Mondlicht-Fotozellen und “Small Data”

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… aber nicht einfacher
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vollmond-2014_03_16
Vollmond am 16.3.2014, Maksutov D=102 mm, f=1300 mm, Canon EOS 450D, Einzelbild mit nachbearbeitetem Kontrast. Nicht so arg hell.

Datenjournalismus liegt im Trend. Da geht es typischerweise um “BigData”, die digitale Welt mit ihren Möglichkeiten, Unmengen von Daten zu sammeln, lässt grüßen. Machmal gibt es in den Medien (und ehrlicherweise: nicht nur da) aber auch schon mit den kleinen Daten Probleme: mit einfachen quantitativen Abschätzungen. Small data sozusagen.

Auf ein Beispiel dazu hat mich gerade eine Kollegin hingewiesen: Mondlicht als Energiequelle: Lade, Auto, lade bei Spiegel Online von Christian Frahm; ähnlich Deutscher erzeugt mit Glaskugel Strom aus Mondlicht bei Welt Online, Autorenkürzel “DW/beu”.

Worum es geht? Formschöne, große, durchsichtige Kugeln bündeln das Licht – mit einer Murmel lässt sich das nachstellen – und dort, wo das Licht gebündelt wird, befindet sich ein kleiner Fotodetektor, der so nachgeführt wird, dass er immer besonders viel Licht erhält. Die Produktion einer kleineren Variante der Glaskugeln wird per Crowdsourcing bei IndieGoGo finanziert; das ursprüngliche Finanzierungsziel dort von 120.000 Dollar hat die Firma mit 217.000 Dollar weit überschritten.

Dass eine Kugellinse das Licht bündelt, klingt erst einmal plausibel. Wenn das funktioniert und sich praktisch umsetzen lässt, ist es ein nicht zu unterschätzender Fortschritt. Die beiden Online-Artikel schreiben jeweils von einer Leistungssteigerung um den Faktor vier; das ist eine ganze Menge. Einige Details (die Rolle von diffusem Licht?) bleiben dabei unklar, aber darum soll es hier nicht gehen.

Mein Kritikpunkt betrifft die Behauptung, diese Art von Anlage sei so effizient, dass sie selbst bei Nacht sinnvoll Strom erzeugen könnte – bei Mondlicht. Das ist, siehe die beiden Überschriften, der Aufhänger, nicht die Effizienzsteigerung an sich.

Reicht ein Faktor 4 für die sinnvolle Nutzung von Mondlicht? Das ist eine einfache quantitative Abschätzung: Von der Sonne empfangen wir rund 400.000 Mal mehr Strahlungsenergie als vom Vollmond. (Das findet man durch einfaches Googlen, oder kann es aus den scheinbaren Helligkeiten ausrechnen.) Und das ist, wie gesagt, bei Vollmond. Während der anderen Phasen ist das Mondlicht noch deutlich schwächer, und in jenen Zeiten, wo Mond und Sonne gleichzeitig am Himmel stehen, wird man die Fotozellen auch tunlichst so ausrichten, dass sie das Sonnenlicht einfangen.

Small data – gerade mal ein paar Zahlen. Aber mit denen muss man quantitativ umgehen (können).

Selbst bei einer um einen Faktor vier gesteigerten Effizienz der Solarzellen – es bleibt ein Missverhältnis Sonne zu Mond von im besten Falle rund einhunderttausend. Im Vergleich mit der Möglichkeit, elektrische Leistung vom Vortage in einer Batterie zwischenzuspeichern (so eine Batterie wird erwähnt), dürfte das Mondlicht damit keine nennenswerte Rolle spielen.

Grob quantitativ: Selbst, wenn ich nur während 2 Sonnenstunden des Tages nur ein Prozent der elektrischen Leistung meiner Fotozelle in einer Batterie speichere und in der Nacht davon dann nur die Hälfte davon zurückbekomme (im Vergleich mit den hier angegebenen Wirkungsgraden für Energiespeicher ein eher schlechter Wert) ist das noch einige hundert Male mehr Energie, als ich sie nachts durch Vollmondlicht bekomme.

Konkrete Energiewerte: Von der Sonne erreichen uns unter optimalen Bedingungen (senkrechter Strahlungseinfall auf Detektor) im Mittel 1367 Watt pro Quadratmeter (die sogenannte Solarkonstante). Für den Vollmond entspräche das 0,0035 Watt pro Quadratmeter. Die größte im Artikel genannte Kugel hat einen Durchmesser von 1,8 Metern; wenn alles auf dieser Querschnittfläche auftreffende Mondlicht in Strom umgesetzt würde, hätten wir eine Leistung von weniger als 10 Milliwatt (nämlich 0,009 Watt).

Bei der indiegogo-Beschreibung finde ich, das sollte man dazu sagen, auch keine diesbezüglichen Behauptungen der Firma. Die werben mit ihrer größeren Effizienz, nicht mit Mondlicht.

Dass die beiden genannten Online-Artikel das Mondlicht – klar, klingt ja auch sehr cool! – derart in den Vordergrund stellen und als Aufhänger wählen, kann ich mir nicht anders erklären, als dass die Autoren ihre Hausaufgaben im Hinblick auf die quantitativen Angaben nicht gemacht haben.

Im Spiegel steht dazu die Einschätzung “Durch Lichtenergie gewonnener Strom könnte damit auch nachts und somit wesentlich konstanter produziert werden.” Gerade so, als würde die “Lunarenergie” einen nennenswerten Unterschied machen. Etwas später wird die “enorme Bedeutung” der “Lademöglichkeit bei Nacht” für den “automobilen Bereich” hervorgehoben. In der Welt ist es vor allem die Überschrift, die das Mondlicht in den Mittelpunkt rückt (und da muss man fairerweise dazu sagen: Über die Wahl der Überschrift hat ein Artikelautor nur begrenzte Kontrolle).

Insofern: Gerne Datenjournalismus, und stellen wir uns den Herausforderungen von “big data”! Aber vorher fehlen wohl noch ein paar Fortbildungen zum Thema Umgang mit “small data”, mit einfachen quantitativen Abschätzungen.

 

 

 

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Markus Pössel hatte bereits während des Physikstudiums an der Universität Hamburg gemerkt: Die Herausforderung, physikalische Themen so aufzuarbeiten und darzustellen, dass sie auch für Nichtphysiker verständlich werden, war für ihn mindestens ebenso interessant wie die eigentliche Forschungsarbeit. Nach seiner Promotion am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut) in Potsdam blieb er dem Institut als "Outreach scientist" erhalten, war während des Einsteinjahres 2005 an verschiedenen Ausstellungsprojekten beteiligt und schuf das Webportal Einstein Online. Ende 2007 wechselte er für ein Jahr zum World Science Festival in New York. Seit Anfang 2009 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg, wo er das Haus der Astronomie leitet, ein Zentrum für astronomische Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit, seit 2010 zudem Leiter der Öffentlichkeitsarbeit am Max-Planck-Institut für Astronomie und seit 2019 Direktor des am Haus der Astronomie ansässigen Office of Astronomy for Education der Internationalen Astronomischen Union. Jenseits seines "Day jobs" ist Pössel als Wissenschaftsautor sowie wissenschaftsjournalistisch unterwegs: hier auf den SciLogs, als Autor/Koautor mehrerer Bücher und vereinzelter Zeitungsartikel (zuletzt FAZ, Tagesspiegel) sowie mit Beiträgen für die Zeitschrift Sterne und Weltraum.

8 Kommentare

  1. Über den Spiegel-Bericht muss man wirklich staunen. Er scheint das mit der Energieproduktion nachts mittels Mondlicht ernst zu nehmen.
    Wenn man sich aber die Bilder anschaut, erkennt man, was der Architekt, der sich das ausgedacht hat, eigentlich will: Solare (oder lunare) Energiegewinnung mittels eines Design-Objekts. Diesen Wunsch haben nicht wenige. Anstatt alle Dächer und ganze Landschaften mit Solarpaneln zupflastern, ein hübsch anzuschauendes Energiewunder im Garten oder neben dem Auto, dessen Batterie damit aufgelädt.
    Diese Idee wird sich aber nicht realisieren lassen. Im Gegenteil. David Mc Kay rechnet im Kapitel Energy plans for Europe, America, and the World seines Werkes “Sustainable Energy without the hot air” aus, dass keines der dicht bevölkerten Länder, ja nicht einmal Europa als Ganzes mit erneuerbarer Energie allein seinen jetztigen Energiebedarf decken kann, wenn maximal 5% der Landfläche mit Solarpaneln überdeckt werden. Allerdings rechnet David Mc Kay immer mit dem Totalenergiebedarf, also nicht nur mit dem Elektrizitätsbedarf allein, sondern auch mit dem Klimatisierungs (Heizen, Kühlen)- und Industriebedarf. Damit kommt er auf einen Pro-Kopf-Energiebedarf von 80 Kilowattstunden pro Person. In Deutschland werden aber “nur” 20 Kilowattstunden an Elektrizität pro Person und Tag verbraucht. Doch selbst diese 20 Kilowattstunden kann man sich mit einer Energiekugel nicht besorgen, sogar wenn man während der Nacht noch etwas Energie gewinnt.

  2. Liest man die dem SPON-Artikel folgenden Kommentare, findet man die hier von Markus Pössel gemachten Einwände und Milchbüchenrechnungen alle wieder. Etwa:
    “1 Minute wikipedia reicht, um herauszufinden, dass 10 h Vollmond etwa so viel Licht liefert wie 0,1 sec Mittagssonne”
    ” dass das bisschen vom Mond reflektierte Sonnenlicht selbst bei Vollmond nicht einmal ausreicht, um ein Glühbirnchen zum Glimmen zu bringen. “
    Es gibt auch humoristische Auslassungen: “Aber man sollte dann auch konsequent weiter in die Zukunft schauen: Was ist mit Glühwürmchen? Soll deren Licht weiter ungenutzt verglimmen? “
    und auch das Design wird erwähnt: “Aber eins stimmt: Das Ding sieht gut aus.”
    oder auch “Eine Spielerei für Wohlhabende viellt, aber nichts für den Alltag.”
    “Jetzt müßte nur noch die Physik der schönen Form folgen.”

    Heisst das nun, dass die Spiegel-Leser (die Kommentatoren) alle viel klüger und gar noch humorvoller sind als der Autor des Artikels. Kaum. Spiegel-Artikel, egal über welches Thema (also auch wenn es um Technik und Wissenschaft geht) wollen immer auch unterhalten und eine Geschichte erzählen. Ob die Geschichte wasserdicht ist, ist heute noch weniger wichtig als zu den Anfangszeiten. Es gilt immer noch was Hans Magnus Enzensberger 1957 über den Spiegel geschrieben hat. Ich möchte nur die ersten beiden Punkte erwähnen: “Der SPIEGEL-Stil ist kein Stil, sondern eine Masche.Das “deutsche Nachrichten-Magazin” ist kein Nachrichten-Magazin.” und dann noch eine zum Thema passende Passage:

    AUTOR: Das deutsche Nachrichtenmagazin” ist kein Nachrichtenmagazin.
    LESER: Was denn?
    AUTOR: Eine Sammlung von Storys und Anekdoten, Witzen, Vermutungen, Briefen, Spekulationen, maliziösen Bemerkungen, Bildchen und Anzeigen.

  3. Was, wenn der SPON-Artikel Mondlicht als Energiequelle: Lade, Auto, lade! eine subversive Hinterbedetung hat? Darauf deutet nämlich schon der Titel Lade, Auto, lade! hin, wo das Ausrufezeichen das Bild eines erzürnten Autofahrer evoziert, der die Geduld verliert. So interpretiert würde der SPON-Artikel das Wunschtraumdenken der Energiewende als ebensolches entlarven. Zu diesem Wunschtraumdenken gehört beispielsweise, Sonne und Wind seien ein kompletter Ersatz für die bisherigen Energiequellen. So gesehen macht der Satz “Gleichzeitig ist vor allem die Lademöglichkeit bei Nacht im automobilen Bereich von enormer Bedeutung.” auf eine Anforderung an jede universelle Stromquelle aufmerksam und der Autor weiss, dass jeder Leser, der nur etwas überlegt, dann selbst herausfinden muss, dass auch das vorgestellte System diese Anforderung eben nicht erfüllt.

    Das Fazit des obigen Beitrags “Small data – gerade mal ein paar Zahlen. Aber mit denen muss man quantitativ umgehen (können).” müsste im Lichte meiner Überlegungen vielleicht etwas umformuliert werden. “Ein kleiner scheinbar fehlerhafter Artikel kann auch etwas ganz anderes aussagen, als er vorgibt, auszusagen.”

  4. Vielleicht hat der erste Redakteuer der etwas dazu geschrieben hat auch einfach nur die bunten Bilder betrachtet, anstatt den langen und “komplizierten” Text zu lesen (böse Gerüchte behaupten, das alle weiteren eh immer ungeprüft vom ersten abschreiben und maximal die superlativen noch weiter ausdehnen).

    Es gibt bei indiegogo ein Bild, das zeigt, dass das Gerät mit Sonnenlicht Energie gewinnt. Darunter gibt es ein Bild bei dem es auch bei Nacht (Mond-Symbol) das Smartphone auflädt.

    Aus dem Text geht aber eindeutig hervor, dass das nicht nur der Ladevorgang bei Nacht von der eingebauten Batterie gespeist wird, sondern das Gerät auch noch als “stimmungsvolles Licht” dient.

    Es produziert also bei Mondlicht keine Energie, sondern verbraucht bei Mondschein dieselbe…

  5. An der Idee ist nicht viel Neues, aber viel Unausgegorenes. Eine Glaskugel zum Bündeln des Lichts nutzten Schneider schon seit Jahrhunderten um das Licht der meist spärlichen Kerze auf das Arbeitsfeld zu bündeln. Solarzellen mit Lichtbündler davor wurde auch schon breit diskutiert. Dabei gibt es zwei Probleme:
    1) die Vorrichtung zum Sammeln des Lichts (Spiegel, Linsen,…) muss pro Fläche billiger sein als die Solarzellen, was gar nicht einfach ist.
    2) Die Solarzellen heizen sich auf und halten nicht mehr so lange. (So blöd das ist, Licht schadet den Zellen und viel Licht schadet viel)

    Fazit, außer dass die Glaskugel schick aussieht, bringt das nicht viel.

  6. Gerade in einem anderen Blog gefunden: Infrarotfotozellen zur Energiegewinnung
    http://www.pnas.org/content/111/11/3927
    “We discuss two possible ways to make such a device: A thermal EEH (analogous to solar thermal power generation) and an optoelectronic EEH (analogous to photovoltaic power generation).”

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