Sprachlicher Tanz um die goldene Mitte: Strategie oder Irrsinn?

BLOG: Semantische Wettkämpfe

Wie die Sprache, so die Denkungsart
Semantische Wettkämpfe

(Im Deutschlandfunk Kultur in Berlin interviewten mich die Moderatoren Teresa Sickert und Tim Wiese am 15.02.2020 zu den sprachlichen Folgen der Ministerpräsidentenwahl in Thüringen. Sie betiteln das Ganze mit „Niemals in Worten die Wahrheit suchen“): Auch nach der Ministerpräsidentenwahl in Thüringen geht der politische Wettkampf um Wörter weiter. Dies stellt das Moderatorenteam der Sendung Breitband zurecht fest. Alle wollten zum Beispiel „die Mitte“ sein. Von daher kommt die Breitbandredaktion zu dem Schluss, dass „die Mitte“ – so der Sendungstitel – „ausgeleiert“ zu sein scheint. Wieso ist das so? Und wie kann man auf ausgetretene Sprachpfaden reagieren? Was tun, wenn also bestimmte Ausdrücke wie „die Mitte“ durch inflationären Gebrauch ausgehöhlt zu sein scheinen? Was ich darauf antwortete, kann hier nachgehört werden – oder etwas ausführlicher auch in meinem Beitrag Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ 46-47/2018) nachgelesen werden.

Benötigen wir eine neue politische Sprache? 

In diesem Blogbeitrag möchte ich auf eine Frage eingehen, die viele umtreibt. Diese hat mir auch das Moderatorentandem von Breitband gestellt: Benötigen wir im politischen Diskurs neue Sprachbilder? Oder brauchen wir gar eine neue Sprache? Und ich antwortete: „Nein, wir benötigen kommunikationsaufgeklärte Bürger“. Damit will ich den Fokus vom vermeintlich bösen Medium zum selbständig denkenden und urteilenden Staatsbürger lenken. Mit der Sprache ist es wie mit dem Hammer: Man kann damit Gutes und Böses tun, ein Haus bauen oder jemanden töten. Das heißt: Mit der Sprache können relativ präzise politische Angebote für die Wähler formuliert werden. Mit ihr kann aber auch durch verwaschene Losungen von den Problemen abgelenkt werden. Man sollte aber nicht den Sack (hier das Medium Sprache) schlagen, wenn man den Esel meint (der hier nur sinnbildlich und selbstredend voller Respekt für den Politiker steht).

Unmut über die Politik oder die Sprache

Nicht selten äußern Bürger ihren Unmut über Politik, indem sie sich über bestimmte Worte ärgern. Dabei bleibt mitunter unklar, welche politischen Ebenen, Institutionen und Entscheidungsträger konkret adressiert werden. Dies verwundert nicht, denn für uns Laien erscheint das politische Kommunikationsgeflecht als undurchschaubar. Somit kommen wir zu dem Umstand, dass das Reden über Politik fast genauso wichtig geworden ist wie die Politikinhalte selbst. Als Folge dieses Gedankens rückt das Medium der Auseinandersetzung und des politischen Agierens in den Mittelpunkt – und das ist die Sprache in politischen Zusammenhängen.

Trennung zwischen Akteur und Medium tut not

Die Frage nach einer neuen politischen Sprache habe ich mit der Fokusverschiebung auf die individuelle Kommunikationskompetenz  beantwortet. Der möglichst kommunikationsaufgeklärte Bürger hat einen enormen Vorteil: Man kann auf die eigenständige Urteilsfähigkeit des Einzelnen vertrauen. Damit ist man nicht auf die Ratschläge von Influencern angewiesen, die uns erklären, welche Wörter gut und welche verwerflich sind. Wissen über Gepflogenheiten des politischen Sprachgebrauchs ermöglicht jedem eine reflektierte Teilhabe am politischen Leben. Die Unschärfe des Mediums Sprache ist dabei jedoch in Rechnung zu stellen. Das kennen wir aus dem Alltag; auch dort müssen wir nachfragen bzw. das eine oder andere klären. Ähnlich im politischen Bereich mit seiner vordergründig monologischen Kommunikation: Mit den neuen Medien können wir da ebenfalls über vielfältige Kommunikationskanäle nachhaken, wenn uns die Divergenz zwischen Sprecherintention des Politikers und unserer Hörererwartung zu eklatant schein. Aufklärung ist der Ausgang der politischen Kommunikation aus seiner Einbahnstraßenrichtung (Politiker –> Bürger) hin zu struktureller Dialogizität.

Kommunikationsdemokratie statt Wortobjektivismus

Eine solchermaßen als Kommunikationsdemokratie zu bezeichnende Gesellschafts- und Staatsform benötigt daher ein kommunikationskompetentes zoon politikon. Zu fordern ist ein mündiger und „öhriger“ Bürger. Damit ist ein Bürger gemeint, der zwischen den Worten und dem politischen Agieren zu differenzieren weiß. Das Individuum soll über die Wirkung bestimmter Wörter eigenständig nachdenken können. Es sucht die Wahrheit nicht im Wort selbst, sondern in der Angemessenheit zwischen Wortwahl und Inhalt. Und damit sind wir bei des Pudels Kern angekommen – nämlich bei der Unterscheidung von Politikinhalt einerseits und sprachlicher, handlungsstrategischer Verpackung andererseits. Auf der Suche nach der Wahrheit in den Worten selbst arbeitet man am besten ein paar Beispiele der Resemantisierung (semantischen Neuaufladung) ab: „Die politische Mitte“, „die bürgerliche Mitte“, „die neue Mitte“ oder „der Wählerwille“. Hier finden Sie die Erläuterungen.

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Ekkehard Felder ist Professor für Germanistische Linguistik an der Universität Heidelberg. Er initiierte 2005 die Gründung des internationalen und interdisziplinären Forschungsnetzwerks Sprache und Wissen. Diese Forschungsgruppe untersucht diskurs- und gesellschaftskritisch die sprachliche Zugriffsweise auf Fachinhalte in zwölf gesellschaftlichen Handlungsfeldern – sog. Wissensdomänen (z.B. Recht, Wirtschaft, Medizin, Politik, Naturwissenschaft und Technik). Da Fachinhalte durch die Wahl der Worte geprägt werden und widerstreitende Positionen eine andere Wortwahl präferieren, ist ein Streit um die Sache auch ein Streit um Worte bzw. ein semantischer Kampf um die richtige Sichtweise. Deshalb heißt sein Blog bei SciLogs „Semantische Wettkämpfe – Wie die Sprache, so die Denkungsart“. Seine Forschungen beschäftigen sich mit der Fachkommunikation, der sozio-pragmatischen Diskursanalyse und der Untersuchung von Sprache als Indikator für Identität, Mentalität und Authentizität. 2010 gründete er mit den Kollegen Ludwig M. Eichinger und Jörg Riecke das Europäische Zentrum für Sprachwissenschaften (EZS). Als Fellow des Institute for Advanced Studies in Heidelberg (2008, 2020/21) und STIAS in Stellenbosch / Südafrika (2009) widmete er sich dem diskursiven Wettkampf um erkenntnisleitende Konzepte („agonale Zentren“). Felder ist Autor von sechs Monografien und (Mit-)Herausgeber diverser Sammelbände. Besonders bekannt ist die von ihm herausgegebene Reihe „Sprache und Wissen“ (SuW) bei de Gruyter und die dort mit Andreas Gardt herausgegebenen „Handbücher Sprachwissen“ (HSW).

7 Kommentare

  1. Liest sich ganz gut, zwei Anmerkungen :

    Mit der Sprache ist es wie mit dem Hammer: Man kann damit Gutes und Böses tun, ein Haus bauen oder jemanden töten.

    Oder wie mit der Waffe, die selbst nicht böse ist.
    Es geht insofern um die Kommunikationskompetenz und bei den “neuen Medien” um die vom Konsumenten anzustrebende (neue) Webkompetenz.

    Das Individuum soll über die Wirkung bestimmter Wörter eigenständig nachdenken können. E[s] sucht die Wahrheit nicht im Wort selbst, sondern in der Angemessenheit zwischen Wortwahl und Inhalt.

    Es macht sich schon ganz gut, wenn das Individuum die Bedeutung von Wörtern und von Sprache generell zu verstehen sucht, dabei auch bei Bedarf etymologisches Bemühen zeigt.
    Es ist nicht gut sich die Konnotation von Wörtern “aufoktroyieren” zu lassen, von Interessierten, oft von politisch Interessierten so versucht, wobei der böse Verdacht entsteht, dass da welche (illegitime) Macht über Bürger erlangen wollen, über die Sprache.
    Wörter verhalten sich grundsätzlich, von wenigen (bösen) Ausnahmen wie beispielsweise ‘judenrein’ abgesehen, wie der zitierte ‘Hammer’ oder andere Instrumente.
    ‘Angemessenheit’ obliegt der persönlichen Einschätzung, findet sich, wenn es nicht direkt fachlich wird, nicht in den Begriffen selbst, so gilt es auch für die ‘Wirkung’ der Sprachwahl.

    Mit freundlichen Grüßen
    Dr. Webbaer

  2. Dr. Webbaer,
    für einen Werbefachmann ist die richtige Wortwahl entscheidend.
    Nicht die beste Ware wird gekauft, sondern die, die am besten umworben wird.
    Übertragen auf die Politik bedeutet das, die Partei, die gute Werbung für sich macht, der wird geglaubt.

    Nicht umsonst waren die Größen der Parteien auch gute Redner.
    Willi Brandt, Helmut Schmidt, Gerhard Schröder und bei der CDUwaren es Helmut Kohl, Herr Blüm und F.J. Strauß bei der CSU .

  3. Wenn du von etwas wenig hast, es aber vorgeben mußt, viel davon zu haben, dann rede ständig darüber, daß du es hast, und auch niemand Anderer- und tue dies laut, unaufgefordert und oft ohne Themenbezug.
    Die sogenannte Mitte ist in vielen Punkten überhaupt nicht mittig- sie ist marktradikal, politisch korrekt und damit extrem einseitig und exklusiv, um nicht zu sagen, extremistisch und massiv ausschließend gegen Millionen von Menschen, alleine bei uns.
    Sie regt sich ständig über Rassismus auf, agiert aber selbst rassistisch, durch Unterstützung des islamischen Faschismus, durch eine aggressive , pro-migrantische Propaganda in den mehrheitlichen Teilen der Medien, und, neuerdings, durch eine aggressive Quotierung von Schwarzen in Film und Fernsehen.
    Sie bläkt ständig “Sexismus”, hetzt aber offen gegen “alte weiße Männer”.
    Sie behauptet Demokratie, liegt aber servil zu Füßen eines umfangreichen Pools von Wegelagerern, der manchmal auch als “Lobbyisten” bezeichnet wird.

  4. Vielleicht noch eine kurze Anmerkung zur “politischen Mitte” :

    Diese meint als Metapher die Sitzordnungen in Parlamenten liberaler Demokratie, Sozialisten kamen dort in der Regel links zu sitzen und Konservative, also auch : Christdemokraten, rechts, während Liberale mittig zu sitzen kamen, in Abhängigkeit der Mehrheitsverhältnisse, mal etwas mehr links und mal etwas mehr rechts.
    Im Deutschen Reich kamen dann die nationalen Sozialisten (“Nationalsozialisten”) hinzu, die auch links hätten sitzen können, bei den “Progressiven”, bei den Kollektivisten, weil sie aber im Gegensatz zu den Sozialisten, die einen besonderen internationalen Anspruch haben, einen besonderen nationalen Anspruch haben und sich beide progressiven Richtungen nicht sehr mögen, kamen sie rechts im Parlament zu sitzen.
    (Die hätten sich ansonsten (auch) im Parlament geprügelt und das sollte so durch räumliche Distanz möglichst vermieden werden, das hatte rein praktische Gründe und keine politischen.)

    Die Links-Rechts-Metapher, inklusive “Mitte”, taugt insofern nicht viel.
    In der BRD hat man wohl Probleme mit dem Verständnis der liberalen Demokratie, will, lol, auf keinen Fall politisch rechts stehen.
    Was nicht so-o klug ist, denn “Links” und “Rechts” gehören zum üblichen, ja : notwendigen politischen Spektrum in einer liberalen Demokratie.

    Liberale hantieren statt mit der “Links-Rechts-Schiene” insofern mit der “Kollektivismus-Liberalismus-Schiene”, sozusagen, was deutlich sinnvoller ist.

    BTW, wer im Sinne der hier verwendeten Metapher ‘mittig’ sein will, zeigt aus diesseitiger Sicht vor allem Inhaltslosigkeit an, Beliebigkeit, Merkelismus sozusagen.

    Mit freundlichen Grüßen
    Dr. Webbaer

  5. Und damit sind wir bei des Pudels Kern angekommen – nämlich bei der Unterscheidung von Politikinhalt einerseits und sprachlicher, handlungsstrategischer Verpackung andererseits.

    Was man auch bei Friedrich Merz´s jüngsten Rede/Aussage beachten sollte, als er die Obsolenz der klassischen Medien verkündete.

    Große Aufregung um die Wortaussage, aber niemand konnte/wollte hinter diese Aussage schauen, um zu ergründen, was er eigendlich meinte.

    Erstens sagte er das aus seiner Sicht, die eine ganz spezielle sein muß…und nicht aus Sicht einer politschen Idealkonstellation, wie es der übliche Bürger so erhoffen tut.

    Das es da umgehend widerspruch gab, war ja klar. Er hat auch nicht verkündet, das er die klassischen medien abschaffen wollte, sondern eben nur, das er sie nicht (mehr) braucht.
    Und dann kann man weiter Philosophieren, was er denn da im Einzelnen wirklich aus seiner geheimen Perspektive meint. Es gibt da einige relevanten Begebenheiten, die da wichtig sind.

    Aber die Meute hat mal wieder bewiesen, dass sie auf jeden hingehaltenen Stock losgeht und dann auch noch mit der falschen kritik – weil falschem Verständnis davon, was er gemeint hat.

    • Allerdings ist es hierbei anders zusammengesetzt:
      Merz hat keine “handlungstrategische Verpackung” seiner Aussage vorgetragen, sondern eine nicht sichtbare Botschaft ausgesendet, die man dann falsch verstanden hat.

      An wen die Botschaft wohl gerichtet war, müsste man sich etwa daran orientieren, wie und wann er jüngst in der Öffentlichkeit aufgetreten ist:
      Nämlich in gewisser Weise provoizierend und abwartend, auf die Reaktion auf seinen Auftritt. Offenbar wollen sie an der Reaktion auf die öffentlichen Auftritte etwas ablesen. Einen Status.

      Solche Status-Abfrage fand ja auch bei den Verhandlungen zwischen den USA und den Taliban / Afghanistan statt.

      Verhandlungen fanden offenbar statt. Dann wurden sie abgebrochen. Und dann gab es zwischendurch eine Meldung, das man einen ranghohen Terroristen hat getötet.
      Und kurze Zeit später wurden die Verhandlungen erneut aufgenommen.

      Ob die Tötung eines Terroristen hier im Zusammenhang mit den Verhandlungen in Afghanistan stehen können, sei hier mal offen gelassen.
      Was sollte die beiden Parteien auch verbinden?

      Aber die Politik scheint mir durchaus immer mal wieder in solchen “Schritten” mit kurzzeitigen Unterbrechungen abzulaufen.

      Üblich waren früher aber eher Unterbrechungen in Legislaturperioden-Länge, bis man damit beginnen konnte, mit Zielsetzungen erneut vorstoßen zu können.

  6. @ Kommentatorenfreund ‘Bote’ und hierzu kurz :

    Dr. Webbaer,
    für einen Werbefachmann ist die richtige Wortwahl entscheidend.
    Nicht die beste Ware wird gekauft, sondern die, die am besten umworben wird.
    Übertragen auf die Politik bedeutet das, die Partei, die gute Werbung für sich macht, der wird geglaubt.

    Das ist schon richtig, was Sie schreiben, allerdings meinen Sie die “Verpackung”, die Illusion – die eigentliche (politische) Ware soll den Abnehmer überzeugen, nicht überreden.
    Frau Dr. Angela Dorothea Merkel kann ja bekanntlich nur schlecht (frei) reden, sie ist rhetorisch nicht talentiert und sie macht ihr Ding ganz erfolgreich, jedenfalls wenn als Maßstab ihre persönliche Karriereplanung ins Auge gefasst wird, die gelungen scheint, wie auch ihre Kritiker einzuräumen haben.
    Insofern soll die “Verpackung” nicht überschätzt werden.
    Am Rande notiert :
    Der werte hiesige Inhaltegeber, Ekkehard Felder sein Name, war ja gut in Form, wie hier befunden wird, und Dr. Webbaer will an dieser Stelle kurz erklären, warum die Polemik interessant ist.
    Sie macht Sinn, weil Meinungen zu einem Gegenstand oder zu einem Verhalt zwischen Gegenständen immer zuerst als Meinungen zu einem Gegenstand oder zu einem Verhalt zwischen Gegenständen von Person(en) zu bearbeiten sind, vom Systematiker.
    Dies soll nicht bedeuten, dass zuvörderst die Person(en) zu greifen sind, wenn geäußerte Meinung zu begutachten, zu kritisieren ist, sondern nur, dass Meinungen von Personen abhängig sind, was genügt, um sich gelegentlich auch um die Person zu kümmern, wenn sie verlautbarend geworden ist.
    MFG – WB

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