Wissenschaft, Forschung, Bildung im Koalitionsvertrag

BLOG: RELATIV EINFACH

… aber nicht einfacher
RELATIV EINFACH

Jetzt steht er also, der Koalitionsvertrag, und wenn er das SPD-Mitgliedervotum übersteht, wird dieser Vertrag wesentlich mitbestimmen, wie Deutschland in den kommenden Jahren regiert wird.

Ich habe mir den Koalitionsvertrag, den es bei der CDU zum Herunterladen gibt (die SPD hinkt da offenbar etwas hinterher oder hat das PDF einigermaßen versteckt – moment: jetzt kurz nach 11 Uhr, hat die SPD es auch hinbekommen), daraufhin angesehen, was er zu den Themen Wissenschaft, Forschung und Bildung zu sagen hat.

Hier also ein kurzer Streifzug, mit dem Vorbehalt, dass es letztlich natürlich auf die Umsetzung ankommt. Wie sieht’s also aus mit Wissenschaft, Forschung und Bildung?

In Deutschlands Zukunft investieren: Bildung und Forschung

Das ist die Überschrift des Abschnitts 1.2, also recht weit vorne im Vertrag. Das 10-Prozent-Ziel (jährlich 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts soll ab 2015 in Bildung und Forschung fließen) wird bekräftigt.

Die “drei Pakte” sollen fortgesetzt werden: Der Hochschulpakt, auch bekannt als “wie bekommen wir die doppelten Abiturjahrgänge durch die Uni” soll gezielt gute Lehre fördern (S. 26):

Dabei sollen Hochschulen für gute Lehre und Angebote, die mehr Studierende qualitätsgesichert zu einem erfolgreichen Abschluss führen, stärker honoriert werden.

Was die Exzellenzinitiative an Verbesserungen gebracht hat, soll erhalten und ausgebaut werden (S. 27). Zumindest “die Förderlinien, die sich besonders bewährt haben” sollen in neue Förderformate überführt werden. Welche das sind? Es bleibt spannend.

Als Angehöriger der Max-Planck-Gesellschaft habe ich daran, dass der “Pakt für Forschung und Innovation” (S. 27) fortgeführt wird, auch ein ganz persönliches Interesse. In diesem Rahmen hatten die großen Forschungsorganisationen Deutsche Forschungsgemeinschaft [Forschungsförderung auf Antrag], Max-Planck-Gesellschaft [Grundlagenforschung], Helmholtz-Gemeinschaft [besonders teure Forschungsvorhaben in großem Stil zu drängenden Fragen], Fraunhofer-Gesellschaft [angewandte Forschung] und Leibniz-Gemeinschaft [Institute, die von Bund und Ländern gemeinsam gefördert werden und nicht so recht in die anderen Kategorien passen] zuletzt (2011-2015) je 5% pro Jahr Mittelzuwachs bekommen und sich im Gegenzug zu Evaluation sowie Bemühungen zu Nachwuchsförderung und Gleichstellung sowie dazu verpflichtet, durchaus auch mal ein Risiko einzugehen und unkonventionellere Forschung zu betreiben.

Eine konkrete Prozentzahl, wie es mit dem verlässlichen Mittelzuwachs weitergeht, steht da freilich nicht. Allerdings findet man weiter hinten bei den Finanzen, auf S. 89 unter dem Stichwort “prioritäre Maßnahmen” (sprich: kein Finanzierungsvorbehalt):

Der Bund finanziert außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, den Hochschulpakt, den Pakt für Forschung und Innovation und die Exzellenzinitiative weiter. Den Aufwuchs für die außeruniversitäre Forschung finanziert der Bund in Zukunft allein. Dazu stehen drei Milliarden Euro zur Verfügung.

Das Wort “Aufwuchs” ist mir noch nie als Fachausdruck begegnet, bedeutet aber offenbar so etwas wie Erhöhung der Personalstärke und entsprechend der Ausgaben/Zuwendungen, also einen Zuwachs. Drei Milliarden Euro für die Erhöhung der Förderung der außeruniversitären Forschung laufen, soweit ich sehen kann, über vier Jahre hin auf ähnliche Zuwächse wie in der noch laufenden Phase II des Pakts hinaus. Zumindest finde ich hier im Monitoring-Bericht 2012 den Budget-Zuwachs für die außeruniversitären Forschungseinrichtungen von 2006 bis 2011 (S. 58) bei 2,6 Milliarden Euro.

Sich auf immer neue spzielle Projekte bewerben und mit dem eingeworbenen Geld zum Teil Defizite bei der Grundausstattung und Löcher im Budget stopfen zu müssen ist nicht sehr sinnvoll, ist aber, sehr verkürzt, das, was offenbar an einer ganzen Reihe von Hochschulen geschieht. Dass im Koalitionsvertrag eine Erhöhung der Grundfinanzierung der Hochschulen versprochen wird, ist deswegen gut und richtig.

Allerdings dürfte dies eines der Vorhaben sein, für deren effektive Umsetzung erst einmal das Kooperationsverbot fallen muss. Von der entsprechenden Grundgesetzänderung ist ja schon länger die Rede. Eine kurze Suche nach “Grundgesetz” oder nach “Kooperationsverbot” hat in dem PDF-Dokument allerdings erst einmal nichts gefunden. Hm.

Karriereplanung in der Wissenschaft

Interessant finde ich, dass der Punkt “Planbare und verlässliche Karrierewege in der Wissenschaft” im Koalitionsvertrag explizit erwähnt und in einem eigenen Absatz sogar näher ausgeführt wird (S. 27). Ich gebe dan Absatz mal hier wieder:

Befristete Beschäftigungsverhältnisse aufgrund von Qualifizierungsphasen, zeitlich befristeten Forschungsprojekten und anderen Sachgründen liegen in der Natur des Wissenschaftsbetriebs; ihr Anteil – insbesondere über sehr kurze Zeiträume – hat in den letzten Jahren ein Maß erreicht, das Handlungsbedarf entstehen lässt. An erster Stelle ist ein aktives Gegensteuern Aufgabe der Hochschulen und Forschungseinrichtungen in ihrer Rolle als Arbeitgeber. Wir begrüßen entsprechende Aktivitäten der Wissenschaftsorganisationen und werden deren Bemühungen durch eine Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes flankieren. Wir wollen für den wissenschaftlichen Nachwuchs planbare und verlässliche Karrierewege schaffen. Der Bund wird im Rahmen seiner Förderung und bei Vereinbarungen zu neuen Instrumenten auf angemessene Laufzeiten der Anstellungsverträge achten.

Da soll offenbar etwas geschehen. Was, wird an dieser Stelle noch nicht gesagt. Zumindest das Problem wurde als solches erkannt – das ist ja schon einmal positiv. Jetzt hängt alles davon ab, was die Lösungsvorschläge sind.

Chancengleichheit

Beim Bekenntnis zur Chancengleichheit werden im Gegensatz zur Karriereplanung einige konkrete Maßnahmen genannt: Zielquoten über das Kaskadenmodell werden als “unerlässlich” bezeichnet. Zur Erinnerung: da ging es darum, auf jeder Karrierestufe, den tatsächlichen Frauenanteil der darunterliegenden Karrierestufe als Zielwert zu setzen; gibt es in einem Fach 20% Frauen im Studium, dann sollte angestrebt werden, auch bei den Doktorand/innen einen Anteil von 20% zu erreichen; gibt es bei den Doktorand/innen derzeit 15% Frauen, ist das der angestrebte Frauenanteil bei den Postdocs, und so weiter bis zu den Professorenstellen.

Das Professorinnen-Programm (Sonderförderung durch Bund/Länder für Professorenstellen für Wissenschaftlerinnen) wird ebenfalls fortgesetzt.

Die wahrscheinlich wichtigsten Maßnahmen kommen am Schluss, und dann wieder eher unspezifisch:

Zur Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf wollen wir Hochschulen und Wissenschaftsorganisationen bei der Etablierung familienfreundlicher Strukturen weiter unterstützen.

Keine direkte Erwähnung des “Zweikörperproblems” (die besonderen Schwierigkeiten, wenn beide Partner eine wissenschaftliche Karriere anstreben), aber man kann wohl nicht alles haben.

Bildung, Bildung, Bildung

Was dann an Schlagworten folgt, ist eher wenig überraschend: Durchlässigkeit des Bildungssystems, (insbes. digitale) Infrastruktur für die Wissenschaft, Internationalisierung, Begabtenförderung (für das Deutschlandstipendium, das ja eher zäh anzulaufen scheint, wird für die kommenden vier Jahre eine Zielmarke von 2% gesetzt).

Interessant fand ich, dass die Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften gestärkt werden sollen, und es dort insbesondere auch mit der Initiative zur Förderung der “kleinen Fächer” weitergehen soll. Ob das noch das Erbe von Frau Schavan ist, die sich für die Geisteswissenschaften ja besonders eingesetzt hatte?

Dann geht es weiter mit Breitenbildung, politischer Bildung – und mit Bildung im Bereich Mathe, Informatik, Naturwissenschaft, Technik (=MINT). Die Initiative “Haus der kleinen Forscher” wird (als einzige) explizit erwähnt, und die frühe Förderung bekommt ehrgeizige Zielvorgaben:

Wir werden die MINT-Bildung stärken, Innovationsfähigkeit fördern und dem Fachkräftemangel im MINT-Bereich früh entgegenwirken. Wir unterstützen gemeinsam mit Wissenschaft und Wirtschaft die Stiftung „Haus der kleinen Forscher“. Wir wollen 80 Prozent aller Kindertagesstätten bis 2015 erreichen.

So eine direkte Erwähnung ist natürlich schon etwas besonderes. Hoffentlich bleibt neben dem “Haus der kleinen Forscher” dann noch genug Entfaltungsraum für andere, ähnliche Initiativen (sage ich mal ganz eigennützig im Hinblick auf das, was im Haus der Astronomie in diese Richtung so läuft).

Forschung

Bei der Forschung wird angestrebt, die Investitionen (von Bund, Ländern und Wirtschaft) in Forschung und Entwicklung bei 3% des Bruttoinlandsprodukts zu halten – konkret werden Hochschulförderung, Programmförderung und Förderung der außeruniversitären Forschungsinstitutionen genannt (S. 33).

Das ist auf alle Fälle eine positive Nachricht. In einem Koalitionsvertrag hätte da ja durchaus auch etwas von den schweren wirtschaftlichen Herausforderungen Deutschlands und Europas und davon stehen können, dass sich alle Ressorts am Sparen beteiligen sollen und, und, und. Aber ich hatte Frau Merkel vor ein paar Jahren, als es wirtschaftlich ja durchaus noch schlechter aussah, bereits hoch angerechnet, dass sie Forschung und Bildung ausdrücklich von den Sparzwängen ausgenommen hatte. Die Erkenntnis, dass man sich mittel- und langfristig schadet, wenn man kurzfristig an Forschung und Bildung spart, scheint sich durchgesetzt zu haben. Gut so.

Was forschen?

In den weiteren Absätzen (S. 33f.) wird dann aufgezählt, welche Forschungsthemen man im Blick hat: High-tech und Innovation. Gesundheit. Energieversorgung und Ressourcen. Nukleare Sicherheits- und Entsorgungsforschung. IT-Sicherheit. Rohstoffforschung. Mobilität. Sicherheit. Arbeit von morgen. Transfer von Forschungsergebnissen in die Wirtschaft. Mittelstandsforschung. Forschung an Fachhochschulen.

Das ist dann doch eine ziemlich auffällige Abwesenheit von Grundlagenforschung. Forschung ohne vorgegebene Ziele kommt in dem ganzen Text nur am Rande vor. Das muss jetzt nicht unbedingt etwas heißen – bei der “breit aufgestellten Wissenschaftslandschaft [und] leistungsfähigen Spitzenforschung in den neuen Bundesländern”, bei der schon erwähnten Hochschulforschung und den außeruniversitären Forschungsorganisationen oder im Europäischen Forschungsraum ist die Grundlagenforschung schließlich auch dabei.

Aber die Schwerpunkte der Beschreibung hören sich so an, als hätte sie jemand geschrieben, der ein sehr eng auf die Anwendung begrenztes Bild von Wissenschaft hat: hier ist das (gesellschaftliche) Problem, jetzt forscht mal direkt daran! Dass zu einem gesunden Wissenschaftsmix Grundlagenforschung unbedingt mit dazu gehört, weil sich nicht vorhersehen lässt, in welcher Richtung der nächste Durchbruch gelingt, hätte hier ruhig stehen können.

Open Access, Urheberrecht, Open Source

Interessant wird es auch im Bereich neue Medien und Internet: lokale drahtlose Netzwerke, durchaus auch als ad-hoc-Netzwerke (S. 48) und das Bekenntnis zur Netzneutralität (S. 49) sind im Koalitionsentwurf enthalten.

Bei der Reform des Urheberrechts, S. 133f., bleibt es zum Teil wieder recht vage. Das Bewusstsein für den Wert geistigen Eigentums soll gestärkt werden. Gegen Plattformen, deren Geschäftsmodell auf systematischen Urheberrechtsverletzungen beruht, soll effektiver vorgegangen werden (können).

Auffällig ist das (soweit ich sehen kann) völlige Fehlen des Aspekts, dass es nicht nur um das Verhältnis zwischen kreativen Urhebern einerseits und Nutzern andererseits geht, sondern dass es durchaus auch die Kreativität einschränkt, wenn vorhandene Werke nicht hinreichend frei weitergenutzt – parodiert, persifliert, neu kombiniert – werden können.

Aber zurück zur Wissenschaft (S. 134):

Wir werden eine umfassende Open Access Strategie entwickeln, die die Rahmenbedingungen für einen effektiven und dauerhaften Zugang zu öffentlich finanzierten Publikationen und auch zu Daten (open data) verbessert.

Wieder wird alles davon abhängen, wie diese Ziele umgesetzt werden, aber immerhin: drin stehen sie erst einmal. Später (S. 141) heißt es dann noch etwas konkreter

Der Aufbau, der Ausbau und die koordinierte nationale, europäische und internationale Vernetzung von offenen (Forschungs-)Datenbanken, Repositorien und Open-Access-Zeitschriften der Forschungseinrichtungen und der Hochschulen sind im Rahmen eines eigenen Programms zu fördern.

Im Bereich Wirtschaft und Innovation gibt es übrigens parallel zu dem, was ich gerade zu Open Access zitiert habe, ein Bekenntnis zu Open Source (S. 20 unter :

Als Alternative zu den geschlossenen digitalen Ökosystemen unterstützt und fördert der Bund im Software-Bereich gerade auch die Entwicklung von offenen Plattformen und Open-Source-Lösungen und setzt sich dafür auch auf europäischer Ebene ein.

Und auch “Big Data” hat im Koalitionsvertrag einen eigenen Absatz (S. 140):

Wir werden die Forschungs- und Innovationsförderung für „Big Data“ auf die Entwicklung von Methoden und Werkzeugen zur Datenanalyse ausrichten, Kompetenzzentren einrichten und disziplinübergreifend strategische Anwendungsprojekte ins Leben rufen. Wir wollen die deutsche Spitzenposition im Bereich des Höchstleistungsrechnens in Abstimmung mit den Ländern und Partnern in Europa weiterhin ausbauen.

Das ist für datenintensive Wissenschaften – von Genetik und Klimaforschung bis zur Astronomie – natürlich potenziell sehr interessant.

Fazit

Wie mehrmals gesagt: Entscheidend ist, wie die im Koalitionsvertrag beschriebenen Ziele dann auch angegangen und umgesetzt werden. Es heißt nicht umsonst, dass “gut gemeint” das Gegenteil von “gut” ist. Aber zumindest den Umstand, dass Forschung, Bildung und Wissenschaft im Koalitionsvertrag so gut vertreten sind, sich Themen wie die Planbarkeit wissenschaftlicher Karrieren oder Open Access dort überhaupt wiederfinden, schätze ich sehr positiv ein. Das könnte auch ganz anders sein – ein Blick über den Tellerrand z.B. nach Großbritannien zeigt, dass die Politik in Deutschland bei den Themen Wissenschaft und Bildung im Vergleich gut da steht.

In diesem Sinne: Schauen wir, wie’s weitergeht!

 

Avatar-Foto

Markus Pössel hatte bereits während des Physikstudiums an der Universität Hamburg gemerkt: Die Herausforderung, physikalische Themen so aufzuarbeiten und darzustellen, dass sie auch für Nichtphysiker verständlich werden, war für ihn mindestens ebenso interessant wie die eigentliche Forschungsarbeit. Nach seiner Promotion am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut) in Potsdam blieb er dem Institut als "Outreach scientist" erhalten, war während des Einsteinjahres 2005 an verschiedenen Ausstellungsprojekten beteiligt und schuf das Webportal Einstein Online. Ende 2007 wechselte er für ein Jahr zum World Science Festival in New York. Seit Anfang 2009 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg, wo er das Haus der Astronomie leitet, ein Zentrum für astronomische Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit, seit 2010 zudem Leiter der Öffentlichkeitsarbeit am Max-Planck-Institut für Astronomie und seit 2019 Direktor des am Haus der Astronomie ansässigen Office of Astronomy for Education der Internationalen Astronomischen Union. Jenseits seines "Day jobs" ist Pössel als Wissenschaftsautor sowie wissenschaftsjournalistisch unterwegs: hier auf den SciLogs, als Autor/Koautor mehrerer Bücher und vereinzelter Zeitungsartikel (zuletzt FAZ, Tagesspiegel) sowie mit Beiträgen für die Zeitschrift Sterne und Weltraum.

2 Kommentare

  1. Leider hinkt die Physik (Relativitätsphysik) hinterher. Grossbritannien ist da schon moderner aufgestellt.
    So darf es im Deutschsprachigen Raum nicht weitergehen. as wäre eine Katastrophe.
    .

Schreibe einen Kommentar