Rassismus: Wie man sich zumindest ein paar Grundkenntisse anliest

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… aber nicht einfacher
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Wir diskutieren derzeit über Rassismus, in den USA (Black Lives Matter!), aber auch in Deutschland. Gut so. Wer einigermaßen anständig ist, diskutiert nicht nur, sondern überlegt, wie er oder sie aktiv etwas tun kann. Teil der Lösung sein, oder zumindest ein möglichst kleiner Teil des Problems. Erster Schritt sollte sein, sich zumindest etwas zu informieren. Klingt selbstverständlich, ist es aber nicht – das kann man z.B. auf Twitter sehen, wo insbesondere eine Reihe Weißer Deutscher wieder und wieder ihren Senf in einer Weise dazugeben, die zeigt, dass sie sich noch nie auch nur einigermaßen sinnvoll mit dem Thema beschäftigt haben.

Hier eine Sammlung von Links zum Weiterlesen. Erst ein paar allgemeine Aspekte, am Ende auch noch etwas direkt zur Wissenschaftskommunikation.

Menschen mit Rassismuserfahrungen zuhören

Erster Schritt zu mehr Verständnis der Situation: Denjenigen zuhören, die in Deutschland (oder anderswo) Rassismuserfahrungen machen und akzeptieren, was sie erzählen. Da draußen gibt es eine ganze Reihe kluger Menschen, die nicht nur selbst Rassismuserfahrungen gemacht haben und machen, sondern sich auch darüber hinaus mit dem Thema Rassismus intensiv und systematisch auseinandergesetzt haben. Deren Texte kann man auf sozialen Medien, in den klassischen Medien und in Büchern nachlesen. Hier eine persönliche Auswahl.

Online

Hadija Haruna-Oelker:

Stephan Anpalagans Tweets sind mittlerweile meine häufigste Quelle für interessanten weiteren Lesestoff:

Malcolm Ohanwe:

Hier auf den SciLogs gibt es immer wieder gute Texte von Joe Dramiga zum Thema:

Jetzt noch eine Reihe von Büchern. Eine Reihe der Autor*innen sind übrigens auch in den sozialen Medien. Eine gute Gelegenheit zum Zuhören/Mitlesen – und nicht zuletzt dafür, aus diesem Wege noch weitere interessante Menschen zum Folgen zu finden. Oder sie machen Podcasts.

Bücher: Alice Hasters

Buchtitel für das Buch von Alice HastersEine eingängige Mischung aus der Schilderung eigener Erfahrung und dem breiteren Kontext, ganz aktuell aus diesem Jahr, bietet das Buch von Alice Hasters: Was Weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten. Erschienen im Hanser-Verlag in diesem Jahr: Link zur Verlagsseite des Buches

Hasters hat auch einen Podcast, “Feuer & Brot”, in den man hineinhören kann, ein “Monatliches Freundinnengespräch zwischen Politik und Popkultur”. Bonus-Hinweis: Schwarzen Menschen nur dann zuzuhören, wenn es um Rassismus geht, ist auch ein Aspekt von Rassismus. Hier ist der Podcast: Feuer & Brot

Last but not least kann man Hasters auf Twitter folgen: @alicehasters

Bücher: Noah Sow

Titelbild des Buches Noah Sow, deutschland schwarzweißEin Klassiker zum Rassismus in Deutschland ist das Buch von Noah Sow: Deutschland Schwarz-Weiß. Mittlerweile mehr als zehn Jahre alt, mit aktualisierter Jubiläums-Version hier bei Books on Demand.

Sow macht derzeit offenbar Twitterpause unter @NOISEAUX, aber man kann weitere ihrer Texte auf ihrem Blog lesen: Noah Sow Blog.

 

Bücher: Tupoka Ogette

Titelseite des Buches "exit RACISM" von Tupoka OgetteMit dem Buch “exit racism” von Tupoka Ogette bin ich noch nicht ganz durch, aber was ich davon gelesen habe, fand ich eingängig und interessant. Hier gibt es eine Leseprobe. Als Antirassismustrainerin kann man Ogette für Workshops buchen – das Buch ist aus derselben Perspektive geschrieben und bietet, soweit das dem Medium nach geht, eine Art individuelles Rassismustraining an, das den Workshops nachempfunden ist.

Online ist Ogette als @Tupoka_O auf Twitter.

Bücher: Ijeoma Oluo

Titelbild des Buches "So you want to talk about race" von Ijeoma OluoDas Buch “So you want to talk about race” von Ijeoma Oluo war soweit ich erinnere das erste, das ich zum Thema Rassismus gelesen habe. Es ist 2018 erschienen (und ja, so spät habe ich leider erst begonnen, mich tiefergehend mit dem Thema zu beschäftigen). Wenn alle Menschen dieses Buch lesen und beherzigen würden, dann würden wir z.B. auf den Sozialen Medien nicht immer dieselben alten Muster vom “Rassismus gegen Weiße” oder Tone-Policing reproduzieren. Der Schwerpunkt des Buches liegt natürlich in den USA, aber vieles von dem, was dort geschildert wird, lässt sich auch auf Rassismus in Deutschland übertragen.

Eine deutsche Übersetzung des Buches ist hier angekündigt, aber zum Zeitpunkt dieses Blogbeitrags noch nicht erschienen.

Oluo ist auf Twitter als @IjeomaOluo.

Bücher: Crystal Fleming

Auch mit diesem Buch bin ich noch nicht ganz fertig, aber die ersten Seiten von “How to be less stupid about race” halten, was der Titel verspricht – das Buch bietet offenbar wie man erwarten würde einen no-Nonsense-Überblick über das, was man über Rassismus wissen sollte – der Schwerpunkt liegt dabei natürlich wieder in den USA, aber vieles ist wiederum übertragbar. Hier ist ein Kurzvideo, das zusammenfasst, worum es geht:

Professor Fleming ist auf Twitter als @alwaystheself.

Bücher: Angela Saini

Umschlagvorderseite des Buches Superior von Angela SainiRassismus und Wissenschaft haben eine Reihe unguter Verflechtungen. Das beste Buch dazu – insbesondere auch zu den wissenschaftlichen Hintergründen des Rassenbegriffs – das ich bislang gelesen habe ist “Superior” der Wissenschaftsjournalistin Angela Saini.

Saini ist gerade nach einer längeren Twitterpause zurück auf Twitter als @AngelaDSaini.

Lücken

Meine Aufzählung hat zwei große Lücken. Erstens folge ich auf Twitter einer Reihe von Individuen aus einer lebendigen Szene von englischsprachigen Wissenschaftler*innen und Wissenschaftskommunikator*innen, die selbst Rassismuserfahrungen machen und unter anderem darüber – aber auch über Wissenschaft – tweeten. Einen Einstieg bilden die Einträge unter dem Hashtag #BlackInStem. Wenn ihr so etwas auch für Deutschland kennt: Schreibt es mir bitte in die Kommentare.

Zweitens gibt es in Deutschland zusätzlich zum (bzw. überlappend mit) anti-Schwarzem Rassismus noch eine weitere Sorte von Rassismus, bei dem die “Anderen”, die “nicht-Weißen” allgemeiner die “Ausländer”, speziell die “Flüchtlinge” oder “die Muslime” sind. Die Mechanismen sind dieselben, die zugeschriebenen Attribute weitgehend auch. Zu dem Themenkomplex habe ich mich aber selbst noch nicht weitgehend genug informiert und kann dazu entsprechend keine Empfehlungen abgeben – auch hier: Wer entsprechende gute Quellen hat, schreibt sie bitte in die Kommentare.

Anmerkung zu Kommentaren

Die Kommentare unter Beiträgen, in denen es um Rassismus geht, sind leider nicht selten ein sehr deutlicher Beleg dafür, was wir in Deutschland noch für ein Rassismusproblem haben. Wenn auch aus anderem Grunde sind die Kommentare in meinem Blog derzeit moderiert. Auch meine allgemeinen Anmerkungen zu Kommentaren auf Relativ Einfach haben einen anderen Hintergrund (insbesondere meine Diskussionen mit Einstein-Kritikern), aber gelten natürlich allgemeiner. Was ich unter diesem Artikel generell nicht freischalten werde, sind Kommentare, die mir deutlich zeigen, dass sich der/die Kommenator*in noch nichtmal im Ansatz ernsthaft mit dem Thema Rassismus beschäftigt hat, sondern die Stereotype, Missverständnisse etc. reproduzieren, die man nach verständiger Lektüre zumindest einer Auswahl der obigen Quellen  (es müssen nicht die Bücher sein, aber da steht es natürlich besonders systematisch) schlicht nicht mehr haben sollte.

Ich sehe nicht ein, warum ich Menschen, die sich einem Minimum an Auseinandersetzung mit dem Thema verweigern, hier eine Bühne bieten soll. (Und nein, ich werde mich auch nicht auf Meta-Diskussionen zu diesem Nebenthema einlassen. Es gibt genügend offene Foren online; in der Kommentarsektion dieses Blogs nicht uneingeschränkt posten zu können schränkt niemanden in seiner allgemeinen Meinungsfreiheit und Meinungsäußerungsfreiheit ein.) Kurz: Ich werde besonders bei diesem Thema darauf achten, dass Kommentare den Leser*innen hier signifikanten Mehrwert bieten. Unqualifizierte Äußerungen zu Rassismus, oder Herumgeschimpfe, gibt es online bereits genug.

Nachträge (insbesondere mit Bezug auf Kommentare, die ich nicht freigeschaltet habe, weil die Kommentatoren sich offenbar nicht vorher mit den Grundlagen beschäftigt haben):

  1. Vorsicht, der Begriff Rassismus ist in der modernen Diskussion deutlich komplexer als eine Reproduktion der alten Menschenrassen-Begriffe mit unterschiedlichem Vorzeichen. Wer dazu konkret etwas lesen möchte: Ich fand diese Übersicht hilfreich.
  2. Damit zusammenhängend: Rassismus ist weit mehr als “Benachteiligung aufgrund der Hautfarbe”. Welche Wirkung insbesondere der Rassismus gegen Schwarze heute entfaltet, hängt maßgeblich mit seiner jahrhundertelangen Geschichte und mit deren Nachwirkungen zusammen. Siehe dazu den Artikel auf den Tagesspiegel-Webseiten von heute: Es gibt keinen Rassismus gegen Weiße.
  3. Schöne Liste von Nele Heise mit Podcasts zum Erweitern der persönlichen Weißen Filterblase
  4. Unter dem Hashtag #BlackInTheIvory auf Twitter findet man derzeit Rassismuserfahrungen aus dem akademischen Umfeld
  5. Mittlerweile taucht das Thema auch in angemessener Form in einer Reihe von Zeitungen auf – hier ein Beitrag im Tagesspiegel: Liebe Weiße, wie profitiert ihr von Rassismus?

 

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Markus Pössel hatte bereits während des Physikstudiums an der Universität Hamburg gemerkt: Die Herausforderung, physikalische Themen so aufzuarbeiten und darzustellen, dass sie auch für Nichtphysiker verständlich werden, war für ihn mindestens ebenso interessant wie die eigentliche Forschungsarbeit. Nach seiner Promotion am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut) in Potsdam blieb er dem Institut als "Outreach scientist" erhalten, war während des Einsteinjahres 2005 an verschiedenen Ausstellungsprojekten beteiligt und schuf das Webportal Einstein Online. Ende 2007 wechselte er für ein Jahr zum World Science Festival in New York. Seit Anfang 2009 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg, wo er das Haus der Astronomie leitet, ein Zentrum für astronomische Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit, seit 2010 zudem Leiter der Öffentlichkeitsarbeit am Max-Planck-Institut für Astronomie und seit 2019 Direktor des am Haus der Astronomie ansässigen Office of Astronomy for Education der Internationalen Astronomischen Union. Jenseits seines "Day jobs" ist Pössel als Wissenschaftsautor sowie wissenschaftsjournalistisch unterwegs: hier auf den SciLogs, als Autor/Koautor mehrerer Bücher und vereinzelter Zeitungsartikel (zuletzt FAZ, Tagesspiegel) sowie mit Beiträgen für die Zeitschrift Sterne und Weltraum.

7 Kommentare

  1. Schwieriges aber enorm wichtiges Thema. Danke für den Post und die Literaturempfehlungen!
    Es ist manchmal recht mühsam den Menschen klar zu machen, dass sie rassistische Stereotype pflegen ganz ohne beinharte Rassisten zu sein.
    Ein Gespür dafür zu entwickeln wann man selbst erlerntes Verächtich machen aus Gewohnheit einsetzt (Nachäffen von Menschen, die der deutschen Sprache nicht ganz mächtig sind ist beispielsweise immer noch weit verbreitet) wäre wichtig.
    Solange alles mit “Ist doch ganz harmlos, die sollen sich mal nicht so haben!” abgebügelt wird ist noch viel zu tun.
    Ich hoffe auf eine gute Diskussion.

    • Ich würde noch deutlich weiter gehen: “rassistische Stereotype pflegen” ist ebenfalls schon ein vergleichsweise hoch angesetztes Kriterium. Entscheidend sollte sein, ob das eigene Handeln bei anderen Rassismuserfahrungen hervorruft. Bereits ab da greift dann in der Tat leider die häufige Abwehrreaktion der darauf Angesprochenen, den Vorwurf auf eine überzeichnete Version von “Aber ich bin doch kein Rassist (= kein Mensch mit einem durch und durch rassistischen Weltbild)” umzubiegen, samt empörter Gegenreaktion und ja, oft einem “stell dich/stellt euch nicht so an!” das aus Sicht der Betroffenen dann einem Nachtreten gleichkommt.

    • Solche Hinweise finde ich durchaus problematisch. Für mich ist das vergleichbar mit Menschen, die direkt nach einer Schulschießerei eine kritische Diskussion darüber anfangen, wann man von automatischen Feuerwaffen und wann von halbautomatischen reden sollte. Allein den Luxus zu haben, sich angesichts der aktuellen Rassismusdiskussion der Frage anzunehmen, ob man in der heutigen Biologie mit “Unterarten” doch etwas ähnliches (aber dann doch wieder ganz anderes) wie jenen Rassenbegriff einführen kann, der dem Rassismus zugrundeliegt, ist schon Ausdruck des riesigen und den Betreffenden in den meisten Fällen gar nicht bewussten Privilegs, all die vielen, vielen Dinge, die denjenigen, die selbst Rassismuserfahrungen machen, mit gutem Grund viel wichtiger sind, problemlos auszublenden.

      • Ich bin mir nicht sicher, ob ich Sie richtig verstehe.

        Hat der Begriff “Rasse” in der Biologie keinen Sinn – sollte man bei Bernhardinern und Pudeln einfach von “Hund” reden, ohne die “Bernhardiner” oder “Pudel” zu nennen?

        Ludwig Trepl hebt ja darauf ab, dass genau diese Unterscheidung bei Menschen keinen Sinn ergibt, weil die Einteilungen zu willkürlich sind. Er verweist auch darauf, dass Rassisten nicht den biologischen Rassebegriff verwenden: Rassen sind für den Rassismus vielmehr das, was man manchmal „natürliche Entitäten“ nennt. Sie sind, meint man, völlig beobachterunabhängig vorhanden.

        Darf ich fragen, ob Sie den Vorschlag der Grünen unterstützen, den Begriff der Rasse aus Artikel 3 des Grundgesetzes zu streichen und ihn durch den Begriff “ethnische Herkunft” zu ersetzen?

        • Es geht für mich darum, worauf wir in einer Diskussion über Rassismus Zeit verwenden. Die Frage nach einem wie auch immer gearteten biologischen Begriff von “Rasse” bringt uns gerade deswegen nicht weiter, *weil* sie eben mit dem, was Rassisten tatsächlich tun und was das für Schaden anrichtet, so gut wie nichts zu tun hat. Warum dann in diese Richtung überhaupt weiterdiskutieren?

          Zu Artikel 3 des Grundgesetzes: Aus meiner Sicht impliziert die Formulierung tatsächlich, dass es so etwas wie einen neutralen Begriff der Rasse gibt. “ethnische Herkunft” finde ich aber auch problematisch. Insofern habe ich bei der Frage derzeit keine belastbare Einschätzung.

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