Projektvorstellung: Spannende Unterhaltung – auch für Gehörlose?

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Crowdfunding für die Wissenschaft
Sciencestarter

Eine Gruppe Studierender der Kommunikationswissenschaft an der Uni Erfurt erforscht in ihrem Bachelorprojekt wie gehörlose Menschen Spannung in Filmen und Serien erleben. Derzeit suchen sie Unterstützer auf Sciencestarter. Eine der Studierenden, Florentina Liefeith, stellt das Projekt genauer vor:

Habt ihr schon bei einer besonders spannenden Stelle im Film den Ton ausgemacht oder euch die Ohren zugehalten, wenn sich der Protagonist auf knackendem Waldboden an den Bösewicht heranschleicht? Denn ohne Ton ist die Spannung viel niedriger und damit besser zu ertragen. Die Mikroemotion Spannung ist ein Hauptbestandteil des Unterhaltungserlebens und steigert die Bereitschaft zur Medienrezeption.

Gegenstand dieses Beitrags ist aber nicht Spannung im Film, sondern unser Bachelorprojekt im Fach Kommunikationswissenschaft an der Universität Erfurt. Dort erlangt man seinen KW Bachelor, indem man zum Abschluss ein Jahr lang in Gruppen zu einem Thema forscht. Das Resultat sind nicht nur gut recherchierte und aufwändige Projekte, sondern auf individueller Ebene viel mehr Geduld, Teamfähigkeit und Resilienz. Zumindest bei den meisten.

Unsere Achtergruppe beschäftigt sich mit Spannungserleben bei der Medienrezeption, unsere Zielgruppe ist allerdings ungewöhnlich. Wenn bei ausgestelltem Ton oder zugehaltenen Ohren weniger Spannung aufkommt, wie erleben dann eigentlich Gehörlose Spannung? Und wie kann man Medieninhalte aufbereiten, damit Gehörlose möglichst viel Spannung und damit auch Unterhaltung empfinden können? Es ist noch wichtig, über die Zielgruppe zu wissen: Abhängig von Zeitpunkt und Grad der Ertaubung können Gehörlose häufig schlecht lesen. Unsere Lautsprache unterscheidet sich von der Deutschen Gebärdensprache in Grammatik und Syntax und ist somit wie eine Fremdsprache zu erlernen. Wenn Medienangebote also untertitelt zur Verfügung stehen (wie es bei ARD und ZDF zum Großteil der Fall ist), dann ist es trotzdem für einen Großteil der Gehörlosen schwierig, dem Inhalt zu folgen. Dazu kommt Ermüdung bei längeren Beiträgen. Wir gehen davon aus, dass bei einem untertitelten Film deshalb viel weniger Spannung und damit auch Unterhaltung erlebt wird. Gleichzeitig vermuten wir, dass Gebärdensprach-Einblendungen deutlich mehr Emotionen vermittelen und Spannung erzeugen. Unsere Versuchsgruppen werden also den gleichen Filmstimulus sehen, eine Folge der Krimiserie „Grimm“, allerdings einmal untertitelt und einmal gedolmetscht. Während der Rezeption erhalten sie einen Regler und stellen kontinuierlich ihr Spannungslevel ein. Dank dieser sogenannten Real-Time-Response Messung können wir die Spannung im Verlauf messen und die Level der Versuchsgruppen vergleichen. Intervenierende Variablen erheben wir anhand von Fragebögen, das sind zum Beispiel das persönliche Spannungspotential, den Empathietyp oder auch die Lesekompetenz.

In Deutschland leben ca. 16 Millionen Schwerhörige, davon sind 140000 mehr als 70% hörgeschädigt und auch im Alltag auf Gebärdensprache angewiesen. Hinzu kommen noch die ca. 80000 vollständig Gehörlosen. Mit der aktuellen Demografieentwicklung können diese Zahlen zukünftig durch Ertaubung im Alter noch deutlich steigen. Trotzdem werden Gelder für Forschung selten zur Verfügung gestellt, die für unsere Forschung relevanten Studien stammen fast alle aus Österreich. Grund genug für uns, ein wenig zu versuchen, diese Forschungslücke zu schließen. Wir stehen mit viel Engagement hinter dem Thema und haben auch schon viel Rückmeldung aus der Gehörlosengemeinschaft bekommen. Zur Finanzierung haben wir auf der Plattform Sciencestarter ein Crowdfunding eingerichtet, dessen Erlös zum Bezahlen der Dolmetscher verwendet wird. Wir müssen unseren Filmstimulus übersetzen und brauchen Hilfe bei der Kommunikation mit unseren Probanden. Mit unserem Projekt wollen wir auf das Problem der eingeschränkten Barrierefreiheit im deutschen Fernsehen und auf die Wichtigkeit der Aufbereitung für Gehörlose und Schwerhörige hinweisen – damit dem beginnenden Trend der Vernachlässigung dieses Themas durch die Programmschaffenden Einhalt geboten wird. Wir sind schon sehr gespannt auf die Ergebnisse! Unterstützer des Crowdfundings bekommen übrigens ab einem bestimmten Betrag unseren fertigen Wissens- und Forschungsstandbericht zugeschickt und können die spannenden Resultate unseres Bachelorprojekts selbst nachlesen.

 

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Projektleiter von Sciencestarter, der Crowdfunding-Plattform für die Wissenschaft.

1 Kommentar

  1. Meine Erfahrung:
    Gehörlose/Schwerhörige schauen sich nicht zu emotionale Filme an. Weil sie dem Emotionalem aus dem Weg gehen. Aber das ohne hinreichende Statistik.

    Die Idee der Forschungsarbeit ist gut. Ich habe eine mittelgradig Schwerhörige Mutter. Und da taucht auch das Problem auf, dass sie – die Schwerhörigkeit besteht schon mehrere Jahrzehnte – von allem, was um sie herum passiert, nichts mitbekommt, wenn sie es nicht sieht.

    Resultat ist, das sie erhebliche Defizite in der Orientierung in ihrer unmittelbaren Umgebung hat. Weil sie ihrem Hören nicht vertauen kann, hat sie es mit der Zeit auch quasi abgeschaltet und tut sich daran nicht mehr orientieren – keine Aufmerksamkeit mehr darauf verwenden. Darunter leidet meiner Meinung nach auch ihre Empfindungsfähigkeit. Meint, dass sie (deswegen?) auch eine völlig andere Emotionalität hat.

    Meine Mutter schaut auch kein Fernsehen und hört kein Radio. Und ich denke, dass sie diese Situationen in den Filmen etwa auch gar nicht “adequat” oder vergleichbar wie normalhörende aufnimmt und verarbeitet. Es scheinen Welten zu sein, denen sie abgeschworen hat und deswegen verkümmert sind.
    Das hat auch Auswirkungen auf ihr ganzes restliches (Er)Leben.
    Weil sie eben nichts mitbekommt aus ihrem unmittelbaren Umfeld, ist sie sehr schreckhaft, weil man auch zur Erlangung ihrer Aufmerksamkeit eine höhere Lautstärke braucht und die dann sofort durchschlägt und ihre “kleine Welt” (gegenwärtiger Aufmerksamkeits-/Bewusstseinsstream) abrupt stört – abrupter, als es normalhörende erleben. Welche ja – wenn sie nicht ganz in ihr tun versunken sind, immer “Antennen” ausgefahren haben, die die Umgebung “mithören” und also mitbekommen, was um ihnen herum passiert – das Geschehen nicht so plötzlich auf sie einströhmt.

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