Zu Hause bei den Ökofritzen: Graue Energie

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(Teil 1 der Serie hier

Was macht man mit einer 500 Jahre alten Dorfschule*, die so oft umgebaut wurde, dass man Mühe hat, die historische Bausubstanz zu erkennen? Vorschläge gab es viele, besonders bescheuert stach dabei die Idee einer Vollverglasung der Fassade heraus.

Ganz schön grauslig, damals.

Wir überlegten was zu tun sei während wir das Haus entkernten. Mein Mann war mit Boschhammer, Schubkarre und Container beschäftigt und ich hab versucht so viel wie möglich über’s Bauen zu lernen (vielen Dank an Google). Dabei fiel auf, dass man eine Menge kaufen muss, um es „richtig ökologisch“ zu machen. Will man nachhaltig – also Energie-sparend – leben, muss man dämmen, eine Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung einbauen und erneuerbare Energien nutzen, etc. Gern wollten wir umweltfreundlich sein, aber (A) konnten wir’s uns so schon mal gar nicht leisten und (B) kam es mir irgendwie komisch vor, einen Haufen neues Zeugs kaufen zu müssen, um zu sparen. Die Logik dahinter wollte sich mir nicht erschliessen.

Wenn man Google (oder Ecosia) befragt, wird man sehr viel Info zum Thema Energiesparen finden. Wie dick eine Wärmedämmung sein muss oder was dreifach-verglaste Fenster so über die Jahre an Geldersparnis einbringen. Leider machte ich den Fehler, nach der Menge an Energie zu fragen, die eingesetzt wird um all das neue Zeug zu machen. Ich hab wirklich lange gesucht, aber kaum was dazu gefunden.

Dann kam ich auf die völlig bekloppte Idee, zu fragen wie lange so eine Neuanschaffung hält und wieviel Energie bei ihrer Beseitigung (oder ist es gar Sondermüll?) verbraucht wird. Denk nur an eine Wärmerückgewinnungs-Lüftungsanlage für Passivhäuser. Die sind doch irre kompliziert. Lass da bloss mal ‘ne Schraube locker sein… Jedenfalls war ich ab diesem Punkt völlig verloren. Das Internet wusste nix.

Manch Einer würde jetzt frech behaupten, dass es eigentlich weniger ums umweltfreundliche Sparen geht, als ums wirtschaftsfreundliche Einkaufen.

Will man eine alte Holzbalkendecke restaurieren, braucht man Lehmwickel. Zutaten: alte Roggensorten (langer Halm), die man nur mit Hand sensen darf (Mähdrescher zerhackt den Halm). Dann in Lehmpampe einweichen, um ein Stück Eiche wickeln und zwischen die Deckenbalken reindrücken. Damals einfach, heute fast unmöglich.

Blick zur restaurierten Decke

Zum Glück brauchte ich gar nicht über das Neuanschaffungsproblem nachzudenken, denn wir waren ja schon Pleite. Also nutzen, was man hat. Spätestens dann fiel uns auf, dass unser altes Haus ein großer Haufen graue Energie ist – jene Energie, die für Herstellung, Transport, Entsorgung und Installation eines Produktes aufgewandt wird und – solange dieses Produkt funktionstüchtig oder reparabel ist – erhalten bleibt.

Wir hatten ziemlich viel Produkt, das wieder verwendet werden konnte. Da es noch vor der industriellen Revolution normal war, Baustoffe zu recyceln, hätte es uns eigentlich nicht überraschen sollen, dass alle modernen Baumaterialien nicht wieder zu verwenden waren (z.B. Beton) und das historische unproblematisch auseinander genommen, umgesetzt und wieder aufgebaut werden konnten (z.B. Holz, Lehm).  

Stilleben mit Boschhammer. Die Ziegelsteine hätte man bei weicherem Kalk- oder Lehmmörtel wieder verwenden können; dank hartem Betonmörtel war das nicht möglich.

Wände aus Holzbalken und rohen Lehmsteinen konnten vollständig abgebaut und wiederverwendet werden. Alternativ könnte man das Haus in einen Haufen Lehm, Kalk, Bruchsteine und Brennholz umwandeln.

Dieses Fenster wurde noch vor der Erfindung des Fensterkitts gebaut (vor ca. 150-200 Jahren). Abkratzen, mit Ölfarbe streichen und den Tischler um ein Vorsatzfenster bitten, dann ist es wieder schön und hält den Winter draussen. 

Man muss kein Genie sein, um von der „ich muss alles neu kaufen“ Routine wegzukommen. Es gibt Sammelstellen für historisch Baustoffe, sogar eBay hat so Zeugs im Angebot. Wenn man neu kauft, sollte man den Herstellungsprozess, die Transportwege, Haltbarkeit, Entsorgung und Wiederverwendbarkeit der Materialien beachten.

Ein Beispiel:

Man kann Innenwände mit Zement, Kalk, oder Lehm verputzen. Zement wird durch Brennen von Kalk und Ton bei 1400°C hergestellt und ist somit energetisch die ungünstigste Alternative in der Herstellung.

Die Verarbeitung aller dieser Putze ist etwa gleich aufwändig und kann per Hand oder Maschine geschehen.

Auch in der Entsorgung sind Zementputze aufwändig. Man muss sie maschinell abstemmen; dabei gehen anschliessende Baumaterialien oft gänzlich kaputt oder nehmen Schaden. Spezialisierte Recyclingfirmen zerkleinern Betonabfall und verkaufen ihn als Straßenbauschüttung oder Recyclingbeton.

Kalkputze sind zwar weicher und können auch per Hammer abgeschlagen werden, doch macht man das bei einer großen Fläche wohl selten. Die Entsorgung ist einfach, denn Kalk ist natürlicher Bestandteil vieler Böden: bei kleinen Mengen geht’s in den Kompost, größere Mengen können mit Muttererde vermischt und auf Flächen (Garten, Feld) aufgebracht werden.

Energetisch gesehen ist Lehmputz die beste Lösung. Man findet ihn (wie Kalk) in Gruben, mischt ihn mit Zuschlagstoffen (Sand, Strohhäcksel, u.a.) und kann ihn per Hand oder Maschine aufbringen. Bei Umbau oder Reparatur kratzt man Lehmputze mit Kelle oder Hammer ab, rührt sie mit Wasser an und kann sie ohne Qualitätsverlust wieder aufbringen. Sollte man trotzdem entsorgen wollen, kann man Lehm in jedes Feld, Kompost, oder Beet schütten.

Lehmbau auf die Langsame. Kinder freuen sich jedenfalls über all den Matsch.

Die Energiebilanz war nicht der einzige Grund, warum wir uns konsequent gegen Beton entschieden haben. Überall dort, wo der “moderne” DDR Betonputz die alten Holzbalken verkleisterte, waren diese verrottet und mussten ausgetauscht werden. Wo noch die alten Lehmwickel und Lehmputze die Holzbalken umgaben, hielten sie Wasser vom Holz fern und es gab keine Schäden (selbst direkt unter’m Dach, wo es jahrelang reingeregnet hat).

Kann man auch recyceln: Alte Handstrichziegel aus dem Rückbau des Werkraums wurden geschnitten und dienen jetzt als Badezimmerfliesen.

Immer wieder hörten wir, dass so wie wir bauen, das Haus nicht „ordentlich“ werden würde. Wir wiesen dann freundlich darauf hin, dass das Ding mehrere Hundert Jahre vor der Erfindung des TÜV und der DIN gebaut wurde und trotzdem noch steht. Die Verwendung alter Baustoffe kann also nicht so „unordentlich“ sein.

Ich wünschte mir, dass wir reichen Deutschen immer ein Auge auf die graue Energie haben. Unser Blickwinkel auf „öko“ würde sich wohl sehr verändern (wegschmeissen kann jeder). 

Alle Fotos (ausgenommen das letzte) wurden von Magnus Wendeberg zur Verfügung gestellt

In der Fortsetzung gehts um u.A. um Wärme und Elektrizität.

 

*Erstmalige Erwähnung des Küsterhauses als Schule im Kirchenarchiv: 1529

 



 

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Annelie Wendeberg ist eigentlich Umweltmikrobiologin. Doch eines schönen Wintermorgens klappte sie die Augen auf und dachte sich "ich schreib mal was". Seither versucht sie ihre Leidenschaft Forschung leicht verständlich und spannend in kurzen Blogartikeln zu vermitteln. Meistens schreibt sie über alles Mögliche was irgendwie mit Forschern, Biologie, Umwelt, Ökologie und vor allem Mikrobiologie zu tun hat. Des Nachts bringt Annelie Wendeberg Leute um. Auf dem Papier. Für den KiWi Verlag.

6 Kommentare

  1. Was haben Sie denn nun zur Wärmedämmung benutzt? Das mag ja schon so sein, dass das früher auch alles funktioniert hat, aber früher hat man auch kaum geheizt und wenn man dann doch geheizt hat, war das eine kurzfristige Angelegenheit.

    Die politische Lösung wäre extrem einfach, aber das ist einfach ein Bildungsproblem. Subventionen müssen gestrichen werden und volkswirtschaftliche Kosten in die betreffenden Güter eingepreist.

  2. Wiederverwendung ` Wirtschaftswachstum

    Bei der heutigen einseitigen Ausrichtung der Politik auf die Gleichung Wirtschaftswachstum=Wohlstand müssen Sie aber aufpassen, dass Sie nicht als volkswirtschaftlicher Schädling ertappt werden. Wiederverwendung, nicht alles in immer kürzeren Abständen wegwerfen? Woher soll denn da das Wachtum kommen?

  3. @Harald Kirsch

    Es ist ein Irrtum zu glauben, dass Wirtschaftswachstum gleichbedeutend ist mit Ressourcenverbrauch. Durch die ewige Wiederholung des Mantras zeigen die entsprechenden Leute, dass sie nicht wissen wie Märkte funktionieren.

    Der wachsende Ressourcenverbrauch rührt daher, dass der Markt durch falsche Besteuerung ungünstig verzerrt wird. Sobald man volkswirtschaftliche Kosten dort versteuert, wo Sie entstehen, führt das automatisch zu einer effizienteren Volkswirtschaft.

    Wenn man sich als Geringverdiener vor Inflation schützen möchte, bleibt einem eigentlich nichts anderes über, als zu konsumieren. Sei es vergänglicher Konsum oder Immobilien etc. Die verschiedenen Anlegegebühren würden den Gewinn sofort wieder auffressen.

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