Teleskop-Montierungen, oder: Wie Astronomen mit langer Belichtungszeit viele Photonen fangen

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… aber nicht einfacher
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Im vorangehenden Blogbeitrag, Astronomische Beobachtungen – wie funktionieren die eigentlich?, hatte ich anhand physikalischer Überlegungen gezeigt, warum astronomische Helligkeitsmessungen umso genauer werden, je mehr Lichtteilchen (Photonen) man auffängt. Zum möglichst umfangreichen Photonenfang tragen vor allem zwei Faktoren bei. Zum einen hilft eine möglichst große Sammelfläche, sprich: ein möglichst großes Teleskop. Andererseits hilft lange Belichtungszeit, sprich: möglichst vielen Photonen die Zeit zu geben, das Teleskop und den daranhängenden Detektor zu erreichen. Dafür sind geeignete Teleskop-Montierungen unerlässlich.

In diesem Beitrag soll es darum gehen, wie man mithilfe von Montierungen bei bodengebundenen Teleskopen eine möglichst lange Belichtungszeit erreicht. Das Material stammt wiederum aus meiner Vorlesung Methoden der Astronomie für Nicht-Physiker, diesmal aus der Ausgabe vom vergangenen Donnerstag.

Eine nicht gerade ideale Beobachtungsplattform

Auch Astronomen leben auf der Erde – selbst wenn sich ihre Gedanken oft außerhalb herumtreiben. Das heißt aber: Schauen sie länger als eine gewisse Zeit an den Himmel, dann sehen sie, wie sich die Himmelskugel zu drehen scheint. (In Wirklichkeit ist die deutlich einfachere Beschreibung, dass sich die Erde, die Beobachtungsplattform, dreht.) Hier eine Überlagerung von Fotos des Nachthimmels, Heidelberg:

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Eigenes Bild

Die Einzelaufnahmen wurden jeweils im Abstand von rund 10 Minuten aufgenommen. Deutlich ist zu sehen, wie sich die Sternpünktchen von Aufnahme zu Aufnahme etwas verschoben haben. Insgesamt entstehen Kreismuster: Die Fixsterne haben ihre Positionen relativ zueinander beibehalten, aber die Himmelskugel als Ganzes hat sich um einen Punkt etwas unterhalb der Bildmitte gedreht. (Die helle, kurze Sternspur nahe des Drehpunkts gehört zum Polarstern, der fast, aber eben nicht ganz am Himmelsnordpol steht.)

Folgen der Drehung

Wer ein lange belichtetes Foto aufnehmen möchte, montiert seinen Fotoapparat üblicherweise auf einem Stativ, um Verwacklungen zu vermeiden. Bei Himmelsaufnahmen reicht ein gewöhnliches Stativ nicht. Solcherart fixiert würde ein Fernrohr zwar relativ zur Erde immer in dieselbe Richtung zeigen, aber der Himmel würde mit der Zeit daran vorbeiziehen.

Hier ist die Situation schematisch dargestellt: Die Erde als Scheibe (ähem), darauf das Teleskop auf seinem Stativ; wir als Beobachter schauen von außen und sehen, wie sich das Teleskop mit der Erde mitdreht und dabei fortwährend seine Blickrichtung ändert:

erddrehungWer in solch einer Situation länger als mit einer bestimmten Belichtungszeit fotografiert (bei einem Weitwinkelobjektiv mehr als ca. 20-30 Sekunden), bekommt merklich verwischte Aufnahmen heraus.

Allerdings ist die Korrektur in diesem Falle sehr einfach. Unsere Teleskopmontierung hat zwei Achsen: Eine waagerechte, mit der man das Teleskop steiler (in Richtung Zenith) oder flacher drehen kann, und eine senkrechte Achse. Die senkrechte Achse ist parallel zur Drehachse unserer Scheiben-Erde. Stellen wir die Drehgeschwindigkeit um die senkrechte Teleskopachse geeignet schnell ein, dann können wir die Scheibendrehung damit gerade ausgleichen. Solchermaßen nachgeführt zeigt das Teleskop immer in dieselbe Richtung:

nachfuehrungEs bewegt sich zwar etwas hin und her, auf einer kleinen Kreisbahn. Näherliegende Objekte würden sich bei solcher Bewegung im Bildfeld bewegen (man blicke etwa durch den Sucher eines Fotoapparats und bewege diesen hin und her). Aber bei so fernen Objekten wie Planeten, Sternen oder noch ferneren Himmelskörpern ändert sich durch die Hin- und Herbewegung nichts. Solange die Blickrichtung des Teleskops gleich bleibt, bleibt solch ein ferner Himmelskörper unverändert im Bildfeld.

Die Nachführungsachse heißt ob ihrer direkten Beziehung zur Erdrotation auch Stundenachse, alternativ Rektaszensionsachse, nach der Koordinate des äquatorialen Himmelskoordinatensystems, die sich mit dieser Achse einstellen lässt.

Die Erde ist keine Scheibe

Natürlich ist die Erde in Wirklichkeit keine Scheibe, sondern eine Kugel. Dadurch ändert sich für unsere Teleskop-Nachführung allerdings nicht allzuviel. Hier ist eine entsprechende Animation mit Teleskop auf Erdkugel:

nachfuehrung-erdeDie Stundenachse des Teleskops ist nach wie vor parallel zur Erdachse. Deswegen kann man sie nutzen, um die Drehung des Teleskops aufgrund der Erddrehung auszugleichen – genau wie im Falle der Scheibe. Dann sind deutlich längere Belichtungszeiten möglich.

Aus Sicht eines Beobachters am Standort des Teleskops steht die Achse freilich nicht senkrecht auf dem Erdboden. “Senkrecht nach oben” heißt für solch einen Beobachter: senkrecht zur Erdkugel, entgegengesetzt der Richtung hin zum Erdmittelpunkt, etwa so wie hier türkis eingezeichnet:  senkrecht-nachfuehrungFür einen Beobachter an Ort und Stelle ist die Teleskopachse damit gegenüber der Senkrechten geneigt. Montierungen, die solch eine geneigte Achse aufweisen, die parallel zur Erdachse liegt, heißen parallaktische oder äquatoriale Montierungen. (Letzteres weil die Drehung um eine Achse senkrecht zur Erdachse eben immer eine Drehung parallel zur Äquatorebene ist.)

An solch einer Montierung kann man ablesen, auf welchem Breitengrad man sich befindet: Ist die Nachführungsachse um X Grad geneigt, befindet man sich auf dem Breitenkreis (90–X) Grad. Am Nordpol oder am Südpol ist die Nachführungsachse senkrecht. Am Äquator waagerecht. Wird ein Teleskop mit parallaktischer Montierung von einem Ort an einen deutlich anderen Ort verbracht, muss die Achsenneigung entsprechend angepasst werden.

Teleskopmontierungen

Gerade ältere Teleskope haben häufig parallaktische Montierungen. Hier ist ein Bild des großen Refraktors in Potsdam, der heute zum Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam (AIP) gehört. Die Richtung der senkrechten Tragesäule und die Richtung der Nachführungsachse habe ich mit dünnen Linien eingezeichnet:

Bei parallaktischen Montierungen ist eine der Achsen parallel zur Erdachse ausgerichtet.
Eigenes Bild

Diese Art von Achsenanordnung für eine parallaktische Montierung – eine Haltesäule, daran die Stundenachse, darüber senkrecht die zweite Achse (Deklinationsachse), daran das Fernrohr – heißt deutsche Montierung.

Alternativ kann man die Stundenachse auch an zwei Lagerungspunkten anbringen, und die zweite Achse mittig daransetzen. Das Ergebnis ist eine englische Montierung. In dieser Version hier, einer Kreuzmontierung, sind Teleskop und Gegengewicht etwas von der Stundenachse abgesetzt, damit das Teleskop genug Spielraum hat, um in Richtung Himmelspol zeigen zu können. Gezeigt ist das Elizabeth Telescope des Südafrikanischen Nationalobservatoriums SAAO in Sutherland mit einem 1-Meter-Spiegel:

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Eigenes Bild

Für besonders schwere Teleskope kann man die zweite Achse ebenfalls beidseitig lagern, innerhalb einer Art von Rahmen. Das ist hier für das gewichtige Hale-Teleskop am Mount Palomar-Observatorium mit seinem 5.1-Meter-Spiegel gezeigt:

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Das Hale-Teleskop. Bild: Palomar / Caltech (mit freundlicher Genehmigung)

Die hufeisenförmige Lagerung am oberen Ende der Stundenachse mit geeigneter Aussparung stellt auch hier sicher, dass das Teleskop in Polnähe beobachten kann, also in die Richtung, in die die Stundenachse zeigt.

Insbesondere in einer Zeit vor computergesteuerten Motoren waren parallaktische Montierungen günstig, da zur Nachführung nur eine einzige Achse bewegt werden muss, die Stundenachse nämlich, und das mit konstanter Drehgeschwindigkeit.

Azimutale Montierungen

Moderne Großteleskope sitzen sämtlich auf azimutalen Montierungen. Bei dieser Art von Montierung liegt eine Drehachse senkrecht zur Erdoberfläche (Azimut-Achse), die zweite Drehachse im rechten Winkel dazu, parallel zur Erdoberfläche (Höhenachse bzw. Altituden-Achse). Hier ist als Beispiel einmal mehr das VISTA-Teleskop der Europäischen Südsternwarte (ESO) in Chile gezeigt:

Moderne Montierungen für Großteleskope sind Azimutalmontierungen, wie diese hier.
Bild: ESO / Y. Beletsky

Die kreisförmige Plattform, die im Bild sichtbar ist, ist dabei samt Teleskop um die senkrechte Achse drehbar, das Teleskop außerdem um die horizontale Achse kippbar. Um eine gute Nachführung zu erreichen, müssen die Bewegungen beider Achsen gut koordiniert werden, und das mit je nach Himmelsposition unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Das sauber hinzubekommen ist freilich im Zeitalter computergesteuerter Motoren kein Problem mehr.

[Nachtrag 8.11. 14:35] Im Zeitalter der elektronischen Bilderfassung erfolgt dabei die Erfolgskontrolle und Feinsteuerung der Nachführung direkt aus dem astronomischen Bild, welches das Teleskop liefert. Die Nachführung soll schließlich sicherstellen, dass das Teleskopbild sich nicht bewegt oder dreht; das lässt sich anhand von Kameradaten direkt prüfen, und gegebenenfalls lässt sich die Nachführung anhand dieser Daten korrigieren.

Eine Zusatzkomplikation: Behält man auf diese Weise eine spezifische Himmelsregion im Blick, wird diese mit der Zeit im allgemeinen ihre Orientierung ändern: das Bild in der Brennebene (und damit auf dem Kamerachip) wird sich drehen. Das wird bei den modernen Großteleskopen durch sogenannte Derotatoren ausgeglichen, als weiteres, extra zum Ausgleich dieses Effekts konstruiertes, bewegliches Element vor Kamera oder Spektrograf.

Trotz der deutlich komplizierteren Steuerung überwiegen bei der azimutalen Montierung insbesondere bei größeren Teleskopen die Vorteile. Vor allem sind solche Montierungen mechanisch einfacher: Bei einer parallaktischen Montierung ist eine Achse samt ihren Lagern schräg zur Schwerkraft gelagert, während die andere Achse ihre Orientierung relativ zur Schwerkraft ändert. Achsen und Lager unter solchen teils wechselnden Beanspruchungen stabil genug zu konstruieren ist insbesondere bei schweren Teleskopen eine große Herausforderung, und erfordert gehörigen Aufwand. Bei der azimutalen Montierung behalten Achsen und Lager ihre Orientierung relativ zur Schwerkraft bei.

Fazit

Auf der Jagd nach möglichst vielen Photonen spielen die Montierungen bodengebundener Teleskope eine wichtige Rolle. Sie ermöglichen es dem Teleskop, über längere Zeit ein- und dieselbe Himmelsregion im Blick zu behalten – und damit lange belichtete Aufnahmen zu erstellen, die viele Photonen sammeln.

 

 

 

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Markus Pössel hatte bereits während des Physikstudiums an der Universität Hamburg gemerkt: Die Herausforderung, physikalische Themen so aufzuarbeiten und darzustellen, dass sie auch für Nichtphysiker verständlich werden, war für ihn mindestens ebenso interessant wie die eigentliche Forschungsarbeit. Nach seiner Promotion am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut) in Potsdam blieb er dem Institut als "Outreach scientist" erhalten, war während des Einsteinjahres 2005 an verschiedenen Ausstellungsprojekten beteiligt und schuf das Webportal Einstein Online. Ende 2007 wechselte er für ein Jahr zum World Science Festival in New York. Seit Anfang 2009 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg, wo er das Haus der Astronomie leitet, ein Zentrum für astronomische Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit, seit 2010 zudem Leiter der Öffentlichkeitsarbeit am Max-Planck-Institut für Astronomie und seit 2019 Direktor des am Haus der Astronomie ansässigen Office of Astronomy for Education der Internationalen Astronomischen Union. Jenseits seines "Day jobs" ist Pössel als Wissenschaftsautor sowie wissenschaftsjournalistisch unterwegs: hier auf den SciLogs, als Autor/Koautor mehrerer Bücher und vereinzelter Zeitungsartikel (zuletzt FAZ, Tagesspiegel) sowie mit Beiträgen für die Zeitschrift Sterne und Weltraum.

5 Kommentare

  1. Mein Gedanke zu diesem Artikel: Je höher die Auflösung des Teleskops desto genauer muss die Nachführung des Teleskops bei einer Langzeitbelichtung sein. Allenfalls könnte man vorübergehende Nachführungsfehler softwaremässig korrigieren, indem man das digitale Bild um den mechanischen Fehler verschiebt. Das hängt wohl auch davon ab wie die CCD-Detektoren auf Pixelverschiebungen (also auf leichte Nachführungsfehler) reagieren.

    • Es scheint dass für hoch präzise Teleskopnachführungen “Leitsterne” benötigt werden. Eine rein mechanische, blinde Nachführung erreicht nicht die nötige Präzision.

      To get a sharp image from a long exposure, you must keep a guidestar centered on cross hairs for the entire time the shutter is open — from a few minutes to an hour or more. While watching the star, you must often adjust the telescope’s aim slightly to keep the star on the crosshairs and the image motionless on the film.No telescope drive, no matter how well made, can eliminate the need for guiding.

    • Softwaremäßig verschieben, sprich: wenn das Bild schon digitalisiert ist, nützt da wenig. Dann ist die “Verwischung” schon da. Man kann aber in der Tat nicht nur mechanisch, sondern auch an der elektronischen Hardware etwas tun. Die Pan-STARRS-Kameras beispielsweise verschieben die Elektronen-Ladungsverteilung auf der CCD, um winzige Nachführfehler auszugleichen, siehe hier.

      Und in der Tat: In der Praxis orientiert sich Nachführung an Leitsternen. Das hätte ich oben schreiben sollen und trage es gleich nach. Danke für den Hinweis!

  2. Irgendwann war mal in Spektrum der Wissenschaft ein Artikel über ein Teleskop mit Hexapod-Montierung. Hat sich das (noch?) nicht durchgesetzt?

    • Da gibt es einen 1.5 m-Prototyp, an dem u.a. die Ruhr-Universität Bochum beteiligt ist. Soweit ich weiss, hatte der aber ordentliche technische Probleme. Derzeit ist er laut deren Webseiten außer Betrieb. Was nicht heißt, dass sich da über die nächsten Jahre nichts entwickeln kann, aber derzeit setzen die Planer der nächsten größeren Teleskope verständlicherweise auf Montierungen, von denen sie sicher wissen, dass sie funktionieren. Vom sich-Durchsetzen sind Hexapod-Montierungen noch deutlich entfernt.