Neues von Milchstraße und Galaxien (Videos)

Aktiver Galaxienkern in künstlerischer Darstellung. Bild: Thomas Müller, Haus der Astronomie

Sowohl in der wissenschaftlichen Öffentlichkeitsarbeit als auch in der Lehre gilt sinngemäß das, was die Anekdote über den Astronomen Argelander und den preussischen König Friedrich Wilhelm IV Mitte des 19. Jahrhunderts berichtet:  “Na, Argelander, was gibt’s Neues am Himmel?” – “Kennen Majestät denn schon das Alte?” Wer tiefer einsteigen will, benötigt auch in der Astronomie erst einmal Grundlagenwissen, und das verändert sich eher langsam. Weiten Teilen z.B. populärwissenschaftlicher Vorträge dürfte man bei der Schilderung der Grundlagen nicht unbedingt an, ob sie im Jahre 2024 oder vielleicht im Jahre 2004 gehalten werden. Umgekehrt schlagen die inkrementellen Fortschritte in der Forschung sich in den allermeisten Fällen nicht in den vereinfachten Dastellungen nieder, sondern begeistern wenn dann vor allem die Spezialisten. Das ist bei unserer Milchstraße und anderen Galaxien aktuell gerade anders.

“Lehrbücher müssen umgeschrieben werden!”

Beim Thema Galaxien habe ich das in den letzten Jahren bei der jeweiligen Vorbereitung meiner Blockkurs-Einführungsvorlesung zum Thema Kosmologie und Galaxien für Masterstudierende an der Uni Heidelberg sehr deutlich gemerkt. Es hat sich gehörig etwas getan bei unserem Verständnis sowohl unserer eigenen Milchstraße als auch der Entstehung von Galaxien im Allgemeinen – in so grundlegender Weise, dass auch an Einführungsvorlesungen gehörig etwas anzupassen ist. So abgegriffen-sensationsheischend “Jetzt müssen die Lehrbücher umgeschrieben werden!” klingen mag: In einer Reihe von Fällen trifft es in diesem Forschungsgebiet tatsächlich zu.

Dass ich zu unserer laufenden astronomischen Online-Talksendungs-Reihe “Astro & Co”, die ich jeweils montags live auf dem YouTube-Kanal des Hauses der Astronomie zusammen mit meiner Kollegin Carolin Liefke bestreite, eine Reihe von Kolleg*innen eingeladen habe, in deren Forschungsfeldern sich genau so ein rasanter Wandel vollzieht, geschah daher durchaus mit Hintergedanken. Eine*n Wissenschaftler*in, der in dem betreffenden Thema drinsteckt, ausgiebig befragen zu können, dürfte die effektivste Möglichkeit sein, zügig auf den neuesten Stand zu kommen.

Die Geschichte unserer Heimatgalaxie

Letzte Woche hatten wir Hans-Walter Rix bei uns zu Gast, einer von derzeit drei Direktor*innen am Max-Planck-Institut für Astronomie, an das ja auch unser Haus der Astronomie organisatorisch angegliedert ist. Rix und Kolleg*innen haben in den letzten paar Jahren eine Reihe grundlegender Artikel zur Geschichte der Milchstraße veröffentlicht. Das war möglich dank des Gaia-Satelliten der ESA, der die Positionen, Entfernungen und Geschwindigkeiten von mittlerweile fast anderthalb Milliarden (!) Sternen mit nie vorher erreichter Genauigkeit vermessen hat. Anhand der Bewegungen lässt sich beurteilen, welche Sterne zu welchen Bestandteilen unserer Galaxie gehören – die dünne Scheibe, die etwas ältere dickere Scheibe, der kugelförmige Bulge oder der deutlich größere kugelförmige stellare Halo mit sich durcheinanderbewegenden Sternen. Die chemische Zusammensetzung der Stern ermöglicht es zwar nicht, Sternen einen direkten Alterswert zuzuordnen, aber immerhin kann man die Sterne damit ihrem Alter nach ordnen: Ältere Sterne enthalten eine geringere Menge an Elementen schwerer als Helium (in der Astronomie heißen solche Elemente “Metalle”), jüngere Sterne eine größere Menge. Und was man daraus schließen kann – na gut, dass solltet ihr euch am besten selbst ansehen:

Was meine Perspektive dabei am meisten verschoben hat: Früher wurde Galaxienentstehung ja vor allem mit dem Fokus auf kleineren Galaxien erzählt, die miteinander oder mit größeren Galaxien verschmelzen. Die Geschichte der Milchstraße war dann vor allem eine Geschichte, wie unsere Milchstraße immer weiter kleine weitere Galaxien “geschluckt” hat und damit gewachsen ist. Aber in der TNG50-Simulation, die Hans-Walter Rix zur Illustration zeigt, sieht man jene kleinen Galaxien gar nicht so richtig. Da liegt der Schwerpunkt (mit Recht!) auf dem Gas, das sich zur Milchstraße zusammenfindet und deren Scheibe bildet (welche dann durch weiteres eintreffendes Gas gestört wird und dabei jeweils leicht ihre Orientierung ändert).

Bereits anhand der Milchstraße – anhand dessen, was dort tatsächlich passiert und auch anhand dessen, was sonst noch passieren könnte – kann man sich fragen, wie denn die anderen Arten von Galaxien entstehen, die wir da draußen im Kosmos sehen. Besonders spannend ist die Frage, wie das alles nach dem Urknall vor rund 13,8 Milliarden Jahren angefangen hat. Wie sind die ersten Sterne und Galaxien entstanden?

JWST und die frühesten Galaxien

Zu dem Thema hatten wir Ende April Fabian Walter in der Sendung, der am Max-Planck-Institut für Astronomie in der Abteilung von Hans-Walter Rix die Gruppe “Interstellares Medium und Quasare” leitet und sich dort unter anderem mit den frühesten überhaupt nachweisbaren Galaxien beschäftigt. Das Ende 2021 gestartete NASA-ESA-CSA-Weltraumteleskop JWST hatte zu diesem Thema ja für einige Schlagzeilen gesorgt: von frühen Galaxien, so groß dass es sie eigentlich nicht geben dürfte, war da die Rede, und davon, dass jetzt alle Modelle der Galaxienevolution neu gedacht werden müssten. Richtig ist auf alle Fälle: Dass Galaxien und insbesondere die supermassereichen Schwarzen Löcher in ihren Zentren unerwartet früh unerwartet groß wurden, ist bereits seit Jahren ein bekanntes Problemfeld für Modelle des frühen Universums. Zwar kein klares Zeichen dafür, dass jene Modelle (und ihr Rahmen, die kosmologischen Modelle) falsch wären, aber ein Hinweis darauf, dass wir noch nicht ganz verstehen, was da passiert.

Das JWST hat für die Fragen nach der Entstehung der ersten Galaxien durchaus spannende neue Daten geliefert (ich habe zufällig gerade eine Pressemitteilung dazu geschrieben).

Schwarzes Loch, aus dessen Nähe in zwei entgegengesetzte Richtungen ein heller Jet entkommt. Um das Zentrum dreht sich eine helle Akkretionsscheibe, darum herum eine größere Staubscheibe

Das betrifft insbesondere die aktiven Galaxien im frühen Universum – oben eine Illustration eines solchen “aktiven Galaxienkern”, die mein Kollege Thomas Müller vom Haus der Astronomie für die oben verlinkte Pressemitteilung angefertigt hat.

Aber es ist eben weder schwarz noch weiß, weder “alles problemlos mit unserem heutigen Wissen erklärbar” noch “wir müssen unsere Modelle in die Tonne treten”. Das hat Fabian Walter in unserer Sendung kompetent eingeordnet, und das wurde wieder eine Sendung, bei der ich gehörig etwas dazugelernt habe:

Ich werde meine Vorlesung – im September ist es wieder soweit! – jedenfalls anhand dessen, was ich in den beiden Vorträgen gelernt habe, wieder etwas umstricken. Und freue mich, dass es in der Astronomie Teilgebiete gibt, in denen es dank neuer Teleskope und Instrumente, aber auch immer besserer Simulationen nicht nur inkrementell vorangeht, sondern in denen auch auf vergleichsweise kurzen Zeitskalen durchaus Lehrbücher (oder eben Vorlesungen) umgeschrieben werden müssen.

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Markus Pössel hatte bereits während des Physikstudiums an der Universität Hamburg gemerkt: Die Herausforderung, physikalische Themen so aufzuarbeiten und darzustellen, dass sie auch für Nichtphysiker verständlich werden, war für ihn mindestens ebenso interessant wie die eigentliche Forschungsarbeit. Nach seiner Promotion am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut) in Potsdam blieb er dem Institut als "Outreach scientist" erhalten, war während des Einsteinjahres 2005 an verschiedenen Ausstellungsprojekten beteiligt und schuf das Webportal Einstein Online. Ende 2007 wechselte er für ein Jahr zum World Science Festival in New York. Seit Anfang 2009 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg, wo er das Haus der Astronomie leitet, ein Zentrum für astronomische Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit, seit 2010 zudem Leiter der Öffentlichkeitsarbeit am Max-Planck-Institut für Astronomie und seit 2019 Direktor des am Haus der Astronomie ansässigen Office of Astronomy for Education der Internationalen Astronomischen Union. Jenseits seines "Day jobs" ist Pössel als Wissenschaftsautor sowie wissenschaftsjournalistisch unterwegs: hier auf den SciLogs, als Autor/Koautor mehrerer Bücher und vereinzelter Zeitungsartikel (zuletzt FAZ, Tagesspiegel) sowie mit Beiträgen für die Zeitschrift Sterne und Weltraum.

2 Kommentare

  1. Ältere Sterne enthalten eine geringere Menge an Elementen schwerer als Helium (in der Astronomie heißen solche Elemente “Metalle”), jüngere Sterne eine größere Menge.

    Moment mal. Ist es denn nicht so, dass die älteren Sterne schon länger Kernfusion betrieben haben und somit deren “Metallgehalt” höher ist, als bei den Jüngeren?

  2. Hallo Julian,

    das ist ein guter Gedanke! Aber nein: Jüngere Sterne enthalten mehr “Metalle”, weil sie später und damit in einem metallreicheren Universum gebildet werden. Die Metallizität der frühen, kurzlebigeren Sterne wird “recycelt” und reichert sich sozusagen an.

    (Disclaimer: so habe ich das jedenfalls verstanden. Bin kein richtiger Astronom.)

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