Wie interaktiv ist YouTube-Wissenschaftskommunikation?
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Ich habe schon länger Zweifel daran, dass Interaktivität quasi gleichbedeutend mit guter, moderner Wissenschaftskommunikation ist. Etwas näher hatte ich das in meinem vorigen Blogbeitrag ausgeführt und dort ja auch schon begonnen, mir zusammenfassende Zahlen zu diesem YouTube-Video hier von Mai Thi Nguyen-Kim anzuschauen:
Nguyen-Kim hat den Vorteil, über jeden Zweifel erhaben zu sein: was sie macht ist einem breiten Konsens nach gute, moderne Wissenschaftskommunikation.
In diesem Blogbeitrag will ich mir die Kommentare unter dem Video näher anschauen: Was und wie wird da überhaupt interaktiv kommuniziert? Alle 1361 Kommentare habe ich mir dafür nicht angeschaut, aber das dürfte auch nicht nötig sein. Bereits die zusammenfassende Auswertung im vorigen Blogbeitrag hatte gezeigt, dass die Interaktionen, gemessen an der Häufigkeit, dass auf einen Kommentar eine Antwort folgt, mit der Zeit deutlich nachlassen. Leider sehe ich im normalen YouTube-Interface keine genauen Zeitangaben für Kommentare. Aber es gibt einen Kommentar, der da beginnt mit “Dieses Video macht auch noch ein halbes Jahr später Menschen glücklich!” Den nutze ich als Halb-Jahres-Marke und werte alle Kommentare aus, die davor kamen.
Ein paar Kommentar-Kategorien
Ich habe zunächst einmal quergelesen bei den Kommentaren in dem von mir gewählten Zeitraum, und anschließend die folgenden Kategorien festgelegt, nach denen ich die Kommentare einteilen möchte:
- Nachfrage zum Video – sachliche Nachfrage direkt zu den Inhalten des Videos
- Sachliche Ergänzung/Behauptung zum Video – ditto, aber als Behauptung/Anmerkung/Ergänzung anstatt als Frage, die dem Video inhaltlich etwas hinzufügt.
- Nachfrage allgemein – sachliche Nachfrage zu Wissenschafts-Thema ohne direkten Bezug zu den Video-Inhalten; kann auch die Bitte sein, ein bestimmtes Thema in einem zukünftigen Video zu behandeln. Beispiel: “Wie bist du eigentlich dazu gekommen, Chemie zu studieren?” von User*in letsplaysmithumor9872
- Sachliche Ergänzung/Behauptung allgemein – ditto für Behauptungen. Beispiel: “Hm. Du regst dich über Hummelmenschen auf, ich hab gestern Abend entschieden, meinen eigenen Wahlomaten […] zu schreiben […]” von User*in ElchiKing
- Positive Rückmeldung – allgemeine positive Rückmeldung, Lob etc. Beispiel: “Hammer Video! Ich empfehle deinen Kanal, wo ich nur kann. Nerds müssen zusammenhalten!” von User*in MrTingeltangelbob
- Negative Rückmeldung – von allgemeiner Kritik bis Beleidigung. Beispiel “Muss jetzt jeder YouTube machen und immer diese abgefuckte Themen” von User*in mnml5294
- Lustiger Kommentar – interessanter Weise sind einige der Kommentare mit besonders vielen Antworten Witze. Beispiel: “Was sagt der Türsteher zum Neutron? Heute nur geladene Gäste…” von User*in giannidacantazaro3822
- Sexismus/Rassismus/Ableismus u.ä. – Kommentare zum Aussehen von Mai Thi, oder über “Asiaten”. Beispiel “So eine Freundin wäre cool aber lieber blond” von User*in abarra02.
- Bemerkung/Frage zur Sprache – bei diesem Video vor allem zur Formulierung “macht Sinn”, die Mai Thi an einer Stelle nutzt und anschließend verteidigt. Beispiel: “ich wusste nicht mal das “sinn machen” umgangssprache ist…” von Nutzer*in lynnsaik
- Sonstiges – what it says on the box. Beispiel: “Ich find Hummeln putzig, diese fetten Brummer :3” von Nutzer*in solarsmile9990
Wo der Kommentar nur aus einem Link besteht, habe ich ihn dem Linkinhalt nach eingeordnet – ein Verweis auf eine zum Video passende weitere Quelle als “Behauptung zum Video”. Bei “Sachliche Ergänzung” ging es mir wirklich um Beiträge zum Inhalt; Aussagen wie “ich hatte mal eine Lehrerin die das auch immer gesagt hat” habe ich nicht dort, sondern bei “Sonstiges” mitgezählt – das habe ich nicht als inhaltliche Ergänzung gewertet sondern als Meta-Aussage (eben zur Verbreitung) Auch “Nachfragen” bezieht sich bei mir nur auf Nachfragen zur Wissenschaft. “Warum bekomme ich von YouTube keine Benachrichtigungen mehr zu deinem Kanal” landete stattdessen unter “Sonstiges”.
Sexismus/Rassismus/o.ä. zu konstatieren ist bei kurzen Kommentaren natürlich etwas heikel. Da es aber nicht darum geht, für die Kommentator*innen Konsequenzen zu fordern, sondern um eine Abschätzung der Häufigkeit, habe ich hier alles dazugezählt, was Nguyen-Kim sexualisiert, rassifiziert oder auf ihr Aussehen reduziert. Mindestens einer der von mir so klassifizierten Kommentare (“Fcking sexy Nerdrant :D”) scheint Nguyen-Kim aber nicht nur nicht gestört, sondern sogar gefallen zu haben (Antwort “#Nerdssindsexy”). Insofern: In der Kategorie ist eine ganze Spannbreite von (eher) unproblematisch bis problematisch zusammengefasst. Wo es schwerpunktmäßig um Sexismus/Rassismus/Ableismus in YouTube-Kommentaren geht, muss man das sicher noch genauer differenzieren.
Meist ist die Zuordnung eindeutig. Manchmal nicht, und an denjenigen Stellen kann ich nicht hundertprozentig garantieren, dass ich immer konsistent gewählt habe. Wäre dies ein wissenschaftlicher Fachartikel, hätte ich an dieser Stelle noch genauere Entscheidungskriterien festlegen müssen. Für einen Blogbeitrag sollte es auch so reichen, denke ich. Wer es genauer wissen möchte, kann meine Klassifikation der 228 betreffenden Kommentare in diesem Google-Dokument finden.
Kommentar-Häufigkeiten
Hier erst einmal die Ergebnisse selbst: Wie viele Kommentare in jener Kategorie?
Die bei weitestem häufigsten Kommentare fallen in die Kategorie “positive Rückmeldung” – diverses Lob für Nguyen-Kim, von “Nice” bis “Tolles Video!” oder eben die Aussage, es habe einem gefallen und/oder man werde Video oder Kanal weiterempfehlen. Selbst die Summe der sachbezogenen Nachfragen und Bemerkungen, egal ob zum Video oder nicht (37) macht weniger als die Hälfte dieser häufigsten Kategorie aus. Nächstgrößte Kategorie ist “Sonstiges”, was Kommentare wie “ist mir auch schon passiert” oder “mich nerven die Hummel-Motivationssprüche auch immer” oder “Hummeln sind auf ihre art niedlich” umfasst, aber auch technische YouTube-Nachfragen. Dicht dahinter folgen die humorvollen Kommentare, von Wortspielen bis zu karikaturhaft-überzeichneten Rückmeldungen zum Thema.
Negative Rückmeldungen (“Schon wieder ein GEMA gesponserter Kanal”) und die Antworten, die ich in die Kategorie Sexismus/Rassismus o.ä. eingeordnet habe (“Sorry gehört nicht hier hin. Aber oh man ist sie hübsch. So große Augen. Wahnsinn.”) machen zusammen nur 18 der Antworten aus. Angesichts der Probleme, die YouTube in bestimmten Bereichen mit toxischen Kommentaren hatte, scheint mir das vergleichsweise wenig. (Gut so.)
Wenn meine Stichprobe repräsentativ ist, dann hätte das Video hochgerechnet 220 sachbezogene Anmerkungen und Nachfragen. Im Vergleich zur Größe des “Publikums”, nämlich den rund 470.000 Views die das Video hat, wäre das weniger als ein halbes Promille. Jeder Präsenz-Vortrag vor 100 Menschen, bei dem am Ende eine einzige Frage aus dem Publikum live beantwortet wird, bekommt das vom Zahlenverhältnis her 20 Mal besser hin.
Kommentare mit Antworten
In dem folgenden Diagramm habe ich zusätzlich zur Anzahl der Kommentare in jeder der Kategorien noch die Anzahl jener Kommentare aufgetragen, auf die es mindestens eine Antwort (von Nguyen-Kim selbst oder anderen Nutzer*innen) gab, also eine weitere Ebene an Interaktion stattfand:
Nur auf eine Minderheit der Kommentare gibt es überhaupt mindestens eine Antwort. Drei der vier Nachfragen zum Video bleiben unbeantwortet, mehr als die Hälfte der ergänzenden Sach-Bemerkungen direkt zum Video auch.
Positiv wiederum: Negative Rückmeldungen und Sexismus/Rassismus u.ä. werden, was die Antworten angeht, fast komplett ignoriert. “Don’t feed the trolls.”
Der größte Teil der Musik spielt wo anders: Bei den positiven Rückmeldunngen, den humorvollen Kommentaren und, das dürfte allerdings nicht repräsentativ sondern eine Besonderheit des hier gewählten Videos sein, bei den Diskussionen darüber, ob “es macht Sinn” nun verdammenswertes Denglisch oder eigentlich doch cool ist.
Kommentare mit MaiLab-Antworten
Dass die Besucher*innen des Kanals untereinander interagieren, ist natürlich durchaus gewollt. Davon abgesehen interessiert mich aber auch, inwieweit Nguyen-Kim selbst auf Kommentare antwortet. Hier ist die entsprechende Übersicht per Kategorie. “Mehr als eine Antwort” ist in diesem Falle redundant; Nguyen-Kim antwortet in dem hier ausgewerteten Kommentarbereich nie mehr als einmal auf einen Kommentar, lässt sich also insbesondere nicht auf Diskussionen ein:
In den hier ausgewerteten Teilbereich fallen 48 der insgesamt 51 Antworten von Nguyen-Kim in der gesamten Zeit, seit das Video online ist – der Großteil der Antworten entfällt, wenig überraschend, auf die Zeit direkt nach der Veröffentlichung des Videos.
Die meisten der Kommentare reagieren auf positive Rückmeldungen, in der Regel mit einem kurzen “Danke”, einem Shout-Out mit (Nutzer-)Namen an den/die Betreffende*n oder entsprechenden Emojis. Generell sind die Kommentare sehr kurz; der längste Kommentar dürfte jener in der Kategorie “Sonstiges” sein, der eine Frage zu YouTube-Benachrichtigungen beantwortet mit “Oh Mann. Das ist leider manchmal so bei YouTube. Du musst die Notifications (die Glocke) einstellen, wenn du die Videos nicht verpassen willst, echt nervig.”
Auf die humorvollen Kommentare und die für dieses Video besondere Sprach-Diskussion entfällt mehr als ein Viertel der Antworten. Vergleichsweise wenig Antworten von Nguyen-Kim, nämlich nur ein Achtel, 12,5%, beziehen sich auf die Sach-Ergänzungen und Nachfragen, entweder zum Video oder darüber hinaus. Und auch von jenen sechs Antworten geht nur eine auf der Sachebene auf einen Einwand ein; die anderen versprechen zukünftige Videos zum angefragten Thema (Quantensprünge, Warum stinken Hunde eigentlich so wenn sie nass sind), stimmen dem Frust über eine zusätzliche Facette des Hummel-Mythos ein (“aaaahhhh indeed xD”), geben positive Rückmeldung zu dem von einem Kommentator beschriebenen Wahlomat-Projekt (“Du bist der sinnvollere Nerd von uns beiden“) oder reagieren auf die Erwähnung eines Videos, das Hummeln als Beispiel für “Kräfte” jenseits der Naturgesetze vorstellt (“Aaah sofort dieses Video schicken!”).
Vom Fachlichen her finde ich das fehlende Eingehen auf einen bestimmten, von gleich mehreren Zuschauer*innen vorgebrachten Einwand problematisch. Ab 3:25 führt Nguyen-Kim den Bernoulli-Effekt ins Feld, insbesondere auch für (als Illustration eingeblendete) Flugzeugflügel. Das ist tatsächlich in der Physik-Didaktik als hartnäckige Fehlvorstellung bekannt – dieser Artikel hier im American Journal of Physics hat eine recht umfangreiche Literaturliste dazu. An dieser Stelle wären eine klärende Diskussion unter dem Video und eigentlich auch eine Korrektur/Ergänzung des Videos also ggf. durchaus hilfreich gewesen. (Was ich ansonsten an MaiLab-Videos kenne ,fand ich aber eigentlich immer sehr solide; ich habe keinen Hinweis darauf, dass dieser Lapsus in irgendeiner Weise repräsentativ wäre.)
Bei den “Likes”, also der Möglichkeit, einem Video per Klick einen “Daumen nach oben” zu geben, ergibt sich übrigens auch ein interessantes Bild. Die meisten Likes (bis zu mehrere hunderte) gibt es für den Ruf nach mehr derartigen Videos, für Fragen, die zu neuen Videos führen könnten, oder für besonders gute Witze. Eine solide Zahl von Likes gibt es aber auch für diejenigen, die das Problem mit dem Bernoulli-Effekt aufbringen. Häufig findet sich ein einzelnes Like bei positiven Rückmeldungen, auf die Nguyen-Kim direkt antwortet; ich nehme an, dass sie dort beim Antworten gleich jeweils ein Like hinterlässt. (Es wird aber leider nicht angezeigt, von wem welches Like stammt.) Besonders viele Likes gibt es naturgemäß am Anfang – dass die eingefleischten MaiLab-Fans das Video und dann auch die zugehörigen Kommentare vergleichsweise früh wahrnehmen, und eher zum liken neigen, ist nicht überraschend. Hier holt ein bestimmter humorvoller Kommentar sogar ganze rund 1200 Likes, ein Wortspiel sogar rund 3200, ein “Oh mein Gott, ich kann mich zu 100 % damit identifizieren!” rund 1600. Dislikes, also Daumen nach unten, habe ich bei den von mir angeschauten Kommentaren übrigens keinen einzigen gesehen. Man ist nett zueinander.
Ist (Wissenschafts-)YouTube interaktiv?
Die Frage nach der Interaktivität von Wissenschaftskommunikation, und speziell von YouTube-Formaten wie dem von Nguyen-Kim, hat mehrere Aspekte. Den ersten, nämlich die Frage wie viele der erreichten Menschen wirklich interagieren und wie viele passiv mit von der Partie sind, hatte ich bereits in meinem ersten Beitrag angesprochen; die Ergebnisse aus der Kommentar-Auswertung bekräftigen das noch einmal. Die Interaktivität selbst bei YouTube-Communities wie jener, die Nguyen-Kim aufgebaut hat, ist im Vergleich zur Reichweite gering. Das zeigt sich besonders deutlich, wenn man die inhaltlichen Interaktionen betrachtet, also Nachfragen oder Ergänzungen zu Sachfragen. Ich hatte mehrfach zum Formate-Vergleich den klassischen Präsenzvortrag genannt, mit anschließender Möglichkeit, Fragen zu stellen. Die relative Interaktivität – Verhältnis von interagierenden Teilnehmenden zur Gesamtzahl – ist beim Präsenzvortrag deutlich größer. (Die Reichweite insgesamt ist dort aber natürlich deutlich kleiner.)
Zweiter Aspekt ist die Qualität bzw. sind die Eigenschaften der Interaktionen. Dort, wo es Wissenschaftskommunikation darum geht, konkrete Inhalte zu vermitteln, bestehen Parallelen zu formaleren Lehr-Lern-Situationen. In denen wiederum dient Interaktion in der Regel dazu, die Vermittlung zu verbessern/verstärken oder auch Rückmeldung zu erhalten, die Verbesserung/Verstärkung zulässt. Wer beim Präsenzvortrag oder auch in einer Vorlesung in einer Unterrichtsstunde etwas nicht verstanden hat, kann nachfragen und bekommt (hoffentlich) eine hilfreiche Antwort. Ähnlich verhält es sich dort, wo Fragen über das bereits Vermittelte hinausführen, wo also angeregt durch die vermittelten Inhalte weitergefragt wird. Damit bestimmen zumindest punktuell die Zuhörenden, welche Informationen ihnen als nächstes geliefert werden. (Meiner eigenen YouTube-Erfahrung mit dem Haus der Astronomie nach, wo sich unsere Live-Sendungen recht eng am klassischen Vortragsformat orientieren – auch wenn die Fragen während des Vortrags gesammelt werden, nicht danach – sind die weiterführenden Fragen sehr viel häufiger als Fragen wie “Ich habe XY nicht verstanden, könnten Sie das noch einmal erklären”.)
Interaktionen als Mittel zur Verbesserung/Verstärkung der Wissensvermittlung spielen in dem hier untersuchten Video allenfalls eine sehr untergeordnete Rolle. Insbesondere Nguyen-Kim selbst legt auf Nachfragen oder Ergänzungen hin nicht “inhaltlich nach”, liefert keine weitergehenden Erklärungen, lässt sich auch auf keine inhaltlichen Diskussionen ein. Zwei Mal antwortet sie auf themenfremde Nachfragen (Quantensprung, warum riechen nasse Hunde) mit, sinngemäß, “notiere ich mir mal”; zumindest einer Stichwortsuche im MaiLab-Kanal nach scheint es aber zumindest in diesem Falle keines der Themen zu einem eigenen Video gebracht zu haben.
Im Vordergrund steht stattdessen der Gemeinschafts-Aspekt – wer MaiLab-Videos schaut, wird automatisch Teil der “Freunde der Sonne”, so die kollektive Ansprache in den Videos. Zu diesem Schwerpunkt passen sowohl die Kommentar- und Antworthäufigkeiten als auch die Antwort-Schwerpunkte von Nguyen-Kim. Der “harte Kern” ist dabei eine Fan-Gemeinschaft; entsprechend hoch ist der Anteil der positiven Rückmeldungen für Videos, die sich oft auch direkt auf Nguyen-Kim als Person beziehen. Nguyen-Kims eigene hohe Antwortrate auf positive Kommentare verstärkt dieses Verhalten und fördert diesen Teil der Gemeinschaft. Die Interaktionen dort sind sozial: Man erzählt sich Witze bzw. hinterlässt lustige Kommentare, oder begibt sich gemeinsam auf ein Nebengleis (bei diesem Video die Sprachdiskussionen zu “Sinn machen”). Eine gemeinsame Auseinandersetzung mit dem tatsächlichen Wissenschaftsthema tritt dem gegenüber in den Hintergrund, und wird ja auch von Nguyen-Kim nicht durch eigenes Antwortverhalten ermutigt bzw. gefördert. Positiv: Empörungs-Spiralen, die anderswo auf sozialen Medien ja zu einer durchaus unguten Dynamik führen, die eskalierenden Beiträgen überproportional viel Aufmerksamkeit verschaffen, habe ich in den Kommentaren nicht gefunden. Negative oder gar beleidigende Kommentare werden so gut wie komplett ignoriert (“Don’t feed the troll”).
Fazit
Interaktivität ist kein Selbstzweck. Wissenschaftskommunikations-Aktionen sind nicht gut oder schlecht bloß weil sie mehr oder weniger interaktiv sind. Und es kommt jeweils noch darauf an, was der Beitrag der Interaktivität für das Ziel der jeweiligen Aktion sein soll: Soll eine Community aufgebaut werden, die Wissenschaft angemessen offen und positiv gegenübersteht (letzteres zumindest dort, wo Wissenschaft keinen Mist baut)? Oder geht es darum, bestimmte Kompetenzen, bestimmtes Hintergrundwissen, bestimmtes Wissen zu vermitteln?
Nguyen-Kim ist beim Community-Building sehr erfolgreich – und das deutlich über die im Vergleich zur Reichwerte dann ja doch sehr geringe Anzahl von tatsächlichen Interaktionen hinaus. Ich vermute einen Effekt analog zum Erfolg von Reality-TV-Sendungen: Selbst wer nicht mit den Protagonist*innen interagiert, sieht trotzdem, dass es dort um ein Gemeinschaftsgefühl geht – ein (künstliches oder echtes) “Menschen wie ich”. Da dürfte dann weniger wichtig sein, selbst eine soziale Interaktion mit Nguyen-Kim zu ergattern, als sich allgemeiner als Teil einer Gemeinschaft zu sehen, in der solche direkten Interaktionen möglich sind und immer einmal wieder vorkommen.
Dass es in diesem unbestreitbar erfolgreichen, modernen Wissenschaftskommunikations-Format viel mehr um Gemeinschaft als um Interaktivität geht, sehe ich als Bestätigung meiner Haltung: Interaktivität alleine sagt erst einmal wenig über die Qualität von Wissenschaftskommunikation aus, und wir sollten uns hüten, sie generell zu fordern, als universelles Qualitätsmerkmal zu pushen oder in der Wissenschaftskommunikation gar “modern” mit “interaktiv” gleichzusetzen. In den letzten Jahren bis Jahrzehnten hat sich viel an den Rahmenbedingungen und an den Möglichkeiten von Wissenschaftskommunikation geändert. Interaktivität ist ein Teil davon, aber nicht unbedingt und nicht immer der wichtigste – wie das hier näher untersuchte Beispiel eines der aktuell vermutlich wichtigsten und erfolgreichsten Wissenschaftskommunikations-Formate bestätigt.
In der vorliegenden Form tragen Kommentare kaum etwas zum besseren Verständnis des Kommentarlesers bei. Das aber vor allem, weil sie ungeordnet sind. Wer aber durchkämmt 1361 Kommentare um etwa herauszufinden ob jemand schon etwas angesprochen hat, was einen selber auch interessiert? Nur wirklich Angefressene.
Ganz anders sähe es aus, wenn die Kommentare bereits in Kategorien eingeteilt wären und zwar in Kategorien, die einen Interessierten sofort an die „richtige“ Stelle führen. Tatsächlich gibt es im verlinkten YouTube-Video 3 Kategorien, nämlich
– Beliebteste, – Geplante Kommentare und -Neueste.
Bei „Geplante Kommentare“ lese ich gerade: „Du bist beim letzten Kommentar mit Zeitstempel (Betaversion) angelangt. Sieh dir an was andere Nutzer in den Top-Kommentaren schreiben oder sende uns Feedback.“ und in der zugehörigen Antwortzeile kann man tatsächlich einen Zeitstempel einfügen und den eigenen Kommentar dann auf einen Zeitpunkt im Video beziehen. Das scheint mir sinnvoll. Tatsächlich liest man zum Versuch mit dem angeblasenen Papier etwa:
oder man liest:
Das sind für mich schon interessante Behauptungen. Nur leider gibt es keine erwiesenermassen kompetenten Erörterungen dazu.
Fazit: nach Kategorien geordnete Kommentare können eigene Fragen durchaus beantworten oder mindestens bestätigen, dass man ein ähnliches Verständnisproblem hat. Die hier bereits vorhandenen nach Zeitstempel sortierten Kommentare etwa bringen mich selbst zum nachdenken aber leider zu keiner befriedigenden Lösung/Antwort, da mir die Kompetenz der sich als sachverständig Ausgebenden nicht klar ist.
Sacharbeit muss sich nicht am Kommentariat messen lassen .
Sie haben sp-o recht, Herr Dr. Markus Pössel.
Dennoch mag Dr. W auch derartige “Influencer”-Videos, wenn sie nicht schlecht sind.
Dieses Video (inklusive “Audio”) scheint nicht schlecht gewesen zu sein, von Frau Dr. Mai Thi Nguyen-Kim, Moment, …, …, …, Dr. W schaut sich nun noch die zweite Häfte an, …, …, …, gleich wieder da.
Also ein Exempel :
Arrogante Süffisanz, wenn offensichtlich philosophische Grundlagen, die die Erkenntnis, die Erkenntnistheorie meinen, fehlen, schadet.
Bei Ihnen, Herr Dr. Markus Pössel, kommt so nicht vor.
Sie sind da auch teils defensiv, gar selbstquälerisch und erzeugen genau so Vertrauen.
Womit so nicht gemeint ist, dass Frau Dr. Mai Thi Nguyen-Kim mindergeleistet hat, sondern nur : anders.
Mit freundlichen Grüßen und einen guten Rutsch schon mal
Dr. Webbaer (der auch nicht so genau weiß, wie die Menge naturwissenschaftlich interessiert werden kann)