Wie man Wissenschaftlern Geld aus der Tasche zieht: Der Entscheidungsträger-Trick
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Ein Telefonanruf im Forschungsinstitut. Man plane eine Publikation zum Thema XY, sagt der Anrufer, und das Thema des betreffenden Wissenschaftlers oder der Wissenschaftlerin würde dazu exzellent passen. Die Publikation würde insbesondere von politischen Entscheidungsträgern gelesen.
Das ist natürlich ein gutes Lockmittel. Denn auch wenn inzwischen wohl die meisten Wissenschaftler davon überzeugt ist, dass es wichtig ist, ihre Arbeit der allgemeinen Öffentlichkeit zu vermitteln – politische Entscheidungsträger sind noch einmal ein ganz anderes Kaliber. Die Öffentlichkeit mag den Großteil der Grundlagenforschung mit Steuergeldern finanzieren, aber die Entscheidungsträger bestimmen, wo das Geld im Einzelnen hingeht. Bei Großprojekten wie dem Square Kilometer Array, dem CTA das jüngst gerade seine Standortwahl einengt oder ähnlichem sind die Entscheidungsträger, nun ja, entscheidend. Diese Entscheidungsträger direkt zu informieren – das ist eine verlockende Chance.
Allerdings kommt man an die Entscheidungsträger nur schlecht direkt heran. Eine Publikation, die Zugang verspricht, ist daher etwas ganz besonderes. Um diesen Anspruch zu untermauern bekommt der Wissenschaftler dann noch Zusatzinformationen, die belegen sollen, dass die Publikation wirklich halten kann, was sie verspricht. Vielleicht wird angeboten, dass der eigene Artikel direkt gegenüber von einem Beitrag eines hochrangigen Beamten im Forschungsministerium erscheint. Oder der Gesprächspartner lässt fallen, dass er gerade aus einer Sitzung kommt, in der ein Mitglied der European Commission dabei war.
Überhaupt ist auffällig, in wievielen Sitzungen die Menschen, die solche Telefongespräche führen, dabei sind. Ihre Telefonate scheinen sie überhaupt bevorzugt führen, wenn sie gerade mal kurz aus solch einer Sitzung hinausgegangen sind. Deswegen ist das Angebot, das sie dem Wissenschaftler machen, auch sehr dringend. Genauer: Der Wissenschaftler muss sich jetzt sofort am Telefon entscheiden, sonst ist die einmalige Chance dahin. Erstaunlich oft hat sich diese Chance nämlich sowieso nur sehr kurzfristig ergeben; ein anderer (nicht selten hochkarätiger) Autor ist abgesprungen, und nur deswegen besteht jetzt überhaupt die Möglichkeit, dass der angerufene Wissenschaftler zum Zuge kommt.
Ach ja, eine kleine Formalität ist da doch noch. Der Verlag berechnet für den Artikel eine moderate Seitengebühr, die insgesamt auf beispielsweise schlappe 10.000 Euro hinausläuft. Wie, das sei zuviel? Haben Sie etwas gegen Open Access (also dagegen, dass Fachartikel ohne Bezahlschranken allen zugänglich gemacht werden – nicht selten mit einer vom Autor zu zahlenden Gebühr verbunden)?
Die Details variieren. Der genannte Preis und die Aussage, der Wissenschaftler müsse sich rasch entscheiden, denn der Verkäufer habe gleich ein Treffen mit einem EU-Kommissionsmitglied stammen aus der E-Mail, die vor ein paar Tagen bei uns im Institut umlief. Andere Details stammen aus Links, die hilfreiche Kollegen dann als Antwort schickten – diese Webseite hier, die Informationen zu spezifischen Telefonnummern sammelt, von denen aus angerufen wird, ist interessante Lektüre, ebenso wie dieser Blogbeitrag von Andrew Jaffe von vor ein paar Jahren.
Die Beurteilung des ganzen überlasse ich getrost den geneigten Lesern. War da wirklich jemand am Apparat, der nur eine Viertelstunde später private Diskussionen mit einem EU-Kommissionsmitglied haben wird? Entsteht bei solchen Verlagen wirklich eine Publikation, die Entscheidungsträger lesen – oder nur ein weiteres Hochglanzprodukt, das möglicherweise sogar an die Entscheidungsträger versandt wird, aber dort weit wahrscheinlicher in der Ablage P wie Papierkorb landet als auf dem Schreibtisch im Stapel “unbedingt lesen”? Und für diejenigen Wissenschaftler unter meinen Lesern, die geneigt sind, den Aussagen am Telefon zu vertrauen, hätte ich hier noch ein paar attraktive Konferenzangebote, die sie sich unbedingt anschauen sollten…