Mathematische Suchmaschinen

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… aber nicht einfacher
RELATIV EINFACH

Manchmal freue ich mich einfach, was das Internet so an Werkzeugen bereithält.

Heute bin ich erstmals über die On-Line Encyclopedia of Integer Sequences gestolpert und konnte sie auch gleich gewinnbringend nutzen. Bei dieser Webseite, die ihrerseits auf Bücher des Mathematikers Neil Sloane ab den 1960er Jahren zurückgeht, gibt man die ersten Terme einer Zahlenreihe ein und OEIS sagt einem, welche Systematik hinter der betreffenden Folge stecken könnte.

Ein Beispiel: Ich gebe die geraden Zahlen ein, lasse aber jede dritte davon weg:

2,4,8,10,14,16

– soweit der Anfang. OEIS findet, wenn ich nur diese 6 Zahlen eingebe, gleich eine ganze Reihe von Möglichkeiten, wie sie zustandegekommen sein könnten. Als erstes mein tatsächliches Rezept, aber es könnten bei diesem einfachen Anfang z.B. auch alle Zahlen n sein, so dass n3-3 eine Primzahl ist, oder 5n+3 eine Primzahl, und eine ganze Anzahl weiterer Dinge mehr.

Zusätzlich gibt es hilfreiche Quellenangaben, Querverweise auf verwandte Zahlenfolgen, Beispiele, eine Formel, die man direkt in das Computeralgebraprogramm Maple kopieren kann und einiges mehr.

Je mehr Zahlen der Serie man angibt, desto weniger Möglichkeiten findet OEIS natürlich. Wenn ich die Reihe noch um zwei weiterschreibe,

2,4,8,10,14,16,20,22,

dann kommt OEIS nur noch auf 5 Möglichkeiten. Die Zahlen n so dass n3-3 eine Primzahl ist sind jetzt nicht mehr im Rennen; die, dass 5n+3 eine Primzahl ist, schon.

Das klingt bis hierhin nach einer mathematischen Spielerei, ist aber bei einigen Gelegenheiten durchaus praktisch. In meinem Falle ging es um ein bestimmtes kombinatorisches Problem – eine bestimmte Anweisung, eine gegebene Anzahl von Objekten auf Schubladen zu verteilen. Die ersten Möglichkeiten hatte ich mir per Hand überlegt; dann hatte ich ein kurzes Computerprogramm geschrieben, um Fälle mit größerer Objekt- und Schubladenzahl durchzuspielen. Indem ich die Zahlenreihen in OEIS eingab, konnte ich schließlich eine einfache Formel finden, die meine gesamte Aufgabenstellung elegant löst.

Jetzt muss ich noch einen Beweis dafür finden, warum diese Formel in meinem Falle gilt, aber das dürfte jetzt, wo ich weiß, wie die Formel lautet, deutlich einfacher sein als vorher.

Es gibt übrigens noch eine ähnliche Situation, in der man z.B. aus einer Simulation heraus immer genauere Näherungen für den Wert einer bestimmten Größe erhält und gerne wissen möchte, ob es für die Zahl, die sich dabei herausschält, irgendeinen einfachen Ausdruck gibt.

Wieder ein fiktives einfaches Beispiel: Wenn ich bei meiner Simulation erst 6,3, im zweiten, genaueren Durchgang 6,28 und im dritten 6,283 herausbekommen, dann denke ich zumindest an die Möglichkeit, dass die exakte meines Ergebnisses 2π (2 mal die Kreiszahl Pi) lautet. Aber was, wenn es keine so einfache Zahl ist?

Während meiner Doktorandenzeit habe ich bei einem Kollegen mal ein entsprechendes Nachschlagewerk im Bücherschrank gesehen, das weiterhalf. Heute kann man einfach zu Wolfram Alpha gehen und die Zahl eingeben; unter “possible closed forms” erhält man dann Vorschläge, worum es sich bei der betreffenden Dezimalzahl handeln könnte.

Wenn ich wahllos z.B. 7.20253 eintippe, bekomme ich als eine Möglichkeit, dass es sich um

16 mal Wurzel aus 2, geteilt durch Pi

handeln könnte. Wenn ich auf “more” drücke, kommen noch einige ungewöhnlichere Bezüge, etwa zu bestimmten komplizierteren geometrischen Strukturen. Wenn über ein entsprechendes geometrisches Problem auf die genannte Dezimalzahl gestoßen wäre, wäre die Wahrscheinlichkeit einigermaßen hoch, dass diese Bezüge meine gesuchte Lösung sind.

Kompliziertere algebraische Ausdrücke bekommt man z.B. über RIES.

Mathematische Puristen mögen ob dieser Art von Vorgehensweise die Nase rümpfen, aber das sind Stilfragen. In der Wissenschaft sind alle Methoden, zur Lösung seines Problems zu kommen, im Prinzip erlaubt (vgl. meinen Beitrag Hat Wissenschaft Methode?). Eine Lösung intelligent zu raten ist dabei ein vollständig legitimer Zwischenschritt. Die saubere Ableitung des exakten Ergebnisses erspart einem das Raten, wie gesagt nicht, aber oft ist es nun einmal einfacher, den Lösungsweg zu rekonstruieren, wenn man bereits weiß, was am Ende herauskommt.

Ich freue mich jedenfalls darüber, dass ich heute mit OEIS ein weiteres Werkzeug kennengelernt habe, das ich wahrscheinlich noch das eine oder andere Mal werde brauchen können. Und bei Wolfram Alpha sollte ich wahrscheinlich auch etwas häufiger vorbeischauen als bisher.

P.S.: Dass Wolfram Alpha beim Rückschluss auf die geschlossene Form auch die Konstanten aus dem folgenden hübschen xkcd-Cartoon berücksichtigt, finde ich natürlich besonders sympathisch (bei 7.20253 kommt die White House Switchboard Constant ins Spiel; Erklärungen gibt es hier auf Explain xkcd):

Quelle: Randall Munroe’s xkcd #1047 unter Lizenz CC BY-NC 2.5

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Markus Pössel hatte bereits während des Physikstudiums an der Universität Hamburg gemerkt: Die Herausforderung, physikalische Themen so aufzuarbeiten und darzustellen, dass sie auch für Nichtphysiker verständlich werden, war für ihn mindestens ebenso interessant wie die eigentliche Forschungsarbeit. Nach seiner Promotion am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut) in Potsdam blieb er dem Institut als "Outreach scientist" erhalten, war während des Einsteinjahres 2005 an verschiedenen Ausstellungsprojekten beteiligt und schuf das Webportal Einstein Online. Ende 2007 wechselte er für ein Jahr zum World Science Festival in New York. Seit Anfang 2009 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg, wo er das Haus der Astronomie leitet, ein Zentrum für astronomische Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit, seit 2010 zudem Leiter der Öffentlichkeitsarbeit am Max-Planck-Institut für Astronomie und seit 2019 Direktor des am Haus der Astronomie ansässigen Office of Astronomy for Education der Internationalen Astronomischen Union. Jenseits seines "Day jobs" ist Pössel als Wissenschaftsautor sowie wissenschaftsjournalistisch unterwegs: hier auf den SciLogs, als Autor/Koautor mehrerer Bücher und vereinzelter Zeitungsartikel (zuletzt FAZ, Tagesspiegel) sowie mit Beiträgen für die Zeitschrift Sterne und Weltraum.

1 Kommentar

  1. Leider werden die meisten der hier empfohlenen mathematischen Suchmaschinen wohl nur von sehr wenigen Leuten, meist Spezialisten, verwendet werden. Mit Ausnahme vielleicht von Wolfram Alpha, eine Site, in der ich zuerst grosse Hoffnungen steckte, die aber die Ansprüche, die sie selbst an sich stellt, nicht alle erfüllen kann. So wird behauptet, Wolfram Alpha haben ein natural language interface, es verstehe also eingegebene Sätze. In Wirklichkeit stolpert Wolfram Alpha schon über simple Sätze, die beisielsweise eine Negation enthalten. Es kann zwar “Where ist the ISS right now” korrekt beantworten, scheitert aber an selbst simplen Fragen, die ein “not” enthalten. Als Suchmaschine ist Wolfram Alpha selbst in einem seiner Kerngebiete, den Mengen- und Statisitikinformationen zu Ressourcen, Google meist unterleben.

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