Kontrolle der Vergangenheit

BLOG: RELATIV EINFACH

… aber nicht einfacher
RELATIV EINFACH

Gerade noch hatte ich für Frau Koch-Mehrin und ihre sonderbare Forschungsausschussberufung meinen Buchhaltertest wieder ausgegraben, und schon kann ich ihn wieder einmotten.

Dass Koch-Mehrin so schnell, nämlich am 25.6.2011, aus dem Forschungsausschuss zurückgetreten ist, scheint mir darauf hinzudeuten, dass sie und wahrscheinlich auch die Parteikollegen schlicht unterschätzt haben, in welcher Weise die Ausschussmitgliedschaft als ungutes Signal verstanden wird. Hinter der Affäre stand also wohl eher mangelndes politisches Gespür als demonstrative Gleichgültigkeit gegenüber wissenschaftlichen Werten.

Den Ausschlag hatte dabei die Pressemitteilung der Allianz der Wissenschaftsorganisationen gegeben, in der von Alexander-von-Humboldt-Stiftung bis Wissenschaftsgemeinschaft Gottfried Wilhelm Leibniz alle Schwergewichte der deutschen Wissenschaftsszene vertreten sind. Die Allianz hatte sich dabei überraschend schnell bewegt –  da sind ja eine ganze Reihe von Oberen, Stabsstellen und sonstigen Gremien involviert, da dürften einige Telefonleitungen geglüht haben und einige hektische Treffen einberaumt worden sein – und mit einer Pressemitteilung klargestellt, dass sie die Mitgliedschaft im Ausschuss fur Industrie, Forschung und Energie des Europäischen Parlaments einer des Doktorarbeit-Plagiats überführten Politikerin für nicht akzeptabel hält.alt

Die schnelle Stellungnahme der Wissenschaftsorganisationen und die schnelle Reaktion Koch-Mehrins sind gute Zeichen. Wir sind wieder ungefähr da, wo wir nach Ende der Guttenberg-Affäre waren: Alle Beteiligten, von Professoren und Mitgliedern der Universitätsverwaltung bis zu den (wenigen) Doktoranden, die in Versuchung gewesen sein mögen, es sich mittels Copy-und-Paste zu einfach zu machen, dürften in Zukunft deutlich vorsichtiger sein als vor der Affärenserie.

Ein ironisches Detail möchte ich den Lesern dieses Blogs aber nicht vorenthalten. Ich hatte nach Erscheinen des SPON-Artikels immer einmal wieder auf Koch-Mehrins Homepage vorbeigeschaut.  Ich dachte, naiv wie ich bin, dass dort bald der Originaltext der Verlautbarung Koch-Mehrins zu ihrem Ausschuss-Rücktritt erscheinen würde, und den wollte ich für meinen Blog-Nachtrag zum Thema (also für diesen Beitrag hier) heranziehen.

Stattdessen war dort auch am Tag nach dem Rücktritt immer noch die frohe Botschaft von der neu erworbenen Ausschussmitgliedschaft zu lesen, wobei das Gremium hier (legitim verkürzt) “Industrie-Ausschuss” heißt:

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Nun gut, dachte ich, da ist wahrscheinlich jemand über das Wochenende noch nicht dazu gekommen, die neuen Entwicklungen vom Samstag zu berücksichtigen. Als ich heute, also am 27.6.2011, wieder auf der Seite vorbeischaute, war die Erklärung zum Rücktritt zwar nicht da, aber dafür war gleich die ganze relevante Vergangenheit gelöscht worden:

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Dass Frau Koch-Mehrin auf dem ersten Bild etwas konsterniert dreinschaut und auf dem zweiten Bild wieder lächelt, hat übrigens nichts zu sagen. Ein Flash-Skript (o.ä.) variiert die Gesichtsausdrücke Koch-Mehrins (und die links eingeblendeten Zitate) in etwas beunruhigender Weise; daran hat sich aber von vor ein paar Tage bis heute nichts geändert.

Was bleibt, ist der interessante Umstand, dass die Koch-Mehrin-Webseite auf die peinliche Forschungsausschuss-Episode mit Vergangenheitskontrolle reagiert. Die aktuelle Nachricht (“Silvana direkt”), welche die Korrektur (Rücktritt von der Ausschuss-Mitgliedschaft) erst nötig machte, wurde schlicht eliminiert. Warum man so vorging, das ist mir, ehrlich gesagt, ein Rätsel.  Sicher, ein paar Koch-Mehrin-Interessierte, die in ein paar Jahren die alten Webseiten-Nachrichten durchgehen, werden die peinliche Episode vielleicht aufgrund dieser Löschung gar nicht erst mitbekommen.  Aber andererseits ist es doch sicher kein geschickter politischer Schachzug, zukünftigen Gegenkandidaten Munition zu liefern, indem man seine Krisenbewältigungsstrategie aus dem Handbuch des “Ministeriums für Wahrheit” aus George Orwells 1984 entlehnt?

Nun gut, eher ein Detail. Vielleicht ja sogar ein dramaturgisch gelungener Abschluss der Affäre. Wenn Plagiieren das Herbeizaubern fremder Textblöcke quasi aus dem Nichts ist[1], dann ist das spurlose Wegzaubern eigener Texte schon irgendwie so etwas wie das Gegenteil. Und das Gegenteil einer Fehlleistung kann doch eigentlich nur gut sein. Oder so.

 

 

[1] Freudscher Vertipper in einer vorigen Version: “aus dem Netz”.

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Markus Pössel hatte bereits während des Physikstudiums an der Universität Hamburg gemerkt: Die Herausforderung, physikalische Themen so aufzuarbeiten und darzustellen, dass sie auch für Nichtphysiker verständlich werden, war für ihn mindestens ebenso interessant wie die eigentliche Forschungsarbeit. Nach seiner Promotion am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut) in Potsdam blieb er dem Institut als "Outreach scientist" erhalten, war während des Einsteinjahres 2005 an verschiedenen Ausstellungsprojekten beteiligt und schuf das Webportal Einstein Online. Ende 2007 wechselte er für ein Jahr zum World Science Festival in New York. Seit Anfang 2009 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg, wo er das Haus der Astronomie leitet, ein Zentrum für astronomische Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit, seit 2010 zudem Leiter der Öffentlichkeitsarbeit am Max-Planck-Institut für Astronomie und seit 2019 Direktor des am Haus der Astronomie ansässigen Office of Astronomy for Education der Internationalen Astronomischen Union. Jenseits seines "Day jobs" ist Pössel als Wissenschaftsautor sowie wissenschaftsjournalistisch unterwegs: hier auf den SciLogs, als Autor/Koautor mehrerer Bücher und vereinzelter Zeitungsartikel (zuletzt FAZ, Tagesspiegel) sowie mit Beiträgen für die Zeitschrift Sterne und Weltraum.

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