Läuft der deutschen Wissenschaft der Nachwuchs davon?

Diagramm aus der nascap-Studie über das Karriereziel "Professor" für 2017/2018

Wer die Logik solcher Überschriften kennt, ahnt bereits: Nein. Aber der Reaktion in den sozialen Medien nach war die Lage alarmierend: Ein Warnsignal sei die gerade veröffentlichte nacaps-Studie, das “National Academics Panel”, das gerade eine Befragung von Promovierenden und Promovierten veröffentlicht hatte. Der Wissenschaftsjournalist Jan-Martin Wiarda konstatierte auf Bluesky: “Der Anteil der Doktoranden, die ihre Zukunft in Hochschulen und Forschungsinstituten sehen, ist eingebrochen.” Er bezog sich dabei auf einen Blogbeitrag, in dem er die nacaps-Ergebnisse zusammengefasst und interpretiert hatte, und dieser Blogbeitrag war zumindest in meiner Timeline auf Bluesky dann fast überall der Aufhänger für die weiteren Reaktionen. Die SPD-Bundestagsabgeordnete Carolin Wagner reagierte auf Twitter mit “Es ist ein Weckruf an alle!” Und in der #IchBinHanna-Bewegung, die ja (mit gutem Grund!) insbesondere die ausufernde Befristungspraxis im deutschen Wissenschaftssystem anprangert, sah man sich bestätigt. Amrei Bahr, Mit-Initiatorin der Bewegung, empfahl “dringend die Lektüre” des zugrundeliegenden Blogbeitrags von Wiarda: “Wenn nicht bald Anstrengungen unternommen werden, Arbeit in der dt. Wissenschaft durch Eindämmung von Befristung attraktiver zu machen, sieht es schlecht aus für Wissenschaftsstandort D.”

Ich kann viele der Forderungen von #IchBinHanna absolut nachvollziehen und unterstütze sie. Die jetzt folgende Analyse ist ausdrücklich nicht gegen #IchBinHanna gerichtet. Lassen wir #IchBinHanna ab hier am besten einfach beiseite und fragen allgemeiner: Was sagt nacaps denn nun zu der Frage, ob und wieweit Promovierende und Promovierte in der akademischen Wissenschaft bleiben wollen oder nicht? Zeigen sich Trends? Muss sich die deutsche Wissenschaft Sorgen um ihren Nachwuchs machen?

nacaps – Musterbeispiel für transparente Kommunikation von Studienergebnissen

An dieser Stelle erst einmal ein ganz großes Lob an die Macher*innen der nacaps-Studie. Die haben ihre Ergebnisse in einer wirklich guten Form ins Netz gestellt. In dem eigenen öffentlichen Datenportal kann man die verschiedenen Ergebnisse in interaktiven Diagrammen erkunden und zueinander in so vielfältiger Weise zueinander in Beziehung setzen, dass es eine Freude ist. Von dieser Präsentationsform sollten sich bitte alle, die ähnliche Studienergebnisse an die Öffentlichkeit bringen, eine Scheibe abschneiden.

Insbesondere kann man bei jeder Frage-Antwort-Präsentation durch simplen Mausklick differenzieren, sich also z.B. anzeigen lassen, wie die Antworten innerhalb einer Fächergruppe oder auch einer Altersgruppe variieren. Es ist wahrscheinlich nicht einmal übertrieben, zu sagen: Noch nie war es so einfach, Berichte über eine Studie mit dem abzugleichen, was in der Studie selbst steht.

“Raus aus der Wissenschaft”?

Schauen wir uns einmal, die schönen interaktiven nacaps-Webseiten in der Hinterhand, an, wie Wiardas Blogbeitrag mit dem Titel “Raus aus der Wissenschaft” darauf kommt, “[d]er Anteil der Doktoranden, die ihre Zukunft in Hochschulen und Forschungsinstituten sehen, [sei] eingebrochen” bzw. “[e]ine akademische Karriere [werde] für Promovierende an deutschen Hochschulen deutlich unattraktiver”.

Hier ist die Wiarda-Aussage zu den Daten, an die sich die Interpretation am direktesten anschließt:

“Befragt, in welchem Beschäftigungssektor sie nach Abschluss ihrer Dissertation arbeiten wollen, nannten 2021/22 nur noch 14 Prozent der Doktoranden die Hochschulen, ein Rückgang um acht Prozentpunkte gegenüber 2017/18. Weitere vier Prozent strebten 2021/22 eine Karriere an außeruniversitären Forschungseinrichtungen an, womit sich der Wert von 2017/18 sogar halbiert hat.”

Dann folgen Absätze zur Einordnung, einige Aussagen zum Studiendesign, sowie eine weitere Einordnung als “Warnsignal” das nicht ignorieren könne, “[w]er in der Hochschulpolitik bislang noch bezweifelte, dass eine Nachwuchskrise in der deutschen Wissenschaft droht”. Auch der nacaps-Studienleiters kommt zu Wort, und es folgen außerdem einige ergänzende Zahlen zu Industrie und öffentlichem Dienst. Nachdem all jene anderen Punkte abgehandelt sind, steht in dem Blogbeitrag noch die Aussage

“Stark gewachsen ist allein die Gruppe der Unentschlossenen (+12 Prozentpunkte auf 37 Prozent). Die Promovierenden halten sich ihre Entscheidung also offen – aus Unsicherheit oder weil sie das Gefühl haben, es sich leisten zu können?”

Immein wird nachher zumindest etwas eingeschränkt:

“Der hohe Anteil an Unentschlossenen könnte freilich darauf hindeuten, dass die – potenziellen – Vorteile einer akademischen Karriere durchaus noch wahrgenommen werden: vor allem die Chance, in Forschung und Lehre der Neugier und den eigenen Interessen zu folgen. Aus Sicht von Hochschulen, Forschungseinrichtungen und Wissenschaftspolitik eine echte Chance – wenn sie durch Reformen eine echte Veränderungsbereitschaft signalisieren.”

Was heißt “unentschlossen”?

Das geht an dieser Stelle allerdings bei weitem nicht weit genug. Denn was heißt im Kontext der nacaps-Studie eigentlich “unentschlossen”? Was uns für die Interpretation, ob der wissenschaftliche Nachwuchs akademischen Karrieren jetzt verstärkt den Rücken kehrt, interessiert, ist Unentschlossenheit, ob man denn überhaupt akademische Karriere machen will oder lieber außerhalb der akademischen Wissenschaft seinen Weg sucht. Aber das ist in der nacaps-Studie mit “unentschlossen” gar nicht gemeint. Hier ist, Seite 63 der Methodikhandreichung der Studie, die Beschreibung der Frage “Sektorpräferenz”, um die es geht:

Hier waren keine Mehrfachnennungen möglich. Man musste sich einen Sektor aussuchen. Und so, wie die Frage formuliert ist, geht bei dieser Struktur die Aussagekraft bezüglich dessen verloren, was uns eigentlich interessiert.

Für die Nachwuchs-Gefährdungs-Diskussion wollen wir wissen: Wer will (insbesondere: langfristig) in der Wissenschaft bleiben? Wer will “[r]aus aus der Wissenschaft”? Wer ist bezüglich dieser Entscheidung (bleiben-oder-gehen) unentschieden?

Schauen wir uns die erste jener drei Gruppen an: Menschen, die langfristig in der Wissenschaft bleiben wollen. Zu dieser Gruppe habe ich lange selbst gehört, und inzwischen habe ich in der Wissenschaft ja auch eine schöne (randständige) Nische gefunden. Hätte man mich während meiner Promotion gefragt, in welchem der genannten Sektoren ich “beabsichtig[e] […] zukünftig (vorrangig) tätig zu sein” dann hätte ich wahrscheinlich nicht direkt gewusst, was ich antworten soll. Gerade weil die Stellen auf der höchsten Ebene knapp sind, ist schlicht nicht sinnvoll, sich als besonders ehrgeiziger Nachwuchsmensch vorab z.B. auf entweder Max-Planck-Direktorenstelle oder Lehrstuhl festzulegen. Man ist darauf angewiesen, was zur richtigen Zeit im eigenen Fachgebiet frei wird. Ich kann mir schlecht vorstellen, dass es Menschen gibt, die für die Wissenschaft brennen, aber die Wissenschaft enttäuscht verlassen würden, wenn sie “nur” einen Lehrstuhl, aber keine Max-Planck-Direktorenstelle erhalten – oder umgekehrt. Insofern: Selbst wer 100%ig in der akademischen Wissenschaft bleiben will, kann durchaus (und mit gutem Grund!) unentschlossen sein, wenn er aufgefordert wird, sich doch bitte bereits festzulegen: Universität oder außeruniversitäres Institut?

Damit ist das “Ich bin noch unentschlossen” in jener Frage ein Sammelbecken für Menschen, die auf die entscheidende Frage, ob sie allgemein in der akademischen Wissenschaft bleiben wollen oder nicht, ganz unterschiedliche Antworten geben. Wir können schlicht nicht unterscheiden, ob da jemand unentschlossen ist zwischen dem grundsätzlichen “bleibe in der akademischen Wissenschaft” oder “gehe raus” oder aber ob jene Person zwar unbedingt in der akademischen Wissenschaft bleiben will, sich aber (realistischerweise!) nicht auf universitär/außeruniversitär festlegt.

Aus den Daten selbst geht nicht hervor, ob da im Vergleich zu früher mehr Menschen unsicher sind, ob sie überhaupt in der Wissenschaft bleiben wollen oder nicht. Das geben die Daten aufgrund der Formulierung der Frage schlicht nicht her.

Eine Frage des Kontexts

Was könnte uns in den nacaps-Daten über die Sektorpräferenz-Frage hinaus noch Hinweise darauf geben, wie es mit der Attraktivität der deutschen Wissenschaft für ihren Nachwuchs steht? Schauen wir uns dazu Wiardas Einordnung an, die direkt auf den Absatz mit den oben genannten Zahlen folgt:

“Die neuen “nacaps”-Ergebnisse passen zu den Zahlen einer anderen DZHW-Befragung, die im März Debatten in der Hochschulpolitik verursacht hatte. Laut “Barometer für die Wissenschaft“, gaben darin 71 Prozent aller befristet beschäftigten Postdocs an, sie hätten in den vergangenen zwei Jahren ernsthaft den Ausstieg aus der Wissenschaft erwogen. Und nur noch 16 Prozent der Promovierenden hatten als Berufsziel die Professur.”

Nun gut, das “ernsthaft erwägen” fand ich bereits damals bei der Diskussion um jenes Wissenschafts-Barometer wenig aussagekräftig. Da ist von einer vorübergehenden Phase des Selbstzweifels über “ich will zwar eigentlich unbedingt in der Wissenschaft bleiben aber brauche einen realistischen Plan B” bis zu dann-bleib-mir-doch-gestohlen-Akademia alles mit drin. Weniger vage ist der zweite Wert: dass nur noch 16% der Promovierenden als Berufsziel die Professur angeben. Das Berufsziel Professur ist auch aus meiner Sicht kein schlechter Indikator, ob und wie viele Promovierende “in der Wissenschaft bleiben” wollen und wie viele sich bereits in Richtung eines Ausstiegs orientiert haben.

Aber ganz direkt ist die Korrespondenz dann doch nicht. Das sieht man bereits, wenn man beim Wissenschafts-Barometer genauer hinschaut:

Da stehen neben der Professur auch noch andere Positionen in Forschung und Lehre als Option. Die Zahl derjenigen Prädocs, die in der Wissenschaft bleiben wollen, ist also auch in jener Befragung deutlich größer. Professur und andere-FuL-Position kommen zusammen auf 49,9%. Knapp die Hälfte der dort befragten Prädocs möchte im gewählten Wissenschaftsgebiet bleiben und dort weiterarbeiten. Richtig ist natürlich auch: die “andere Position in Forschung und Lehre” in jener Frage muss nicht unbedingt in der akademischen Wissenschaft liegen. Wer an seinem wissenschaftlichen Thema in der Industrie weiterforschen kann und möchte, dürfte diese Antwort ebenso angekreuzt haben wie jemand, der zwar an der Uni bleiben möchte, aber gerne im akademischen Mittelbau, nicht als Professor*in.

Die nacaps-Frage, die unter den Tisch fiel

Heißt das, wir können mit nacaps gar nichts über die Fragestellung aussagen, die die meisten der genannten Kommentator*innen umtreibt – ob der deutschen Wissenschaft der Nachwuchs wegläuft oder nicht? Ganz so schlimm ist es nicht. Wer sich die Mühe macht, sich nacaps anhand der schönen öffentlichen Webdarstellung (hach!) selbst anzuschauen, konkret: wer sich auf der öffentlichen Datenplattform von der Homepage aus zu den Sektorpräferenzen durchklickt, bekommt diese Übersicht an Tabs geboten:

Moment mal. Karriereintention Professur? Also genau der Zahlenwert, der oben (wenn auch aus einer anden Studie) mit Recht als Kontext herangezogen wurde? Interessant. “Klick”. Ergebnis:

Das sieht dann schon ganz anders aus. Ein volles Drittel der Befragten hat auf die Frage “Streben Sie eine Professur an?” mit einem klaren “Ja” geantwortet. Allerdings auch 32% mit “Nein”. Die restlichen 35% sind (noch) unentschieden. Sicher kann man sich fragen, was das jetzt konkret heißt und wie es mit den Sektorpräferenzen zusammenhängt. Wer die Professur auf regulärem Weg anstrebt, über die Uni-Karriere, gehört ebenso zu den Ja-Stimmen wie jemand, der als Plan hat, zunächst außeruniversitär Erfahrungen zu sammeln und dann in die Wissenschaft zurückzukehren (Dank an Michael Gerloff für den Hinweis auf letztere Möglichkeit). Aber wer ganz sicher nicht mit drin ist, sind diejenigen Promovierenden, die von den Bedingungen im Wissenschaftssystem so komplett die Nase voll haben, dass sie nachhaltig “[r]aus aus der Wissenschaft” wollen.

Nun ist mit den Zahlen der letzten Befragungen zugegebenermaßen noch nichts über einen Trend gesagt. Vielleicht lag die Zahl derjenigen, die Professor*in werden wollen, ja früher einmal höher?

Erwähnte ich schon oft genug, dass ich die nacaps-Datenplattform sehr schätze? Mit zwei Klicks können wir von der Kohorte 2020/2021 (also den jetzt veröffentlichten Ergebnissen) wechseln zu den vorigen zwei Befragungen. Hier ist die Grafik für 2019/2020:

Der Anteil derjenigen, die eine Professur anstreben, beträgt in jener Kohorte, richtig: 33%. Genau wie in der neueren Befragung. Nur die Zahl der definitiven Neinsager war damals geringer: 30% statt 32%. Die Differenz finden wir bei denjenigen, die unentschieden sind.

Noch zwei Klicks und wir sind bei 2017/2018:

Und ja, schauen Sie sicherheitshalber (wie ich gerade) oben im Bild bei “Kohorte”, dass es auch wirklich das richtige Jahr ist. Die Prozentzahlen sind nämlich genau dieselben wie 2019/2020.

Diese Zahlen zeigen keinen Trend, dass das Karriereziel Professur unter den Promovierenden irgendwie an Beliebheit verlöre. Zumindest diesem Indikator nach muss sich die Wissenschaft keine Sorgen um genügend Nachwuchs machen. Die Professur als ultimatives Wissenschafts-Karriereziel ist beliebt wie eh (2017/2018) und je (2019/2020). Davon ist aber weder in dem Wiarda-Blogeintrag etwas zu lesen noch habe ich bei den Social-Media-Kommentaren jemanden gefunden, der darauf eingeht. Für die Schlüsselfrage hoch relevante Daten, die in der Diskussion bislang fast komplett unter den Tisch fallen.

P. S.: Der ingesamt höhere Wert für das Professur-anstreben als bei der Barometer-Studie ist sicher erklärungsbedürftig. Vielleicht hätten einige derer, die dort geantwortet haben, eine Professur anzustreben, anders geantwortet, wenn als Alternative explizit eine alternative feste Stelle an Uni oder außeruniversitärem Forschungsinstitut jenseits der Professur genannt gewesen wäre.

Handwerklich ungenügend

Wie kommt man also von den jetzt verfügbaren nacaps-Daten zu der Aussage, der deutschen Wissenschaft laufe der Nachwuchs davon, zum Warnruf, zu der Beschreibung, der Anteil der Promovierenden der eine eigene Zukunft in der akademische Wissenschaft sähe, sei “eingebrochen”? Anhand der Sektorpräferenzen soweit ich sehen kann nur, wenn man handwerklich durchaus fragwürdig vorgeht, und zwar egal ob mit Handwerk an jener Stelle Wissenschaft oder Journalismus gemeint ist: Man muss beiseite lassen, dass zu den “Unentschlossenen” in der Sektorpräferenzfrage E1 auch Menschen gehören können, die durchaus entschlossen sind, in der akademischen Wissenschaft zu bleiben. Und man muss die eminent relevante Frage E2 nach dem Karriereziel Professur und ihre Ergebnisse – kein Trend nirgends – komplett unter den Tisch fallen lassen.

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Markus Pössel hatte bereits während des Physikstudiums an der Universität Hamburg gemerkt: Die Herausforderung, physikalische Themen so aufzuarbeiten und darzustellen, dass sie auch für Nichtphysiker verständlich werden, war für ihn mindestens ebenso interessant wie die eigentliche Forschungsarbeit. Nach seiner Promotion am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut) in Potsdam blieb er dem Institut als "Outreach scientist" erhalten, war während des Einsteinjahres 2005 an verschiedenen Ausstellungsprojekten beteiligt und schuf das Webportal Einstein Online. Ende 2007 wechselte er für ein Jahr zum World Science Festival in New York. Seit Anfang 2009 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg, wo er das Haus der Astronomie leitet, ein Zentrum für astronomische Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit, seit 2010 zudem Leiter der Öffentlichkeitsarbeit am Max-Planck-Institut für Astronomie und seit 2019 Direktor des am Haus der Astronomie ansässigen Office of Astronomy for Education der Internationalen Astronomischen Union. Jenseits seines "Day jobs" ist Pössel als Wissenschaftsautor sowie wissenschaftsjournalistisch unterwegs: hier auf den SciLogs, als Autor/Koautor mehrerer Bücher und vereinzelter Zeitungsartikel (zuletzt FAZ, Tagesspiegel) sowie mit Beiträgen für die Zeitschrift Sterne und Weltraum.

14 Kommentare

  1. Läuft der deutschen Wissenschaft der Nachwuchs davon?

    Nicht nur das, beim Lesen des lokalen Intelligenzblatts und einer überregionalen Zeitung fällt mir seit geraumer Zeit auf, wie viele Seiten täglich mit ‘Kultur’ ( Bücher- und Filme, Theater, Kunstausstellungen ), wie viele Seiten mit ‘Gesellschaft’ ( A-, B-, C- und D-Promis ) und wie viele Seiten mit ‘Sport’ gefüllt werden – und wie wenige mit Nachrichten aus Wissenschaft und Technik, da haben sogar eher die ‘Wirtschaftsnachrichten’ ( ‘Profit’, ‘Marge’, ‘Konkurs’ und ‘Verkauf’ ) Vorrang.

    Im Prinzip können wir uns die o.g. ‘brotlosen’ Künste nur leisten, weil über Technik und Wissenschaft so viel erwirtschaftet wird. Deshalb sollten uns Erfindungen, Neuerungen, Produktionsmethoden und -fortschritte doch viel mehr wert sein, als das, was D-Promi gerade gehustet hat.

  2. Danke für den Fakten-Check.

    So lange es genug Promovierende gibt und dann PostDocs – und davon über ein Drittel das Karriereziel Professor*in haben, wird der akademische Arbeitsmarkt in Deutschland nicht zusammenbrechen.

    Aber auch hier wird der demographische Wandel ebenso eine Rolle spielen wie der internationale Vergleich: Hier in den Niederlanden hat man das Tenure Track-System gerade wieder aufgegeben. Dafür ist aber die Stelle als Assistant Professor/Universiteitsdocent nach einem bis eineinhalb Jahren unbefristet.

    Dann reden wir von, im Prinzip, einer Stelle auf Lebenszeit mit einem guten Tarifvertrag und 13,6-mal ca. 4.300-6.000 Euro Monatsgehalt, nach Beförderung bis zu 6.700 Euro (also rund 60.000 bis 90.000 Euro brutto Jahresgehalt zzgl. ggf. Steuervorteilen für Ausländer).

    Das Promotionsrecht (ius promovendi) wurde in den letzten Jahren ausgedehnt.

    Wenn ich auf meine Ochsentour zurückschaue, werde ich da schon etwas neidisch. Aber zum Thema heißt das: Deutschland wird sich im Wettbewerb um schlaue Köpfe anstrengen müssen, um da mitzuhalten.

    Formale Voraussetzung für so eine Stelle ist übrigens nur der Dr. (Habilitation gibt es hier sowieso nicht), auch wenn man i.d.R. jemanden mit PostDoc-Erfahrung für so eine Stelle suchen wird.

    • Ja, der internationale Wettbewerb wird sicher eine Rolle spielen. Die Niederlande sind da sicher attraktiv – nicht zuletzt, weil es für diejenigen, die Familie/Kontakte/soziales Umfeld in D haben, von dort aus ggf. sogar Pendeln wichtig ist. Dass Entfristung nicht alles ist, sieht man derzeit gerade an GB: System mit vergleichsweise vielen entfristeten Stellen sowie internen Aufstiegsmöglichkeiten vom Lecturer aus, aber an vielen Unis ein unmöglicher Umgang der Uni mit den Fakultätsmitgliedern. Dass D sich Gedanken machen muss, wie es attraktiv bleibt bzw. attraktiver wird, ist aber auf alle Fälle richtig.

  3. “dass nur noch 16% der Promovierenden als Berufsziel die Professur angeben”
    Wenn sich eine Professur finanziell nicht mehr genügend auszahlt, dann ist die Entwicklung nur logisch.
    Als Dozent an der Hochschule bleiben ist auch eine finanzielle Überlegung.

    Was die Doktoranden betrifft, eine Aufgliederung in medizinisch , naturwissenschaftlich und geisteswissenschaftlich wäre auch aussagekräftig.
    Beim Lehrernachwuchs sind die Entwicklungen auch alarmierend, und zwar zeichnet sich in den Fächern Physik, Chemie und Biologie ein Desinteresse ab. Klar, diese Fäche sind schwierig und verlangen viel Fleiß.
    Und dieser Aufwand wird eben finanziell nicht genug gewürdigt.

    • Die Aufgliederung in Fächergruppen kann man auf der angegebenen Webseite mit ein paar Klicks direkt selbst vornehmen – wie gesagt, eine sehr schöne Aufbereitung der Daten dort.

      Zum finanziellen Interesse: Halte ich nach meinen eigenen Erfahrungen (samt Umfeld) für nicht ausschlaggebend. Alle guten Physikstudierenden, die ich kenne, haben und hatten jeweils großes Interesse am Fach. Und Zufriedenheit im Beruf hängt nicht nur am Geld, sondern auch daran, wieviel Freiheiten man im Beruf hat, und inwiefern man eigenen Neigungen und Interessen nachgehen kann. In der Hinsicht sind (unbefristete!) Professorenstellen nach wie vor eine sehr attraktive Möglichkeit. Und bei den jüngeren Generationen scheint das Bewusstsein dafür, dass nicht das Geld alleine zählt, sondern insbesondere auch, womit man seine Zeit verbringt, noch größer zu sein als bei den älteren.

      • Zum finanziellen Interesse:
        Es gibt auch Studierende mit Migrationshintergrund, ohne Kapital.
        Und wenn man sich vom Verdienst gerade mal eine 2-Zimmer-Wohnung leisten kann, dann ist das nicht mehr akzeptabel. Hier in S bezahlt man für eine 2-Zimmer-Wohnung um die 1500 €.

        • Wir reden ja aber über Professorenstellen. Auf W2 oder W3 6000 bis 8000 € brutto monatlich. Damit ist in Deutschland auch vom Materiellen her ein sehr gutes Leben möglich. Auch in Großstädten. Und wenn die Grundbedürfnisse gut abgesichert sind (so wohnen, dass man zufrieden ist; Absicherung im Alter; Möglichkeit, auch Kinder/andere Abhängige zu versorgen) dann tritt für viele eben doch in den Vordergrund: Wie verbringe ich eigentlich meine Zeit? 60 Stunden pro Wochen etwas machen, das einem nicht richtig Spaß macht, aber richtig Geld bringt, ist unter solchen Umständen für viele dann doch nicht so attraktiv, wie auch (!) in seiner Arbeitszeit etwas zu machen, das einem selbst etwas bringt und es erlaubt, eigene Interessen zu verfolgen.

          • Bei 6000 € brutto sind das gerade mal 3000 € netto für einen Alleinstehenden.
            Vor 10 Jahren konnte man noch für 3000 € netto ein gerade erträgliches Leben führen.
            Gehen Sie heute einmal in einen Sportverein, und fragen Sie nach dem Mitgliedsbeitrag.
            Und wissen Sie was ein Neuwagen kostet. Der preisgünstigste E-Wagen liegt bei 36 000 €, das wäre ein Jahresverdienst. Und wissen Sie was eine private Krankenversicherung kostet ?
            Wir zahlen bei 30 % Abdeckung über 8000 € im Jahr.

            Mir scheint, das mit dem “sehr gut leben” , das wird immer mehr zu einem Traum.

            “Professor” war auch mal ein Ehrentitel. Irgendwie hat sich das im Elfenbeinturm noch nicht herumgsprochen, ich meine das mit der schleichenden Inflation.
            Und wenn die finanzielle Grundlage nicht mehr stimmt, dann ist die Entwicklung absehbar.

          • Sie vergackeiern mich hier gerade, oder? Das ist ein sonderbarer Flex von Ihnen, dass Sie die ein Netto-Einkommen in den obersten 15% als etwas abqualifizieren, mit dem man zwar vor 10 Jahren noch gerade so ein “erträgliches” Leben führen konnte – heute aber dann offenbar nicht mehr? Ein “hui, seht mal, wie hoch meine Ansprüche sind”? An der Lebensrealität der meisten Menschen dürfte das vorbeigehen. Und dass es für Beamt*innen Beihilfe gibt, dass man Fahrzeuge in Raten zahlen oder Leasen kann und alles was sonst noch Ihrer Deutung widerspricht, lassen Sie ja leider auch unter den Tisch fallen. Uff!

  4. @Pössel: Über die Situation im UK könnte man ja einmal bloggen.

    Meines Wissens haben die Wissenschaftler*innen dort – trotz fester Stellen – keinen guten Kündigungsschutz, oder? Jedenfalls habe ich schon ein paar gesehen, die bei Bedarf entlassen wurden.

    Und zum Geld: Vor ein paar Jahren habe ich mitgekommen, dass ein bereits berufener Professor als Institutsleiter nach München kommen sollte. Mit dem Angebot hätte er aber nicht einmal eine durchschnittliche Eigentumswohnung finanzieren können. Darum sagte er ab. Wem in der Gesellschaft sollte denn sonst Wohneigentum offenstehen, wenn nicht einmal einem Prof. Dr. Institutsleiter mit großer Personalverantwortung?

    In München gab’s sogar einmal den Trend, noch W2-Professuren auf Bewährung (= auf Zeit) zu besetzen. Wann hat man sich nach dieser Denke endlich genug im Leben bewiesen?

    P.S. Wohneigentum ist auch ein Grund für den Blick über die Grenze: In den Niederlanden werden die Hypotheken sogar staatlich bezuschusst und kann man sich zurzeit bis zu maximal 100% des Marktwerts leihen (dann zahlt man also nur Steuern und Kosten, wobei man letztere wieder steuerlich absetzen kann).

    • UK: Gute Frage, habe ich selbst nur alles zweiter Hand mitbekommen. Höre dortige Kolleg*innen aber über schlechte Bedingungen stöhnen – siehe die Streiks an UK-Universitäten letztes (?) Jahr. W2-Professuren auf Zeit sind in der Tat ziemlich dreist. Bei meinem eigenen Arbeitgeber, der Max-Planck-Gesellschaft sehe ich ja auch, dass die sich ins Zeug legen muss um wirkliche Spitzenkräfte für die Direktor*innenposten zu gewinnen. Und die Beschaffung/Vermittlung von geeignetem institutsnahen Wohnraum ist dabei in der Tat ein wichtiger Faktor.

  5. Gemäß dieser Übersicht ist Deutschland (zusammen mit den Niederlanden) übrigens auf Platz 41 von 207 (wobei höher = besser)

    Wenn man die Liste nach Mordrate (pro 100.000 Einwohner) absteigend sortiert, ist Deutschland auf Platz 164 von 207. Platz 41 haette mich doch etwas ueberrascht ;).

  6. ich hätte ohne zu zögern mit “ja” geantwortet:
    a) wer kann, geht weg – weil das Prekariat, das zu einem Lebensstil wie Wandermönch/-nonne zwingt, nur schwer ertragbar ist.
    b) Deutschland will ja auch keinen wissenschaftlichen Nachwuchs haben: angeblich verstopfen wir das System … wichtiger scheint zu sein, dass man möglichst zahlreiche Leute durch Unis quält und damit man all den Leuten auch Zertifikate geben kann, muss man das Prüfungsniveau senken. Dass das nicht langfristig funktionieren kann, weil dann erstens Handwerker und Busfahrer fehlen und zweitens auch keine ordentlichen Akademiker rauskommen, war zwar bereits vor >20 Jahren vorhersagbar (bzw. hätte man aus der Geschichte lernen können), aber man macht’s trotzdem so. Wohin soll das führen?

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