Max-Planck-Instituts sowie des TransRegio 130 „B cells and beyond“, in dem er über seine Forschungstätigkeit hinaus als Doktorandensprecher fungiert.

14 Kommentare

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  2. Ein kontroverserses Thema bei einseitiger Berichterstattung? Klingt das nicht seltsam?
    Einseitige Berichterstattung zu kritisieren und gleichzeitig auf tierversuche-verstehen.de zu verweisen ist auch ein Beweis für Humor.

    • Hallo Christian,
      danke für deinen Kommentar.
      Für mich bedeutet “kontrovers”, dass es in der Bevölkerung Gruppen mit sehr unterschiedlichen Meinungen gibt. Das sehe ich auch in meinem ganz persönlichen Umfeld. Diese Meinungen können dabei ganz unabhängig von der Berichterstattung sein (in diesem Thema empfinde ich das genau so). Ich sehe in meiner Aussage also keinen direkten internen Widerspruch. Weiterhin bedeutet eine einseitige Berichterstattung auch nicht, dass ein Argumentationsfeld komplett ausgelassen wird. Ich sehe hier vielmehr die Verteilung und da liegt das Übergewicht in meinen Augen zu sehr auf einer Seite. Das ist etwas was sich ändern soll und wozu ich mit diesem Text beitragen möchte. Tierversuche verstehen leistet hier ebenfalls einen wichtigen Beitrag, von denen es aber bisher leider viel zu wenige gibt. Die Berichterstattung ist also (noch) recht einseitig…

  3. Wie so oft ist es viel einfacher, etwas möglichst aggressiv zu bekämpfen und abzulehnen, als sich mit einem schwierigen Thema auseinanderzusetzen.
    Und zugeben zu müssen, man selber sei zwar auch kein Freund von Tierversuchen, möge aber auf die Vorteile moderner Therapien – auch wenn sie in Tierversuchen entwickelt worden sind – ist offenbar nicht jedermanns oder jederfrau Sache.
    Jedenfalls kenne ich viele Tierversuchsgegner. Aber ich kenne sehr viel weniger Menschen, die Impfungen vor Auslandsreisen oder die Behandlung mit Insulin ablehnen. Und wenn sie es tun, dann meist aus anderen Gründen.

    Für mich führt kein Weg an einer ernsthaften Diskussion vorbei, zu welchen Zwecken Tierversuche erlaubt werden sollten und zu welchen nicht. Eng verbunden übrigens mit einer Debatte darüber, inwieweit so etwas wie Xenotransplantation erlaubt sein sollte und wie weit man dabei gehen soll.

    Allerdings fürchte ich, dass die öffentliche Diskussion der tatsächlichen Entwicklung schon jetzt hoffnungslos hinterherhinkt und es letztlich bei einem bedauernden: “Das wird in China doch sowieso schon gemacht” bleiben wird.

    Ach, noch ein kleiner Nachtrag. Ich vermisse schmerzlich öffentliche Empörung über die zahlreichen Menschenversuche, die vor allem in Entwicklungsländern unter empörenden Bedingungen an häufig völlig ahnungslosen Menschen durchgeführt werden. Mir ist noch kein Plakat begegnet, das solche Praktiken verurteilt.

  4. Ich erinnere mich an eine Tierversuchs-Kampagne von Medizinstudenten vor 30 Jahren. Das im Peta-Plakat verwendete Argument:

    Das ist unethisch und wissenschaftlich irrelevant für den Menschen. Oder bist Du eine Maus? wurde genauso schon damals von den Tierversuchsgegnern und Medizinstudenten eingebracht. Und die Professoren antworteten damals, Tiere und Menschen hätten auf der biologischen Ebene viel gemeinsam und was wir über den Menschen wüssten, wüssten wir grossenteils von Untersuchungen an Tieren. Somit haben auch die Professoren vor 30 Jahren genauso geantwortet wie nun der Autor dieses Beitrags.
    Ich habe den Eindruck, die Argumente der Tierversuchsgegner blieben einfach deshalb die Gleichen, weil sie in der Kommunikation erprobt sind und die Ansprechspartner gut darauf reagieren. Und weil nur wenige überhaupt wissen, welche Bedeutung Tierversuche in den biologischen Wissenschaften haben. Interessanterweise hat die Wissenschaft aber das Argument “Menschen sind keine Mäuse” durchaus ernst genommen und deshalb “humanisierte Mäuse” geschaffen, wie im scilogs-Artikel Kann die Maus als Fenster zum menschlichen Immunsystem dienen? berichtet.

  5. Vielen Dank für den schönen Beitrag!

    Als Gründungsmitglied von Pro-Test Deutschland erlaube ich mir mal den Hinweis, dass wir seit Kurzem auch in Freiburg einen (bisher sehr kleinen) Ableger haben. Wenn Du Interesse hast einzusteigen, wären die sicher begeistert! Trotz der teils scharf geführten Debatte hatten sie bei einer Leute-ansprech-und-flyer-verteil-Aktion in der Freiburger Innenstadt den Eindruck, auf offene Ohren und viel Interesse zu stoßen, vgl. ihren Blogartikel dazu:

    http://www.pro-test-deutschland.de/pro-test-in-freiburg/

    • Hallo Paul,
      danke für das Feedback. Ich habe auch schon deinen aktuellen Beitrag im Laborjournal gelesen und finde den auch sehr schön und wunderbar auf den Punkt gebracht. Bewegung wird definitiv auf beiden Seiten gebraucht.
      Pro-Test Deutschland finde ich sehr spannend, das werde ich definitiv mal im Auge behalten.

  6. Ich erinnere mich an eine Tierversuchs-Kampagne von Medizinstudenten vor 30 Jahren. Das im Peta-Plakat verwendete Argument:

    Das ist unethisch und wissenschaftlich irrelevant für den Menschen. Oder bist Du eine Maus?

    wurde genauso schon damals von den Tierversuchsgegnern und Medizinstudenten eingebracht. Und die Professoren antworteten damals, Tiere und Menschen hätten auf der biologischen Ebene viel gemeinsam und was wir über den Menschen wüssten, wüssten wir grossenteils von Untersuchungen an Tieren. Somit haben auch die Professoren vor 30 Jahren genauso geantwortet wie nun der Autor dieses Beitrags.
    Ich habe den Eindruck, die Argumente der Tierversuchsgegner blieben einfach deshalb die Gleichen, weil sie in der Kommunikation erprobt sind und die Ansprechspartner gut darauf reagieren. Und weil nur wenige überhaupt wissen, welche Bedeutung Tierversuche in den biologischen Wissenschaften haben. Interessanterweise hat die Wissenschaft aber das Argument „Menschen sind keine Mäuse“ durchaus ernst genommen und deshalb „humanisierte Mäuse“ geschaffen, wie im scilogs-Artikel Kann die Maus als Fenster zum menschlichen Immunsystem dienen? berichtet.

    Ich erinnere mich übrigens an diese damalige Intervention von Tierversuchsgegnern, weil diese sich selbst im absoluten Recht sahen, sowohl vom logischen als auch vom moralischen Standpunkt her. Sie agierten mit einem heiligen Furor und auf meinen Einwand “ob sie denn als Alternative Menschenversuche machen wollten” erhielt ich einen vernichtenden Blick. Für einige brach eine Welt zusammen, als nach der Pause ein Professor Tierversuche verteidigte und das Argument verwarf, Tierversuche hätten keine Aussagekraft für den Menschen.

    Auch diesbezüglich hat sich wohl wenig geändert. Es gibt auch heute Tierversuchsgegner die für ihre Leidenschaft (fast) alles einsetzen.

  7. Sehr geehrter Dr. Herr Becker,

    herzlichen Dank für Ihre Ausführungen. Sicherlich sind einzelne Zellkulturen nicht geeignet, um den systemischen Organismus zu ersetzen. Es wird daher angestrebt, den Human-on-a-Chip, also den menschlichen Organismus zunächst mit den 10 wichtigsten Organen im Miniformat (Organoide) inkl. Hormon- und Immunsystem darzustellen. Im nächsten Jahr beginnt dazu eine Validierungsstudie durch TissUse in Berlin. Die Organoide enthalten alle notwendigen Zelltypen. An der Verbesserung der – ich sage mal einfach – Zellsysteme wird gearbeitet. Derzeit geht der Ersatz in dieser Form noch nicht, es wird aber darauf hingearbeitet. Gerade in der Grundlagenforschung wäre es schön, wenn Forscher sich einbringen, den Tierversuch durch neue Methoden, wie z.B. durch diseases-in-a-dish zu ersetzen.
    Seit Jahren gibt es Alternativen zum FKS nutzen. Im Bereich der humanen Stammzelltherapie sind Alternativen sogar vorgeschrieben. Das problem ist nämlich, dass die Zellen eine Sialsäure einbauen, die beim Menschen garnicht vorkommt. Das ist ein großes Sicherheitsproblem. Sicherlich nutzen weltweit alle Forscher noch immer FKS und zwar aus dem Grund, weil es alle machen und keiner Zeit und Geld für Experimente investieren will. Es ist aber erwiesen, dass letztlich keiner wirklich weiss, weshalb die Zellen auf FKS wachsen und die genaue Zusammensetzung noch immer nicht bekannt ist. Nicht zu wissen, mit welchen Substanzen man arbeitet und warum etwas funktioniert, ist eigentlich ganz streng genommen unwissenschaftlich und derzeit noch eine Schwachstelle.
    Es gibt derweil schon eine Vielzahl an tierfreien Medien verschiedenster Art. Viele engagierte Wissenschaftler haben darüber geschrieben.

    Mit freundlichen Grüßen

    Dr. Christiane Hohensee, Biologin und Toxikologin, Leiterin InVitro+Jobs

    • Liebe Frau Dr. Hohensee,
      vielen Dank für Ihren Kommentar und die darin angeführten Argumente. Ich stimme Ihnen vollkommen zu, dass die Arbeit an in vitro Alternativen von hoher Priorität ist und zeitgleich eine faszinierende technologische Herausforderung darstellt. Nicht umsonst hat auch “Tierversuche verstehen” das “replacement” als eines seiner Leitmotive gewählt. Hier ist es sicherlich auch notwendig die grundlegenden Voraussetzungen für diese Forschungen weiter zu unterstützen und ich sehe dort die Verantwortung bei den Wissenschaftlern und den politischen Institutionen, welche über Förderungen entscheiden. Klar ist auch, dass Wissenschaft eine finanzielle Komponente hat und das Tierversuche zu den teuersten Experimenten zählen, ein weiterer Grund, warum Alternativen auch noch wichtig sind.
      Die von Ihnen angesprochenen Chips und Organoide sind sehr aufregende Entwicklungen, allerdings sind sie natürlich (noch) nicht der perfekte Ersatz für einen gesamten Organismus (wie Sie es ja auch selbst sagen). Ich bleibe neugierig, wie sich das Feld in den kommenden Jahren weiter entwickeln wird.

  8. Ich bitte zu bedenken, dass jährlich mehr als 58.000 Menschen nur an den Nebenwirkungen von Medikamenten (aber nicht an den Krankheiten) sterben.
    Asbest wurde an Ratten getestet und als nicht krebserzeugend eingestuft !
    Der Verkehrsdummy hat sämtliche Tierversuche abgeschafft, obwohl bei seiner Einführung die Tierversuchsbefürworter gedroht haben, das nur der lebenden Organismus für die Forschung taugt.

  9. Aah, diese berühmten 58.000, von denen die Ärzte gegen Tierversuche so gern schreiben – woher stammt eigentlich die Zahl? Wie wird nachgewiesen, dass ein Todesfall auf eine Nebenwirkung bestimmter Medikamente zurückzuführen ist? Wieso wurden diese Medikamente denn nach der Erprobung in klinischen Versuchen an Menschen durchgewunken? Ist Ihnen klar, dass die präklinischen Tierversuche zur Giftigkeitsbestimmung nur dazu dienen festzustellen, ob ein Wirkstoff zu giftig ist, um ihn in mehreren Versuchsreihen an Menschen zu erproben? Und dass dann allein das Ergebnis dieser klinischen Studien am Menschen darüber bestimmt, ob ein Wirkstoff als Medikament zugelassen wird? Fragen über Fragen…

    Und selbst WENN diese ominöse 58.000 als Zahl irgendeine Aussagekraft hätte, dann bestimmt nicht über den “Erfolg” des “Systems Tierversuch”. Es wäre eher ein Argument dafür, dass sämtliche durchgeführte Tests (Computermodelle, in-vitro-Versuche, Tierversuche, Menschenversuche) oder evtl. die Administration und Qualitätskontrolle des betreffenden Zulassungsverfahrens versagt haben. 58.000 klingt ja ziemlich viel – wenn da bestimmte Wirkstoffe anteilsmäßig stark vertreten sind, sollte man sich das Zulassungsverfahren evtl. mal näher anschauen und gegebenenfalls rechtliche Schritte einleiten.

    Ich halte diese Zahl persönlich allerdings für zusammengereimten Humbug, bis mir mal jemand auseinandersetzt, wo sie eigentlich herkommt. Im Übrigen kann man da noch grob geschätzt ne Null dranhängen und erhält dann vielleicht größenordnungsmäßig die Zahl derjenigen, die allein durch tierversuchserprobte Antibiotika jedes Jahr am Leben bleiben…

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